Arbeit mit kreativen Medien in der Supervision
I. Begriff und Bedeutung von "kreativen Medien"
Kreative Medien spielen in der Praxeologie der Integrativen Supervision eine zentrale Rolle. An dieser Stelle soll in einem ersten Schritt der Begriff, sodann die Bedeutung kreativer Medien in diesem Supervisionsansatz geklärt werden,
1. Die Begriffe "Medium" und "kreative Medien"
Der zunächst etwas ungewöhnlich wirkende Begriff "kreative Medien" ist hier zu präzisieren. Dabei ist zu klären, was unter "Medien" und was unter "kreativen Medien" zu verstehen ist.
1.1. Der Begriff "Medium"
Je nach dem, in welchen theoretischen Zusammenhängen oder Anwendungsmodellen der Begriff "Medium" Verwendung findet, werden eher funktionale oder eher anthropologische Bedeutungen akzentuiert.
1.1.1. "Medien" unter funktionaler Perspektive
In einem klassisch kommunikationstheoretischen Verständnis, das der Nachrichtentechnik nahesteht (GRAUMANN 1972), sind "Medien" als Informationsträger bezeichnet. So interpretieren HARTLEY/HARTLEY (1955) Medien als entscheidende Elemente jeder Kommunikation. Ein Sender lädt ein Medium mit Informationen auf, wie z.B. ein Blatt Papier mit Buchstaben. Der Empfänger entnimmt dem Medium die implantierte Information, d.h. er hat auf dem Stück Papier eine Nachricht erhalten. Medien sind in diesem Verständnis Träger von Informationen. Sie dienen also der Verständigung.
Nun wird aus psychotherapeutischer Perspektive die Codierung eines Mediums nicht nur als willentlicher Prozeß verstanden. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, daß Sender Medien auch unwillkürlich, also prärational codieren. Empfänger können dann bei der Entladung von Medien auch Informationen über nicht-rationale Phänomene des Senders erhalten und sie zum Ausgangspunkt für gemeinsame Auseinandersetzungen nehmen.
Diese Sicht steht bei manchen psychotherapeutischen Ansätzen im Vordergrund, die über intensive Medienarbeit mit Patienten, deren unbewußte Struktur zu erkunden und zu bearbeiten suchen (FRANZKE 1977, PETZOLD/ORTH 1990 u.a.). Medien gelten in solchen Konzepten im Prinzip als Informationsträger prärationaler Phänomene und als Basis der Verständigung über diese.
Übungsaufgabe 1.: Nehmen Sie bitte einen Bleistift und ein Blatt Papier, zeichnen Sie irgendetwas, das Ihnen gerade einfällt, auf das Blatt und deuten Sie es mit einem Gesprächspartner gemeinsam aus.
1.1.2. "Medien" unter anthropologischer Perspektive
Ergänzend zu dieser funktionalen Bedeutung des Medienbegriffes läßt sich aber behaupten, daß Medien nicht nur zum Zwecke der Informationsübermittlung codiert werden, sondern daß ihre Verwendung auch dem Selbstausdruck dient. Wie etwa MEAD (1973) postuliert, dient Gestik, Mimik und auch Sprache nicht einfach nur der Verständigung, sondern das Codieren von Medien läßt sich auch als "Befreiung von Emotionen" (JOAS 1980) begreifen.
Übungsaufgabe 2.: Erinnern Sie sich an Situationen, wo Sie sich mit Schreiben, Malen, Singen, Schreien oder in anderer Weise von Gefühlen befreit haben? Versuchen Sie bitte zu ermitteln, welches Medium Sie dabei verwendet haben.
Dieser Aspekt wurde besonders in der humanistischen Psychologie weiter akzentuiert. Wenn wir der Selbstaktualisierungskonzeption von MASLOW (1973) folgen, ist es sogar ein typisch menschliches Bedürfnis, sich auszudrücken, was wiederum nur über Medien erfolgen kann.
So lassen sich Medien in zweifacher Weise definieren: als Träger rationaler wie nicht-rationaler Informationen auf der einen Seite und als Mittel, durch die Menschen ihrem eigenen Dasein Ausdruck verleihen auf der anderen.
1.2. Der Begriff "kreative Medien"
Da Medien, wie wir gesehen haben, keineswegs nur der sachlichen Informationsübermittlung dienen, sondern auch der "prärationalen" Kommunikation und sogar dem Selbstausdruck von Menschen, läßt sich behaupten, daß manche Medien diese unterschiedlichen Bedeutungen besser als andere einlösen. Das sind dann Medien, die über ihre sachliche Informationsfunktion hinaus, Menschen bisher unbekannte Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsbereiche zu erschließen vermögen.
Sie fördern dann innere Muster zutage, die für den betreffenden Menschen bisher unbekannt waren und sie ermöglichen ihm neuartige Formen des Selbstausdrucks. Da diese beiden Aspekte mit der Entfaltung von Kreativität (SEIFFGE-KRENKE 1974) in Beziehung stehen, wurden solche Medien als "kreative Medien" bezeichnet (PETZOLD 1977).
2. Die Differenzierung von kreativen Medien
Nun lassen sich kreative Medien wieder im Sinne einer heuristischen Klassifikation von Medien unterscheiden. Dies war insbesondere sinnvoll für Anwendungsmodelle in Pädagogik, Psychotherapie und Supervision (SCHREYÖGG 1992).
