Konfliktmanagement in Schulen

LEHRERFORTBILDUNG
in Nordrhein - Westfalen

FORTBILDUNG
FÜR LEITUNGSMITGLIEDER
IN SCHULE UND STUDIENSEMINAR
IN NORDRHEIN - WESTFALEN

C 5

Konfliktmanagement in Schulen -
Diagnosen und Interventionen

Herausgegeben vom
LANDESINSTITUT FÜR SCHULE

In dieser Schriftenreihe erscheinen Materialien zur
 LEHRERFORTBILDUNG IN NORDRHEIN-WESTFALEN

Beteiligte Institutionen:
 Das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung
 Die Bezirksregierungen
 Die Schulämter
 Das Landesinstitut für Schule

Verfasserin:
Astrid Schreyögg

Gesamtleitung der Materialkonzeption und -entwicklung:
 Adolf Bartz
 Herbert Buchen

Gestaltung:
 Petra E. Brügger

Nachdruck nur mit Genehmigung des
Landesinstituts für Schule
Paradieser Weg 64, 59494 Soest

Inhaltsverzeichnis:

Teil A: Diagnosen zur Konfliktbehandlung 6

Kapitel 1: Typisierungen nach äußeren Merkmalen  6
1.  Der soziale Konfliktrahmen 6
1.1 Konflikte im mikro-sozialen Rahmen 7
1.2 Konflikte im meso-sozialen Rahmen 7
1.3 Konflikte im makro-sozialen Rahmen 8
2.  Die inhaltliche Reichweite konfliktärer Aktionen 8
2.1 Reibungskonflikte 9
2.2 Positionskämpfe 9
2.3 Systemveränderungskonflikte 9
3.  Die Äußerungsformen des Konflikts 9
3.1 Formgebundene/formlose Konflikte 10
3.2 "Heiße"/"kalte" Konflikte 10

Kapitel 2: Typisierungen nach inhaltlichen Merkmalen  12
1.  Die Streitpunkte des Konflikts 12
2.  Der Konfliktverlauf 12
3.  Die Konfliktparteien 13
4.  Die Beziehung der Konfliktparteien 13
4.1 Die informellen Beziehungen 14
4.2 Die formalen Beziehungen  14
5.  Die Einstellung der Parteien zum Konflikt 16

Kapitel 3: Typisierungen des Verlaufs - Eskalationen -  17
1.  Eskalations-Mechanismen 17
1.1 Projektionen 17
1.2 Expansionen der Streitfragen 18
1.3 Interpunktionsdivergenzen  19
1.4 Ausweitungen des sozialen Rahmens 19
1.5 Pessimistische Antizipationen 20
2.  Eskalations-Stufen 20
2.1 Stufe 1: Verhärtung 23
2.2 Stufe 2: Polarisation und Debatte 23
2.3 Stufe 3: Taten statt Worte 24
2.4 Stufe 4: Sorge um Images und Koalitionen 25
2.5 Stufe 5: Gesichtsverluste 26
2.6 Stufe 6: Drohstrategien 27
2.7 Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge 28
2.8 Stufe 8: Zersplitterung 30
2.9 Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund 30
Teil B: Interventionen zur Konfliktbehandlung 31

Kapitel 1: Allgemeine Prinzipien für Interventionen 31
1.  Interventionstypen 31
2.  Ansatzpunkte für Interventionen 32
2.1 Wahrnehmungsorientierte Interventionen 32
2.2 Auf Gefühle und Einstellungen gerichtete Interventionen 33
2.3 Auf das Wollen gerichtete Interventionen 35
2.4 Verhaltensorientierte Interventionen 36
3.  Pendelbewegungen bei der Konfliktbehandlung 37

Kapitel 2: Inhaltliche Merkmale als Basis für Interventionen 38
1.  Interventionsbasis: Streitpunkte  38
2.  Interventionsbasis: Konfliktprozess 40
3.  Interventionsbasis: Konfliktparteien 43
4.  Interventionsbasis: Beziehungen der Konfliktparteien 44
5.  Interventionsbasis: Einstellung der Parteien zum Konflikt 46

Kapitel 3: Rollen/Strategien bei der Konfliktbehandlung 48
1.  Die Moderatorin bzw. der Moderator 48
2.  Die Prozessbegleiterin bzw. der Prozessbegleiter 49
3.  Die Sozio-therapeutische Prozessbegleiter bzw. der
Sozio-therapeutische Prozessbegleiter  50
4.  Die Vermittlerin bzw. der Vermittler  51
5.  Der Coach einer Machtinstanz 52

Kapitel 4: Phasen der Konfliktbehandlung 55
1.  Die Orientierungsphase 55
2.  Die Phase der Konfliktregelung  57
2.1 Phasen der Moderation 57
2.2 Phasen der Prozessbegleitung 58
2.3 Phasen der Sozio-therapeutischen Prozessbegleitung 60
2.4 Phasen der Vermittlung 61
2.5 Phasen des Coachings einer Machtinstanz 62
3.  Die Konsolidierungsphase 62

Abschließende Bemerkungen 64
Literatur 65

 

 

Vorwort

Im Folgenden geht es um Konflikte in schulischen Organisationen, die immer soziale Konflikte sind. Als solche stellen sie

* Interaktionen
* zwischen Akteurinnen und Akteuren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.) dar.

Dabei erlebt
* wenigstens eine Akteurin bzw. ein Akteur
* Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen
* mit einer anderen Akteurin bzw. einem anderen Akteur (oder mit anderen Akteurinnen und Akteuren) in der Art,
* dass sie bzw. er Beeinträchtigungen
* durch diese andere Akteurin bzw. diesen anderen Akteur (oder durch die anderen Akteurinnen und Akteure) erlebt oder antizipiert (vgl. Glasl 1994, S. 14, 15).

Zur Unterstützung bei der Bewältigung von Konflikten, also für das Konfliktmanagement, benötigen Beraterinnen und Berater Kenntnisse, wie Konflikte zu diagnostizieren und wie sie zu behandeln sind. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine strikte Trennung zwischen Diagnose und Behandlung im Konkreten nicht realisierbar ist. Mit jeder diagnostischen Aktivität greifen nämlich Beraterinnen und Berater in die Konfliktdynamik ein, d. h. jede diagnostische Aktivität ist auch schon als Intervention wirksam.

* Beraterinnen und Berater positionieren sich durch die Exploration des jeweiligen Konfliktes als Drittpartei, was immer auf die Ursprungssituation verändernd wirkt.
* Durch ihre Nachfragen fördern sie automatisch das Nachdenken bei der befragten Partei über sich selbst und über die gegnerische. Dadurch werden schon Veränderungen eingeleitet.

Im Übrigen entsteht bei Konflikten oft schon zu Beginn einer diagnostischen Phase ein hoher Handlungsdruck, Eskalationen vermeiden zu helfen, so dass Beraterinnen und Berater geradezu gezwungen sind, "beherzt" zu intervenieren, selbst wenn sie den Konflikt noch gar nicht im Detail verstanden haben. Als Vorbereitung auf die Arbeit an Konflikten empfiehlt es sich aber trotzdem, die relevantesten diagnostischen Merkmale und Interventionsstrategien kennen zu lernen.

 

Teil A: Diagnosen zur Konfliktbehandlung
Konflikte lassen sich nicht mit einfachen Fragen nach dem "Warum" erfassen. Als interaktives Geschehen weisen sie oft eine hohe Eigendynamik auf, die auch für die Betroffenen selbst meistens nicht mehr rekonstruierbar ist. Aus diesem Grund müssen bei der Konfliktdiagnose immer konzeptionell vielfältige Wege beschritten werden, die auch dem Diagnostiker eine zunehmend vertiefte Sicht in die Konfliktdynamik eröffnen. Bei der Diagnose von Konflikten hat es sich bewährt, sie

* in einem ersten Schritt auf ihre äußeren Merkmale hin zu untersuchen,
* sodann im Hinblick auf inhaltliche Gesichtspunkte. In einem dritten Schritt sind prozessuale Phänomene relevant. Bei Konflikten sind das Fragen
* nach ihrer "Schärfe" bzw. nach ihrem Eskalationsgrad.


Kapitel 1: Typisierungen nach äußeren Merkmalen

Wie bei jedem diagnostischen Vorhaben nähern sich Diagnostiker sinnvollerweise einem Phänomen zunächst von "außen". Sie versuchen dann, "hervorstechende", also relativ leicht erkennbare Merkmale zu ermitteln und das Phänomen entsprechend diesen zu typisieren. In der Literatur werden hier meistens einzelne Aspekte als "das" relevante Merkmal benannt (z. B. Dahrendorf 1958, Rapoport 1960). Eine Reduktion auf einzelne Aspekte erweist sich aber in der Realität als zu vereinfachend. Ein besonders gravierender Mangel besteht vielfach auch darin, dass die jeweiligen Merkmale zu "akademisch" formuliert sind und dementsprechend zu wenig Hinweise für nachfolgende Interventionen ergeben. Aus diesem Grund schlägt Glasl (1994) im Anschluss an Galtung (1975) vor, Konflikte nach mehreren hervorstechenden Merkmalen zu typisieren, die aber auch für nachfolgende Interventionen handlungsleitend sein können. Das sind

* der soziale Rahmen des Konflikts,
* seine inhaltliche Reichweite und
* seine dominante Äußerungsform.


1.  Der soziale Konfliktrahmen


 Bei jedem Konflikt und vor allem für Prognosen seiner Bewältigung besteht eine zentrale Frage darin, wie weit der "Kriegsschauplatz" oder die "Kampfspielarena" von den Konfliktparteien schon ausgeweitet wurde. Ist der Konflikt noch auf einen vergleichsweise kleinen Kreis begrenzt oder hat er sich schon ausgeweitet? Die Reichweite von Konflikten lässt sich nach Galtung (1975) typisieren in

* einen mikro-sozialen,
* einen meso-sozialen und
* einen makro-sozialen Rahmen.

1.1 Konflikte im mikro-sozialen Rahmen

Unter diesen Typ lassen sich alle Konflikte fassen, die zwischen zwei oder mehr Einzelpersonen stattfinden oder die sich in Kleingruppen ereignen. Hierbei handelt es sich prinzipiell um face-to-face-Interaktionen, so dass das gesamte Konfliktgeschehen für alle Beteiligten überschaubar bleibt. Dabei lernen allerdings die Beteiligten oftmals, mit dem Konflikt zu leben und sogar allerlei Mechanismen für den Erhalt des Status quo zu entwickeln. Sie gehen sich dann z. B. aus dem Weg oder vermeiden konfliktträchtige Themen. Dabei treffen sie häufig ein stillschweigendes Einverständnis, den Konflikt nicht auszuweiten.
In schulischen Zusammenhängen begegnen wir diesem Konflikttyp, wo einzelne Mitglieder des Kollegiums jeden Kontakt meiden und nur in Fällen, wo sie eigens auf dieses Verhalten befragt werden, mitteilen, dass sie Kollegin x "nicht besonders gut riechen" können.
Bei Konflikten im mikro-sozialen Rahmen haben die Beteiligten oft gar kein Bedürfnis, den Konflikt beizulegen. In Fällen, wo eine Konfliktregelung erwünscht ist, lässt er sich vergleichsweise leicht bewältigen, weil es ja dann "nur" um Auseinandersetzungen in face-to-face-Beziehungen geht.

1.2 Konflikte im meso-sozialen Rahmen

Gerade in Schulen oder Verwaltungssystemen, also in größeren sozialen Gebilden, treffen wir vielfach Konfliktkonstellationen mit einer größeren Reichweite an. Diese Organisationen bestehen ja aus etlichen mikro-sozialen Einheiten, zwischen denen oft keine direkte Kommunikation mehr möglich ist. Sie erfolgt in der Regel über Mittelspersonen, die in ihren jeweiligen organisatorischen Einheiten bzw. Teams formale oder informelle Führerinnen und Führer darstellen. Zu den face-to-face-Beziehungen innerhalb der Kleingruppe treten deshalb die weniger persönlichen Beziehungen zu Mitgliedern anderer organisatorischer Einheiten hinzu. Dadurch entwickelt sich ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen vielen oder allen Mitgliedern einer Organisation mit jeweils unterschiedlichen Intimitätsgraden.
Ein Meso-Konflikt-Rahmen entsteht, wenn Konflikte aus einer Mikroeinheit auf andere Mikroeinheiten ausgedehnt werden. Das ergibt sich regelmäßig in Fällen, in denen ein Konfliktpartner aus einer Mikroeinheit Mitglieder aus anderen Mikroeinheiten als "Hintermannschaft" (Glasl 1994, S. 67) gewinnt bzw. Angehörige anderer Mikroeinheiten in den Ursprungskonflikt hineinzieht. Konflikte im Meso-Rahmen präsentieren sich auch oft als das, was Neuberger (1994) u. a. als "Mikropolitik" beschreiben. Die jeweiligen sozialen Mikro-Einheiten treten in einen Konflikt zu anderen Mikro-Einheiten, indem sie divergierende Interessen, Meinungen usw. vertreten und diese gegen die jeweils andere Einheit durchzusetzen suchen. Häufig werben dann die jeweiligen Parteien um Anhänger für ihre Interessen oder Standpunkte und entwickeln zunehmend negativistische Perspektiven über die gegnerische Partei.

Bei Konflikten im Meso-Rahmen spielen persönliche Divergenzen eine untergeordnete Rolle. Diese Konflikte ranken sich eher um Konstituenten der Organisation. Als Ausgangspunkt stehen hier organisatorische Ziele, Aufgaben, Strukturen, Kulturen usw. im Vordergrund.
So flammen in Schulen oft Konflikte auf bei der Verteilung von materiellen Ressourcen. Wenn z. B. Kunst- oder Musikpädagogen erhöhte Mittel für Anschaffungen fordern und diese Forderungen aktuell nicht durchsetzen können, reagieren sie oft überschießend. Als Gruppierungen, die sich im schulischen Ensemble generell etwas unterbewertet fühlen, versuchen sie dann innerhalb von Kollegien um Anhänger für ihre Interessen zu werben und dem Kollegenflügel, der ihnen aktuell seine Unterstützung verweigert, ihre Abwertung zu unterstellen.

Bei Konfliktbewältigungen im meso-sozialen Rahmen müssen die Intergruppen-Relationen berücksichtigt werden. Das ist in der Regel schon aus praktischen Gründen weitaus schwerer zu bewerkstelligen als bei Mikro-Konflikten. Im Meso-Rahmen erweist es sich meistens auch als schwieriger, den Fokus des Konflikts zu ermitteln, weil er ja in der Regel entpersönlicht ist und/oder von den Beteiligten aus Statusgründen oder sonstigen Ursachen nur unklar benannt wird oder benannt werden kann.

1.3 Konflikte im makro-sozialen Rahmen

Die Komplexität des Konfliktgeschehens erhöht sich beträchtlich, wenn es in einen makro-sozialen Rahmen eingebettet ist. Diese Konflikte sind durch eine Ausweitung über den organisatorischen Rahmen hinaus charakterisiert. Als Parteigänger werden hier also nicht nur innerorganisatorische Personen bemüht, sondern auch solche außerhalb der Organisation.
Auch diese Art von Konflikten begegnet uns in schulischen Kontexten. Bei innerkollegialen Kontroversen etwa mit der Schulleitung werden dann von den Lehrkräften gelegentlich außerschulische Instanzen wie Behörden-, Elternvertreterinnen und Elternvertreter, Agentinnen und Agenten der Schulaufsicht oder gar Vertreterinnen und Vertreter von politischen Parteien als Mitstreiterinnen und Mitstreiter bemüht.

Konflikte im makro-sozialen Rahmen verselbständigen sich in der Regel so weit von den ursprünglichen Konfliktparteien, dass sie eine ausgeprägte Eigendynamik entfalten und damit auch von den Beteiligten oft nicht mehr genau zu durchschauen sind. Deshalb lässt sich bei der Bewältigung von Konflikten im Makro-Rahmen auch nicht mehr an Personengruppen oder gar an einzelnen arbeiten, sondern hier ist an Merkmalen der Organisation und den für sie relevanten Umweltsegmenten anzusetzen.


2.  Die inhaltliche Reichweite konfliktärer Aktionen


Wenn der äußere Rahmen eines Konflikts erfasst ist, lässt sich ein weiteres relevantes Merkmal untersuchen: seine Reichweite. Hierbei geht es um Fragen, wie umfassend die Intentionen einer oder mehrerer Konfliktparteien sind. Geht es ihnen "nur" um

* konfliktäre Reibungen aus einer gegebenen Position, oder wollen sie
* ihre Position verbessern, oder
* stellen sie gar das System mit seinen Konstituenten infrage, in dem sie positioniert sind.

2.1 Reibungskonflikte

Bei "Reibungen" (Glasl 1994) oder "Friktionen" (Pondy 1967) handelt es sich um Konflikte, die aus einer gegebenen Position gestartet werden, bei der aber die Position selbst durchaus akzeptiert wird.
Als Beispiel kann hier der Protest von Lehrkräften gegen die Schulleitung dienen, wenn sich diese über eine spezifische Stundenplan- oder Freistundenregelung beschweren.

2.2 Positionskämpfe

Um einen Positionskampf handelt es sich, wenn Organisationsmitglieder eine Erweiterung ihrer aktuellen Kompetenzen erstreiten wollen. Ein Beispiel wäre hier, wenn sie monieren, dass sie in diese oder jene Entscheidung nicht miteinbezogen waren. Es geht ihnen dann um eine Verbesserung ihrer Position vom "Nicht-Entscheider" zum "Mit-Entscheider". Die Intentionen können sich dabei auf formale oder informelle Positionserweiterungen beziehen. Bei informellen Positionserweiterungen wollen sie erstreiten, dass sie in diesem oder jenem Punkt als kompetente Handlungspartnerinnen und Handlungspartner berücksichtigt werden, bei formalen Positionserweiterungen zielen ihre Forderungen sogar auf verbriefte Garantien.
Positionskämpfe in Schulen ranken sich oftmals um Fragen, welche Fächer bzw. welche Fachkollegen in Randstunden platziert werden oder welche Mitbestimmungsmöglichkeiten den Lehrkräften insgesamt an der Stundenplangestaltung eingeräumt werden.

2.3  Systemveränderungskonflikte

Bei diesem Konflikttyp steht für mindestens eine Partei das organisatorische und in manchen Fällen sogar das Gesellschaftssystem zur Disposition. Dabei kann es um Auseinandersetzungen mit einer Hausordnung, bestimmten strukturellen Regelungen oder um das Erstreiten bzw. das Abwehren von Reorganisationsmaßnahmen gehen. In diesen Konflikttyp gehören aber auch "revolutionäre" Intentionen, bei denen ein System als Gesamt infrage gestellt wird.

Beispiele für diesen Konflikttyp sind innerkollegiale Auseinandersetzungen um bestimmte Pausen- oder Raucherregelungen. Ein entsprechendes Beispiel wäre aber auch eine Lehrkraft, die in der gymnasialen Oberstufe die Benotung von Schülerinnen und Schülern grundsätzlich infrage stellt.


3.  Äußerungsformen des Konflikts

Konflikte lassen sich auch nach ihrer äußeren Erscheinungsform typisieren. Dabei sind zwei Kategorien relevant:
* formgebunden/formlos und
* "heiß"/"kalt".

3.1 Formgebundene/formlose Konflikte

Bei formgebundenen Konflikten orientieren sich die Konfliktpartnerinnen und Konfliktpartner an den Regeln und Prozeduren, die in einem Milieu bislang für die Konfliktaustragung als üblich galten. Dann erkennen beide Parteien die jeweilige Form der Konfliktaustragung als angemessen an.
Innerhalb von Schulen gelten im allgemeinen verbal vorgetragene Konfliktformen als adäquat. Für Konflikte mit der Schulaufsicht werden aber fast ausschließlich schriftliche Eingaben als passend begriffen.

Anders verhält es sich bei formlosen Konflikten. In solchen Fällen setzen die Konfliktparteien Kampfmittel ein, die in ihrem jeweiligen Kontext bislang unüblich waren. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben:

* In manchen Fällen ist eine Konfliktpartei mit den bisherigen Kampfmitteln unzufrieden und betrachtet sie vielleicht als nicht genügend effizient.
* Besonders bei Systemkonflikten, wo ja Parameter des Kontextes selbst infrage stehen, werden oft auch die kontext-spezifischen Konfliktaustragungsmuster infrage gestellt. Dann kann es zu einer regelrechten "Formaversion" kommen, bei der die jeweilige Form der Konfliktaustragung selbst zum Streitpunkt gerät.
* Konflikte können auch dermaßen eskalieren, dass die Konfliktparteien nicht mehr die Form wahren wollen oder wahren können.
Als Extrembeispiel für eine formlose Konfliktaustragung muss sicher der tätliche Angriff eines Lehrers auf einen Kollegen gelten, wenn er vom Liebesverhältnis seiner Frau mit diesem Kollegen erfahren hat.

3.2 "Heiße"/"kalte" Konflikte

Für die Frage, ob ein Konflikt als "heiß" oder als "kalt" zu klassifizieren ist, ist der jeweilige Interaktionsstil bzw. die Atmosphäre zwischen den Konfliktparteien maßgeblich. Bei "heißen" Konflikten ist die Atmosphäre durch Überaktivitäten charakterisiert. Die Parteien versuchen sich durch explosive Aktionen gegenseitig zu überzeugen. Angriffe und Verteidigungsstrategien weisen eine hohe Transparenz auf und sie nehmen oft aufsehenerregende Formen an. Im Zentrum steht meistens ein "Visionär", der seine eigene Motivation sowie die seiner Anhängerinnen und Anhänger idealisiert und zutiefst von der Redlichkeit der selbst vertretenen Intentionen überzeugt ist. Da hierbei überaus positive Selbstbilder eine Rolle spielen, werden Angriffe auf die eigenen Motive und die eigenen Intentionen vehement abgewehrt. Der denkbar schlimmste Vorwurf wäre der von Egozentrik. Protagonisten "heißer" Konflikte scheuen nie Auseinandersetzungen mit der gegnerischen Partei, ja sie "dürsten" förmlich danach, den Gegnern ihre Standpunkte zu erläutern. Hier spielen also Dialoge eine große Rolle. Dabei werden die Gegnerinnen und Gegner auch selten verachtet, sondern im Extremfall bagatellisiert.

In Schulen ergeben sich gelegentlich "heiße" Konflikte um pädagogische Leitlinien. Dann fordert etwa ein Flügel ein Höchstmaß an Autonomie für die Schülerinnen und Schüler, während der andere auf strikte Disziplinanforderungen und ihre Kontrolle setzt.
Die Atmosphäre bei "kalten" Konflikten ist eher durch Lähmung, Frustration, Hassgefühle und Zynismus gekennzeichnet. Hier findet keinerlei offene Konfliktaustragung mehr statt. Die Konflikte schwelen aber im Untergrund weiter, wirken auf immer mehr Personen "ansteckend" und können eine gesamte Organisation erfassen. Zum Schluss wird die Konfliktarena gar nicht mehr betreten, sondern schon jeder Anklang an eine solche vermieden. Auseinandersetzungen äußern sich nur noch indirekt, etwa durch Anspielungen oder mokante Bemerkungen. Bei den Protagonisten breitet sich Enttäuschung und Desillusionierung aus. Dementsprechend verbindet sie auch keine Vision oder gar ein positives Selbstbild. Im Gegenteil, ihre Selbstdefinitionen unterliegen einer regelrechten Destruktion. Die Konfliktsituation ist in der Regel durch ein Führungsvakuum charakterisiert und die direkte innergruppale Kommunikation kommt zum Erliegen. Dies geht regelhaft mit zentrifugalen Entwicklungen einher.