Bisher wurden unterschiedliche Klassifikationsversuche von Medien vorgelegt. So finden wir bei EDLING (1966) oder GAGNE' (1970) Versuche, Medien nach ihrer Reizmenge oder anderen Kriterien zu differenzieren. Da es sich dabei aber meistens um schwer operationalisierbare Unterscheidungskriterien handelt, die in konkreten Anwendungsfällen kaum ermittelbar sind, ist es sinnvoll, Differenzierungen vorzunehmen, die für Anwendungsmodelle einen griffigeren, d.h. didaktisch eingängigeren Rahmen bilden.
PETZOLD (1977) klassifiziert Medien in Anwendungsmodellen
- in personale Medien,
- in Handlungsmedien und
- in Sachmedien.
2.1. Personale Medien
Ein personales Medium, d.h. ein personaler Informationsträger, wäre etwa ein Lehrer, der den Schülern als Medium zur Übermittlung von Lehrstoff dient und ihnen wiederum Rückmeldung geben kann, wie gut sie diesen aufgenommen haben. Ein kreatives Medium wäre er, wenn er den Schülern Erfahrungen ermöglicht, die rein rationale Vermittlung überschreiten und die sogar ihren Selbstausdruck fördern. In diesem Sinne kann auch Therapeut oder Supervisor zum "kreativen Medium" werden, wenn er den Klienten oder Supervisanden durch sein jeweiliges Mensch-Sein neue Erfahrungsräume erschließen hilft.
Übungsaufgabe 3.: Können Sie sich an jemanden erinnern, der für Sie ein kreatives Personalmedium war. In welchen Zusammenhängen haben Sie diesen Menschen kennengelernt und was war für Sie in der Begegnung "kreativ?"
Inwieweit ein Supervisor zu einem "kreativen Medium" wird, bestimmt sich hochgradig nach seinem Interaktionsstil. Mit solchen Fragen haben wir uns schon in der "Einführung" beschäftigt. Im Verlauf dieses Lehrmaterials kommen wir zwar punktuell immer wieder auf die Bedeutung des Supervisors als "personales Medium" zurück, wir werden uns aber vorrangig mit den anderen beiden Gruppen kreativer Medien beschäftigen, nämlich Handlungs- und Sachmedien.
2.2. Handlungsmedien
"Handlungsmedien" sind in dieser Klassifikation alle Medien, wie Sprache, Gestik, Mimik, aber auch Trainingsmethoden oder Lernspiele, durch die auf der Handlungsebene Informationen übermittelt werden. Ein Handlungsmedium verwendet der Lehrer, wenn er mit den Schülern ein Lernspiel eintrainiert, das ihre mathematischen Fähigkeiten fördern soll. Ein "kreatives Handlungsmedium" verwendet er, wenn er sie etwa durch vorhergehende Rollenspiele zu eigenen Gedichten oder Kurzgeschichten anregt. Er fördert so noch unbekannte Möglichkeiten.
Als "kreative Handlungsmedien" bezeichnen wir alle Arbeitsformen, die aus psychotherapeutischen Verfahren für die Supervision adaptiert werden. Das sind in diesem Ansatz vorrangig methodische Maßnahmen aus dem Psychodrama und der Gestalttherapie.
2.3. Sachmedien
Bei Sachmedien handelt es sich um materiale Informationsträger. Diese lassen sich wieder unterscheiden in
- "technische Medien" und
- "Materialmedien".
Als "technische Medien" werden im allgemeinen Video- und Audio-Bänder, Filme usw. bezeichnet, während es sich bei "Materialmedien" um Schreibmaterialien, Papier, Filzstife, Wachsmalkreiden usw. handelt. Materialmedien verwendet der Lehrer, wenn er mit Kreide an die Tafel schreibt. Als kreatives Materialmedium läßt sich ein solches Medium bezeichnen, wenn es dem Verwender neuartige Erfahrungen zu erschließen hilft. Auch diese Sachmedien können einerseits dazu dienen, rationale Informationen zu übermitteln oder prärationale. Sie können aber auch dem Selbstausdruck von Menschen dienen.
Übungsaufgabe 4.: Mit welchen der soeben genannten Medien hantieren Sie am liebsten? Erstellen Sie bitte eine Präferenzliste, bei der Sie auch andere, hier nicht genannte Medien berücksichtigen.
In der Integrativen Supervision werden eine Vielzahl von Sachmedien verwendet. Hierbei dominieren die "Materialmedien" wie Bausteine, Stifte oder Puppen.
3. Die Bedeutung kreativer Medien in der Supervision
Nachdem wir Begriff und Bedeutung dieser Medien generell umrissen haben, wollen wir ihre spezielle Bedeutung für die Supervision erkunden.
Wir hatten festgestellt, daß kreative Medien wie alle Medien, eine je spezifische Bedeutung als Träger rationaler wie prärationaler Informationen aufweisen und daß sie als Mittel dienen, dem eigenen Dasein Ausdruck zu verleihen.
3.1. Medien als Informationsträger in der Supervision
Als Träger von Informationen können kreative Medien für rationales und nicht-rationales Material dienen.
3.1.1. Als Träger für rational leicht zugängliches Material
Ein kreatives Medium kann in der Supervision als Informationsträger dazu dienen, daß der Supervisand dem Supervisor das, was er übermitteln will, schneller und sinnfälliger als nur einfach sprachlich vermittelt. So bilden solche Medien oft die methodische Grundlage für den supervisorischen Dialog.
Sie dienen hier oft zur Rekonstruktion komplexer Sachverhalte, die sich bei ausschließlich sprachlicher Darstellung dem Supervisor sonst kaum oder nur unzureichend erschließen würden. Das "geladene" Medium bildet dann eine sensorisch prägnante Basis für sprachliche Dialoge. Für den Supervisor ergibt sich dadurch umfassendere Teilhabe an den aktuell relevanten Phänomenen, und dem Supervisanden erschließen sich aus einer exzentrischen Position oft schon neue, vielfältigere Perspektiven von seiner Praxis. Auf diese Weise sind solche Medien für angemessen mehrperspektivische Problemformulierungen oft unverzichtbar.
3.1.2. Als Träger für rational schwer zugängliches Material
Solche Medien können aber dem Supervisanden auch dazu dienen, daß er das, was er selbst noch nicht sprachlich zum Ausdruck zu bringen vermag, weil es zunächst noch im Prärationalen verborgen liegt, in ein Medium zu implantieren. Durch den "Ladungsprozeß" und das Produkt, d.h. das geladene Medium, gelingt es Supervisanden oft leichter als über die sonst üblichen Kommunikationsformen den eigenen inneren Mustern Ausdruck zu verleihen. Das geladene Medium dient in solchen Fällen dazu, daß der Supervisand zusammen mit dem Supervisor den Sinn der medialen Ladung ausdeutet.
Kreative Medien dienen dann in der Supervision wie in der Therapie dazu, nicht-planmäßige Deutungsmuster präzisieren zu helfen, spontan umzustrukturieren, aber auch für einen weiteren Dialog mit dem Supervisor zugänglich zu machen. Sie bilden also oft die methodische Basis für gezielte Umstrukturierungen.
3.2. Medien zur Unterstützung des Selbstausdruckes von Menschen
Über die pragmatischen Bedeutungen hinaus können aber kreative Medien auch dem Selbstausdruck von Supervisanden dienen, was zur generellen Erweiterung von Supervisanden führt. Über kreative Medien erschließen sich Menschen oft neue Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten, d.h. sie erweitern ihre Deutungs- und Handlungsmuster.
II. Kriterien für eine differenzierende Verwendung von kreativen Medien in der Supervision
Für die soeben beschriebenen Verwendungsmöglichkeiten können nicht alle beliebigen Medien bei allen Supervisanden und in allen Supervisionssituationen herangezogen werden. Wir müssen die Medien vielmehr differenzieren. Hier sind vorrangig zwei Kriterien von Belang:
- Kreative Medien verfügen über eine ihnen "eigene Ladung" für ihre Verwender. Diese macht sie für die Verwendung bei unterschiedlichen Personen, Themen und Situationen mehr oder weniger gut geeignet.
- Die aktive Ladung kreativer Medien ist immer an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die sie für bestimmte Personen oder Situationen mehr oder weniger gut geeignet erscheinen läßt.
1. Die eigene Ladung von Medien
Wie MC LUHAN (1964) schon aufmerksam machte, enthalten Medien, bevor sie im Einzelfall verwendet werden, bereits eine ihnen eigene Ladung. "Das Medium ist die Botschaft", meint in diesem Verständnis, daß Medien bereits spezifische Botschaften enthalten. Diese Botschaft kann als generelles, aber auch als situations- und personenspezifisches Phänomen begriffen werden.
Übungsaufgabe 5.: Wenn Sie Magazine am Zeitungskiosk sehen, haben Sie bestimmt über diejenigen, die Sie kennen, schon bestimmte Vorstellungen, bevor Sie eine neue Nummer gelesen haben. Könnten Sie bitte für drei solcher Medien Ihre Assoziationen mit den Inhalten notieren.
Aus phänomenologischer Perspektive unterliegen alle Phänomene, gegenständlicher wie personaler Art, einer Deutung. In diesem Sinne werden auch kreative Medien gedeutet. Dabei lassen sich dann kollektive Typisierungen, aber auch personenabhängige Typisierungsweisen unterscheiden.
1.1. Kollektive Typisierungen von Medien
Ein Stück Ton wird z.B. kollektiv als "erdig" typisiert. Und ein Rollen- oder Stehgreifspiel löst bei den meisten Menschen Assoziationen zu "Theater", "Bühne" usw. aus.
Solche Typisierungen bezeichnen die sogenannte natürliche Ladung eines Mediums (PETZOLD 1977).
Diese natürliche Ladung als kollektive Typisierung eines kreativen Mediums, hat immer einen mehr oder weniger ausgeprägt regressiven Charakter; denn, wie im letzten Abschnitt erläutert, sollen ja kreative Medien solchen Informations- bzw. Expressionsprozessen dienen, die nicht ausschließlich rational orientiert sind, wie wir es aus üblichen Kommunikationssequenzen kennen.
So löst der Tonklumpen bei vielen Menschen kleinkindhafte Erfahrungen im Zusammenhang mit "Matschen" usw. aus, die Kasperfigur spätere Erfahrungen des Vorschulkindes, ein Füllfederhalter wird sicher erst mit der Schulzeit assoziiert und ein Stehgreifspiel mit Stadien der Jugendzeit.
Je nachdem, welcher Zielsetzung ein Medium in der Supervision dienen soll, wird es das mehr oder weniger gut tun, je nachdem, wie ausgeprägt regressionsfördernd seine natürliche Ladung ist, bzw. an wie weit zurückliegende Lebensstadien es erinnert. Sachliche Informationsfunktionen wird es natürlich besser dann erfüllen, wenn seine Ladung auch "sachlich" wirkt.