Dieser Konflikttyp ergibt sich z. B. wenn ein neuer, auf strikte Regeleinhaltung bedachter Schulleiter sein Amt übernimmt. Insbesondere wenn er Nachfolger eines betont liberalen Vorgängers ist, wird ein Teil des Kollegiums zunächst versuchen, den "Neuen" vom Wert des Informellen und des Improvisatorischen zu überzeugen. Wenn dies dauerhaft nicht gelingt und das Kollegium in Konfrontation mit noch verschärfteren Regelanforderungen seitens der Schulleitung immer deutlicher seine Ohnmacht erfährt, wird sich eine Atmosphäre von Sinnlosigkeit und Abgeschlagenheit ausbreiten, die nur gelegentlich durch "Seitenhiebe" auf überzogene Regulative angereichert wird.
 


Kapitel 2: Typisierungen nach inhaltlichen Merkmalen

Mit Typisierungen inhaltlicher Merkmale taucht der Konfliktdiagnostiker bereits tiefer in das Konfliktgeschehen ein. Er versucht jetzt die Streitpunkte, den Konfliktprozess, die einzelnen Konfliktparteien mit ihren Beziehungen zueinander und die Grundeinstellungen der Konfliktparteien zum Konflikt zu erfassen.

1.  Die Streitpunkte des Konfliktes

Analysen der Streitpunkte bzw. des Konfliktgegenstandes nehmen unter dem Begriff "Issue" bei manchen Autoren einen zentralen Stellenwert ein (vgl. Fisher 1964, Walton 1969 u. a.). Der eigentliche Streitpunkt lässt sich allerdings meistens nicht präzise umreißen. Vielfach entwickeln die jeweiligen Kontrahenten relativ unterschiedliche Definitionen vom Streitgegenstand, also unterschiedliche kognitive Konstruktionen, die sie dann im Rahmen eines kollektiven Sinnsystems immer weiter ausgestalten bzw. verzerren. Für eine annäherungsweise Ermittlung der Streitpunkte hat es sich bewährt, einige präzisierende Fragen zu stellen, deren Antworten dann von der Beraterin bzw. vom Berater systematisiert werden:

(1) Welche Streitpunkte bringen die unterschiedlichen Parteien vor?
(2) Welche sind mit welchen Parteien und ihrem jeweiligen Sinnsystem verknüpft?
(3) Inwieweit decken sich die Streitpunkte der Parteien?
(4) Wie gut und wie umfassend kennen die Parteien die von der Gegenseite vorgetragenen Streitpunkte?
(5) Wie sind die Streitpunkte im Erleben der Parteien miteinander verknüpft?
(6) Wie stark sind die Parteien inhaltlich auf ihre jeweiligen Streitpunkte fixiert?
(7) Beziehen sich die Streitpunkte auf den Objekt- oder auf den Subjektbereich?

Bei anhaltenden innerschulischen Konflikten ist auch oft zunächst nicht genau zu erfassen, um was es eigentlich geht. Dann ist es von zentraler Bedeutung, die Streitpunkte der jeweiligen Parteien zu ermitteln und die "Streitpunkt-Geschichte" zu rekonstruieren. So ließ sich z. B. erst in Anwesenheit aller beteiligten Konfliktparteien einer Schule klären, dass eine bislang nur diffus ausagierte Kontroverse zwischen Deutsch- und Mathematiklehrern darin bestand, dass die Deutschlehrer meinten, die Mathematiker könnten doch häufiger Sonderaufgaben übernehmen als sie, weil das Fach Mathematik einen weitaus geringeren Aufwand bei der Unterrichtsvorbereitung und Korrektur benötige.


2.  Der Konfliktverlauf

Eine zentrale diagnostische Kategorie für jedes Konfliktmanagement ist der Konfliktverlauf und der aktuelle Stand des Konfliktgeschehens. Konflikte neigen nämlich im Verlauf ihres Bestehens zur Verschärfung, was man als "Eskalation" bezeichnet. Mit der Verschärfung von Konflikten bzw. ihrem Eskalationsgrad sinken die Möglichkeiten, auf den Konflikt Einfluss zu nehmen. Wegen der besonderen Bedeutung von Konfliktverläufen bzw. der Entwicklung von Eskalationen habe ich ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet, auf das ich an dieser Stelle verweisen möchte.


3.  Die Konfliktparteien

In sozialen Systemen verwischt sich im Verlauf von Konflikten häufig die "Frontlinie", d. h. wer überhaupt mit wem Differenzen hat. Dann gilt es die "eigentlichen" Konfliktparteien zu ermitteln. Auch hierzu sind eine Reihe von Fragen relevant:

(1) Wer sind eigentlich die Parteien? Handelt es sich um Einzelpersonen oder um Gruppen?
(2) Sind die Parteien organisiert oder nicht-organisiert? Gehören sie einer übergreifenden Organisation an oder verbindet sie nur eine gemeinsame Intention?
(3) Wer sind die Kernpersonen der Konfliktparteien?
(4) Welche Beziehung haben die Protagonisten einer jeweiligen Partei zu ihren "Hintermannschaften"?
(5) Sind die Parteien scharf voneinander abgegrenzt oder nicht?
(6) Welche innere Kohäsion weisen die jeweiligen Parteien auf?
(7) Welches Sinnsystem transportieren die jeweiligen Parteien?

Bei der Beratung einer Modellschule, in der die Schulleitung jeweils für zwei Jahre vom Kollegium gewählt wurde, fiel mir auf, dass der neu gewählte Leiter nach einem Jahr stark umstritten war. Die inhaltlichen Argumente seiner Befürworter wie seiner Widersacher ergaben zunächst kaum Anhaltspunkte für den Konfliktfokus. Erst als ich die Protagonisten der Befürworter und der Gegner mit ihren jeweiligen Hintermannschaften genauer befragte, erhielt ich einen Hinweis. Mir fiel nun auf, dass die Befürworter in der Mehrzahl "alte Hasen" in der Schule waren, während sich die Gegner aus einer Gruppe von "Frischlingen" rekrutierten. Jetzt stellte sich heraus, dass zum Zeitpunkt seiner Wahl das Geschehen noch von "Alt-68-ern" dominiert war. Im Verlauf des darauffolgenden Jahres hatte sich aber vor allem durch eine ganze Reihe neu eingetretener Lehrkräfte eine Subkultur mit einem nuanciert neuen Sinnsystem durchgesetzt. Die Protagonisten dieser Kultur forderten nun mehr Klarheit und Striktheit für das schulische Leben, als sie der alte Leiter aus seinem Selbstverständnis heraus zu geben vermochte.


4.  Die Beziehung der Konfliktparteien

In Organisationen lassen sich grundsätzlich formale Beziehungen, die durch Statuten, Dienstanweisungen usw. geregelt sind, von informellen unterscheiden, die sich nach menschlichen Vor- und Abneigungen konstituieren. So sind auch die Beziehungen von Konfliktpartnern nach formalen und informellen Gesichtspunkten zu sortieren.

4.1 Die informellen Beziehungen

Als informelle Beziehungen werden im Allgemeinen gruppendynamische Phänomene betrachtet, bei denen jede beteiligte Person im Verlauf des gruppalen Bestehens eine ihr eigene Rolle erwirbt. Im Anschluss an Mead (1973) handelt es sich dabei um gegenseitige Rolleneinsteuerungen, die der Konfliktdiagnostiker ebenfalls zu erfassen sucht. Auch diese lassen sich anhand einer Reihe von Fragen systematisieren:

(1) Welche gegenseitigen Rolleneinsteuerungen sind zwischen den Konfliktparteien zu erkennen?
(2) Welche Sanktionsmittel setzen die Parteien ein, um genau das Verhalten zu erzeugen, das sie von ihren Gegnern erwarten?
(3) Was hat jede Partei bisher unternommen, um die bestehenden Rollenkonstellationen
zu verändern, zu durchbrechen oder gar abzuschütteln?

Innerschulische Szenerien sind vielfach durch Rollen von "Innovateuren" und "Bewahrern" sowie von "Provokateuren" und "Integratoren" geprägt. Wenn die als Innovateure definierten Personen plötzlich bewahrende Statements von sich geben oder die Provokateure plötzlich integrierende Standorte erkennen lassen, werden das ihre jeweiligen Hintermannschaften sanktionieren oder jedenfalls mit Konfusion quittieren.

4.2 Die formalen Beziehungen

Bei formalen Beziehungen handelt es sich um "Vorab-Konstruktionen" (Türk 1981) sozialer Verhältnisse. Wie Weber (1921) zeigte, ergab sich seit Beginn unseres Jahrhunderts ein umfassender Rationalisierungsprozess, der auch dazu führte, dass berufliche Systeme durch personen-unabhängige Regelungen überformt wurden. Im Gegensatz zu vorbürokratischen Gesellschaften, in denen einzelne Menschen Herrschaft nach Belieben ausüben konnten, wurden nun die beruflichen Interaktionen und Handlungsvollzüge durch anonymisierte Regeln bestimmt. Aus diesem Prozess resultierten "Organisationen". Sie weisen typischerweise eine bestimmte Struktur auf, entfalten als soziale Systeme ein spezifisches Sinnsystem und befinden sich jeweils in einem Entwicklungsprozess. Alle diese organisatorischen Phänomene bergen Konfliktpotentiale in sich.

(1) Organisatorische Strukturen

Die grundlegenden Variablen von Organisationsstrukturen sind Arbeitsteilung, Hierarchisierung und Standardisierung.
"Arbeitsteilung" besagt, dass in einem System Positionsinhaberinnen und Positionsinhaber ein spezifisches Set von Aufgaben zugewiesen wird. Das erhöht einerseits die Handlungssicherheit, man weiß nun, was zu tun ist. Solche Regelungen engen andererseits ein, denn nun kann man nur noch die zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.
Alle durch die Arbeitsteilung festgeschriebenen Stellen müssen nun koordiniert werden. Daraus entstand das Prinzip der Hierarchisierung. Vorgesetzte Instanzen haben die zielgerechte Aufgabenerfüllung der verschiedenen arbeitsteilig tätigen Positions-Inhaberinnen und Positionsinhaber zu koordinieren, zu steuern und zu überwachen. Je nach Systemtyp und je nach der Platzierung in der Hierarchie kommt diesen Vorgesetzten eine Reihe von Managementfunktionen zu.

So muss etwa ein Schulleiter viele Vorgänge in der von ihm geleiteten Schule planen und laufend die Organisation der Schule fortzuentwickeln suchen. Außerdem ist er mit personellen Belangen befasst, muss Führung übernehmen und die zielgerechte Aufgabenerfüllung seiner Mitarbeiter kontrollieren.
Erfahrungsgemäß bergen gerade hierarchische Verhältnisse ein hohes Konfliktpotential in sich. So fühlen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft nicht ausreichend an Planungsprozessen beteiligt, lehnen die spezifische Art des Führens ab, wehren sich gegen Kontrollen usw..

Ein weiterer Aspekt formaler Strukturen ist die Standardisierung. Es handelt sich dabei um Festlegungen der Aufgabenerfüllung.
So müssen sich Lehrerinnen und Lehrer bei ihrer Arbeit an Lehrplänen orientieren, haben bestimmte Vorgaben für die Notengebung zu beachten usw..
So hilfreich solche Standardisierungen im Einzelnen sein mögen, als Vorhab-Konstruktionen beschränken sie aber natürlich ebenfalls die Handlungsfreiheit des einzelnen, was auch wieder ein gewisses Konfliktpotential in sich birgt.

(2) Organisatorische Kulturen

Eine Organisation ist keine Maschine, sondern ein soziales System. Durch die tagtäglichen Interaktionen zwischen den berufstätigen Menschen entwickeln sich um die formal-strukturellen Muster herum kollektive Sinnsysteme mit ihren jeweiligen Normen und Standards. Auch diese wirken für den einzelnen stabilisierend, denn er weiß nun, wie er sich an seinem Arbeitsplatz zu verhalten hat. Gleichzeitig engen sie ihn ein, denn sie wirken unter der Hand erheblich normierend.

So wird sich eine Lehrkraft, die neu in eine Schule eintritt, überhaupt erst orientieren müssen, welches Verhalten in diesem System als passend bzw. unpassend gilt. Wenn etwa in der neuen Schule ungeschriebene Regeln im Hinblick auf ein betont bürgerliches Erscheinungsbild bestehen, die neue Lehrkraft aber eher unkonventionell orientiert ist, wird sie sich schnell unwohl fühlen und möglicherweise einen Außenseiterstatus erwerben.

(3) Organisatorische Prozesse

Organisationen sind keine zeitlosen Gebilde, sondern sie durchlaufen je spezifische Entwicklungsprozesse. In ihren Anfangsstadien durchweht sie ein Pioniergeist mit viel Improvisationsbereitschaft. Im weiteren, wenn sie sich gut etabliert haben, werden zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit im allgemeinen eine Vielzahl formaler Regelungen etabliert. Diese können im weiteren Verlauf des Prozesses zu einer Erstarrung des Systems führen.

Dieses Phänomen wurde auch mehrfach im Zusammenhang mit Schulen thematisiert. Viele Autoren (vgl. Fürstenau 1979, Schley 1995 u. a.) kritisieren das deutsche Schulwesen wegen seiner formalen Verkrustung und seiner mangelnden Improvisationsmöglichkeiten für die einzelne Lehrkraft.

Erstarrte Systeme schränken die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen empfindlich ein. Dadurch erzeugen sie entweder Apathie oder eine erhöhte Bereitschaft zur Rebellion, die sich sogar als Systemveränderungskonflikt äußern kann.


5.  Die Einstellung der Parteien zum Konflikt

Die jeweiligen Einstellungen der Parteien zum Konflikt haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Möglichkeiten der Konfliktbewältigung. Hierzu sind folgende Fragen relevant (Glasl 1994):

(1) Wie beurteilen die Parteien die Gesamtsituation? Erscheint ihnen die Konfrontation unvermeidlich und dementsprechend auch ein Konsens unmöglich? Erscheint ihnen die Konfrontation vermeidbar, Konsens aber dennoch unmöglich? Oder meinen sie, dass trotz der aktuellen Konfrontation eine Übereinstimmung möglich wäre?
(2) Wie beurteilen die Parteien Konflikte im Allgemeinen? Beurteilen sie Konflikte als Ausdruck materieller Strebungen? Meinen sie, dass Konflikte immer geistige Hindergründe haben? Sehen sie Konflikte als selbstverständlichen Bestandteil der Realität? Oder begreifen sie Konflikte als Chance zu neuen Entwicklungen?
(3) Welches Ergebnis erhoffen sich die Parteien von den Auseinandersetzungen? Wie kalkulieren sie Kosten und Nutzen des Konflikts?
(4) Welche Einstellung haben die Parteien zu den bisherigen Versuchen der Konfliktlösung? Welche Einstellung haben sie zu den in der Organisation vorfindlichen Verfahren der Konfliktregelung?
(5) Wird der Konflikt von beiden Seiten ähnlich verstanden oder leugnet eine Partei das Bestehen eines solchen, während die andere ihn laufend zu provozieren sucht?

 

Kapitel 3: Typisierungen des Verlaufs - Eskalationen -

Das dritte Kernstück einer Konfliktdiagnose stellt die Ermittlung des bisherigen Konfliktverlaufs dar sowie die Feststellung der Schärfe, die ein Konflikt bis zum aktuellen Zeitpunkt erreicht hat. Bei zunehmender Verschärfung von Konflikten spricht man von "Eskalationen".

Manche Autoren (z. B. Kahn 1965) unterstellen, dass Eskalationen bewusst, also in strategischer Absicht herbeigeführt werden. Die meisten anderen gehen aber davon aus, dass sich Konflikte eher unbeabsichtigt verschärfen. So führt etwa Richardson (1960) aus, dass bei der Entwicklung von Eskalationen auch jeweils das soziale Umfeld oder ein generelles gesellschaftliches Klima von Bedeutung sind, und damit überindividuelle Faktoren, die vom einzelnen kaum mehr zu steuern sind, das Geschehen hochgradig mitbestimmen. Glasl (1994) sieht ein wesentliches Charakteristikum von Eskalationen in einer "Lernstörung". Die Konfliktparteien lassen sich nämlich zunehmend weniger vom realen Geschehen leiten, sondern nehmen nur noch selektiv diejenigen Aspekte wahr, die ihre Ängste und ihre pessimistischen Erwartungen bestätigen. Diese Wahrnehmungsweise führt dann zu einer immer höheren Aggressionsbereitschaft.

Zur diagnostischen Verortung von Eskalationen sollten Beraterinnen und Berater

* die generellen Eskalations-Mechanismen und
* die Eskalationsdynamik mit ihren je spezifischen Phasen kennen.

1.  Eskalations-Mechanismen

Glasl (1994) beschreibt fünf basale Mechanismen, die für die Entwicklung von Eskalationen maßgeblich sind:

* Projektionen,
* Expansionen von Streitfragen,
* Interpunktionsdivergenzen,
* Ausweitungen des sozialen Rahmens und
* pessimistische Antizipationen.

1.1 Projektionen

Bei "Projektion" handelt es sich um ein Konstrukt aus der Psychoanalyse. Es bezeichnet einen Abwehrmechanismus, bei dem eigene Strebungen oder Haltungen nicht akzeptiert und dann in andere hineingedeutet werden. Besonders Richter (1967) hat unter dem Begriff "narzisstische Projektion" eingehend beschrieben, wie Menschen eigene Persönlichkeitsanteile, die sie an sich selbst nicht akzeptieren können, vorstellungsmäßig in ihr Gegenüber hineindeuten. Dieser Mechanismus findet sich nicht nur in der Interaktion von einzelnen, sondern als kollektives Phänomen auch zwischen Gruppen. Projektionen führen bei den Projizierenden zwar vordergründig zur Entlastung. Sie brauchen sich jetzt nämlich nicht mehr mit den eigenen unerwünschten Anteilen zu beschäftigen. Sie haben sie ja in einen äußeren Feind verlagert. Im weiteren Verlauf erinnern aber die Vorwürfe gegenüber den anderen unbewusst doch wieder an die unerwünschten Selbstanteile. Das mündet in weitergehende, nun verschärftere Projektionen. In den meisten Fällen ergibt sich allerdings auch durch diese neuerlichen Projektionen keine innere Befriedung. Dann kann es geschehen, dass die betreffenden Personen ihren negativen Affekten gegenüber der gegnerischen Partei freien Lauf lassen, woraus Bereitschaften zu Eskalationen resultieren.

Glasl (1994, S. 192 ff) berichtet hierzu folgendes Beispiel: In einer Stadt mittlerer Größe kam es zu Klagen seitens der Schulleiter, seitens kultureller Organisationen der Stadt, seitens der Elternorganisationen usw. über Funktionsmängel der Schulverwaltung. Vieles blieb zu lange liegen, bei Nachfragen erklärte sich keiner der Beamten für zuständig usw.. Alle Beschwerden führten nun zu kollektiven Aktionen innerhalb der Stadt, bei denen der zuständige Stadtrat als politische Instanz angegriffen wurde. Dieser entschied daraufhin, den Leiter der Schulverwaltung seines Amtes zu entheben. Der Leiter der Schulverwaltung und der Stadtrat hatten sich jahrelang gegenseitig gestützt. Durch die Entscheidung des Stadtrates entstanden nun plötzlich Feindseligkeiten zwischen ihnen. Dabei entwickelten sie Vorwurfshaltungen, dass sie sich allzu lange - und zwar zu Unrecht - gestützt hätten. Der Stadtrat warf dem Leiter des Schulamtes vor, dass er nicht in der Lage sei, seine Arbeit angemessen professionell zu versehen. Und der Leiter des Schulamtes warf dem Stadtrat vor, dass er sich immer wieder zu unhaltbaren Versprechungen verleiten lasse, dass er extrem prestigesüchtig sei usw.. Bei eingehenden Nachfragen anlässlich einer Beratung in der Verwaltungsbehörde berichteten die meisten Interviewpartner, dass sich die beiden äußerst ähnlich seien, sich deshalb wohl so lange gestützt hätten und sich nun so radikal bekämpften.

Ein Eskalationsstop ergibt sich nur dann, wenn wenigstens eine der Parteien ihre Vorwürfe als Ausdruck von Projektionen erkennt bzw. sich innerlich bereit erklärt, ihre Vorwürde an die gegnerische Partei als Umleitung von Selbstvorwürfen zu interpretieren.

1.2 Expansionen der Streitfragen

Auf der Basis vielfältiger Projektionen lassen die Konfliktparteien mit zunehmender Konfliktverschärfung ihren Affekten immer haltloser freien Lauf. Diese Entwicklung lässt sich durch drei Mechanismen charakterisieren:

(1) Zunächst werfen die Konfliktparteien relativ gezielt immer mehr Streitpunkte in die Debatte, denn sie wollen ja ihre Gegnerinnen und Gegner niederkämpfen. Dabei werden die eigenen Argumente als legitim designiert und die der gegnerischen Partei als illegitim.

(2) Beide Parteien argumentieren sich nun in eine umfassende Gegnerschaft hinein, so dass im weiteren Verlauf jedes Phänomen, das mit der gegnerischen Partei in Beziehung steht, ebenfalls als Streitpunkt definiert wird. Hierbei handelt es sich um eine unbewusste Ansteckung anderer Themen.
Glasl (1994 S.198) berichtet ein entsprechendes Beispiel: In einem Gymnasium beträchtlicher Größe zentrierten sich die Konflikte zwischen Lehrergruppen zunächst nur auf didaktische Fragen. Im Verlauf vieler weiterer Diskussionen bildeten plötzlich Fragen um die "richtige" Erziehungsphilosophie den Kern der Kontroverse. In kürzester Zeit ergaben sich hierzu fast unversöhnliche Polarisierungen. Nach weiteren Debatten griff der Konflikt auf Fragen der internen Organisation über, auf den Führungsstil des Schulleiters usw.. Bei einer genaueren Analyse des Konfliktes stellte sich heraus, dass die Gegensätze primär zu didaktischen Fragen bestanden. Die anderen Themen hatten sich im Konfliktprozess eher unbewusst ergeben.

(3) Jetzt ist ein Stadium erreicht, in dem die gegnerischen Parteien ihre Streitpunkte kaum noch überschauen können. Sie müssen dann notgedrungen die Komplexität der aufgefächerten Streitthemen reduzieren. Das wiederum führt zu argumentativen Vereinfachungen, die nun auf einer Meta-Ebene zu neuen Streitpunkten werden können.

1.3 Interpunktionsdivergenzen

Der Begriff "Interpunktion" entstammt der Kommunikationstherapie (Watzlawik et al. 1969). Er bezeichnet ein interaktives Phänomen, bei dem jede Partnerin bzw. jeder Partner eine eigene Interpretation von der Entstehung des Konfliktes, seinen Ursachen, seiner Entwicklung usw. hat. Im Verlauf von Konflikten artikulieren die gegnerischen Parteien meistens ihre jeweiligen Interpretationen, was bei der anderen Partei in der Regel auf Dissens stößt und nun einen neuerlichen Streitpunkt bildet. Die Konfliktparteien beißen sich dann an ihren zunehmend verschärfteren Positionen fest und sind zu keinerlei Öffnung mehr bereit. Auf diese Weise entstehen Pattsituationen. Dabei ergibt sich folgende Dynamik: Der Konflikt startet bei sachlichen Gegensätzen, gerät im Verlauf der sachorientierten Kontroversen zu einem Konflikt um persönliche Gegensätze. Daraus ergeben sich Dissensen über die Interpunktionen, woraus wieder Kontroversen über die Konfliktlösung resultieren.
Die Werkpädagogin in einer Fachschule für Sozialpädagogik entwickelte ein ausgefeiltes Benotungssystem für die Werkstücke der Schülerinnen und Schüler. Die Benotung selbst gestaltete sie jeweils als Gruppengespräch mit den Schülerinnen und Schülern. Dabei legte sie ihr Benotungssystem zugrunde. Jetzt ergaben sich regelmäßig starke Kontroversen zwischen den Schülerinnen und Schülern und der Lehrkraft im Hinblick auf die "richtige" Benotung. Daraus ergaben sich oft so massive persönliche Spannungen zwischen der Lehrkraft und den Schülerinnen und Schülern, dass sie als "demokratische Lehrkraft" vielfach eine Schlichtungsinstanz hinzuzog, um die Benotung abzuschließen. Bei diesen Gelegenheiten verschärfte sich die Kontroverse aber meistens noch einmal, denn die Lehrkraft hatte regelmäßig eine völlig andere Sicht von der Entstehung des Konfliktes als die Schülerinnen und Schüler und als die Schlichtungsinstanz, wodurch sie nun erst recht als "völlig unzugänglich" und "starr" ins Kreuzfeuer der Kritik geriet.