Beispiel 1.: Wenn Supervisanden berufliche Probleme vortragen, die mit Variablen des organisatorischen Kontextes in Beziehung stehen, ist es sinnvoll, bunte Steine oder Plättchen zu verwenden. Mit solchen Medien können sich Supervisor und Supervisand rasch eine Übersicht über die formalen und nicht-formalen Muster von Organisationen verschaffen.
Nicht-planmäßige Deutungsmuster sind dagegen eher durch Medien mit deutlich regressiven "Anmutungsqualitäten" zutage zu fördern. Durch solche Medien lassen sich die Muster von Supervisanden oft auch stärker erweitern.
Beispiel 2.: Häufig klagen Supervisanden über "dumpfe" oder "schwere" Atmosphären an ihrem Arbeitsplatz. In solchen Fällen ist es sinnvoll, sie zu bitten, ein "phänomenologisches Organigramm" (MASSARIK 1983) anzufertigen. Dann ergeht die Bitte an sie, "zeichne dich doch mal in Deiner Organisation, so, wie du es gefühlsmäßig erlebst." Solche Bilder werden mit Wachsmalkreiden oder Filzstiften auf ein großes Blatt Papier gemalt und im gemeinsamen Gespräch ausgedeutet.
Entsprechend dieser Bedeutungsgehalte, die ein Medium generell hat, werden Medien in bestimmten Situationen und zu bestimmten Themen mehr oder weniger angemessen, d.h. für die Supervisanden förderlich sein und von ihnen angenommen oder eben nicht.
Beispiel 3.: So korrespondiert der generell regressive Charakter eines Tonklumpens sicher nicht mit der Atmosphäre, die anläßlich der ersten Supervisionssitzung mit Führungskräften besteht. Auch wenn es vielleicht aufschlußreich wäre, ihre Organisationskultur als gemeinsam gefertigte Tonplastik modellieren zu lassen, besteht in dieser Situation die Gefahr, daß das Medium offen oder indirekt nur als "Dreck" abgelehnt wird. Dies wird insbesondere dann geschehen, wenn die Supervisanden rationale Phänomene zu vermitteln oder zu klären suchen.
Für solche Fälle müssen Medien verwendet werden, die durch ihre natürliche Ladung eine eher rationale "Stimmung" bei den Supervisanden einfangen, und die aber doch eine gewisse Expressionsbreite zulassen.
Beispiel 4.: So eignen sich zur Auseinandersetzung mit der formalen Struktur von Führungskräften eher Tafeln, Stifte, bunte Plättchen, wie es z.B. mit den Materialien von "Metaplan" möglich ist.
Im Gegensatz dazu besteht in einer eher vertrauensvollen Atmosphäre in der Teamsupervision, bei der die unterschwelligen emotionalen Bezüge geklärt werden sollen, die Möglichkeit, eine kleine Szene mit dem Material des Szeno-Tests aufbauen zu lassen. Dieses regressionsfördernde Material fängt dann vielleicht eine "spielerisch aggressive" Atmosphäre ein, in der sich alle gerne auf dieses Medium einlassen und dementsprechende Muster zutage fördern.
Beispiel 5.: In einer Drogeneinrichtung, deren Mitarbeiter sechs Personen umfaßte, herrschte eine ausgesprochen vertrauensvolle Atmosphäre. Als nun eine Mitarbeiterin aus privaten Gründen die Einrichtung verlassen mußte, wurde sie gebeten, ein "Panorama ihrer Zeit in der Einrichtung" zur letzten Supervision, bei der sie auch verabschiedet werden sollte, mitzubringen. Sie verwendete dafür eine Tapetenrolle, auf die sie mit Plakafarben die verschiedenen Stadien ihrer Anwesenheit in der Einrichtung aufgemalt hatte. Sie erläuterte nun ihr "Werk", was bei allen Anwesenden eine Vielzahl von lebendigen Erinnerungen wachrief.
So läßt sich behaupten, daß Medien durch ihre natürliche Ladung zu bestimmten Themen und Situationen mehr oder weniger gut "passen" und auch von den Supervisanden als mehr oder weniger gut "passend" erlebt werden.
1.2. Individuelle Typisierungen von Medien
Ein jeweiliges Medium hat aber nun auch für einzelne Menschen unterschiedliche Bedeutungen.
So löst das "erdige" Tonstück beim einen Phantasien im Zusammenhang mit "Sonne, Strand, Matschen" aus, beim anderen Phantasien im Zusammenhang mit "Kot, Angst, Strafe" usw. Auch die Kasperfigur ist für den einen "das lustige Kasperl", für den anderen der "listige Wurstel". Für manche Menschen wirken Imaginationen wie "Spinnerei", andere assoziieren sie mit "Dichten". Und Rollenspielen ist für viele Menschen mit sich "Bloßstellen" gekoppelt, während andere mit solchen Aktivitäten die Lust am "Schauspielern" verbinden.
Diese personenspezifischen Bedeutungsgehalte können ein Medium für einen Supervisanden oder eine Gruppe von Supervisanden mehr oder weniger geeignet machen. Selbst wenn aus der Sicht des Supervisors der Einsatz sinnvoll wäre, um ein bestimmtes Thema z.B. besser zu rekonstruieren, kann es in solchen Fällen eben nicht eingesetzt werden.