1.4 Ausweitungen des sozialen Rahmens

Im Verlauf von Konflikten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Personen in den Konflikt hineingezogen werden. Je länger ein Konflikt dauert, desto erbitterter wird er geführt und desto mehr Personen werden durch ihn involviert. Mit seiner sozialen Ausweitung nehmen die Einflussmöglichkeiten von Beraterinnen und Beratern auf das Geschehen ab, und umso unberechenbarer werden die Konsequenzen des Konflikts insgesamt. Die ursprünglichen Konfliktparteien versuchen durch die Involvierung anderer Personen oder Personengruppen ihre Operationsbasis zu erweitern. Sie rufen gewissermaßen Hintermannschaften ins Leben, von denen sie sich mehr Ansehen und Einfluss auf das Geschehen versprechen. Es lässt sich sogar behaupten, dass die soziale Ausweitung von Konflikten einen Versuch der Parteien darstellt, in einem erweiterten System ein neues Gleichgewicht zu etablieren.

Durch die Ausweitung eines Konflikts entstehen allerdings höhere Risiken für das eigene Image, denn nun erhalten immer mehr Personen Einblick in das Konfliktgeschehen, werden mit den gegenseitigen Feindbildern sowie mit vielfältigen Gerüchten konfrontiert. So nimmt mit der sozialen Ausweitung auch die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen zwischen den Parteien zu. Außerdem wird der Konflikt immer schwerer einzudämmen, je weiter sich die Kampf-Spiel-Arena ausdehnt. Denn durch die automatisch entstehenden Verschränkungen bewusster wie unbewusster Aktionen wird immer umfassender zur Verwirrung und zu Fehlinterpretationen beigetragen.

Trotz sozialer Ausweitung bleiben allerdings die maßgeblichen normativen Entscheidungen meistens auf die Kerngruppen beschränkt. Die Interaktionen zwischen den Konfliktparteien gestalten sich zwar zunehmend unpersönlicher, denn man typisiert ja zunehmend Gegnerinnen und Gegner, um das gesamte Konfliktfeld überhaupt noch strukturieren zu können. Dies geschieht allerdings meistens über Personifizierungen, bei denen einzelne Gegnerinnen und Gegner stigmatisiert werden.

Durch soziale Ausweitungen wächst auch der Bereich von Konflikten, für den sich niemand mehr verantwortlich fühlt. Trotzdem macht die gegnerische Partei die jeweils andere für die
weitere Entwicklung verantwortlich.

1.5 Pessimistische Antizipationen

Im Verlauf von Konflikten erwerben die Konfliktparteien eine zunehmend pessimistische Beurteilung des Konfliktgeschehens, was zu seiner antizipatorischen Verstärkung führt. Und angesichts der zunehmenden Verschärfung entwickeln sich dann bei den Beteiligten Gefühle von Beklemmung. Jeder hat sich in eine Zwangslage hineinmanövriert und versucht laufend aus ihr auszubrechen. Das geschieht jeweils mit den Methoden, die bislang angewandt wurden, deren Einsatz aber immer schneller und intensiver aufeinander folgt. Aus diesem Grund steigt auch der Stresspegel. Jeder sieht sich durch den anderen unter Entscheidungsdruck gesetzt. Es kommt zu einem Wettlauf um die günstigste Position, bei dem keine Partnerin bzw. kein Partner mehr abwartet, sondern immer nur die Flucht nach vorne wählt, um "vorbeugende Maßnahmen" zur Abwehr der gegnerischen Partei einzusetzen. Im Prinzip möchte sich jeder eine günstige Ausgangslage für den nächsten Schlagabtausch schaffen. Deshalb rüstet sich auch jede Partei für den denkbar schwersten Gegenschlag der Gegnerin bzw. des Gegners. Solche Vorbereitungen deutet wiederum die gegnerische Partei als Beweis, dass die Gegnerin bzw. der Gegner zu allem entschlossen ist. So entsteht eine Überdosierung von Gewalt, die sich laufend aufschaukelt.


2.  Eskalations-Stufen

Diagnostische Kenntnisse im Hinblick auf den Eskalationsprozess sind für Beraterinnen und Berater von zentraler Bedeutung; denn je nachdem, in welches Stadium ein Konflikt bereits eingetreten ist, bestehen Chancen zu seiner Bewältigung - oder eben nicht mehr. Im Übrigen bestimmt sich auch die Wahl der Behandlungsstrategien nach dem jeweiligen Eskalationsgrad.

Nach Meinung der meisten einschlägigen Autorinnen und Autoren vollziehen sich Eskalationen stufenweise. Und der Übergang von einer Stufe zur nächsten ist jeweils durch einen Wendepunkt markiert.

Dieser Wendepunkt, der auch jeweils einen "point of no Return" darstellt, wird von den Kampf-Parteien ebenfalls als solcher erlebt. Nach jedem Wendepunkt gelten neue Normen und Rechtfertigungsstrategien für das je mobilisierte Gewaltpotential. Sobald eine Partei einen Wendepunkt überschritten hat, eröffnet sie eine neue Stufe der Eskalation. Und mit dem Überschreiten von Wendepunkt zu Wendepunkt verringern sich die Chancen der Beilegung eines Konfliktes. Aus diesem Grund respektieren die Konfliktparteien oft über längere Strecken den Verbleib auf einem bestimmten Eskalationsniveau. Viele Konflikte bewegen sich z. B. lange auf der Ebene intellektueller Auseinandersetzungen. Erst wenn eine Partei die andere indirekt oder gar offen zu diffamieren beginnt, die zuerst diffamierte auf diese Kampf-Ebene einsteigt und dann meistens noch schärfere Diffamierungen platziert, wird wahrscheinlich über längere Strecken ein "Diffamierungs-Spiel" stattfinden. Ein neuer Wendepunkt wird wieder überschritten, wenn eine der Parteien mit rechtlichen Schritten droht. Dann ist eine Ebene von "Drohstrategien" erreicht, die eventuell auch wieder eine gewisse Zeit das Geschehen dominiert, usw..

Realiter ist zu beobachten, dass sich viele Konflikte über längere Zeit in einem eng umschriebenen sozialen Rahmen bewegen. Wenn aber eine der Parteien im Sinne eines Wendepunktes beginnt, weitere Personen in den Konflikt hineinzuziehen, mobilisiert meistens auch die andere Gruppierung eine ihr noch potenter erscheinende Hintermannschaft. Dann ist der Konflikt zu einem "Koalitions-Spiel" geworden, bei dem sich jede Partei gezwungen fühlt, nach noch größerer Publizität Ausschau zu halten.

Glasl (1994, S. 213) beschreibt hierzu folgendes Beispiel aus einem schulischen Kontext: In einer Privatschule gab es seit Monaten heftige Spannungen zwischen Fachdozenten. Obwohl dieser Konflikt für alle Lehrkräfte unerquicklich war, respektierte jeder die ungeschriebene Regel, dass die Kontroverse nicht vor der Außenwelt in Erscheinung treten sollte. Eines Tages informierte aber nun doch ein Dozent die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern. Daraufhin erfolgten überhitzte Aktionen und alle nur locker Beteiligten wurden in den Konflikt hineingezogen. Man hatte sich anscheinend über lange Zeit an die Regel gehalten, den Konflikt auf den Dozentenkreis zu beschränken. Der Durchbruch zu den Eltern, Schülerinnen und Schülern und in der Folge sogar zum Verwaltungsrat der Schule war das Signal für eine Intensivierung der Konfliktaustragung.

Das prozessuale Geschehen von Eskalationen mit seinen jeweiligen Wendepunkten beschreibt Glasl (1994) als neunphasigen Prozess. Vor einer Darstellung der einzelnen Phasen skizziere ich zunächst den gesamten Prozess anhand einiger relevanter Aspekte.

(1) Anfangs richten sich die Divergenzen der Konfliktparteien auf sachliche Streitpunkte. Im weiteren Verlauf verlagern sie sich auf subjektive, die allerdings im Fortlauf zunehmend verobjektiviert werden.

(2) In den ersten Stadien bilden die Parteien bei ihren gegenseitigen Zuschreibungen nur Stereotype von einzelnen Verhaltensmerkmalen. Im weiteren Verlauf werden stereotype Bilder vom Charakter der Gegnerinnen und Gegner entwickelt. Diese nehmen dann immer schärfere Züge im Sinne von Abwertungen an und verdichten sich schließlich zu tiefgreifenden existentiellen "Verdammungen".

(3) Auf den ersten Stufen zeigen sich bei den Konfliktparteien noch kooperative Einstellungen. Danach versucht jede gegen die andere zu gewinnen, um dann in den weiteren Stadien zur Überzeugung zu gelangen, dass es nichts zu gewinnen gibt. In den Endstadien versuchen sich die Gegnerinnen und Gegner, auch um den Preis der Selbstvernichtung, einen möglichst großen Schaden zuzufügen.

(4) Die Beziehungen der Kontrahentinnen und Kontrahenten sind anfangs durch eine gewisse Vorsicht gegenüber feindlichen Angriffen charakterisiert. Im Weiteren sucht jede Partei der anderen ihre Dominanz zu demonstrieren, was zunehmend den zentralen Streitpunkt darstellt. In den Endstadien versuchen die Parteien die Gegnerinnen und Gegner abzuschütteln und die Situation im Alleingang in den Griff zu bekommen.

(5) Als Beeinflussungsstrategien dominieren anfangs argumentative Auseinandersetzungen, die allerdings zunehmend mit verhärteten Standpunkten geführt werden. In mittleren Eskalationsstadien treten als "Strategie der vollendeten Tatsachen" Handlungen in den Vordergrund. Das mündet in Maßnahmen, die direkt auf die Schwächung der Gegenseite gerichtet sind. Danach treiben sich die Gegnerinnen und Gegner durch Drohstrategien immer weiter in die Enge und beschneiden sich so ihre Handlungs- und Entscheidungsräume. Zuletzt handeln sie aus der Überzeugung, dass es nur Lösungen ohne die Gegnerinnen und Gegner geben kann und versuchen sie möglichst zu eliminieren.

(6) Zu Beginn bewegen sich beide Parteien auf dem Boden bestehender Normen und hüten sich, diese zu verletzen. In mittleren Stadien beginnen sie durch hintergründige Aktionen, also außerhalb von offensichtlichen Normverletzungen, die Gegnerinnen und Gegner zu Überschreitungen der bislang üblichen Normen zu provozieren. In den letzten Stadien setzen sie sich jeweils über alle Normen hinweg, die ihren Zielen im Wege stehen.

(7) In Anfangsstadien stehen die Kontrahentinnen und Kontrahenten in lockeren sozialen Bezügen zu ihrer sozialen Umgebung. Danach schließen sie sich eher von ihrer Umwelt ab, denn nun müssen sie ja zunächst ihre innere Kohäsion verstärken. Das ändert sich wieder, wenn sie um ihr Image fürchten und Koalitionspartnerinnen bzw. Koalitionspartner zu ihrer Stärkung rekrutieren. In der Folge verschärft sich diese Tendenz, so dass sie dann sogar externe Personen unter Druck setzten, Mitstreiterin bzw. Mitstreiter zu werden. In Endstadien zentrieren aber die Parteien das Aktionsfeld wieder auf ihren jeweiligen harten Kern und schließen sich gegen eine als feindlich definierte Außenwelt ab.

(8) In den ersten Stadien erwarten sich die Parteien durchaus noch Lösungen des Konflikts. In mittleren Stadien halten sie eine Lösung nur noch für möglich, wenn sich die gegnerische Partei in ihrem Sinne verändert. In den Endstadien wollen sich die Gegnerinnen und Gegner nicht einmal mehr konstruktive Lösungen des Konfliktes vorstellen, denn sie wollen ja die Gegnerinnen und Gegner "vernichten".


Im Folgenden werde ich nun die neun Eskalations-Stufen im Einzelnen darstellen.

2.1  Stufe 1: Verhärtung

Die 1. Stufe von Eskalationen startet äußerlich mit belanglosen Reibereien und inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten. Die verschiedenen Positionen kristallisieren sich als unterschiedliche Standpunkte heraus, die aber schon eine gewisse Starrheit annehmen. Die Parteien beharren zunehmend auf ihren Ideen und Vorschlägen. Im weiteren Verlauf sind sie immer weniger bereit, sich von der Gegenseite beeinflussen zu lassen. In kooperierenden Arbeitsgruppen bilden sich nun spontan Flügel, in denen sich die Meinungen zunehmend polarisieren. Die Parteien verzerren dabei ihre Wahrnehmung von aktuell thematisierten Geschehnissen je nach ihrer Flügelzugehörigkeit. Es besteht die Neigung, Argumente der eigenen Gruppe als besonders positiv zu bewerten. Jetzt schälen sich auch schon prägnantere Rollen heraus in solche von Initiatoren, von Angreifern, von kritischen Nachfragern usw. Diese Rollen werden von den Rollenträgern selbst aktualisiert und von den Kontrahenten typisiert. Die bevorzugten Beeinflussungsmethoden sind in diesem Stadium rationaler Art wie Abwägen und Argumentieren.

Im weiteren Verlauf lernen die Parteien ihre spezifischen Reibungspunkte immer genauer kennen und entwickeln bestimmte Spielregeln, wie sie diese verhandeln. Es stellt sich allerdings jeweils eine gewisse Befangenheit ein, wenn die Reibungspunkte angesprochen werden. Wenn trotz gegensätzlicher Meinungen gegenseitiger Respekt in den Beziehungen der Kontrahenten besteht, erfolgt keine weitere Eskalation. Beide Parteien entwickeln dann bestimmte Spielregeln für ihre Interaktionen.

2.2 Stufe 2: Polarisation und Debatte

Der Wendepunkt im Übergang von der 1. zur 2. Eskalations-Stufe besteht darin, dass jetzt Lager gebildet werden, die sich mit strategischen Mitteln verteidigen.
Wenn die Erstarrung zunimmt, verändert sich das Klima. Die Parteien nehmen nun rigorosere Haltungen ein. Sie scheuen nicht mehr vor harten verbalen Konfrontationen zurück und setzen jetzt auch strategische Mittel ein wie etwa gefühlsgeladene Begriffe, um ihrer Meinung bei der Gegenseite Geltung zu verschaffen. Die Interessen werden jetzt deutlich als konkurrierend erlebt. Und die Interessenstandorte verhärten sich zusehends. Angestrebt wird nicht mehr Konsens, sondern man versucht, die eigene Position polarisierend herauszustreichen. So steht in dieser Phase auch nicht mehr Kooperation im Vordergrund, sondern eine Polarisation mit der Bildung von verschiedenen Lagern. Dabei entsteht ein labiles Gleichgewicht zwischen den Parteien mit Merkmalen von erhöhter Reizbarkeit. Innerhalb der Parteien entsteht nun ein gesteigertes Selbstwertgefühl mit Anflügen von Überheblichkeit und Arroganz. Das dient vor allem der Irritation der Gegenseite.

Man fixiert sich auf Standpunkte. Und die Verteidigung dieser Standpunkte ist jetzt nicht mehr ausschließlich eine Frage der besseren Argumente, sondern eine Prestigeangelegenheit, d. h. durch die "besseren Argumente" versucht man das eigene Ansehen zu stärken. Neben den Argumenten geraten diese Prestigefragen zu neuen Streitpunkten.
Beide Parteien sind jetzt auf der Hut voreinander, und sie achten darauf, nicht mehr unbefangen miteinander zu reden. Sie verfolgen alle Aktionen der Gegenpartei mit Misstrauen und rechnen jeweils damit, dass die Gegenpartei sachliche Argumente nur deshalb vorbringt, um ihre Position als die vorteilhaftere herauszustellen. Dadurch entstehen demonstrative Kämpfe um Dominanz, die jede Seite für sich beansprucht. Dominanz soll vor allem dazu dienen, den Gegnerinnen und Gegnern zu imponieren bzw. sie einzuschüchtern. So wandeln sich auch alle Gespräche zu Debatten, was allerdings auf beiden Seiten zu uneingestandenen Irritationen führt.

Kollisionen werden jetzt nicht mehr vermieden, denn sie dienen ja auch dem Abbau aufgebauter Spannungen. In diesem Stadium zeigen sich erste Typisierungen der gegnerischen Partei. Sie bestehen allerdings nur im Hinblick auf bestimmte Denk- oder Handlungsweisen. Pauschale oder gar stark feindliche Typisierungen ergeben sich erst in späteren Stadien.

So entwickeln sich in Kollegien oft dauerhafte Polarisierungen von Einstellungen. Ihren Ausgang nehmen sie z. B. bei Notenkonferenzen, wo eine Lehrkraft anlässlich der Frage, ob eine Schülerin bzw. ein Schüler versetzt werden soll oder nicht, für eine „pädagogische“ Note plädiert. Daraus ergibt sich zunächst eine eher sachlich geführte Kontroverse über die Bedeutung solcher Notengebung. Diese Kontroverse lebt bei der nächsten Notenkonferenz wieder auf und wird nun schon lautstärker und nachdrücklicher geführt. Im Verlauf der folgenden Jahre zeigt sich eine zunehmende Verschärfung der entsprechenden Debatte, die jetzt von beiden Seiten mit sehr grundsätzlichen Positionen geführt wird. Jetzt tritt jede Partei schon relativ emotionsgeladen in die Konferenzen ein und lauert geradezu darauf, diese Kontroverse weiterführen zu können.

2.3 Stufe 3: Taten statt Worte

Der point of no return von der 2. zur 3. Stufe ist durch einen Übergang von verbalen Auseinandersetzungen auf die Handlungsebene bestimmt.
Jetzt gelangen die Parteien zunehmend zu der Überzeugung, dass der bisherige verbale Schlagabtausch nutzlos ist. Ihre Interaktionen sind nämlich in diesem Stadium von dem Gefühl dominiert, durch die Gegnerinnen und Gegner blockiert zu werden. Die Konfrontationspartnerinnen und Konfliktpartner werden sich bewusst, dass sie voreinander abhängig sind. Diese Abhängigkeit versuchen sie im "Handstreich" abzuschütteln, d. h. man will durch Aktionen den Widerstand der Gegnerinnen und Gegner brechen. Die Parteien schaffen also Tatsachen und bringen dadurch die Gegnerinnen und Gegner in Zugzwang. Solch Vorgehen beinhaltet immer eine aggressive Komponente.

Die einzelnen Parteien stellen jetzt eine demonstrative Stärke und Selbstsicherheit zur Schau. Dadurch soll die Gegenseite eingeschüchtert werden. Damit geht auch eine gezielte Stärkung der inneren Kohäsion einher, d. h. es wird ein erheblicher Konformitätsdruck ausgeübt. Dieser äußert sich in der Verwendung spezieller Termini, in der Entwicklung von speziellen nonverbalen Verhaltensstilen usw. Alles das geht einher mit einer verstärkten Typisierung der Gegenseite auf der Basis negativer Projektionen. Man fühlt sich nicht in die Gegenseite ein, sondern schottet sich gefühlsmäßig zunehmend von ihr ab. Die bisherige Gefühlsdisziplin, die man in den ersten beiden Stufen aufrechterhalten hatte, entlädt sich nun in Aktionen, die mit einem gewissen Kränkungspotential verbunden sind.
Die Aktivitäten werden insgesamt vieldeutiger und temporeicher, manchmal überstürzen sich jetzt sogar die Ereignisse, und der Konflikt dehnt sich auch vielfach auf einen breiteren sozialen Rahmen aus.

Glasl (1994, S.231) berichtet ein entsprechendes Beispiel: In einem niederländischen Gymnasium kam es nach einer Reihe von unbefriedigend verlaufenden Konferenzen über didaktische Themen zu einer Welle emotional geladener, scharfer Debatten innerhalb des Kollegiums. Ein Flügel brachte seine Standpunkte sogar in Form von Tischvorlagen vor. In diesen Schriften herrschte ein intellektuell aggressiver Ton vor. Besonders die vermeintlichen Fehlschlüsse der Gegenpartei wurden breit dargestellt und mehr oder weniger lächerlich gemacht. Beide Gruppierungen versuchten, so oft wie möglich ihre Anliegen in den Konferenzen zu verhandeln. Die Sitzungen dauerten immer viel länger, als geplant, so dass die Unzufriedenheit bei allen zunahm. Danach gelangte der Konflikt schlagartig auf die Stufe drei: Man sah jetzt keinen Sinn mehr in Diskussionen, so dass auch keine Tischvorlagen mehr auftauchten. Stattdessen hatten die jeweiligen Gruppierungen beschlossen, ihre Auffassungen in ihrem jeweiligen Unterricht konkret umzusetzen. Die Schülerinnen und Schüler wurden nun mit extrem unterschiedlichen Unterrichtsstilen konfrontiert, wodurch der Konflikt sogar auf die Eltern übersprang, bei denen sich die Schülerinnen und Schüler über die divergierende Arbeit der Lehrer beklagten.

2.4 Stufe 4: Sorge um Images und Koalitionen

Der Wendepunkt von der 3. zur 4. Stufe ist durch eine sprunghafte Ausweitung der sozialen Konfliktarena markiert.
Während Sachfragen stark in den Hintergrund rücken, dominieren die Beziehungen zwischen den Parteien fast den gesamten Konflikt. Die Einstellungen der Parteien zueinander nehmen immer rigorosere Züge an, d. h. die gegenseitigen Typisierungen geraten immer schärfer. Die eigenen Positionen werden grundsätzlich als antithetische Positionen zu denen der gegnerischen Partei definiert und alles, was die Gegenpartei denkt, fühlt und handelt, wird ausschließlich negativ interpretiert.

Die Beeinflussung der Gegnerin bzw. des Gegners versucht man nun durch die Beeinflussung von Außenstehenden. Dabei soll die Glaubwürdigkeit der Gegnerin bzw. des Gegners mehr oder weniger subtil unterminiert werden. In diesem Stadium gilt nämlich die Hauptsorge beider Parteien der eigenen Reputation. Man bemüht sich um ein günstiges Selbstbild, das im Allgemeinen bis zur Selbstglorifizierung reicht. Dafür werben beide Parteien ausführlich um Anhängerinnen und Anhänger, d. h. jetzt steht die Unterstützung durch Außenstehende im Vordergrund. Die Image-Werbung erstreckt sich auch zunehmend auf Nicht-Beteiligte, die das glorifizierte Selbstbild bestätigen sollen. Dabei versucht man Koalitionen als langfristige Bündnisse zu schließen, knüpft aber auch Allianzen im Sinne von pragmatisch gedachten Zusammenschlüssen gegen das feindliche Lager.

Im Hinblick auf die Gegnerinnen und Gegner nehmen jetzt negative Projektionen rapide zu, mit dem Ergebnis, dass die Gegenpartei umfassend stigmatisiert wird. Stigmatisierungen erfolgen in diesem Stadium als kollektive Zuschreibungen, wobei die Gegnerinnen und Gegner Zerrbildern gleich nur noch als Mitglieder einer feindlichen Gruppe erscheinen. Das Feindbild, das sich die einen von den anderen machen, wird natürlich jeweils radikal bekämpft.