Dabei muß insbesondere der je spezifischen Regressionsbereitschaft und -fähigkeit von Supervisanden Rechnung getragen werden. Dies kann sich als generelle Ablehnung bestimmter Medien äußern, dies kann aber auch bedeuten, daß der Supervisand an die Verwendung bestimmter Medien erst "gewöhnt" werden muß.
Beispiel 6.: Ein Unternehmensberater, der sich überwiegend mit der finanziellen Reorganisation von Firmen beschäftigte, wirkte sehr erstaunt, als er gebeten wurde, einen Rollentausch auf dem "leeren Stuhl" mit einem seiner Auftraggeber vorzunehmen. Er erlebte dabei aber eine erstaunliche Perspektivenerweiterung. Im weiteren Verlauf der gemeinsamen Arbeit schlug er diese Methodik dann oft schon von sich aus vor, um sich mit den Intentionen seiner Interaktionspartner besser auseinanderzusetzen.
2. Voraussetzungen beim Laden von Medien
Kreative Medien verfügen nicht nur über je spezifische "natürliche Ladungen". Mit ihrer aktiven Verwendung, bzw. ihrer neuerlichen Ladung gehen auch spezifische Anforderungen einher, die sie für manche Personen und manche Situationen mehr oder weniger gut verwendbar machen (PETZOLD 1977).
2.1. Anforderungen an die Person des Ladenden
Bei der Verwendung von Medien können sehr unterschiedliche Sinne angesprochen werden. Steht bei Musikinstrumenten akustische Reizung im Vordergrund, ist es beim Ton die kinästhetische, bei Malstiften die optische usw. Durch sie können aber auch personale Qualifikationen wie die Phantasie oder die soziale Flexibilität gefordert sein.
Je nach Person sind dann unterschiedliche Medien mit ihrer je spezifischen Anforderung, die ihre Verwendung voraussetzt, zu bevorzugen oder abzulehnen.
Vor allem durch Materialmedien werden unterschiedliche sensorische Bereiche angesprochen.
Viele Supervisanden bevorzugen Medien mit deutlich optischem Charakter, bzw. dies ist ein Sinneskanal, der bei den meisten Menschen dominiert (BANDLER/GRINDER 1975). Dies gilt aber keineswegs für alle.
Beispiel 7.: So konnte ein sehr gehörempfindlicher Supervisand globale Eindrücke aus seiner beruflichen Praxis viel überzeugender mit Hilfe einer Gitarre demonstrieren, als durch Malstifte oder Ton.
Für manche, besonders für gehemmte Menschen ist es oft zunächst nur schwer möglich, kreative Handlungsmedien zu verwenden, weil sie immer ein gewisses Maß an innerer Freiheit voraussetzen.
Beispiel 8.: Die Teilnehmerin einer Gruppensupervision verweigerte bei den ersten Sitzungen jede Mitarbeit bei Rollenspielen. Sie verfolgte aber jeweils aufmerksam das Geschehen. Sie selbst präferierte andere Medien wie Bausteine. Zur einen Sitzung brachte sie auch ein selbstgemaltes Bild ihrer "Funktionen" im Beruf mit. Erst nach einem halben Jahr nahm sie auch an unterschiedlichen Rollenspielen teil.
2.2. Anforderungen an die Situation
Der Einsatz von Medien ist auch von situativen Faktoren abhängig, d.h. vom Thema, das gerade zur Debatte steht, und von dem Kontext, in dem es verhandelt werden soll.
Wenn bei initialen Rekonstruktionen eine erste Übersicht des Problemfeldes erfolgt, wird es sinnvoll sein, ein relativ "ungeladenes" Medium, wie Farbstifte, bunte Bausteine oder freie Imaginationen zu verwenden. Geht es um die Rolle des Supervisanden in seinem Arbeitsfeld, die er als "Kasperrolle" definiert hatte, bietet es sich an, mit Hilfe von Kasperfiguren die Problematik weiter zu bearbeiten.
Die Ladungsmöglichkeit eines Mediums muß also zum Thema passen. So läßt z.B. ein Tonbrocken dem Verwender vielfältigere Ladungsmöglichkeiten als etwa eine Kasperfigur. Der Kasper ist als hochgradig "vorgeladenes" Medium zu begreifen, d.h. seine Verwendungsweise ist stärker festgelegt, als die des "ungeladenen" Tonbrockens.
Ein jeweiliges Medium, muß mit seinem bevorzugten Sinneskanal auch zum Thema passen. Wenn die Übermittlung von Informationen im Vordergrund steht, eignen sich am ehesten Medien mit optischem Charakter, die den Kommunikationspartnern einen raschen "Überblick" erlauben. Medien, die das kinästhetische oder akustische Sensorium von Menschen ansprechen, lassen sich dagegen häufiger zur Auseinandersetzung mit prärationalen Phänomenen verwenden.
Auch Kontextphänomene bestimmen die Möglichkeiten zur Medienverwendung hochgradig mit. In Situationen mit geringem Vertrautheitsgrad wird es von den Supervisanden meistens als unangemessen erlebt, wenn sie sich über akustisch oder kinästhetisch orientierte Medien artikulieren sollen, während Medien, bei denen der optische Kanal dominiert, in solchen Fällen eher akzeptabel wirkt.
Besonders der Einsatz von Handlungsmedien setzt eine sorgfältige Prüfung des Kontextes voraus. Einen "aggressiven Chef" zu spielen oder eine "vertroddelte Kollegin" bedarf einer inneren Freiheit, die im allgemeinen nur in einem vertrauten gruppalen Rahmen besteht.