Anlässlich von Interaktionen verstrickt man sich in Zirkelprozesse und selbsterfüllende Prophezeiungen, wodurch die Komplexität des Konflikts weiter ansteigt. Die Parteien suchen jeweils nach Lücken im bisher etablierten Normengeflecht, wodurch sie eine "Entlarvung" der Gegnerin bzw. des Gegners zu erwirken suchen. Es soll auf jeden Fall das Unbehagen der Gegnerinnen und Gegner maximiert werden. Jetzt sprechen die Konfliktparteien ihrer jeweiligen Gegnerin bzw. ihrem jeweiligen Gegner alle Entwicklungsmöglichkeiten ab, wodurch sich auch Konflikte um die Konfliktlösung ergeben. Bei Befragungen durch Dritte werden dann nur noch Stereotype reproduziert.

Im schulischen Rahmen finden dann Konfliktausweitungen statt, die ein gesamtes Kollegium infiltrieren können. Durch solche Maßnahmen sucht diejenige Partei, die zuerst den Wendepunkt überschreitet, ihre Gegnerin bzw. ihren Gegner zu demütigen und sich selbst zu stärken.

2.5 Stufe 5: Gesichtsverluste

Der Wendepunkt von der 4. zur 5. Stufe ist dadurch markiert, dass der öffentliche Gesichtsverlust einer Konfliktpartnerin bzw. eines Konfliktpartners mutwillig provoziert wird. Es handelt sich dabei um einen point of no Return, der die weitere Eskalation besonders beschleunigt.

Ausgangssituation ist entweder, dass eine Partei die andere möglichst publikumswirksam bloßstellt oder eine Gelegenheit inszeniert, bei der die gegnerische Partei in die Enge getrieben sich selbst demaskiert. Beides sind dramatische Ereignisse von "Enthüllungen", die von der bloßgestellten Partei bald mit entsprechenden Gegenaktionen beantwortet werden. Daraus ergibt sich regelmäßig eine Totalisierung des Konflikts. Demaskierungen verschärfen nämlich die gegenseitigen Stigmatisierungen, die jetzt sogar in existentielle Negativierungen mit allen Merkmalen von "Verteufelung" münden. Bei realen Konfrontationen mit der Gegnerin bzw. dem Gegner reichen sie oft bis zum physischen Ekel.

Jede Partei entwickelt nun ein neues Deutungskonzept von der anderen. Alle früheren Aktivitäten der Gegenseite, seien sie noch so positiv gemeint gewesen, erscheinen nun nur noch in negativem Licht. Auch alle Informationen über die gegnerische Partei werden jetzt nur noch im Sinne eines negativistischen Deutungsmodells synthetisiert.

Eine Lehrerin unterrichtete in einem Gymnasium mit ausgeprägt mittelständischem Publikum naturwissenschaftliche Fächer. Sie legte besonderen Wert auf Präzision bei der Heftführung, was vielen Schülerinnen und Schülern eine schlechte mündliche Note bescherte. Auf Elternabenden lamentierten vor allem diejenigen Eltern, deren Kinder den hohen Präzisionsanforderungen nicht entsprachen. Nach etlichen erfolglosen Versuchen der Eltern, die Lehrkraft allein oder zu mehreren für mehr Großzügigkeit zu gewinnen, berichtete nun ein Vater, dass er gehört habe, diese Lehrerin sei von einer anderen Schule an diese strafversetzt worden, weil sie dort mit einem Gegenstand nach einem Schüler geworfen habe. Von nun an entwickelte sich auf sogar eigens anberaumten Elternabenden ein zunehmend negativistisches Bild von der Lehrerin, in das auch diejenigen Eltern einstimmten, die sich bislang über die Lehrkraft nicht beschwert hatten. Dadurch fühlten sich aber die schon ursprünglich klagenden Eltern gestärkt, sich bei dem Schulleiter über diese Lehrerin zu beschweren. Sie warfen dabei alles, was sie von der Lehrkraft wussten, als Negativposten in die Debatte. Der Schulleiter, besorgt um das Image seiner Schule, koalierte weitgehend mit den Eltern, so dass der Konflikt im weiteren Verlauf immer mehr eskalierte. Daraufhin ließ sich die Lehrkraft auf Anraten eines Schulrates, den sie ihrerseits als Koalitionspartner gewinnen konnte, an eine andere Schule versetzen.

In diesem Stadium entwickeln die Parteien eine regelrechte "Rehabilitations-Besessenheit" und sind oft bereit, große Opfer zur Wiedergewinnung ihrer Reputation zu bringen. So etablieren sie in diesem Stadium oft völlig neue, nun aber erweiterte Bühnen, was die soziale Reichweite des Konfliktes noch mehr vergrößert. Manche der bisherigen Sympathisanten wenden sich allerdings nach derartigen Demaskierungs-Spielen angeekelt von den Hauptakteuren des Konfliktes ab. Das führt in der Regel auch zu ihrer Stigmatisierung.
Demaskierungen ziehen eine hohe Ideologisierung des Konfliktes nach sich, der jetzt primär auf Werthaltungen zentriert ist. Der Gegenseite wird regelmäßig eine negative Wertorientierung unterstellt, die der eigenen, als betont positiv herausgestellten, in jedem Punkt unterlegen ist. Diese Vorgänge sind oft durch einen sektiererischen Eifer charakterisiert, der bis zur Mythenbildung reicht. In manchen Milieus werden in diesem Stadium sogar Degradierungs-Zeremonien abgehalten, die einer rituellen Zerstörung personaler Identität gleichkommen. Es handelt sich dann um strukturelle Gewalt (Galtung 1975), die einem generalisierten Hass entspringt.

Aus dem bisherigen wird schon deutlich, dass die Parteien jetzt nur noch um sich selbst kreisen und vor allem ein hohes Maß an Selbstmitleid entwickeln.

2.6 Stufe 6: Drohstrategien

Nachdem der Konflikt nun bereits einen erhöhten Gewaltpegel aufweist, erfolgt der Übergang in die 6. Stufe im Allgemeinen relativ schnell. Der Wendepunkt besteht in der Androhung von "Vernichtungsmaßnahmen", wenn diese oder jene Forderung nicht erfüllt wird.
Mindestens eine der Parteien versucht durch Drohstrategien auf die andere Einfluss zu nehmen bzw. Entscheidungen der Gegenpartei zu erzwingen, um sie von einem weiteren Beharren auf ihren Positionen abzuschrecken. Da aber Drohungen Gegendrohungen provozieren, radikalisiert sich der Konflikt weiter bzw. seine Eskalation wird enorm beschleunigt. Zwar spielten schon im bisherigen Eskalationsprozess Drohungen eine gewisse Rolle, in diesem Stadium werden sie aber manifest, inhaltlich prägnant und vor allem strategisch platziert.

Wie Russett (1963) ausführt, können Drohungen in verschiedenen Ausprägungsgraden artikuliert werden:

(1) Die mildeste Variante manifestiert sich in Drohgebärden, deren Funktionen darin bestehen, die Aufmerksamkeit auf sich und das eigene Anliegen zu lenken und zu demonstrieren, dass man autonom genug ist, andere zu bedrohen, um die Wahrung von bestimmten Normen einzufordern.

(2) Mit einem entschiedenen Aussprechen von Drohungen legt sich der Drohende fest, dass er bei Nicht-Erfüllung seiner Forderungen, eine bestimmte (feindliche) Handlung realisieren wird.

(3) Mit radikal formulierten Drohungen wird die bedrohte Partei ultimativ unter Druck gesetzt, eine bestimmte Entscheidung zu fällen. Diese Form der Drohung lässt beiden Parteien keinen Ausweg mehr. Oft werden sogar unerfüllbare Forderungen ausgesprochen, damit die drohende Partei zu einem schnellen Angriff legitimiert ist.

Im Allgemeinen greifen die Drohenden zu immer extremeren Forderungen und dulden auch immer weniger einen zeitlichen Aufschub. Dadurch wollen sie Unbeugsamkeit demonstrieren. Konzessionen können sie jetzt auch nicht mehr machen, denn durch sie würden sie nur noch an Selbstrespekt einbüßen. Die drohende Partei denkt vorrangig daran, welche Bedeutung die Drohung für sie selbst hat. Die bedrohte Partei dagegen sieht nur noch die eventuellen Schäden, die sie bei Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung des von der gegnerischen Seite Geforderten zu erleiden hat. Die Drohenden spielen letztlich mit der Angst der Bedrohten. Sie wollen im Prinzip die gesamte Situation kontrollieren bzw. der Gegenpartei ihre Spielregeln diktieren. Das führt bei den Bedrohten zu Gefühlen von Ohnmacht, die sich nicht selten zur besinnungslosen Wut steigern. Aus diesem Grund ziehen Drohungen immer eine Zunahme der Gewalt nach sich.

In diesem Stadium ergibt sich für beide Parteien ein erhöhter Stress. Die Arena vergrößert sich weiter. Viele Drohspiele ereignen sich ohnedies im öffentlichen Raum, wodurch das Konfliktfeld noch unübersichtlicher und noch weniger steuerbar wird. Die Streitfragen nehmen zwar kaum mehr zu, gewinnen aber subjektiv immer mehr an Gewicht. Beide Parteien treiben sich zunehmend in die Enge und lassen sich immer weniger Zeit, ihre Entscheidungen in Ruhe abzuwägen. Jede Partei beobachtet aufmerksam das Verhalten der anderen. Dadurch verfestigen sich die Selbst- und Fremdbilder der Parteien noch mehr. Einzelne Personen erscheinen nun lediglich als Repräsentanten bestimmter Positionen. Drohstrategien wirken allerdings nur solange, als es den Beteiligten darum geht, ein noch größeres Gewaltpotential zu verhindern. Sie würden ja sonst die angedrohten Aktionen schon realisieren.

In Schulen ergeben sich derartige Drohphänomene häufiger im Zusammenhang mit Deutschnoten. Lehrkräften mit einer strengen Benotung, die auch bei Interventionen von Schülerinnen, Schülern und Eltern dauerhaft "streng" bleiben, wird dann häufig angedroht, dass man ihre Benotung durch die Schulaufsichtsbehörde nachprüfen lassen will.

2.7 Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge

Der point of no Return von der 6. zur 7. Stufe manifestiert sich nun in den Aktionen, die vom Drohenden vorher in Aussicht gestellt wurden. Damit ist ein Stadium begrenzter gegenseitiger Vernichtungsschläge erreicht.

Mit diesem Wendepunkt wird das Sicherheitsgefühl der Parteien grundlegend erschüttert. Da sie sich jetzt alles zutrauen, hat jede Partei nur noch ihre eigene Existenzsicherung im Auge. Sie verlässt sich nur noch auf ihre eigene Wahrnehmung, so dass sie keine Perspektiven mehr von außen aufnehmen kann.

Die jeweiligen Feindbilder verändern sich nun abermals ganz entscheidend. Die gegnerischen Parteien nehmen sich nicht mehr als Menschen wahr, sondern nur noch als verdinglichte Objekte, die man ohne Skrupel manipulieren, notfalls sogar vernichten kann. Diese Perspektivität dominiert bis zur 9. Eskalations-Stufe. Der Gegner erscheint nur noch als behindernder Faktor, der durch dosierte Schläge in seiner Existenz erschüttert werden muss. Im 7. Stadium können sich die Gegnerinnen und Gegner schon keine Lösung mehr vorstellen, bei der die gegnerische Partei noch existiert. Die Schädigungsabsicht steht nun deutlich im Vordergrund, und es breitet sich bei den Parteien eine regelrechte Funktionslust beim Zerstören aus.

Nach den Drohungen haben sich die Parteien gegenseitig zu Aktionen gezwungen, mit denen man sich und dem Gegner beweisen will, dass man immer noch Handlungsspielräume hat. Zur Durchsetzung der eigenen Ziele reichen sie aber nicht mehr aus. Das erzeugt Ohnmachtsgefühle, die eine regelrechte Schädigungslust schüren.

Im 7. Stadium erfolgt die Schädigung allerdings noch nicht wahllos, sondern sie richtet sich primär auf die Sanktionsmacht der Gegnerin bzw. des Gegners. Der Art nach handelt es sich um Überraschungsschläge, also um Schädigungen ohne Ankündigung. Sie sind in diesem Stadium noch nicht willkürlich gegen alle Güter der Feindin bzw. des Feindes gerichtet. Sie sollen vielmehr seiner Entmachtung dienen. Die Gewaltanwendung findet also noch innerhalb von Grenzen statt und ist primär auf die Sanktionspotentiale der Feindin bzw. des Feindes gerichtet. Zielscheibe der Attacken sind vor allem Sanktionsorgane und Sanktionsmittel, die bei den Drohungen eine wichtige Rolle spielten. Im speziellen zielen die Gegnerinnen und Gegner auf die Methoden und Instrumente der Organisation, auf ihre Prozeduren sowie ihre finanziellen Ressourcen. Gar nicht selten richten sich die Angriffe auch auf die Legalitätsbasis des Systems.

Die pessimistischen Antizipationen führen allerdings dazu, dass die Parteien ihr Vernichtungspotential stark überschätzen. Jeder Schlag zieht nämlich fast sofort eine Vergeltung nach sich. Und auch die Vergeltungsschläge werden in ihrer Wirkung meistens übertrieben potent eingestuft. Im Prinzip wirkt die Zerstörung von Gütern der Feindin bzw. des Feindes jeweils mehr als symbolischer Akt. Bei jedem Zerstörungsakt verschärfen sich aber die Gegensätze, und jede Partei sammelt davor und danach ihre Kräfte für den nächsten Schlag. Die Feindin bzw. der Feind soll laufend Missbehagen erleben, denn in diesem Stadium geht es ja nicht mehr um das Erringen von Vorteilen. Der eigentliche Gewinn von Schädigungsakten besteht jetzt nämlich in der Schadenfreude. Das gesamte Geschehen wird vom Machtstreben beherrscht. Daraus ergeben sich auch neue Streitfragen. Sie resultieren aus den eingesetzten Kampfmitteln.

Die zweiseitige Kommunikation ist nun vollends zusammengebrochen. Die Normen richten sich an einem Quasi-Kriegsrecht aus. Jede Partei ist sich bewusst, dass sie nichts mehr gewinnen kann, sondern nur noch der Gegnerin bzw. dem Gegner Schaden zufügen. Man handelt nach dem Motto: "Wenn ich schon Schaden ertragen muss, soll auch die Gegnerin bzw. der Gegner Schaden erleiden." Jetzt führt kein Weg mehr aus der Eskalation heraus. Durch die feindlichen Aktionen entsteht auch ein so hoher Zeitdruck, der automatisch zur laufenden Verschärfung der Eskalation führt.

In diese Eskalationsstufe gehören auch Mobbing-Prozesse (Leymann 1993, Walter 1993). Gelegentlich ranken sich solche Prozesse um neue Schulleiter, die einer "verschlamperten" Schule zu einem neuen Qualitätsprofil verhelfen wollen. Wenn sich der Eifer des "Neuen" trotz vielfältiger Diskurse und Debatten innerhalb des Kollegiums und trotz des Einbezugs von Schüler- und Elternvertretern nicht legt, gehen manche Kollegien oder Teile von ihnen dazu über, den neuen Schulleiter zu mobben. Sie inszenieren dann "ganz unschuldig" Situationen, in denen sich der Schulleiter bloßstellen muss, bei denen seine konkrete Arbeit ad absurdum geführt wird, wo er plötzlich wichtige Akten nicht mehr findet usw..

2.8 Stufe 8: Zersplitterung

Der Wendepunkt von der 7. zur 8. Stufe besteht in Angriffen auf die Macht- und Existenzgrundlagen der Gegnerin bzw. des Gegners.
Personen, die auf einem exponierten Posten stehen, werden nun durch die gegnerische Partei von ihrem Hintergrund abgedrängt. Autoren, die sich zur Eskalationsdynamik äußern, verwenden für dieses und das nächste Stadium fast ausschließlich militärisches Vokabular. Kahn (1965) etwa beschreibt die Intentionen in diesem Stadium als "Angriffe auf das zentrale Nervensystem des Feindes, auf seine Versorgungs- und Legitimierungslinien".
Jetzt werden hintergründige Strategien, also Listen zur Spaltung des gegnerischen Lagers angewandt. Sie bzw. er soll sich nämlich nicht mehr erholen. Oft ergibt sich dadurch innerhalb einer Partei massiver Widerstand gegen den harten Kern, so dass auch im Innenraum der Parteien die destruktiven Neigungen überhand nehmen. Fromm (1975) spricht in diesem Zusammenhang von einer "nekrophilen Zerstörungslust". Dabei sei allerdings angemerkt, dass die Gewaltanwendung in diesem Stadium noch keineswegs zügellos ist. Noch wollen nämlich die jeweiligen Parteien selbst überleben.

In diesem Zusammenhang lässt sich konstatieren, dass Mobbing-Prozesse in manchen Fällen ein Gewaltpotential der 8. Eskalationsstufe erreichen. Im obigen Beispiel könnten sie dann z. B. bis in den privaten Bereich reichen. Dann würden etwa dem Schulleiter auf Initiative der Gegenpartei Pakete samt Rechnung ins Haus flattern, die er gar nicht bestellt hat. Oder die gegnerische Partei würde versuchen, seine Frau oder seine Kinder in einem außerschulischen Umfeld bloßzustellen usw.

2.9 Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund

Der Wendepunkt zur 9. und letzten Eskalationsstufe besteht in der Entscheidung, die Gegnerin bzw. den Gegner sogar um den Preis der Selbstvernichtung zugrunde zu richten.
Den Parteien erscheinen nun die Kosten einer Umkehr weitaus größer als die Kosten der Vernichtung der Gegnerin bzw. des Gegners, auch um den Preis der Selbstvernichtung. Jetzt beginnt ein Krieg aller gegen alle, gegen die Gegnerinnen und Gegner und die Neutralen. Jetzt wird niemand mehr geschont, der im Umfeld der Gegnerin bzw. des Gegners eine Rolle spielt. Die einzige Genugtuung, die den Kontrahentinnen und Kontrahenten jetzt noch bleibt, ist die, dass auch die Gegnerin bzw. der Gegner in den Abgrund segelt.

Solche Phänomene begegnen uns gelegentlich in schulischen Kontexten, die mit parteipolitischen Vorgängen in Zusammenhang stehen. Stellen wir uns einen Schulleiter vor, der trotz vorher bekannter Schwächen von "seiner" politischen Partei zum Schulleiter befördert wurde, der dann wegen verschiedener Unbotmäßigkeiten auffällt, die von Elternvertretern bis zur Schulaufsichtsbehörde getragen werden, und der dann, um sich zu wehren über die Instanz, die ihn einstmals gefördert hat, "auspackt". Der Schulleiter mag nämlich jetzt erkennen, dass er seine Position nicht mehr halten kann und sich auch die ursprünglich fördernde Instanz nicht mehr hinter ihn zu stellen vermag. Dann denunziert er in seiner Untergangspanik in einer öffentlichen Arena wahllos auch all diejenigen, die ihm ursprünglich behilflich waren.

Teil B: Interventionen zur Konfliktbehandlung
Konfliktmanagement zielt auf Unterstützungen bei der Konfliktbewältigung. Dazu benötigen
Konfliktmanagerinnen und Konfliktmanager

* grundlegende Kenntnisse über Interventionen und
* Kenntnisse über spezifische Interventionen, die bei inhaltlichen Dimensionen ihren Ausgang nehmen. Außerdem benötigen sie
* Modelle für die Bearbeitung von Konflikten und
* Kenntnisse über den Verlauf der Konfliktbehandlung.

 

Kapitel 1: Allgemeine Prinzipien für Interventionen

Für jedes Konfliktmanagement ist es zunächst nützlich, die potentiellen Interventionstypen, die potentiellen Ansatzpunkte für Interventionen und die sinnvollsten Formen ihrer Applizierung zu differenzieren.

1.  Interventionstypen

Wie im medizinischen Bereich lassen sich auch hier zwei Grundtypen von Interventionen, nämlich präventive und kurative, unterscheiden:
(1) Präventive Interventionen
Idealerweise kommt es in Organisationen gar nicht erst zu ausgeprägten Konflikten und schon gar nicht zu Eskalationen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, eine Organisation Turnusweise auf ihre Konfliktherde hin zu untersuchen. Dann werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach ihrem subjektiven Erleben im Hinblick auf Störungen, Widersprüche usw. befragt. Eine andere Form der Prävention besteht in Seminarveranstaltungen, die Organisationsmitglieder für eine wendigere Kommunikation, für den Umgang mit Druck und Stress usw. "fitten". Prävention kann aber auch in organisatorischen Korrekturen bestehen, dass nämlich sich andeutende Konfliktherde durch veränderte Regelungen beseitigt oder zumindest gemildert werden.

(2) Kurative Interventionen

Im nachfolgenden beschäftigen wir uns aber vorrangig mit kurativen Interventionen. Durch sie sollen bestehende oder sich anbahnende Konflikte bzw. Eskalationen begrenzt, gemildert oder beseitigt werden. In der Literatur findet sich eine Fülle von Vorschlägen zur Konfliktreduzierung bzw. zur Deeskalation. Dabei kann es allerdings in manchen Fällen sinnvoll sein, einen bestehenden Konflikt überhaupt erst "zum Kochen" zu bringen, damit er transparent wird. Dies ist besonders bei kalten Konflikten indiziert. Dann arbeiten Konfliktmanagerinnen und Konfliktmanager mit Konfrontationen, gelegentlich sogar mit Provokationen, um das System in eine milde Eskalation zu befördern und aus seiner Erstarrung zu lösen. Nachfolgend werden dann allerdings auch wieder angemessen de-eskalierende Maßnahmen eingesetzt.

2.  Ansatzpunkte für Interventionen

Spezifischer sind Interventionen danach zu klassifizieren, an welchen menschlichen Merkmalen sie ansetzen. Hierzu bieten sich traditionelle Differenzierungen der Psychologie in Wahrnehmungen, Gefühle, Einstellungen und Verhalten an. Da allerdings Menschen ganzheitliche Wesen sind, d. h. mit ihren Wahrnehmungen immer bestimmte Gefühle und Verhaltensweisen einhergehen, lässt sich immer nur von Akzentsetzungen auf die Wahrnehmung, auf das Fühlen usw. sprechen. Interventionen lassen sich aber immerhin danach sortieren, ob sie schwerpunktmäßig auf eine Korrektur der Wahrnehmungen, der Einstellungen, der Gefühle oder des Verhalten gerichtet sind.

2.1 Wahrnehmungsorientierte Interventionen

Anlässlich der Beschreibung des Eskalationsprozesses wurde schon deutlich, dass den Sichtweisen der Konfliktparteien von den jeweiligen Streitpunkten und besonders ihren Perspektiven voneinander ein zentraler Stellenwert zukommt. Aus diesem Grund konzentriert sich auch die Mehrzahl von Autoren, die sich zum Konfliktmanagement äußert (z. B. Walton 1969, Burton 1969), auf Korrekturen von Sichtweisen. An welchen Perzeptionsphänomenen die Beraterinnen und Berater allerdings ihre Interventionen im Einzelnen ausrichten, bestimmt sich in erster Linie nach dem bisherigen Konfliktverlauf bzw. nach dem aktuellen Konfliktstand.

In Analogie zu traditionellen Psychotherapieverfahren versucht man durch diese Gruppe von Interventionen immer die jeweiligen Perzeptionen der Parteien zu präzisieren, um sie auf diese Weise zu modifizieren. Dafür kommen unterschiedliche Vorgehensweisen mit je unterschiedlichen Zielsetzungen infrage:

* Die Parteien sprechen unabhängig voneinander gegenüber einer dritten Partei, meistens gegenüber einer Beraterin bzw. einem Berater, ihre subjektiven Perspektiven aus, ohne dass sie in irgendeiner Weise behindert oder korrigiert werden. Das führt oft schon zu einer gewissen Beruhigung in den jeweiligen Lagern.

* Die Parteien können sich beide in Gegenwart der Beraterin bzw. des Beraters mit ihren jeweiligen Perzeptionen konfrontieren. Sie sind dann gebeten, zur Kenntnis zu nehmen, welche Sichtweisen die andere Seite entwickelt hat. Hier ist es sinnvoll, Spielregeln einzubauen, bei denen jede der Parteien die Unterschiede in den Perzeptionen der anderen nur anhört, ohne sie sofort zu kommentieren oder abzuwehren. Auf diese Weise hofft man die gegenseitige Einfühlungsbereitschaft wieder herzustellen.

* Die Konfliktparteien können nach dem Artikulieren ihrer jeweiligen Perzeptionen angeleitet werden, die Diskrepanzen in ihren Sichtweisen über den Konfliktverlauf zu vergleichen und neu zu sortieren. Durch diese Interventionsart kann man die intellektuelle Distanz zum gesamten Konfliktgeschehen befördern.

* Eine höhere Anforderung an die Kooperationsbereitschaft der Parteien besteht, wenn sie angeleitet werden, Wahrnehmungsverzerrungen mit ihren jeweiligen Wirkungen zu untersuchen. Auf diese Weise will man die kritische Selbstdistanz fördern.
Im folgenden werde ich zwei typische Interventionsbeispiele zur Korrektur von Perzeptionen darstellen, die sich auch zur Behandlung fortgeschrittener Eskalationsstufen eignen. Es handelt sich dabei um Arrangements, bei denen die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien jeweils sehr sorgsam gesteuert wird.

a.  Walton (1969) beschreibt eine Maßnahme der indirekten Konfrontation, bei der die gegnerischen Parteien ihre Perzeptionen jeweils nur der Beraterin bzw. dem Berater übermitteln. Daran anschließend versucht diese bzw. dieser die Gegnerinnen und Gegner mit den Sichtweisen der jeweils anderen Seite zu konfrontieren. Sie bzw. er arbeitet dann mit ihnen Unterschiede sowie Übereinstimmungen heraus. Diese Maßnahme eignet sich vor allem für heiße Konflikte, die von der 4. zur 5. Stufe zu eskalieren drohen. In solchen Fällen geraten nämlich direkte Konfrontationen zwischen den Parteien meistens zu einem Desaster.

b.  Eine direkte Konfrontationsmethode beschreiben Blake et al. (1964). Sie eignet sich vor allem für Konflikte zwischen der 3. und 4. Eskalationsstufe. Durch sie sollen die Konfliktparteien zur Bildung neuer Horizonte im Hinblick auf den Konfliktverlauf angeregt werden. Bei dieser Übung führt die Beraterin bzw. der Berater spezielle Spielregeln ein, deren Einhaltung von ihr bzw. ihm sorgsam überwacht wird:

In einem ersten Schritt notieren die Parteien in gesonderten Räumlichkeiten auf einem Flipchart-Blatt ihr Selbstbild, auf einem anderen ihr Bild von der Gegenseite. Daran anschließend tauschen die Gruppen ihre Blätter aus und diskutieren diese jeweils nur unter sich. In einer anschließenden Sequenz, während derer beide Parteien zusammen kommen, dürfen Informationsfragen gestellt werden. In einer nachfolgenden Sitzung erörtert jede Gruppe wieder für sich, wie die Unterschiede auf den Flipchart-Blättern zu erklären sind. In einer abschließenden Plenumssitzung tauschen die Parteien ihre Ergebnisse aus.

2.2 Auf Gefühle und Einstellungen gerichtete Interventionen

Wie wir gesehen haben, entwickeln sich im Verlauf von Konflikten vor allem auf der Basis von Projektionen starke Gefühle und zunehmend negativistische Einstellungen. Sie sind dann oft tief im Unbewussten der Parteien verankert. Ihre Korrektur stellt weitaus höhere Anforderung als die von Perzeptionen. Denn hier muss ja vielfach in psychische Intimbereiche hinein interveniert werden, die eng mit der Identität der Menschen verwoben sind. Eine zentrale Devise von Beraterinnen und Beratern sollte bei dieser Gruppe von Interventionen sein, dass sie diese methodischen Maßnahmen nur so tief als unbedingt notwendig platzieren und sie auch immer sorgfältig auf den aktuellen sozialen Kontext der Beratung abstimmen.

Als Ziele dieses Interventionstyps lassen sich nennen:

* Die Parteien werden sich ihrer Gefühle und Einstellungen bewusst.
* Sie gelangen aus ihrer selbstbezogenen Haltung heraus.
* Sie erfahren die Diskrepanzen zwischen ihren Gefühlen/Einstellungen und dem real Wahrnehmbaren.
* Sie erfassen die Mechanismen ihrer Gefühls- und Einstellungsentwicklung im Konfliktverlauf.

Bei Interventionen mit derartigen Zielsetzungen müssen Beraterinnen und Berater allerdings immer sorgsam abwägen, ob die Parteien angesichts ihrer Persönlichkeiten, angesichts des Konfliktprozesses usw. für solche tiefgreifenden Konfrontationen überhaupt zu gewinnen sind, und ob die zur Verfügung stehende Zeit für solche Interventionen ausreicht. Die Erfahrung lehrt, dass entsprechende Maßnahmen eher in Anfangsstadien von Eskalationen als in späteren akzeptiert werden.

Konzeptionell orientiert sich diese Gruppe von Interventionen an Verfahren der Humanistischen Psychologie bzw. an Psychotherapieverfahren, die explizit auf Korrekturen von Emotionen gerichtet sind. Das sind vorrangig die Gesprächspsychotherapie, die Gestalttherapie und das Psychodrama.

a.  Bei Interventionen, die aus der Gesprächspsychotherapie abgeleitet werden, steht strukturiertes Zuhören und Feedback-Geben im Vordergrund. Rogers (1965) schlägt eine Übung vor, bei der die Konfliktparteien abwechselnd schildern, wie sie eine Konfliktsituation erlebt haben oder wie sie einen Streitpunkt gefühlsmäßig erfassen. Die andere Partei hört jeweils nur konzentriert zu, was von der Beraterin bzw. vom Berater sorgsam überwacht werden muss.

 Miles (1959) geht einen Schritt weiter, indem er die Partei, die soeben der anderen konzentriert zugehört hat, bittet, das Gehörte zusammenzufassen. Daran anschließend gibt die erste Partei Feedback, wie sie die Zusammenfassungen der Gegenseite erlebt hat. Bei dieser Übung sollten auch die non-verbalen Phänomene ins Feedback einbezogen werden.

b.  Interventionen, die bei der Gestalttherapie ihren Ausgang nehmen, zentrieren sich auf projektive Rollenspiele und Imaginationen. In getrennten Gruppen lassen sich narzisstische Projektionen auf die gegnerische Partei besonders gut herausarbeiten. Dabei bittet man die Gruppenmitglieder, sich die Gegnerinnen und Gegner möglichst plastisch auf eigens dafür aufgestellten Stühlen vorzustellen, sodann das eigene Erleben zu beobachten, das sich beim "Auferstehen" der Gegnerinnen und Gegner in ihnen einstellt. Danach bittet man die gerade anwesende Partei, sich auf die Stühle ihrer Gegnerinnen und Gegner zu setzen und nun in Identifikation mit diesen ihre Gefühle gegenüber den "anderen", also ihnen selbst, möglichst intensiv wahrzunehmen. Nach solchen Übungen sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oft erstaunt, wie sehr sich die vermuteten gegenseitigen Negativzuschreibungen ähneln. Wenn es der bisherige Konfliktverlauf zulässt, können die beiden Gruppierungen gebeten werden, sich ihre gegenseitigen Projektionen zu "verraten". Dabei sollten Beraterinnen und Berater aber wieder sehr sorgsam auf die Einhaltung von Spielregeln beim Zuhören und Feedback-Geben achten.

 Eine andere gestalttherapeutische Übung ist die "Imagination des denkbar schlimmsten Konfliktverlaufs." Dabei werden die Konfliktparteien jeweils gesondert gebeten, sich eine weitere Eskalation des Konflikts mit allen nur denkbaren Konsequenzen so plastisch wie möglich vorzustellen. Hierbei ist es nötig, dass Beraterinnen und Berater, die über die Eskalations-Stufen gut informiert sind, die Imaginationen verbal anleiten. In einer anschließenden Sequenz berichten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Erleben. Jetzt sind sie meistens sehr betroffen, wie zerstörerisch eine Verschärfung des Konflikts wäre. Dadurch lassen sie sich oft gut motivieren, für angemessene Konfliktregelungen zu plädieren.

c.  Gerade in Anfangsstadien von Konflikten ergeben psychodramatische Arbeitsformen besonders gute Ergebnisse. Wenn die Konfliktparteien als Gesamt die Zahl von 20 Personen nicht übersteigt, lassen sich Schlüsselsituationen des Konfliktes im Rollenspiel nachstellen. Durch den Einsatz von Doppelgängern, durch Rollentausch usw. (vgl. Schreyögg 1991, 1995) gelingt es hier oft, eine hohe Betroffenheit bei den Konfliktpartnerinnen und Konfliktpartnern über die von ihnen inszenierte Konfliktdynamik zu erzeugen. In manchen Fällen ergibt sich dann fast von selbst die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

2.3 Auf das Wollen gerichtete Interventionen

Viele Menschen meinen, dass sich Konflikte regeln lassen, wenn es die Konfliktpartnerinnen und Konfliktpartner nur wollen. Insbesondere bei fortgeschrittenen Eskalationen, die ja regelmäßig durch Regressionen eingefärbt sind, ergibt sich diese Möglichkeit selten. Durch gezielte Interventionen lassen sich aber manchmal sogar in fortgeschrittenen Stadien Korrekturen über den "guten Willen" der Konfliktpartnerinnen und Konfliktpartner herbeiführen. Glasl (1994, S. 313, 314) berichtet hierzu zwei Interventionsformen.

a.  Bei der einen handelt es sich um "Kleine Kreditangebote". Die Beraterin bzw. der Berater befragt jede Partei gesondert, was sie sich zur Verbesserung der aktuellen Atmosphäre zwischen den Parteien vorstellen könnte und führt dann Gespräche nach folgendem Muster:

*  Welche Angebote würden Sie sich von der Gegenseite wünschen bzw. was könnte/müsste die Gegenseite tun, um Ihnen kleine Beweise des Vertrauens zu geben?
*  Wie sollte die Gegenpartei sichtbar machen, dass sie Ihr Angebot ernst meint? Daraufhin nennt die befragte Partei die Art und Weise, wie die Angebote mitgeteilt werden sollten. Die Beraterin bzw. der Berater spielt nun advocatus diaboli und bringt Einwände vor, die die Gegenpartei selbst vorbringen könnte wie z. B.:
*  "Wie können wir sicher sein, dass uns keine Falle gestellt wird?
*  Welche Angebote können Sie selbst der Gegenpartei machen?
*  Wie können Sie übermitteln, dass keine Missverständnisse entstehen?
*  Bei welchen ihrer Angebote können Sie für die Dauer einer benannten Frist auf Garantien verzichten, wenn Sie mit der anderen Partei vereinbaren, dass nach einer bestimmten Frist, die Wirkungen des Angebotes überprüft werden?"

 Die Beraterin bzw. der Berater sorgt nun dafür, dass auch die andere Partei nach diesem Muster befragt wird und danach ein Austausch über die Konditionen stattfindet.

b.  Im Anschluss an Gordon (1977) schlägt Glasl (1994) vor, die Parteien jede für sich anzuleiten, eine Liste von "Unwerten" anzulegen. Darin soll aufgeführt werden, was die Parteien als unfair, unmoralisch, unmenschlich usw. betrachten und diese Listen dann vergleichen zu lassen. Gerade im Bereich der 5. Eskalationsstufe, in der existentielle Freund/Feind-Bilder etabliert werden, gelingt es den Parteien manchmal wieder Vertrauen zueinander zu fassen, wenn sie feststellen, dass auch die andere Seite noch "über einen Funken von Moral" verfügt.

2.4 Verhaltensorientierte Interventionen

Auch durch Interventionen, die auf Verhaltenskorrekturen der Konfliktparteien gerichtet sind, lassen sich manche Konflikte mildern, begrenzen oder beseitigen. Dieser Interventionstyp zielt auf die

*  Bewusstwerdung des eigenen äußeren Verhaltens,
*  auf Lernerfahrungen, das eigene Verhalten im Hinblick auf Diskrepanzen zwischen Absicht und Wirkung einzuschätzen und darauf, diese Diskrepanzen zu verringern. Sie zielen außerdem
*  auf das Erkennen von Faktoren, die konditionierend auf das Verhalten einwirken, und
*  auf die Kontrolle des eigenen Verhaltens, so dass schädliche Folgen geringer werden. Dazu lernen die Konfliktparteien,
*  ihr Verhalten in Bahnen zu lenken, die weniger destruktiv sind.
Hier sind eine Reihe von Interventionen denkbar:

a.  Geradezu typische Interventionsformen dieses Bereiches sind Verhaltensregelungen. In größeren Organisationen werden Konflikte meistens in der Weise zu bewältigen versucht, dass sie in geregelte Bahnen gelenkt werden. Besonders bei Eskalationen, die sich schon auf der 6. Stufe bewegen, beugen oft nur noch strikte Regeln weiteren Eskalationen vor. Dann werden z. B. konfligierende Parteien in eigene Abteilungen beordert und mit Aufgaben betraut, die sich nicht überschneiden und auch keinerlei Kooperation notwendig machen. Oder es werden "von oben" strikte Spielregeln vorgegeben, dass bestimmte Ereignisse, bei denen es vorher immer wieder zur Verschärfung von Eskalationen kam, wie etwa bei großen Betriebsversammlungen, für eine gewisse Zeit nicht mehr stattfinden.

b.  Um ein ähnliches Vorgehen handelt es sich bei Verhaltensbegrenzungen. Dann wird die Konfliktaustragung qua organisationsinterner Regelung auf bestimmte Gelegenheiten begrenzt und jede Überschreitung dieser Regeln negativ sanktioniert.

c.  Vielfach sind Konflikte auch an bestimmte Gelegenheiten oder Orte konditioniert. Dann versucht man diese Konditionierungen aufzulösen, indem man diese Gelegenheiten durch formale Regelungen vermeidet oder man lässt die Events an anderen Orten stattfinden.

d.  In den verhaltens-orientierten Interventionsbereich gehören auch Selbstkontrollverfahren, bei denen man mit den Parteien vorher erarbeitet, welches eigene Verhalten sie abstellen wollen, und wie sie eine erwünschte Verhaltensmodifikation bei sich selbst belohnen könnten. Voraussetzung ist allerdings hierbei, dass die Parteien ernstlich an Konfliktbeilegungen interessiert sind.

 

3.  Pendelbewegungen bei der Konfliktbehandlung

Da sich gerade bei Konflikten immer Einseitigkeit im Erleben und Handeln der Protagonisten einstellt, aus der dann jeweils neue Streitpunkte resultieren, ist es von besonderer Bedeutung, dass Konfliktregulatoren schon durch ihre Interventionsstrategien, diese Einseitigkeiten zu lockern suchen. Dabei empfiehlt es sich, die Gesamtheit der Interventionen so anzulegen, dass durch sie jeweils polare Zielsetzungen angestrebt werden (Mastenbroek 1994).
Hierbei sind folgende drei Polaritäten relevant:

(1) Pendeln zwischen Teilaspekten und dem Ganzen
Zu Beginn einer jeweiligen Arbeitssequenz sind die Konfliktparteien im allgemeinen so stark von speziellen Problembereichen involviert, dass Beraterinnen und Berater gar nicht umhin können, auf diese bezogen zu intervenieren. Wenn sich die erste Erregung gelegt hat, sollten Beraterinnen und Berater aber jeweils versuchen, das aktuell behandelte Detailphänomen in den Gesamtrahmen des Konfliktgeschehens zu stellen. Daran anschließend ist zu erwarten, dass die Parteien andere Detailphänomene vorbringen, die von der Beraterin bzw. vom Berater nach einiger Zeit wieder in einen Gesamtrahmen gestellt werden usw. Auf diese Weise ergibt sich bei den Parteien eine sukzessive Erweiterung ihrer Horizontstrukturen.

(2) Pendeln zwischen Konfrontation und Integration
Wie an einigen soeben dargestellten Interventionen schon deutlich wurde, sollten Beraterinnen und Berater auch auf eine sensible Balance zwischen Konfrontation und Integration achten. In den Anfangsphasen von Beratungssequenzen werden die Parteien voraussichtlich Divergenzen zwischen sich und den Gegnerinnen und Gegnern betonen. Dann erwarten sie auch von der Beraterin bzw. vom Berater, dass sie bzw. er sie mit diesen Divergenzen konfrontiert. Wenn die Abgrenzungsbedürfnisse aber fürs erste abgedeckt sind, sollte die Beraterin bzw. der Berater die Parteien animieren, auch Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen sich und der Gegenpartei herauszuarbeiten. Da derartige Interventionen vor allem bei heißen Konflikten, die schon stärker eskaliert sind, immer ein gewisses Maß an Widerstand hervorrufen, werden die Parteien nach solchen integrierenden Sequenzen fast automatisch zu konfrontativen Positionen zurückkehren, nun allerdings zu inhaltlich anders gelagerten. Wenn auch diese durch entsprechende Interventionen abgesättigt sind, sollten Beraterinnen und Berater wieder integrierend intervenieren usw..

(3) Pendeln zwischen Identifikation und Distanzierung
 Eine weitere Polarität, die bei Interventionen berücksichtigt werden sollte, ist die zwischen Identifizierung und Distanzierung. Zu Beginn von Beratungssequenzen werden sich die Konfliktparteien immer mit ihren eigenen Positionen identifizieren und sich von denen der Gegenseite distanzieren. Wenn es Beraterinnen und Beratern gelingt, die Parteien für eine versuchsweise Identifikation mit der Gegenseite bei gleichzeitiger Distanzierung von den eigenen Positionen zu gewinnen, ist jeweils ein wichtiger Entwicklungssprung in Richtung auf die Konfliktmilderung getan. Besonders bei heißen Konflikten ist zu erwarten, dass die Parteien immer wieder zu ihren ursprünglichen Identifizierungs-/Distanzierungs-Haltungen zurückkehren. Durch die Pendelversuche der Beraterin bzw. des Beraters lassen sich aber diese Bereitschaften zunehmend mildern.


Kapitel 2: Inhaltliche Merkmale als Basis für Interventionen

Zur Planung von Interventionen dienen in aller erster Linie die im ersten Teil beschriebenen inhaltlichen Merkmale zur Typisierung von Konflikten. Beraterinnen und Berater orientieren sich nämlich bei der Auswahl ihrer methodischen Maßnahmen sinnvollerweise an den Streitpunkten, am Konfliktprozess, an der Art der Konfliktparteien usw..

1.  Interventionsbasis: Streitpunkte

Wie im ersten Teil deutlich gemacht, nehmen die Streitpunkte laufend zu und werden immer komplexer. Deshalb können sie im Verlauf von Eskalationen von den Konfliktparteien kaum mehr eindeutig benannt werden. Ohne Präzisierung der Streitpunkte lässt sich aber selten ein Konflikt regeln. Interventionen, die bei Streitpunkten ansetzen, haben folgende Ziele:

*  Die Parteien sollen ihre verzerrte Wahrnehmung im Hinblick darauf korrigieren, was für die andere Partei einen Streitpunkt darstellt. Sie lernen deren Perzeption von der Anzahl, der Art und der Beschaffenheit der Streitpunkte kennen.
*  Die Parteien sollen Empathie für die Streitpunkte der jeweils anderen entwickeln und die Tatsache anerkennen lernen, dass Streitpunkte für die Parteien eine je unterschiedliche subjektive Bedeutung haben.
*  Die Parteien sollen Konsens darüber erreichen, welche Streitpunkte sie jeweils als solche begreifen.
*  Es soll insgesamt die Starrheit im Hinblick auf die Streitpunkte aufgelockert werden.

Im folgenden sollen nun einige Interventionen, die an Streitpunkten ansetzen, dargestellt werden:

(1) Inventarisieren der Streitpunkte
In getrennten Gruppen listet zuerst die eine Partei ihre Streitpunkte auf. Danach versucht sie aufgrund von Vermutungen die Streitpunkte der Gegenseite aufzulisten. Auf diese Weise entsteht zunächst Interesse für die Streitpunkte der gegnerischen Partei. Daran anschließend können die Parteien gebeten werden, ihre beiden Listen auszutauschen. Der Austausch lässt sich nun für jede Gruppe gesondert durch folgende Fragen systematisieren:

*  Welche Streitpunkte hatten wir bei der Gegenseite erwartet,
*  welche sind für uns überraschend,
*  wie würden wir unsere Streitpunkte und die der Gegenseite nach ihrer Bedeutsamkeit für uns/für die anderen gewichten?

Das Inventarisieren der Streitpunkte lässt sich auch in Anwesenheit beider Parteien vornehmen (vgl. Miles 1959). Hierzu sind zwei Flipcharts notwendig. Die Parteien schreiben in einem geordneten Wechsel ihre jeweiligen Streitpunkte auf das Blatt. Die Beraterin bzw. der Berater überwacht hier nur die Spielregeln. Danach werden sie gebeten zu sortieren, welche Streitpunkte für sie welchen emotionalen Stellenwert haben. Daran anschließend werden sie vor der anderen Partei gebeten, die vermutete emotionale Bedeutung der Streitpunkte der anderen Partei zu sortieren. Daran anschließend findet eine Feedback-Runde statt, die durch Gespräche zwei zu zwei (jeweils ein Mitglied der einen Partei und eines der anderen) abgerundet wird.

(2) Konsensfindung bei den Streitpunkten

Auf der Basis von Streitpunkt-Listen können die Parteien gebeten werden zu untersuchen, welche Streitpunkte bei ihnen gleichermaßen bestehen. In vielen Fällen lässt sich auf diese Weise zumindest ein Konsens darüber erzielen, was für beide gleichermaßen relevante Streitpunkte sind.

(3) Fraktionieren der Streitpunkte
Streitpunkte entwickeln sich im Verlauf von Konfliktprozessen meistens zu pauschalen Konglomeraten. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, sie in bestimmte überschaubare Teilbereiche zu fraktionieren.

Glasl (1994) schlägt hierzu eine Intervention vor, bei der mit Moderationskarten gearbeitet wird. Zuerst werden die Parteien gebeten, ihre Streitpunkte auf große Karten einer Farbe zu schreiben. Diese werden dann von den beiden Parteien nach Themenbereichen sortiert. Nun sucht erst ein Mitglied der einen Partei ein Kärtchen aus einem Problemfeld aus. Zu dieser Karte werden dann alle Anwesenden gebeten, "Unterprobleme" auf kleinere Kärtchen einer anderen Farbe zu notieren. Darüber findet eine moderierte Diskussion statt. Daran anschließend wird ein Mitglied der anderen Partei gebeten, eine große Streitpunktkarte auszuwählen. Auch zu dieser werden dann auf kleine Kärtchen anderer Farbe Unterthemen notiert, worauf auch diese wieder diskutiert werden.

(4) Flexibilisieren der Streitpunkte
Im Verlauf von Konflikten treten oft Fixierungen auf bestimmte Streitpunkte auf, was die Annäherung der Konfliktparteien oft besonders erschwert. Dann müssen die Standpunkte der Parteien wieder flexibilisiert werden. Glasl (1994) schlägt für diesen Zweck ein etwas anspruchsvolles Verfahren vor: Nach einer Inventarisierung aller Streitpunkte sollen von den Parteien zusammen mit der Beraterin bzw. dem Berater Dimensionen entwickelt werden, auf denen sich die jeweiligen Streitpunkte anordnen lassen. An einem Beispiel verdeutlicht, geht das folgendermaßen vor sich: die Begriffe "demokratisch" und "autoritär" werden von vielen Menschen lediglich als Kategorien verwendet. In der Literatur hat es sich aber zunehmend durchgesetzt, sie als Dimensionen anzuordnen. Dann handelt es sich um ein polar gedachtes Führungsverhalten, das entweder eher in Richtung demokratisch oder eher in Richtung autoritär zu beschreiben ist. Mit anderen Aspekten wie etwa "klar"/"unklar", "innovativ"/"konventionell" oder "eng"/"weit" lässt sich ähnlich verfahren. Dann sind die Streitpunkte auf einer Skala von 1 bis 7 zu sortieren.