III. Die Anwendung von kreativen Medien in der Supervision
Kreative Medien lassen sich in der Integrativen Supervision
- bei der Rekonstruktion und Problemformulierung sowie
- bei der weiterführenden Veränderungsarbeit zur Korrektur und Erweiterung von Deutungs- und Handlungsmustern verwenden.
1. Bei der initialen Rekonstruktion und Problemformulierung
Bei der initialen Rekonstruktion steht im Vordergrund, daß der Supervisand sein Thema möglichst umfassend, also sensorisch vielfältig ausbreitet und auch dem Supervisor zugänglich macht. In solchen Fällen kommt Medien eine wichtige Informationsfunktion einerseits und eine sensorisch aktivierende andererseits zu. Dabei werden Medien zu verwenden sein, die eine prägnante Strukturierung erlauben und über wenig Vorladung verfügen. Darüber hinaus bestimmt sich ihre Auswahl nach der supervisorischen Beziehung, nach dem Kontext und nach dem Supervisanden.
Im folgenden Beispiel handelt es sich um eine einmalige Einzelsupervision, bei der mehrere Materialmedien verwendet wurden.
Beispiel 9.: Ein Ingenieur bat in einem einmaligen Gespräch um Klärung der Frage, ob die aktuelle Situation, die er in seiner Firma erlebe, ein persönliches Problem sei, oder ob "der Wurm" in der Firma sitze. Ihn interessierte vor allem, welche Zukunftsaussichten er dort habe.
Nachdem er die ersten Ausführungen über seine Lage in der Firma gemacht hatte, die der Supervisorin zunächst völlig unüberschaubar schienen, bat sie ihn, seine Erklärungen auf einer Magnettafel mit bunten Magnetplättchen fortzuführen. Während er weiter erzählte, begann er, wesentliche Teile des Organigramms seiner Firma darzustellen.
Seine Position als Vertriebsleiter in einer Design-Firma war bei seinem Eintritt erst neu eingerichtet worden. Diese Funktion wurde bislang von zwei Personen, dem Marketing-Chef und dem Chef-Designer, wahrgenommen. Beide hatten durch sein Erscheinen in der Firma einen Funktionsverlust erlitten und machten ihm durch Absprachen "hinter seinem Rücken das Leben schwer". Da seine Sekretärin die Lebensgefährtin des Designers war, gelangten viele Informationen, die bei ihm eingingen, oft schon vor seiner Kenntnisnahme zu dem Designer.
Das Organigramm, das der Supervisand zunächst entworfen hatte, präsentierte sich optisch als äußerst flache Pyramide. "Wer ist da drüber", fragte die Supervisorin. "Unser Chef", stöhnte er und setzte ein großes graues Plättchen über die bisherige Struktur. "Wer ist der Chef, wie ist er?" "Ja blaß, ein alter Herr", antwortete er zögerlich. "Wie lange ist der schon in der Firma?" "Eigentlich von Kindheit an." Jetzt stellte sich heraus, daß dieser Chef Mitglied der Firmengründer war. Nach Jahren wirtschaftlichen Niedergangs mußte die Firma dann allerdings an eine größere Firma als "Tochter" verkauft werden. Der bisherige Firmeneigner war jedoch als Leiter des Unternehmens geblieben. Und auch der Designer hatte die Übernahme der Firma durch die größere miterlebt.
Es stellte sich nun heraus, daß dadurch ein intensives persönliches Band zwischen diesen beiden Männern gewachsen war bzw. daß der Chef-Designer vom Firmengründer fast an Sohnes statt angenommen wurde. Es stellte sich weiterhin heraus, daß die Position des Vertriebsleiters, die jetzt vom Supervisanden eingenommen wurde, auf Drängen der jetzigen Mutterfirma eingerichtet worden war. Es stellte sich ebenfalls heraus, daß auf Drängen dieser Mutterfirma noch ein anderer Mitarbeiter, der Leiter der Kalkulationsabteilung, mit ihm zusammen eingetreten war. Die Kalkulationsabteilung war also auch erst kürzlich eingerichtet worden. Gegenüber diesem Positionsinhaber verhielten sich der Firmengründer, der Designer und verschiedene andere "alte hasen" ebenso reserviert und verdeckt unkooperativ wie gegenüber dem Supervisanden. Diesen Kollegen setzte er als Plättchen neben das eigene. Nun wurde er gebeten, für die "alten Hasen" eine Farbe und für die Newcomer eine andere zu wählen. Das Tafelbild wies jetzt sehr prägnant die "beiden Lager" des Führungskaders auf. Die alten Mitarbeiter wurden hellblau, die neuen tiefrot und der Firmenchef grau dargestellt.
Die Position des Supervisanden, die von der Mutterfirma erzwungen war, erwies sich aus Sicht der alteingesessenen Mitarbeiter anscheinend als "unangenehm eindringend und störend".