Der entscheidende Effekt ist, dass Streitpunkt auf diese Weise ihren kategorialen Charakter verlieren und nun im Sinne von "mehr" oder "weniger" begriffen werden können. 

(5) Transformieren der Streitpunkte

In Konfliktverläufen werden Streitpunkte von den Parteien immer wieder von selbst transformiert. Sie gelangen von der Sach-Ebene auf die subjektive Ebene und schließlich auf die Werte-Ebene. Diese Entwicklung erzeugt eine generelle Ausweitung von Streitpunkten, die eine immer höhere existentielle Bedeutung erlangen. Durch gezielte Interventionen lässt sich diese Entwicklung wieder rückgängig machen. Die Streitpunkte werden dann re-transformiert. Glasl (1994) schlägt dafür vor,

*  die Streitpunkte zuerst zu inventarisieren,
*  sie daran anschließend näher zu definieren,
*  sodann ihre Relationen untereinander zu analysieren.
*  Danach müssen sie fraktioniert werden, um die basalen Streitpunkte herauszufiltern.


2.  Interventionsbasis: Konfliktprozess

Wie anhand der Eskalationsdynamik schon deutlich wurde, kommt es im Verlauf des Konfliktprozesses zu einer Verflechtung aller Faktoren. Mit Interventionen, die am Prozess ansetzen, lassen sich folgende Ziele anstreben:

*  Die Parteien können die dynamischen Faktoren der Eskalation erkennen und verstehen lernen.
*  Sie können lernen, sich gegenüber den wirksamen Faktoren zu immunisieren und ihre eigenen Haltungen und Aktionen bewusster zu gestalten.
*  Sie können den Verlauf des Konfliktes in eine neue, nun "gesündere" Richtung lenken.
Interventionen, die am Prozess ansetzen, können vergangenheits-, gegenwarts- oder zukunfts-orientiert sein.

(1) Vergangenheitsorientierte Interventionen

Vergangenheits-orientierte Interventionen dienen dazu, den bisherigen Konfliktverlauf für alle Beteiligten transparent zu machen und daran anschließend neue, nun angemessenere Austragungsformen zu entwickeln.

a.  Glasl (1994) beschreibt in diesem Zusammenhang die Konfliktpartitur. Hierbei wird der Prozess mit beiden Parteien in allen seinen Verflechtungen rekonstruiert. Die Rekonstruktion sollte durch zwei gezielte Fragen angeleitet werden:

*  Wie haben sich die Ereignisse gegenseitig beeinflusst?
*  Welche Ereignisse ergaben sich chronologisch, also welche objektiven Daten lassen sich dafür benennen, welche Personen und welche Streitpunkte bestimmten das Geschehen in seinen jeweiligen Phasen?

b.  Eine andere einschlägige Maßnahme sind Konfliktbilder. In einem kleineren Kreis lässt sich die Konfliktpartitur, wie sie jeder der Konfliktpartnerinnen und Konfliktpartner erlebt hat, durch Malen darstellen. Hier eignen sich "Panorama-Techniken" (Petzold 1993). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dabei gebeten, alle für sich die Sicht des Prozesses mit den wichtigsten Stadien, Ereignissen, Personen usw. auf eine Tapetenrolle mit Wachsmalkreiden aufzumalen. Bei einer anschließenden Auseinandersetzung mit den einzelnen Bildern wird für die Kontrahentinnen und Kontrahenten meistens deutlich, dass die subjektiven Erfahrungen im Hinblick auf den Konfliktprozess äußerst unterschiedlich waren.

c.  Eine besonders dichte Bearbeitungsform ist die Analyse ausgewählter kritischer Episoden. Bei dieser Interventionsform lässt sich mit einer Imagination starten: "Gehen Sie bitte im Zeitstrom zurück und notieren Sie sich, welches Ereignis für Sie besonders schmerzlich (beängstigend, peinlich, unverständlich usw.) war. Lassen Sie nun bitte Ihren Gefühlen freien Lauf und beschreiben Sie, was Sie zu diesem Zeitpunkt erlebt haben." Nach einem Austausch der Erfahrungen lässt sich gezielt an einer ausgewählten Situation arbeiten.

d.  Bei gezielten Arbeiten an Situationen handelt es sich um Mikroanalysen. Sie finden in Kleingruppen von bis zu fünf Personen statt. Hierbei sollte die Beraterin bzw. der Berater den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einige Fragen mit auf den Weg geben:

*  Beschreiben sie, was sich Ihrem Eindruck nach damals konkret ereignet hat. Wer handelte? Wie hat sie bzw. er das getan? Wer reagierte wie darauf?
*  Welches waren für sie die entscheidenden Probleme in dieser Situation?
*  Welche Erwartungen hatten sie damals vor Beginn der Auseinandersetzung. Was hatten sie sich erhofft?
*  Welche Einstellungen, Bedürfnisse und Ziele hatten sie im Hinblick auf diese Situation?
*  Inwieweit haben sie Ihre Einstellungen adäquat zum Ausdruck gebracht?

e.  Mack und Snyder (1957) schlagen eine Analyse kritischer Entscheidungssituationen vor: Die Parteien wählen eine kritische Episode aus und analysieren ein Entscheidungsmoment in allen Details. Dabei lassen sich folgende Fragen als Raster verwenden:

*  Ob und wie haben sie diese Situation antizipiert?
*  Wie sind sie damals an die relevanten Informationen gelangt?
*  Welchen Druck haben sie damals gespürt?
*  Wer erwartete einen bestimmten Ausgang, wer übte Macht auf sie aus, wem gegenüber fühlten sie sich verantwortlich?
*  Welche Entscheidungsalternativen glaubten sie damals zu haben?
*  Welche Handlungsalternativen haben sie verworfen?
*  Wie haben sie damals die Auswirkungen ihrer Entscheidung eingeschätzt?
*  Mit welchen Schwierigkeiten haben sie während der Entscheidungsphase gerungen?

(2) Gegenwartsorientierte Interventionen

Im Verlauf der Konfliktbehandlung kann es immer wieder zum Aufflammen des Konflikts kommen. Gegenwarts-orientierte Interventionen dienen dazu, dies zu verhindern.
a.  Bei Status-quo-Regelungen werden bestimmte Vereinbarungen für den Zeitraum der Konfliktregelung getroffen, z. B. keine Meldungen mehr an die Presse zu geben, weitere Feindseligkeiten zu unterlassen. Konfliktäre Aktivitäten sollen dann ausschließlich auf die Sitzungen mit der Beraterin bzw. dem Berater kanalisiert werden. Bei derartigen Vereinbarungen sind allerdings einige Aspekte zu beachten:

*  Das zu begrenzende Verhalten sollte möglichst genau benannt werden. Es ist dann auch leichter zu überprüfen, ob sich die Parteien an die Vereinbarungen gehalten haben.
*  Es sollte ein Meldeverfahren oder ein Meldeorgan für Fälle der Mißachtung von vereinbarten Regeln etabliert werden. Dafür lässt sich eine "Beschwerdekommission" einrichten.
*  Trotz eventueller Übertretungen sollte die Regelung für die vereinbarte Frist ihre Geltung behalten.
*  Es sollte auch eine Vereinbarung über die Evaluation nach Ablauf der Geltungsfrist bestehen.

 Die Bereitschaft auf derartige Regelungen eingehen, kommt der Bereitschaft gleich, Verantwortung für den weiteren Konfliktprozess zu übernehmen.

b.  Analyse dynamisierender Faktoren. Im allgemeinen treten auch im Verlauf der Beratung kritische Situationen auf. Wenn dies geschieht, können diese in der entsprechenden Sitzung ad hoc differenziert analysiert und bearbeitet werden.

(3) Zukunftsorientierte Interventionen
In die Zukunft gerichtete Interventionen sind besonders bei kalten Konflikten von Bedeutung. Durch den zukunfts-orientierten Interventionstyp lassen sich nämlich die Parteien in vielen Fällen aus ihrer gefühlshaften Verbissenheit hervorlocken und sich animieren, das Geschehen wieder mit Emotionen anzureichern. Diese Interventionen dienen insgesamt dazu, die Parteien mit den Konsequenzen weiterer Eskalationen zu konfrontieren und sie auf ihre Handlungsräume im Hinblick auf einen Eskalationsstop aufmerksam zu machen.

a.  Beim rationalen Prognostizieren des zukünftigen Konfliktverlaufs leitet die Beraterin bzw. der Berater beide Parteien an, auf dem Hintergrund des stufenweisen Eskalationskonzeptes die möglichen Konsequenzen einer weiteren Verschärfung zu überdenken.

b.  Beim imaginativen Prognostizieren des zukünftigen Konfliktverlaufs wird jede Partei gesondert gebeten, sich in Form einer "Traumreise" einen weiteren möglichen Eskalationsprozess vorstellungsmäßig zu vergegenwärtigen.

 

3.  Interventionsbasis: Konfliktparteien

Im Verlauf von Konflikten weisen die Konfliktparteien meistens Veränderungen in ihrem Innenraum auf, die eine Konfliktlösung verhindern. Sie entwickeln Schein-Solidaritäten und fixierte Rollenkonstellationen, die den Dialog mit außergruppalen Personen insgesamt erschweren. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, an diesen Phänomenen anzusetzen. Hier kommen infrage:

* Stärkungen der internen Integration und
* die Auflösung fixierter Rollenmuster.

Bei Interventionen, die gezielt auf die Förderung einer Partei gerichtet sind, geraten Beraterinnen und Berater allerdings bei der gegnerischen schnell in den Verdacht einer einseitigen Koalition. Aus diesem Grund ist es meistens notwendig, solche Beratungssequenzen vom sonstigen Konfliktmanagement personell abzutrennen. Idealerweise arbeiten Beraterinnen und Berater in einem Team, aus dem dann jede Mitarbeiterin bzw. jeder Mitarbeiter gesonderte Aufgaben übernehmen kann.
 
(1) Interventionen zur Stärkung der internen Integration der Parteien
Oft entwickeln die einzelnen Konfliktparteien einen starken Konformitätsdruck, der zu Schein-Solidaritäten führt. Die Parteien wollen sich dadurch ihre Geschlossenheit demonstrieren. Gar nicht selten brodeln aber hinter dieser Fassade Konflikte zwischen einzelnen. Oder es haben sich innerhalb der Partei latente Subgruppen gebildet.
Wenn es der Beraterin bzw. dem Berater gelingt, die vordergründige Fassade von Geschlossenheit in eine ehrliche Dialoghaltung untereinander umzuwandeln, entwickeln sich im Innenraum der Partei meistens auch wieder größere Auseiandersetzungsbereitschaften im Hinblick auf die als feindlich definierte Partei.

Zur Förderung der internen Dialogbereitschaft lassen sich z. B. Diskussionen über die Wertvorstellungen der Gruppenmitglieder anregen. Hier ergeben sich meistens mehr oder weniger nuanzierte Unterschiede, die für weitere differenzierende Diskussionen in der Gruppe genutzt werden können.

(2) Interventionen zur Auflockerung fixierter interner Rollenmuster

Die Schein-Solidarität korrespondiert in der Regel mit fixierten Rollenvorschriften. Hier ist es hilfreich, die Gruppe Bilder anfertigen zu lassen, auf denen jedes Mitglied jedem anderen ein Symbol zuordnet. In einer anschließenden Auswertungssequenz, bei der jeder die Symbole, die er den anderen zugedacht hat, erläutert, ergibt sich meistens eine lebhafte

Auseinandersetzung über die jeweiligen Rollen und die damit verbundenen Fixierungen im Denken und Handeln. Das bewirkt eine Neukonstellierung der Gruppe. Denn keiner möchte ja dauerhaft als Opfer von Rollenzuschreibungen agieren oder in diesem Sinne gesehen werden.

Im Zusammenhang mit Analysen von Rollenfixierungen stellt sich meistens auch bei den Hauptakteuren eine Festlegung auf bestimmte Handlungs- und Entscheidungsstrategien heraus. Bei der Gruppenarbeit lässt sich zu diesem Thema der Akzent auf die Erwartungen der Hintermannschaft an den oder die Hauptakteure setzen. Bei Analysen über die Erwartungen der übrigen Parteimitglieder sind dann die Hauptakteure oft über ihre Projektionen im Hinblick auf die Erwartungen der anderen erstaunt, und sie legen sich oft erstmalig Rechenschaft darüber ab, wie sehr sie in ihrem Verhalten von ihren Hintermannschaften eingesteuert werden.

 

4.  Interventionsbasis: Beziehungen der Konfliktparteien

Im Verlauf von Konflikten verändern sich die informellen Beziehungen zwischen den Konfliktparteien erheblich, was ihre Annäherung meistens besonders erschwert. Ihre Relationen werden immer asymmetrischer und die Parteien drängen sich gegenseitig stereotype Rollenmuster auf.

Für solche Entwicklungen bilden oft die formalen Beziehungen den jeweiligen Rahmen. Inadäquate formale Regeln können zwar vielfach durch informelle Beziehungen kompensiert werden, in vielen anderen Fällen bilden sie aber als organisatorisches Konfliktpotential den Ausgangspunkt für informelle Beziehungsstörungen.
Mit Interventionen, die an den Beziehungen der Konfliktparteien ansetzen, lassen sich folgende Ziele verfolgen:

*  Die Parteien sollen sich der Art ihrer Beziehungen bewusst werden und verstehen lernen, welchen Einflussfaktoren sie bislang ausgesetzt waren.
*  Sie sollen die Mechanismen, die bislang zwischen ihnen wirksam waren, steuern lernen und sie idealerweise außer Kraft setzen.
*  Sie sollen die Barrieren, die zwischen ihnen entstanden sind, aufweichen und wenn möglich beseitigen.
*  Sie sollen ihre Beziehungen so umgestalten, dass in Zukunft Konflikte vermieden werden können.

(1) Interventionen zur Korrektur der informellen Beziehungen

Wesentliche Leitlinie dieser Art von Interventionen ist es, festgefahrene Spielregeln zwischen den Parteien zu lockern oder aufzulösen. Dies geschieht durch Analysen der bisherigen Spielregeln und das Einüben neuer. Hier lassen sich zwei Interventionsstrategien vorschlagen:

a.  Beim imaginären Monolog, einer psychodramatischen Arbeitsform, werden beide Parteien gebeten, kritische Episoden aus dem bisherigen Konfliktverlauf zu benennen und dann in möglichst vielen Details zu beschreiben (welche Streitpunkte bestanden, welche Spannungen haben sich dadurch gezeigt, wer spielte in den Interaktionen welche Rolle usw.). Nun wird von den Anwesenden eine Hauptakteurin bzw. ein Hauptakteur dieser Episode bestimmt. Daraufhin bittet man alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich mit dieser Hauptakteurin bzw. diesem Hauptakteur zu identifizieren und ihre Gefühle, Einstellungen, auch heimlichen Gedanken während der kritischen Episode zu artikulieren. Die Hauptakteuerin bzw. der Hauptakteur hört zunächst nur zu. Danach wird eine andere Hauptakteurin bzw. ein anderer Hauptakteur dieser Episode ausgewählt, die Anwesenden identifizieren sich jetzt mit diesem und sprechen dessen Gefühle, Einstellungen usw. aus.

 In einer anschließenden Sequenz geben die Hauptakteure Feedback, wie treffend die Statements für sie waren. Aus dieser Übung ergeben sich bei den Beteiligten gelegentlich ganz neue Perspektiven vom Konfliktgeschehen. Diese Intervention eignet sich allerdings nur für niedrige Eskalationsstufen.

b. Eine beziehungs-orientierte Interventionsstrategie, die sich auch für höhere Grade von Eskalationen in einem größeren sozialen Rahmen eignet, ist die Bildung von Verbindungs- bzw. Kontaktgruppen (Thelen 1954). Hierbei werden gemäßigte Mitglieder aus beiden Konfliktparteien gebeten, zu einer Kontaktgruppe zusammenzutreten. Als "Pioniere der Konfliktregelung" haben sie zunächst die Aufgabe, den Konflikt mit der Beraterin bzw. dem Berater exemplarisch zu bearbeiten. Dabei werden die Streitpunkte, die Perzeptionen, Einstellungen usw. systematisch beleuchtet und bearbeitet. Daran anschließend werden die Mitglieder der Kontaktgruppe von der Beraterin bzw. vom Berater beschult, um für die weitere Konfliktregelung im erweiterten sozialen Rahmen Ko-Leiter-Funktionen zu übernehmen. Oft kommt ihnen noch die Aufgabe zu, die Einhaltung von Status-quo-Regelungen auszuhandeln und zu überwachen.

 Die Beraterin bzw. der Berater erhält über die Kontaktgruppe Zugang zu beiden Parteien. Außerdem erhält er durch sie erste Einblicke in die Streitpunkte der Parteien, in ihre Perzeptionen usw. Mit ihnen als Dialogpartnerinnen und Dialogpartnern kann er auch die weitere Arbeitsstrategie entwickeln und das geplante Methodeninventarium austesten.
Im Verlauf der ersten Kontaktgruppen-Arbeit und anschließenden Beschulung entwickeln die Kontaktgruppen-Mitglieder im allgemeinen eine relativ gute gruppale Kohäsion. Im Verlauf dieser Entwicklung hat die Beraterin bzw. der Berater allerdings dafür zu sorgen, dass sie nicht völlig aus ihren ursprünglichen Partei-Bindungen herausgelöst werden und sich insgesamt gut stabilisiert fühlen. Deshalb ist es übrigens oft sinnvoll, in späteren Stadien des Beratungsprozesses eine neue Kontaktgruppe ins Leben zu rufen.

(2) Interventionen zur Korrektur der formalen Beziehungen

Die Korrektur der formalen Beziehungen eines Systems setzt die Mitbeteiligung von vorgesetzten Instanzen voraus; denn nur sie sind ja ausreichend legitimiert, die formalen Regeln des Systems zu korrigieren. Anders gesagt: Solche Korrekturen müssen immer durch vorgesetzte Instanzen "abgesegnet" werden. Im anderen Fall erhalten sie keine ausreichend stabile legale Basis. Als Interventionen, die sich auf die formalen Beziehungen eines Systems zentrieren, kommen infrage:

a. Eine systematische Analyse der formalen Muster gibt Hinweise auf Kompetenzüberschneidungen, Funktionsüberlastungen usw.. Hier sollten vorrangig die Systemmitglieder einbezogen werden, die bislang von organisatorischen Komplikationen betroffen waren. Die Analyse startet bei typischen innerorganisatorischen Streitpunkten. Diese werden zunächst inventarisiert, anhand von Organigrammen und Funktionsdiagrammen genauer untersucht und im weiteren durch Neuregelungen korrigiert.

b. Rollenanalysen stellen eine subtilere Form von Organisationsanalysen dar (Schreyögg 1995). Sie finden im allgemeinen in Kleingruppen von 4-5 Personen statt und umfassen drei Schritte:

(1) Zunächst untersuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre formale Rolle/ Position mit den jeweiligen Komplementärrollen. Von besonderer Bedeutung sind hier die gegenseitigen Erwartungen mit ihren perzeptiven und gefühlsmäßigen Komponenten.

(2) Daran anschließend untersucht man die gegenseitigen Rolleneinsteuerungen mit ihren jeweiligen Zuschreibungen von den Komplementärpartnerinnen und Komplementärpartnern, die auch wieder auf ihre perzeptiven und gefühlsmäßigen Anteile hin beleuchtet werden.

(3) Zum Abschluss ermitteln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch, inwieweit die Rollenselbstdefinition, die Rollenerwartungen und die Rollenzuschreibungen im organisatorischen Ensemble mit ihrem außerberuflichen Selbstbild übereinstimmen.
Im Sinne einer ganzheitlichen Methodik werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meistens gebeten, die verschiedenen Analyseschritte durch Zeichnungen oder durch gemalte Bilder darzustellen. Im Anschluss an solche Analysen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer animiert, Visionen für alternative organisatorische Regelungen zu entwerfen.

 

5.  Interventionsbasis: Einstellung der Parteien zum Konflikt

Im Verlauf von Eskalationen entwickeln die Parteien zunehmend negativistische Grundhaltungen, was die Chancen von Beratungen oft infrage stellt. In höheren Eskalationsstufen lehnen die Parteien oft jede Beratung kategorisch ab, bei kalten Konflikten arbeiten sie meistens nur widerstrebend oder vordergründig mit und bei Systemveränderungskonflikten neigen sie dazu, die Beraterin bzw. den Berater in ihr Machtkalkül einzubauen.

Beraterinnen und Beratern sollte aber daran gelegen sein, wenigstens bei einer Partei eine Grundhaltung zu mobilisieren, die erste Schritte in Richtung auf De-eskalationen erlaubt. Hier sind zunächst nur perzeptions-orientierte Interventionen angezeigt, deren Ziele darin bestehen,

*  den Konfliktparteien ihre bisherigen Strategiekalküle im Konflikt deutlich zu machen,
*  sich ihrer negativistischen Grundeinstellung bewusst zu werden,
*  sie empfänglich zu machen für die verdeckten Signale der Gegenpartei, mit denen sie eventuelle Einlenkungsbereitschaften bekundet oder bekundet hat, und
*  sie empfänglich zu machen für eine Kooperation mit der Beraterin bzw. dem Berater.

Im Zusammenhang mit den Einstellungen zum Konflikt ist für die Beraterin bzw. den Berater vorrangig relevant, wie sie bzw. er einen Zugang zu den Parteien gewinnen kann.

a. In manchen Fällen erklärt sich eine Partei bereit, zumindest die bisherigen Konfliktlösungsversuche mit der Beraterin bzw. dem Berater zu systematisieren und zu besprechen. Im Verlauf solcher Analysen wird den Mitgliedern oft deutlich, dass sie manche Signale, die die gegnerische Partei im Hinblick auf eine Beilegung des Konflikts gesandt hatte, nicht beachtet haben. Diese Erkenntnis kann ein erster Ansatz für die weitere Arbeit sein.

b. In anderen Fällen lässt sich durch Verhandlungen mit dem sozialen Umfeld ein Zugang schaffen. Dann versucht die Beraterin bzw. der Berater emotional weniger stark aufgeladene Koalitionspartner einer Partei für eine Vermittlung zwischen ihr bzw. ihm und dieser Partei zu gewinnen. Hierbei spielen weniger gezielte Interventionen eine Rolle als menschliches Fingerspitzengefühl. Solches Vorgehen birgt natürlich Risiken, dass nämlich die andere Partei nun der Beraterin bzw. dem Berater unterstellt, parteiisch zu sein. Beim Konfliktmanagement auf höheren Eskalationsstufen lassen sich aber solche Risiken nie vermeiden. Beraterinnen und Berater bewegen sich hier regelmäßig in einem risikoreichen Feld.