In diesem Stadium schien es angeraten, zu untersuchen, was dabei "störend" wirkte, d.h. die Firmenkultur, wenigstens in wesentlichen Punkten zu eruieren. Die Supervisorin bat den Ingenieur, mit Wachsmalkreisen auf ein großes Blatt Papier die Kultur seiner Firma, so wie er sie intuitiv durch die "alten Hasen" repräsentiert sähe, zu umreißen. Danach sollte er die Kultur der Tochterfirma darstellen. Es entstand darauf ein skizzenhaftes Bild, bei dem sehr ausgewählte Farben von blau bis beige, Ton in Ton, die Tochterfirma repräsentierten, während die Mutterfirma mit sehr plakativen grellen Farben dargestellt wurde. Aus dieser Abbildung ließ sich im gemeinsamen Deutungsprozeß ermitteln, daß die "elegante" Familientradition durch eine plakativ, ökonomisch tatkräftige Mutterfirma aufgesogen zu werden drohte und sich diesem "Aufsaugungsprozeß" gegenüber starke Widerstände in der Tochterfirma mobilisierten. Es ließ sich gleichzeitig ermitteln, daß er, der sich auf der Magnettafel als roten Punkt dargestellt hatte, vom Firmenchef wie dem Firmendesigner als Agent der Mutterfirma begriffen wurde.
"Mensch, das ist ja ein Zweiweltensystem", meinte der Ingenieur, "und ich werde da immer als Fremdkörper begriffen, obwohl ich eigentlich gar nicht dafür kann. Ich kenne die Leute von der anderen Firma fast nicht, aber im Prinzip stimmt's natürlich, wenn ich als rational und ökonomisch kalkulierend betrachtet werde und allein dadurch immer wieder völlig irrationale Widerstände gegen mich erzeuge."
Im Verlauf der weiteren Analyse entwickelte der Supervisand plötzlich die Vision, daß die alte Unternehmenskultur allerdings bald zugrundegehen könnte, denn der Unternehmensleiter stand kurz vor seiner Pensionierung. Ihm fielen jetzt verschiedene Fakten ein, aus denen hervorging, daß die Mutterfirma in den nächsten Jahren ihren Einfluß deutlicher geltend machen werde.
Er entschied sich am Ende des Gespräches, bis zur Pensionierung des jetzigen Chefs noch "durchzuhalten" und weitere personelle Veränderungen durch die Mutterfirma abzuwarten. Wenn sich nichts Grundsätzliches ändern sollte, würde er eine neue Stelle suchen.
2. Bei der weiterführenden Veränderungsarbeit
Medien sind aber auch bei der weiterführenden Veränderungsarbeit relevant. Sie dienen dabei einerseits zur Korrektur nicht-planmäßiger Deutungs- oder Handlungsmuster, aber auch zur Erweiterung derselben.
2.1. Bei der Korrektur nicht-planmäßiger Deutungs- und Handlungsmuster
Bei der Korrektur nicht-planmäßiger Deutungs- und Handlungsmuster steht bei der Medienwahl im Vordergrund, daß sie eine Vorladung aufweisen, die zu den aktuellen prärationalen Themen in Beziehung stehen und die dem Supervisanden doch genügend Freiraum zur weiteren Gestaltung lassen.
Von den nun folgenden beiden Beispiel zeigt das erste die Verwendung eines Materialmediums in der Gruppensupervision, das zweite die Verwendung von Handlungsmedien in der Einzelsupervision.
Beispiel 10.: In der zehnten Supervisionssitzung einer Gruppe thematisierte ein Betriebspsychologe, daß er in den nächsten Tagen ein für ihn sehr wichtiges Gespräch mit einem seiner Vorgesetzten zu bestreiten habe. Dieser Vorgesetzte behandle ihn aber immer vollkommen herablassend. Nach einer ausführlichen Rekonstruktion der Interaktionsdynamik sagte der Supervisand: "Er ist nicht unfreundlich, aber ich komme mir jedes Mal im Gespräch mit ihm wie ein Hanswurst vor." Die Supervisorin fragte ihn, ob er Lust jabe, an dieser Interaktion mit Kasperfiguren zu arbeiten. Der Supervisand und die Gruppe stimmten vergnügt zu.
Die Supervisorin holte eine ganze Serie männlicher Kasperfiguren, Kasper, Seppl, König, Teufel, Räuber, legte sie aus und bat den Supervisanden, eine Figur für sich und eine für den Vorgesetzten auszuwählen. Er wählte für sich den Kasper und für den Vorgesetzten den König. Nun wurde er noch gebeten, einen Mitspieler als König aus der Gruppe zu bitten. Nach einer kurzen Rolleneinweisung begann das Spiel. Der König eröffnete mit gnädig herablassendem Ton das Gespräch, der Kasper wurde immer jämmerlicher, worauf der König noch herablassender reagierte usw.
Die Supervisorin bat das Spiel zu stoppen und den Supervisanden, einen andere Puppe auszuwählen, um es noch einmal mit dem König aufzunehmen. Er wählte dieses Mal des Seppl. Als Seppl reagierte er schon selbstbewußter, der König etwas weniger herablassend usw. Die Supervisorin bat wieder zu stoppen und noch eine andere Figur auszuwählen. Jetzt war der Räuber dran. Als Räuber machte der Supervisand einige unflätige Bemerkungen, der König geriet außer Tritt, der Räuber wurde mutiger, worauf der König immer kleinlauter reagierte usw. Der Supervisand lachte jetzt schallend über die spielerisch ausagierte "Frechheit" gegenüber seinem Vorgesetzten, und die gesamte Gruppe klatschte begeistert Beifall.
In der nächsten Supervisionssitzung berichtete er, daß das Gespräch mit seinem Vorgesetzten "ganz toll" gelaufen sei. Er habe sich während dieses Gespräches immer wieder an das Spiel erinnern müssen und deutlich gemerkt, wie wichtig es ist, daß er selber vor sich Achtung bewahre und selber die innere Freiheit dem Vorgesetzten gegenüber bewahre und sich nicht einfach in eine unsinnige Komplementärrolle hineinfallen lasse.