 

Kapitel 3:  Rollen/Strategien bei der Konfliktbehandlung

Die Rolle, mit der eine Konfliktmanagerin bzw. ein Konfliktmanager den Konfliktparteien gegenübertritt, beinhaltet jeweils eine spezielle Strategie. Und alle denkbaren Rollen bei der Konfliktbehandlung haben für unterschiedliche Konflikte einen je unterschiedlichen Wert. So bestimmen also Art und Intensität eines Konfliktes, welche Rolle/Strategie aktuell am erfolgversprechensten ist. Die Beraterin bzw. der Berater muss allerdings im Verlauf der Konfliktbehandlung die Rolle/Strategie immer wieder ändern. Sie bzw. er wird jeweils im Dialog mit den Parteien zu ermitteln suchen, welche die aktuell passendste ist. Für das Konfliktmanagement in Schulen sind folgende Rollen/Strategien relevant:

*  Die Moderatorin bzw. der Moderator,
*  die Prozessbegleiterin bzw. der Prozessbegleiter,
*  die sozio-therapeutische Prozessbegleiterin bzw. der sozio-therapeutische Prozessbegleiter,
*  die Vermittlerin bzw. der Vermittler,
*  der Coach einer Machtinstanz.
Die jeweilige Rolle/Strategie bestimmt dann auch, welche Interventionen die Konfliktmanagerin bzw. der Konfliktmanager im einzelnen auswählt.


1.  Die Moderatorin bzw. der Moderator

Die Moderatorenrolle ist für Konflikte geeignet, die sich zwischen der 1. und der 3. Eskalationsstufe bewegen. In diesen Stadien ist nämlich meistens noch darauf zu vertrauen, dass die Konfliktparteien ihre Konflikte selbst bewältigen können und auch wollen. Moderation bezeichnet nämlich eine Strategie, die in erster Linie als "Hilfe zur Selbsthilfe" zu bezeichnen ist. Moderieren beschränkt sich im wesentlichen aufs Strukturieren von Gesprächen.
Ihre Ziele sind das

*  Abklären von Sichtweisen, Aufgaben, Funktionen sowie von Ablauf- und Planungsfragen,
*  die Förderung des Kommunikationsflusses,
*  die Anregung zu eigenen Bewältigungsstrategien und insgesamt zum Finden eigener Wege.

Schwerpunktmäßig sind die Interventionen auf unterschiedliche Perzeptionen und unterschiedliche Streitfragen bezogen. Gearbeitet wird bei der Moderation mit Methoden der Visualisierung, also mit Moderationskarten, mit Flipcharts, mit Schreib- und Magnettafeln usw.. Bei drohender Verfestigung von Positionen kommen auch Rückzugsstrategien zur Anwendung wie das Aufschieben von Besprechungen und  die zwischenzeitliche Analyse in Kleingruppen oder auch Methoden der Selbstbe-obachtung, damit die Konfliktparteien eine Außensicht ihrer Standpunkte erwerben. Bei der Moderation werden auch unterschwellige Phänomene in der non-verbalen Kommunikation thematisiert. Dies geschieht durch "Blitzlichter" oder durch Unterbrechungen des gruppalen Dialogs mit anschließenden meta-kommunikativen Sequenzen.

Entsprechend den frühen Konfliktstadien, in denen Moderation überhaupt angemessen ist, akzeptieren die Parteien die Rolle des Moderators im allgemeinen recht gut.


2.  Die Prozessbegleiterin bzw. der Prozessbegleiter

Prozessbegleitung greift bereits tiefer ins Geschehen ein und richtet sich auf die Arbeit an bereits länger fixierten Sichtweisen, Einstellungen, Zielen und Verhaltensmustern. Dementsprechend eignet sie sich zur Behandlung von Konflikten auf der 4. Eskalationsstufe mit Tendenzen zur 3. und zur 5., wo sie bei der aktiven Lösung von Konflikten unterstützen bzw. sie stimulieren soll. Sie richtet sich weniger auf inhaltliche Streitfragen, sondern auf die Interaktionen der Parteien. Dabei ist oft direktives Vorgehen notwendig, das aber möglichst frei von Bewertungen sein muss.
Die Ziele der Prozessbegleitung bestehen darin,

*  die Parteien zu befähigen, ihre akuten Probleme, die bislang zu Konflikten geführt haben, aus eigener Kraft zu lösen.
*  Es sollen aber auch die Folgen, die aus den psycho-sozialen Konfliktmechanismen in den Sichtweisen, Einstellungen usw. resultieren, beseitigt oder gemildert werden.
*  Während der Prozessbegleitung sollen die Konfliktmechanismen außer Kraft gesetzt sein, was zur Erholung der Parteien dient.
*  Die Parteien sollen sich durch die Prozessbegleitung Wissen und Fähigkeiten erwerben, wie sie in Zukunft ihre Konflikte weitgehend selbständig lösen können.
*  Idealerweise lernen die Parteien durch die Prozessbegleitung auch, Verantwortung für den bisherigen Konfliktverlauf zu übernehmen.

Im Gegensatz zur Moderation, die sich vorrangig an faktischen Themen ausrichtet, liegen die Interventionsschwerpunkte der Prozessbegleitung auf der Subjektsphäre. Hier geht es um Modifikationen von Perzeptionen, Einstellungen, Intentionen und Verhalten. Dementsprechend sind die Interventionen auf diese Aspekte gerichtet:
Bei einstellungs-orientierten Interventionen geht es vorrangig um die Entwicklung empathischer Fähigkeiten, damit die Beziehungen zwischen den Parteien verbessert werden, sie also wieder Vertrauen zueinander aufbauen und ihre erstarrten Positionen verlassen können. Besonders bei heißen Konflikten sind oft relativ breit angelegte Interventionssequenzen notwendig. Intentionsorientierte Interventionen helfen den Parteien, sich über ihre eigenen Motive für die Konfliktaustragung klar zu werden. Und verhaltensorientierte Interventionen dienen dazu, Regeln auszuarbeiten, sie zu vereinbaren und ihre Anwendung zu beaufsichtigen.

Die Akzeptanz von Prozessbegleitung ist auf der 3. Eskalationsstufe im allgemeinen noch gut. Auf der 4. und 5. Stufe nimmt die Bereitschaft zur Beilegung von Konflikten generell ab, und gleichlaufend damit steigen die Barrieren gegenüber Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern. Jetzt ist mit einem mehr oder weniger großen Widerstand der Konfliktparteien zu rechnen, so dass sich Beraterinnen und Berater oftmals viel Mühe geben müssen, um die Kommunikation überhaupt noch im Fluss zu halten. Es wird ihnen um so eher gelingen, als sie das Distanzbedürfnis zwischen den Parteien respektieren. Von zentraler Bedeutung ist hier die Empathie von Beraterinnen und Beratern, mit der sie die subjektive Sicht der jeweiligen Parteien erfassen. Mindestens ebenso bedeutsam ist aber, dass sie sorgfältig auf Symmetrie in den Beziehungen zu den Parteien achten. Wenn sie all das berücksichtigen, haben sie die Chance, für beide Parteien zu einem konstruktiven Modell in Sachen Konfliktregelung zu werden und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu etablieren, in der dann auch das Vertrauen zwischen den Parteien wieder wachsen kann.

3.  Die sozio-therapeutische Prozessbegleiterin bzw. der sozio-therapeutische Prozessbegleiter

Diese Rolle ist therapeutisch vertiefend. Sie eignet sich vor allem für die 5. Eskalationsstufe, auf der bereits erhebliche Fixierungen in den Selbst- und Fremdbildern eingeschliffen sind. Im Gegensatz zur "einfachen" Prozessbegleitung richtet sich diese Rolle/Strategie auf die Auflösung sozialer Pathologien. Damit sind nicht krankhafte Phänomene einzelner gemeint, sondern pathologische Verzerrungen in den Rollen- und Kulturmustern von Kollektiven. Sie bestehen in unbewussten Blockaden und krankhaft fixierten Einstellungen. Ihre Bearbeitung erfordert von der Begleiterin bzw. vom Begleiter eine intensive persönlichkeits-nahe Arbeit, so dass sie bzw. er hier in der Rolle einer Quasi-Therapeutin bzw. eines Quasi-Therapeuten operiert. Dabei erwarten die Konfliktparteien viel Schutz von ihr bzw. ihm vor Kränkungen und insgesamt die Sicherung einer möglichst angstfreien Atmosphäre.
Sozio-therapeutische Prozessbegleitung zielt

*  auf das Durchbrechen der festgefahrenen Situationen und den Abbau der sie bedingenden psycho-sozialen Blockaden,
*  auf den Abbau von Angstgefühlen,
*  auf das Wiedererlangen eines Sinnbezuges in einer als hoffnungslos erlebten Konfliktsituation,
*  auf das Konsolidieren der Identität der jeweiligen Konfliktparteien.

Die Interventionen sind schwerpunktmäßig auf die Subjektsphäre, also auf die Beziehungen der Konfliktparteien gerichtet. Dabei geht es um Klärungen und Korrekturen der gegenseitigen Perzeptionen, aber auch um Veränderungen von Gefühlen und Einstellungen zu der jeweils anderen Partei. Der Abbau von Angst voreinander spielt hier eine ganz entscheidende Rolle. Dafür eignen sich Soziodramen, Imaginationen, Gestaltarbeit usw.. Die Angst muss erlebt, ausagiert und externalisiert werden. Zur Angstmilderung sind in diesem Zusammenhang auch alle Methoden der inneren Distanzierung geeignet wie z. B. das Aufbauen von Szenen mit kleinen Figürchen oder Bausteinen (Schreyögg 1995). Vielfach sind auch intentions-orientierte Methoden indiziert, mit denen historische Wurzeln der aktuellen Konfliktsituation aktualisiert werden können wie z. B. mit Panoramen (Berdel-Mantz/Mantz 1996). Darüber hinaus sollte die verbale Auseinandersetzung gefördert werden. Durch verhaltens-orientierte Interventionen lassen sich Inkonsistenzen zwischen verbalem und non-verbalem Verhalten aufdecken, aber auch Regeln etablieren und ihre Einhaltung überwachen. Streitpunkt-bezogene Interventionen können der Flexibilierung und Transformation von Streitpunkten dienen. Im Sinne von Partei-orientierten Interventionen sollte in diesem Stadium auch die Integration der Parteien gefördert und die Einstellungen der Parteien zum Konflikt geklärt werden.

Die Akzeptanz der Beraterin bzw. des Beraters ist bei dieser Rolle/Strategie von besonderer Bedeutung, denn die Basis ihrer bzw. seiner Arbeit ist hier das Vertrauen. Sie bzw. er benötigt den Glauben der Parteien an ihre Selbstheilungskräfte. Die Beraterin bzw. der Berater wird bei dieser Strategie allerdings einer Reihe von Bewährungsproben ausgesetzt sein. Solche besteht sie bzw. er am besten, wenn sie bzw. er sich als Expertin bzw. Experte für die Konfliktregelung erweist. Das legitimiert sie bzw. ihn auch, auf die Einhaltung von Regeln zu drängen.

Insgesamt erfordert diese Strategie größere Zeiträume, weil neue Perspektiven, Einstellungen usw. von den Konfliktparteien erst wieder "verdaut" bzw. in ihr bislang etabliertes Sinnsystem integriert werden müssen.

4.  Die Vermittlerin bzw. der Vermittler

Auf der 6. und 7. Eskalationsstufe ist am ehesten die Rolle/Strategie der Vermittlerin bzw. des Vermittlers angebracht. Die Parteien sehen jetzt nämlich keine Möglichkeit mehr, den Konflikt durch Auseinandersetzungen beizulegen. Sie begreifen ihre Interaktionen nun fast ausschließlich als gegensätzlich und unvereinbar. Gleichzeitig erleben sie schmerzlich die gegenseitige Abhängigkeit und dadurch die Notwendigkeit eines Eskalationsstops. In solchen Fällen kann eine Vermittlerin bzw. ein Vermittler beauftragt werden, die bzw. der sich auf regulierbare Fakten beschränkt und mit den Parteien eine Abgrenzung der Einflussgebiete erarbeitet. Dementsprechend ist die Vermittlerin bzw. der Vermittler sehr direktiv orientiert, d. h. sie bzw. er artikuliert auch ihre bzw. seine Vorstellungen und setzt Druckmittel ein. Sie bzw. er ist also nicht mehr auf die Streitpunkte der Parteien bezogen, nicht mehr auf die Verbesserung ihrer Beziehungen usw.. Sie bzw. er führt vielmehr mit jeder Partei getrennte Verhandlungen und vermittelt dann zwischen den Parteien. Dabei benötigt sie bzw. er Kenntnisse über Strategien, Taktiken, Finten, muss aber selbst jeweils unparteiisch bleiben.
Die Ziele der Vermittlung bestehen darin,

*  die Kommunikationsbarrieren für eine effektive Beendigung und Regelung des Konfliktes zu reduzieren,
*  die Parteien anzuleiten, ihre Werteverschiebungen zu erkennen und entsprechende Werturteile in der Zukunft zu vermeiden.
*  Außerdem sollen die Parteien eine Verhandlungstechnik erlernen, mit der sie weitere Eskalationen vermeiden können.
*  Idealerweise einigen sich die Parteien auf eine Kontrolle regulierbarer Faktoren und schaffen eine Basis für die gegenseitige Duldung und Koexistenz.

Die Interventionsschwerpunkte von Vermittlerinnen und Vermittlern richten sich vorrangig auf die selektive Informationsübermittlung von Perzeptionen und Einstellungen. Im Zuge von Verhandlungen mit der einen wie mit der anderen Partei versucht die Vermittlerin bzw. der Vermittler schrittweise die Konzessionsbereitschaft der Parteien zu erhöhen, so dass sie sich jeweils kleine Vertrauensvorschüsse geben. Sie bzw. er versucht die Sichtweisen der Parteien im Hinblick auf den Konfliktverlauf weniger durch emotional aufdeckende Interventionen als durch rationale Konfrontation mit den Konsequenzen weiterer Eskalationen zu modifizieren.
Im Sinne verhaltens-orientierter Interventionen versucht die Vermittlerin bzw. der Vermittler eskalierendes Verhalten zu begrenzen, zu kanalisieren und zu regulieren. Durch Streitpunkt-bezogene Interventionen versucht sie bzw. er die strittigen Themen auf diejenigen einzugrenzen, die für beide Parteien besprechbar sind. Dies geschieht in der Regel durch eine Reihung der Streitpunkte, bei der die weniger emotionsgeladenen im Vordergrund stehen sollten. Daraus versucht sie bzw. er einen Streitpunkt-Konsens zu entwickeln und eine Transformation der Streitpunkte in aktuell verhandelbare Themen. Eine Vermittlerin bzw. ein Vermittler wird zwar nicht mehr in den Innenraum der jeweiligen Parteien intervenieren, sie bzw. er kann aber versuchen, ihr soziales Umfeld günstig zu beeinflussen. Sie bzw. er wird dann Koalitions- und Alliance-Partnerinnen und Koalitions- und Alliance-Partner für ihre bzw. seine Intentionen im sozialen Umfeld zu gewinnen suchen.

Gerade bei Vermittlungsaktionen ist maximale Akzeptanz notwendig. Voraussichtlich werden zwar beide Parteien versuchen, die Vermittlerin bzw. den Vermittler auf ihre Seite zu ziehen, so dass sie bzw. er laufend in prekäre Situationen gerät. Wenn sie bzw. er den Auftrag ernstlich erfüllen will, ist es aber notwendig, dass sie bzw. er vollkommen unparteiisch bleibt. Nur dann geben ihm die Parteien den Vertrauensvorschuss, der für die Aufgabe notwendig ist. Natürlich wird sie bzw. er nur schrittweise vorankommen. Aber gerade kleine Teilerfolge garantieren weitere Akzeptanz. Sie bzw. er wird allerdings immer wieder deutlich machen müssen, dass im Falle von Nicht-Einigung eine Machtinstanz in den Konflikt eingreifen muss und in diesem Fall beide Parteien einen Teil ihrer Unabhängigkeit einbüßen werden. Dieses Argument hilft der Vermittlerin bzw. dem Vermittler auch, Akzeptanz einzufordern.
Aus all dem ergibt es sich schon fast von selbst, dass der Zeitaufwand für Vermittlungen vergleichsweise hoch ist. Denn die Vermittlerin bzw. der Vermittler muss ja jeweils wechselweise mit beiden Parteien Regelungen aushandeln, die immer wieder als revisionsbedürftig betrachtet werden. Das macht neue Aushandlungsprozesse notwendig usw..

5.  Der Coach einer Machtinstanz 

Auf den intensivsten Eskalationsstufen ist als ultima ratio der entschiedene Eingriff durch eine Machtinstanz notwendig. Dabei greifen Vorgesetzte oder sogar nächsthöhere Aufsichtsorgane aufgrund ihrer formalen Machtkompetenzen in den Konflikt ein.
Das Ziel von Machteingriffen besteht darin,

* den Konflikt unter Kontrolle zu bringen,
* ihn zwangsweise auf die Sach-Ebene zu reduzieren und
* die inneren sowie äußeren Folgen des Konflikts zu begrenzen.

Mit Machteingriffen sind allerdings eine Reihe von Risiken verbunden, die für die betreffenden Instanzen oft nur schwer zu überschauen sind. Die Machtinstanz erzeugt nämlich in vielen Fällen eine generelle Aversion gegen sich oder gegen die Organisation als Gesamt. Es stellt sich auch vielfach eine Situation ein, bei der sich die Streitparteien plötzlich gegen die Machtinstanz solidarisieren und vorübergehend oder sogar dauerhaft gegen sie polemisieren. Solche Entwicklungen sind im Hinblick auf eine Eskalationsmilderung an sich durchaus als positiv zu beurteilen, zumal ein Machteingriff ja im Kern auch abschreckende Wirkungen haben soll. Für die Machtinstanz selbst können sie sich aber objektiv oder subjektiv negativ auswirken. Sie hat dann manchmal für nachfolgende Aktionen ein geringeres Beeinflussungspotential, ist persönlich als "böser Mann" oder als "böse Frau" entlarvt usw.. Deshalb stellt ein derartiger Eingriff für die betreffende Person oft eine Situation von menschlicher Einsamkeit dar. Wegen aller dieser Risiken bemühen Machtinstanzen vielfach Beraterinnen und Berater, die ihnen als Coach/Führungsberaterin bzw. Führungsberater zur Seite stehen. Dann ist die Beraterin bzw. der Berater ein Bestandteil des Machteingriffs.

Zunächst wird der Coach in Identifikation mit Vorgesetzten die Gesamtsituation möglichst detailreich diagnostizieren. Er wird die Vorgesetzten anregen zu ermitteln, welche Lösungsmöglichkeiten es aus ihrer Sicht gibt, zu der die Streitparteien aktuell nicht mehr fähig sind. Er wird sie dann beraten, selektiv vorzugehen, d. h. sich mit einem Machteingriff auf die Gebiete zu beschränken, die zu zentralen Streitpunkten auf der Sach-Ebene in Beziehung stehen. Ein Machteingriff ist ein formaler Akt, weshalb die Machtinstanz ihre menschlichen Regungen im Sinne von Einfühlung gut kontrollieren muss. Die Beraterin bzw. der Berater regt die Machtinstanz an

*  zu untersuchen, welche Durchsetzungschancen in der gegebenen Situation für einen Machteingriff bestehen und über welche Art der Durchsetzungsmacht die Machtinstanz verfügt. In diesem Zusammenhang ist auch relevant, ob die Legitimität der Machtinstanz womöglich selbst infrage gestellt wird, wie es bei Systemveränderungskonflikten der Fall ist. Es wird auch zu untersuchen sein, ob die bestehenden Konfliktregulationsmöglichkeiten überhaupt noch wirksam genutzt werden können.
*  zu ermitteln, welche Kosten für die Machtinstanz bei weiterer Duldung des Konflikts entstehen.
*  zu fragen, welche Kosten für die Machtinstanz bei einem Machteingriff entstehen, ob dann z. B. ihr Bild in der Öffentlichkeit leidet, usw..
*  zu klären, warum die Machtinstanz erst jetzt, in Anbetracht eines höheren Eskalationsgrades, in den Konflikt eingreift.

Die Machtinstanz muss sich über alle Perzeptionen und Einstellungen der Parteien zueinander hinwegsetzen, d. h. sie muss zu diesen Phänomenen innerlich stark Distanz nehmen. Sie hat vorrangig zu berücksichtigen, welche Einstellungen die Parteien bislang zu ihr selbst haben.
Der positive Effekt von Machteingriffen besteht vielfach darin, dass die Parteien nun einen gemeinsamen Feind haben, über den sie sich gemeinsam ärgern können. Dadurch lösen sie sich meistens schon aus ihrem Festgebissensein und erlangen Distanz zum Konfliktgeschehen.

Die Akzeptanz von Machteingriffen ist oft erstaunlich hoch. Die Organisationsmitglieder fühlen sich gelegentlich geradezu erleichtert, dass sie nun bestimmte Dinge nicht mehr selbst auskämpfen müssen. Es lässt sich ohnedies behaupten, dass viele Eskalationen überhaupt erst dadurch zustande kommen, dass die entsprechende Machtinstanz nicht in der Lage ist, durch Machteingriffe Ordnung zu schaffen und die Organisationsmitglieder nur angesichts eines Führungsvakuums aneinander geraten. Diese müssen nämlich dann Dinge aushandeln, die eigentlich Vorgesetzte als Hüter des formalen Systems zu entscheiden hätten. Die Akzeptanz von Machteingriffen bestimmt sich allerdings in einem System in erster Linie nach der generellen Akzeptanz formaler Regulationsmechanismen. 
Machteingriffe müssen zeitlich knapp bemessen sein, d. h. sie müssen rasch vonstatten gehen, damit die Situation schnell beherrschbar wird.

 

Kapitel 4: Phasen der Konfliktbehandlung

Die Konfliktbehandlung lässt sich in drei Stadien unterteilen,

* in eine Orientierungsphase,
* in eine Phase der eigentlichen Konfliktbehandlung und
* in eine Konsolidierungsphase.

Diese Phasen stellen ein "Gesamtpaket" dar, das eine in sich stimmige Gesamtstrategie bilden sollte und über das mit den Parteien vorab konferiert wird. Bei der Gesamtplanung sind allerdings folgende Aspekte zu bedenken:

(1) Die einzelnen Interventionen sind immer im Sinne einer Pendelbewegung zwischen Details und dem Ganzen, zwischen Konfrontation und Integration sowie zwischen Identifikation und Distanzierung zu planen.

(2) Konfliktmanager müssen immer wieder entscheiden, wie viel Zeit und Energie sie in Diagnosen und in Interventionen investieren. Idealerweise streben sie auch hier eine Balance an. Angesichts konkreter Konflikte geraten sie oft in einen erheblichen Handlungsdruck, der ihnen oft keine umfassende Diagnose erlaubt. Hier ist es immer notwendig, abzuschätzen, ob schnell interveniert werden muss, um weitere Eskalationen zu verhindern, oder ob erst noch eine Diagnosephase einzuplanen ist.

(3) Außerdem ist immer abzuschätzen, ob Interventionen kurzfristiger oder langfristiger Art einzuplanen sind. In der Gesamtstrategie bewährt sich auch hier im allgemeinen eine Balance. Die kurzfristigen dienen dann zur "Ersten Hilfe", die langfristigen zur Sicherung des bislang Erreichten.

1.  Die Orientierungsphase

Dieses Stadium liegt vor der eigentlichen Konfliktregelung und dient einer Vielzahl von Klärungen. Sie ermöglichen der Beraterin bzw. dem Berater eine erste Orientierung und für die Konfliktparteien ergeben sie entscheidende Vorbereitungen auf die nachfolgende Arbeit.

(1)  Klärung der Auftraggeberin bzw. des Auftraggebers
In der Beratungsliteratur wird im allgemeinen eine "de-jure-" bzw. ein "de-jure-" und eine "de-facto-Auftraggeberin" bzw. ein "de-facto-Auftraggeber" unterschieden. Anläßlich des Konflikts eines Schulkollegiums kann z. B. der Schulleiter eine Beraterin bzw. einen Berater beauftragen, den Konflikt innerhalb des Kollegiums, in den er als Schulleiter nicht verwoben ist, zu behandeln. Dann fungiert der Schulleiter als de-jure-Auftraggeber und das Kollegium ist der de-facto-Auftraggeber.