Beispiel 11.: Eine Möbel-Designerin suchte um Einzelberatung an, weil sie sich bei Messen und anderen Präsentationen immer wie ein "kleines Mädchen" fühlte, obwohl sie doch mittlerweile eine Vielzahl von Erfolgen vorzuweisen hatte. Im Verlauf einer eingehenden Rekonstruktion, wurde sie gebeten eine Szene zu imaginieren, in der sie solche Gefühle besonders deutlich erlebe. Dabei zeigte sich, daß sie auf der letzten Messe vor allem einem Stardesigner gegenüber starke Insuffizienzgefühle erlebt hatte. Die infragestehende Sequenz ereignete sich, als sie zusammen mit dem bekannten Designer vom Redakteur eines Wohnmagazins interviewt wurde. Die aktuell imaginierte Szene zeigte eine Vielzahl von Elementen, wie sie sie zuhause, in ihrer Herkunftsfamilie schon schmerzlich erlebt hatte.
Der Vater, der nur selten bei der Familie anwesend war, nachdem er eine Postion in einer weiter entfernten Stadt angetreten hatte, ließ sich an den Wochenenden gerne von den Erfolgen seiner Kinder berichten. Gemütlich in einem Lehnsessel sitzend genoß er es, wenn die Kinder vor ihm rangelten, wer die besten Noten, die interessantesten Freunde, die besten sportlichen Leistungen usw. berichtete.
Solche Szene war jetzt wieder vor dem inneren Auge der Designerin aufgetaucht. In der Szene mit dem Stardesigner erlebte sie nun denselben Schmerz, den sie als jüngste der Familie auch immer hatte, wenn die größeren Geschwister dem Vater so interessante Dinge vorzutragen hatten. In der Sitzung begann sie nun vor Wut zu weinen, "wenn ich groß bin, schlage ich die alle aus dem Felde." Sie ballte ihre Fäuste und schien am ganzen Körper zu vibrieren. Als sie gefragt wurde, welche Impulse in ihr auftauchten, weinte sie noch lauter, "ich laufe weg. Ich will nicht mehr die kleinste sein. Ich bin immer nur die Liebste und kann nie die Tüchtigste werden."
Als sie sich langsam beruhigte, sah sie bedenklich vor sich hin. Auf die Frage, was sie nun sähe, meinte sie plötzlich wieder munterer:" Na, so ganz ist das ja nun nicht mehr, beim letzten Mal, als ich zuhause bei einem Familienfest war, haben die ganz schön gestaunt, wieviele Preise ich schon bekommen habe." Am Ende dieser Arbeitssequenz meinte sie: "Irgendwie traue ich meinen Erfolgen noch nicht so ganz." Als sie nun nochmal gebeten wurde, die Szene mit dem Redakteur und dem berühmten Designer auf zwei leeren Stühlen zu imaginieren, fühlte sie sich nicht nur stärker, sie konnte auch flüssig begründen, warum ihre letzte Kollektion die heute bei weitem modernste sei.
2.2. Bei der Erweiterung von Deutungs- und Handlungsmustern
Wir hatten Medien neben ihrer Bedeutung als Informationsträger auch eine Bedeutung für die Entwicklung menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten unterstellt.
Wie anhand der Beispiele schon deutlich wurde, ergibt sich dieser Effekt bei Verwendung solcher Medien geradezu von selbst. Die Supervisanden werken, tonen, malen, bauen spielen, imaginieren usw. oft mit großem Vergnügen und artikulieren im Verlauf supervisorischer Prozesse häufig selbst schon, mit welchen Medien sie welche Problematik genauer untersuchen oder bearbeiten wollen.
Eine Grundvoraussetzung, daß sie solche kreativen Arbeitsformen zu ihrer Expression bzw. zu ihrer Erweiterung nutzen, ist aber der Interaktionsstil des Supervisors, der sich wiederum aus den übrigen Implikaten des Modells ergibt. Die offene phänomenologische Haltung verbietet es von selbst, daß ein kreativer Prozeß oder ein Ergebnis kritizistisch analysiert oder kritizistisch gedeutet wird. Alle Deutungen werden immer zusammen mit den Supervisanden deutend erkundet.
Der variable Interaktionsstil, der mal direktiv, mal nondirektiv, mal symmetrisch, mal asymmetrisch ist, hat entsprechend der Gestaltherapie und dem Psychodrama leicht animateurhaften Charakter.
Beispiel 12.: Im Beispiel mit dem Vertriebsleiter der Designfirma, der die Kulturen von Mutter- und Tochterfirma gemalt hatte, sprach die Supervisorin keinerlei eigene Deutungen aus, sondern sie animierte vielmehr den Supervisanden selbst, seine eigenen Deutungen vom Gemalten zu artikulieren.
Bereitschaft zur Expression wird auch durch die Offenheit des Supervisors gefördert, der trotz professioneller Haltung den Supervisanden und deren Arbeiten immer mit menschlicher Wärme begegnet.
Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Förderung expressiver Möglichkeiten der Supervisanden liegt allerdings in der Persönlichkeit des Supervisors. Nur wenn er selbst Vergnügen an der Expression mit Hilfe solcher Medien erworben hat, kann er die Supervisanden für die Verwendung solcher Medien entsprechend "anwärmen" bzw. gewinnen.