Nach seiner Legitimation durch den de-jure-Auftraggeber muss nun die Beraterin bzw. der Berater die jeweiligen Konfliktparteien als de-facto-Auftraggeber gewinnen, d. h. zu einer Mitarbeit an der Konfliktregelung. Dabei hat es sich bewährt, Kontakte zu allen Konfliktparteien aufzunehmen, um ihre jeweilige Beauftragung zu besprechen. Die Parteien verweigern selten zumindest einen Erstkontakt, so dass dadurch oft schon eine gewisse Mäßigung zu erwirken ist. Bei Ängsten vor formalen Instanzen, die sich besonders dann einstellen, wenn Vorgesetzte in den Konflikt mitverstrickt sind, kann die Beraterin bzw. der Berater intime Kontaktmöglichkeiten etwa per Telephon anbieten.
In diesem Zusammenhang ist aber auch zu klären, welche Ansprüche der de-jure-Auftraggeber hat, ob und wie er über den Fortgang der Beratung informiert werden will. Erst dann lässt sich abschätzen, wie autonom die Beraterin bzw. der Berater die Konfliktbehandlung gestalten kann.

(2)  Klärung des Personenkreises, der mit der Konfliktregelung angesprochen werden soll
Hier ist zu ermitteln, welche Personen an der Konfliktbehandlung beteiligt sind. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn vorgesetzte Instanzen, die selbst in den Konflikt verstrickt sind, sich aus der Konfliktbehandlung heraushalten wollen. Dann fühlt sich die Gruppierung, für die eine Konfliktbehandlung vorgesehen ist, zurecht als Sündenbock definiert. Hier muss die Beraterin bzw. der Berater erst entsprechende Klärungen herbeiführen und möglicherweise darauf drängen, dass auch die vorgesetzte Instanz an der Konfliktregelung teilnimmt.

(3)  Diagnose des Konflikttyps und des Eskalationsgrades
Im Orientierungsstadium verschafft sich die Beraterin bzw. der Berater durch Explorationen auch einen ersten diagnostischen Überblick über den Konflikttyp und seinen Verlauf bzw. seinen Eskalationsgrad.

(4)  Feststellung der Akzeptanzbasis
Vor jeder Beratung muss die Akzeptanz der Konfliktparteien im Hinblick auf die Beratung untersucht und gefördert werden. Besonders in Fällen, wo noch eine gewisse Reserviertheit besteht, sollte die Beraterin bzw. der Berater das Hilfsangebot offiziell etwa bei Konferenzen präsentieren und dabei die Rollendefinition als Beraterin bzw. Berater verständlich umreißen. Bei derartigen Anlässen sollte sie bzw. er auch schon ihre bzw. seine Empathie für die jeweils geäußerten Positionen deutlich machen, so dass die Konfliktparteien zu ihr bzw. ihm Vertrauen fassen können. Sie bzw. er muss allerdings immer damit rechnen, dass sie bzw. er von den Anwesenden kritisch geprüft und beurteilt wird. Ab der 3. Eskalationsstufe wird man regelmäßig ihre bzw. seine Neutralität in Zweifel ziehen. Sie bzw. er sollte aber auf alle Bedenken geduldig eingehen. Wenn eine Vermittlung notwendig ist, muss die Beraterin bzw. der Berater in unverbindlichen Vorverhandlungen abtasten, inwieweit eine Bereitschaft der Parteien zur Mitarbeit besteht.

(5)  Präzisieren der Rolle/Strategie der Beraterin bzw. des Beraters
Im Sinne einer maximal transparenten Arbeit sollte die Beraterin bzw. der Berater die Rolle/Strategie erläutern, die sie bzw. er aktuell zu realisieren gedenkt. In manchen Fällen bewährt es sich, diese sogar schriftlich vorzulegen. Dabei sollte sie bzw. er schon anfangs deutlich machen, dass sich die Rolle/Strategie im Verlauf der weiteren Konfliktbehandlung ändern kann und wie dies aussehen würde.

Dabei ist zu bedenken, dass Personalunion verschiedener Rollen/Strategien vielfach nicht möglich ist. So kann eine Prozessbegleiterin bzw. ein Prozessbegleiter selten zur Vermittlerin bzw. zum Vermittler werden und eine Vermittlerin bzw. ein Vermittler nicht zum Coach einer Machtinstanz.

(6)  Präzisieren der Bedingungen für Interventionen
Oft fordern die Konfliktparteien Garantien für den Konfliktverlauf. Sie wollen dann vor allem wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie Beschwerden über die Beraterin bzw. den Berater sowie über den gesamten Verlauf haben. Auch hierzu sollte eine Beraterin bzw. ein Berater wie selbstverständlich Auskunft geben.

(7)  Vereinbarungen über Spielregeln für die Interventionen
Die Beraterin bzw. der Berater sollte mit den Parteien Spielregeln für die Interventionen vereinbaren, etwa dass sie die Interventionen mitgestalten, über sie jeweils eingehend informiert werden usw.

(8)  Status-quo-Regelungen
Eine zentrale Voraussetzung für jedes Konfliktmanagement ist, dass der Status-quo stabilisiert wird. Die Beraterin bzw. der Berater muss deshalb unbedingt mit den Parteien Regelungen vereinbaren, die einer weiteren Eskalation vorbeugen. Das ist besonders bei der Vermittlung notwendig.

(9)  Vereinbarungen über die Kommunikationskanäle zwischen der Beraterin bzw. dem Berater und den Konfliktparteien
Die Beraterin bzw. der Berater muss sich mit den Konfliktparteien auch darüber verständigen, dass sie bzw. er bei Bedarf mit jeder Partei gesondert in Kontakt treten kann. Dies ist vor allem bei der Vermittlung zentral.


2.  Die Phase der Konfliktregelung

Das konkrete Vorgehen bei der eigentlichen Konfliktregelung gestaltet sich je nach dem, welche Rolle/Strategie die Beraterin bzw. der Berater einnimmt. Dementsprechend lässt sich die Hauptphase der Konfliktbehandlung nach diesen Rollen/Strategien differenzieren.

2.1 Phasen der Moderation

Moderationsstrategien sind nur in den ersten drei Eskalations-Stufen indiziert. Dabei werden Konflikte, die sich auf den ersten beiden Stufen bewegen, meistens durch interne Moderatorinnen und Moderatoren, also ohne Hilfe von außen behandelt. Erst im Verlauf der 3. Eskalations-Stufe bemüht man externe Beraterinnen und Berater.
Moderatorinnen und Moderatoren nehmen ihre Arbeit in der Regel "aus dem Stand" wahr, d. h. sie müssen selten viel Zeit und Energie in Diagnosen und in die Planung von Interventionen investieren. Sie haben lediglich ihre volle Aufmerksamkeit auf das laufende Geschehen zu konzentrieren. Sie brauchen sich auch meistens nicht um nachfolgende Prozesse zu kümmern. Im Vorfeld führen sie gelegentlich Orientierungs-Interviews durch oder bitten, gemeinsamen Sitzungen der Konfliktparteien vorher beiwohnen zu dürfen. 
Die Themen der Moderation werden von den Konfliktparteien selbst bestimmt. Sie können sich gleichermaßen auf der Sach- wie auf der Subjekt-Ebene bewegen. Gelegentlich ist es sinnvoll, dass die Moderatorin bzw. der Moderator eine gezielte Auseinandersetzung mit Streitpunkten initiiert. Daran anschließend kann sie bzw. er noch Klärungen von Perzeptionen, Einstellungen, von Intentionen und von Verhalten anregen.

2.2 Phasen der Prozessbegleitung

Die Prozessbegleitung dient zur Bearbeitung von Konflikten auf der 4. Eskalations-Stufe, bei der sich schon eine erhebliche Ausweitung des sozialen Rahmens ergeben hat. Aus diesem Grund sind hier meistens methodische Maßnahmen vorzusehen, die für einen größeren sozialen Rahmen geeignet sind. Als wesentliche strategische Leitlinien für den Prozess sind hier folgende maßgeblich:

(1)  Schon zu Beginn sollten Selbstheilungskapazitäten des Systems mobilisiert werden. Aus diesem Grund sollte die Arbeit an den Konflikten personell bei einer "Kontaktgruppe" ihren Ausgang nehmen, dann langsam auf die Hauptakteurinnen und Hauptakteure ausgedehnt werden und erst daran anschließend das Gesamtsystem einschließen.

(2)  Inhaltlich sollte sich die Konfliktbehandlung anfangs auf die Subjektsphäre zentrieren, um eine Basis für spätere Verhandlungen auf der Sach-Ebene zu schaffen.

(3)  Methodisch sollte die Arbeit an der Subjektsphäre in zyklischen Schleifen von den Perzeptionen zu den Einstellungen, den Intentionen und Verhaltensweisen erfolgen. So wird die vorhergehende Arbeit jeweils stabilisiert.

(4)  Eine Vertiefung der mit der Beraterin bzw. dem Berater erarbeiteten Ergebnisse wird dann von den Organisationsmitgliedern selbständig vorgenommen.

(5)  Prozessbegleitung mündet vielfach in Korrekturen des Gesamtsystems.
Von den meisten Autoren (Harrison 1971, Mastenbroek 1994 u. a.) wird das strategische Vorgehen bei der Prozessbegleitung in einzelne Schritte untergliedert. Auch Glasl (1994) sieht ein Vorgehen in sechs Schritten vor. Er demonstriert es an einem schulischen Beispiel. Es handelte sich dabei um ein Gymnasium in den Niederlanden mit circa 60 Lehrerinnen und Lehrern. Im Kollegium hatten sich zu verschiedenen Streitpunkten mehrere konfliktäre Subgruppen gebildet.

1. Schritt: Zunächst bildete Glasl eine Kontaktgruppe, die aus fünf Delegierten unterschiedlicher Parteien bestand und gemäßigte und kommunikationswillige Personen umfaßte. Sie unterhielten aber auch Kontakte zu extremistischen Hauptakteuren.

2. Schritt: Mit dieser Gruppe erarbeitete Glasl exemplarisch die Streitpunkt-Geschichte, die entscheidenden Streitpunkte auf Sach- und Beziehungs-Ebene sowie die Perzeptionen usw.. Im Vordergrund stand aber die Arbeit an den Beziehungen der Konfliktparteien. Die Kontaktgruppe konnte nun an sich selbst erleben, dass alle Sachthemen im Hinblick auf die Schulleitung, die aktuellen Demokratisierungsfragen usw. immer durch Beziehungsthemen eingefärbt waren. Diese Lernerfahrung vermittelte die Kontaktgruppe nun einem größeren Kreis von Kolleginnen und Kollegen. Durch die gemeinsame Arbeit wuchs die Kontaktgruppe auch menschlich zusammen und entwickelte ein vertieftes Verständnis vom Konflikt.

3. Schritt: Nun folgte eine intensive Begegnung mit den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren der Konflikte. Dafür war zunächst eine Klausurtagung vorgesehen, auf der die stärksten Beziehungsprobleme zwischen den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren verhandelt werden sollten. Diese Tagung wurde mit der Kontaktgruppe stark vorstrukturiert, denn nun sollten sie als Ko-Konfliktmanagerinnen und Ko-Konfliktmanager fungieren, bzw. eine Moderatoren-Rolle übernehmen. Auf dieser Klausurtagung sollten nämlich Kleingruppen von 4-5 Personen gebildet werden, die sich aus Hauptakteurinnen und Hauptakteuren unterschiedlicher Parteien zusammensetzen. Und diese Kleingruppen sollten von je einem Mitglied der Kontaktgruppe moderiert werden. Zwischen den Kleingruppen waren immer wieder Großgruppen von 20 Personen geplant, für deren Moderation die externen Beraterinnen und Berater vorgesehen waren.

Die konkrete Arbeit begann in einer Großgruppensitzung mit einer "Konfliktpartitur", die eine der wichtigsten Konfliktepisoden herausschälte. An dieser Situation wurde nun in den Kleingruppen weiter gearbeitet. Bei diesen Mikroanalysen sollte eine Klärung der Perzeptionen, eine Klärung der gegenseitigen Einstellungen und eine Analyse der Verhaltensweisen stattfinden. Diese Arbeiten wurden in den Kleingruppen jeweils durch Zusammenfassungen der Streitpunkte, die geklärt werden konnten, abgerundet. Außerdem erfolgte hier eine Sammlung von Streitpunkten, die kontrovers geblieben waren. Daran anschließend fand eine Auswertung in der Großgruppe statt. Jetzt wurden die Streitpunkte, die noch stark kontrovers geblieben waren, unter Leitung der externen Beraterinnen und Berater mit den jeweiligen Hauptakteurinnen und Hauptakteuren in einem Innenkreis der Gesamtgruppe bearbeitet. Im Außenkreis saßen die Organisationsmitglieder, die in diese Streitfragen wenig involviert waren. Nun ergaben sich dramatische Durchbrüche, denn manche Episode der letzten fünf Jahre konnte nun aufgearbeitet werden. Man verabredete nun zu zweit oder zu dritt an weiteren Beziehungsklärungen zu arbeiten. Ganz entscheidend aber war der Vorsatz, sich in Zukunft deutlicher auf die Sach-Ebene zu zentrieren.

4. Schritt: Nun informierte die Kontaktgruppe die Schülervertreter und die Lehrkräfte der Schule, die an der ersten Klausurtagung nicht teilgenommen hatten. Die Kontaktgruppe war außerdem behilflich bei der Bearbeitung von Beziehungsproblemen in den Kleingruppen.
Für eine zweite Klausurtagung wurde die Teilnahme eines breiteren Personenkreises der Schule vereinbart. Und es wurden Themen, die sich auf die Sach-Ebene bezogen, gesammelt und systematisiert.

5. Schritt: Die Arbeit zentrierte sich nun auf die zweite Klausurtagung. Auch diese wurde wieder mit der Kontaktgruppe vorbereitet. Nach einer Inventarisierung derjenigen Streitfragen, die als Kernfragen begriffen werden mussten, sollten sie fraktioniert und gründlich analysiert werden. Diese Streitfragen wurden als weitaus gegensätzlicher erlebt als ursprünglich angenommen. In der Gesamtgruppe bestand aber jetzt eher die Neigung, die als gemeinsam erkannten Ziele und Grundwerte herauszustellen.
Die Konferenz endete mit dem Vorsatz, in Zukunft folgende Fragen weiter zu bearbeiten: In welcher Richtung soll die Zusammenarbeit zwischen Schülerinnen, Schülern, Lehrerinnen und Lehrern fortentwickelt werden? Mit welchen Problemen sollte man sich in der nächsten Zeit beschäftigen? Mit welcher Haltung soll in Zukunft an anstehenden Problemen und Differenzen gearbeitet werden?

6. Schritt: Zum Abschluss wurden innerorganisatorische Korrekturen beschlossen, die ein Stadium der Organisationsentwicklung einleiteten. Es sollte jetzt ein Schulleitungs-Team etabliert werden, dessen Mitglieder vom Kollegium zu wählen waren. Außerdem wurde eine neue Struktur für die Lehrerkonferenzen beschlossen usw..


2.3 Phasen der Sozio-therapeutischen Prozessbegleitung

Diese Rolle/Strategie muss tiefer ins Geschehen eingreifen als die "einfache" Prozessbegleitung. Sie ist ja auch für höhere Eskalations-Stufen maßgeblich, in denen sich die Parteien schon erheblich aneinander "festgebissen" haben. Aus diesem Grund unterscheidet sie sich in einigen gravierenden Punkten von der Prozessbegleitung:

(1)  Schon in der Orientierungsphase müssen die Status-quo-Regelungen stärker in bestehende Funktionen eingreifen, so dass z. B. eine Kommission oder ein Team vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Dafür müssen allerdings Ersatzregelungen getroffen werden, dass man etwa eine neu zusammengesetzte Kommission oder ein neu zusammengesetztes Team bildet.

(2)  Bevor mit den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren der gegnerischen Parteien eine direkte Konfrontation stattfinden kann, muss an der internen Stabilisierung der einzelnen Gruppierungen gearbeitet werden. Das heißt auch, dass Beraterinnen und Berater erst zu den einzelnen Hauptakteurinnen und Hauptakteuren der Streitparteien eine getrennte Beziehung aufbauen müssen.

(3)  Bevor direkte Konfrontationen der Hauptakteurinnen und Hauptakteure stattfinden können, müssen strikte Kommunikationsregeln erarbeitet und mit den Parteien getrennt eingeübt werden. Es muss ja unbedingt verhindert werden, dass sich die Parteien erneuten Eskalations-Risiken aussetzen.

(4)  Die Konfrontationen mit den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren müssen regelmäßig stattfinden und mehrfach wiederholt werden. Auf diese Weise ist den Zweifeln der Hauptakteurinnen und Hauptakteure am Erfolg der bisherigen Maßnahmen vorzubeugen; denn in diesem Stadium bestehen ja schon erhebliche pessimistische Antizipationen. Aus diesem Grund müssen auch Mikroanalysen einer Kernsituation mehrfach erfolgen.

(5)  Die Ergebnisse der Hauptakteurinnen und Hauptakteure müssen mit den übrigen Organisationsmitgliedern auch viel intensiver bearbeitet werden als bei der Prozessbegleitung. Wenn diese Arbeit gelingt, lässt sich aus dem Kreis der übrigen Organisationsmitglieder ebenfalls eine Kontaktgruppe bilden, die im weiteren Verlauf ähnliche Funktionen wie bei der Prozessbegleitung übernimmt.

(6)  Wenn die wesentlichen Arbeiten mit den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren gelungen sind, kann zu einer Prozessbegleitung übergegangen werden. Parallel dazu müssen aber immer wieder Sequenzen sozio-therapeutischer Begleitung mit den Kernakteuren stattfinden. So wird es auch bei der Arbeit an Sachthemen immer wieder notwendig sein, Exkurse auf die Beziehungs-Ebene zu machen.


2.4 Phasen der Vermittlung

Den Prozess von Vermittlungen, die bei höheren Eskalations-Stufen im meso- oder makro-sozialen Rahmen stattfinden, untergliedert v. Hentig (1965) in acht Phasen:

(1)  Zunächst muss sorgfältig austariert werden, ob und inwieweit die Parteien einem Vermittlungsversuch überhaupt positiv gegenüberstehen. Schon bei den ersten Testversuchen müssen sie jeweils ihr Gesicht wahren können, denn sie befürchten ja, dass ihnen jedes Einlenken als Ausdruck von Schwäche ausgelegt wird. Aus diesem Grund muss der Vermittler die erhaltenen Zusagen der jeweiligen Parteien mit äußerster Vorsicht kommunizieren.

(2)  Über die Instanz der Vermittlerin bzw. des Vermittlers versuchen nun die Parteien die gegenseitigen Bedingungen für die Verständigung herauszufinden. Aus diesem Grund muss die Vermittlerin bzw. der Vermittler alle Informationen, die eine Seite als strategischen Vorteil interpretieren könnte, sorgfältig filtern. Sie bzw. er wird jeweils nur das offerieren, was als positive Botschaft an die Gegenpartei interpretiert werden kann.

(3)  Die Vermittlerin bzw. der Vermittler wird sich strategischer Maßnahmen bedienen, damit sie bzw. er den Parteien so langsam ihre bzw. seine Interaktionsregeln aufzwingen kann. Sie bzw. er bedient sich dabei des gesamten Machtpotentials, das ihr bzw. ihm zur Verfügung steht. Hierbei wird sie bzw. er vor allem versuchen, die Situation mehrdeutiger als bisher zu gestalten. Dadurch zwingt sie bzw. er die Parteien, ihre jeweiligen Strategien infrage zu stellen.

(4)  Dann nimmt die Vermittlerin bzw. der Vermittler einen direkten Kontakt mit den Parteien auf, zu dem sie sich aufgrund der vorher ausgetauschten Erwartungen und Forderungen bereit erklärt haben. Diese Verhandlungen finden allerdings unter strenger Einhaltung der Regeln statt, die die Vermittlerin bzw. der Vermittler diktiert.

(5)  Nun werden für mehreren Runden direkte Kontakte der Parteien arrangiert. Sie werden allerdings sinnvollerweise unter Konsultation der jeweiligen Hintermannschaften veranstaltet.

(6)  Jetzt ergibt sich meistens eine Verhandlungskrise; denn die einzelnen Parteien wollen selbst nur geringe Konzessionen machen, fordern aber von der Gegenseite maximale Zugeständnisse. Die Vermittlerin bzw. der Vermittler muss dann beherzt eingreifen und einen eigenen Kompromissvorschlag unterbreiten. Zur Durchsetzung werden alle verfügbaren Druckmittel eingesetzt.

(7)  Danach erfolgt meistens eine vorläufige Einigung.

(8)  Im weiteren finden die Parteien meistens Regelungen zu weniger relevanten Streitpunkten. Die entsprechenden Verhandlungen und die Einhaltung von Vereinbarungen müssen aber noch für eine Zeit unter der Aufsicht der Vermittlerin bzw. des Vermittlers stehen.


2.5 Phasen des Coachings einer Machtinstanz

Coaching kann als einmalige Beratung beansprucht werden, es kann aber in Krisen, wie es ein Machteingriff meistens darstellt, auch als Prozess von 5-10 Sitzungen stattfinden (Schreyögg 1995). Wie bei jeder Beratung steht am Anfang

(1)  das beidseitige Kennen lernen.

(2)  Sodann erfolgen ausführliche Rekonstruktionen, bei denen die Vorgänge, die für die Machtinstanz aktuell relevant sind, genau untersucht werden. Hierbei steht zunächst die Streitpunkt-Geschichte mit den relevantesten Akteurinnen und Akteuren und ihren Hintermannschaften im Vordergrund. Daran anschließend muss ermittelt werden, über welche Beeinflussungspotentiale die Machtinstanz überhaupt verfügt und welche sie bislang erfolgreich einsetzen konnte. Außerdem erfolgt eine sorgfältige Analyse ihrer Beziehungen zu den Hauptakteurinnen und Hauptakteuren. Den Kernpunkt dieses Beratungsstadiums bildet das imaginative Austarieren, wie sich die Dinge nach einem Machteingriff voraussichtlich entwickeln werden. Erst auf dem Hintergrund aller dieser Vorüberlegungen sollte sich dann die vorgesetzte Instanz für einen Machteingriff entscheiden.

(3)  Jetzt ist es sinnvoll, mit dem Betreffenden in einem imaginativen Rollenspiel zu üben, wie er seinen Machteingriff konkret vornehmen will. Hier ist häufig ein kleines Rollentraining angezeigt.

(4)  In der ersten Sitzung nach dem Machteingriff berichtet die betreffende Person möglichst detailreich, was sich alles ereignet hat. Besonders Vorgesetzte, die im allgemeinen demokratisch führen, durch Eskalationen aber gezwungen werden, entschieden und machtvoll ins Geschehen einzugreifen, sind oft noch stark von ihrer eigenen Aktion erregt. Sie müssen nämlich nun eine neue Selbstdefinition als Vorgesetzte bzw. Vorgesetzter und als Mensch entwickeln und zumindest ihr aktuelles Handeln in ihr bisheriges Rollenverständnis integrieren.

(5)  Die darauffolgenden Sitzungen kreisen meistens ebenfalls um diese Integrationsarbeit. Dabei bilden nachfolgende Mitarbeiterreaktionen den thematischen Vordergrund. Versuche, die vorgesetzte Instanz zu einer Modifikation oder gar zu einer Revision ihres Machteingriffes zu animieren, oder auch verdeckte Signale von Erleichterung muss der betreffende Vorgesetzte nun erst menschlich verarbeiten und in seinem Handeln zu berücksichtigen lernen. Durch einen Machteingriff verändert sich nämlich in vielen Fällen ein gesamtes soziales System.

3.  Die Konsolidierungsphase

Das abschließende Stadium des Konfliktmanagements stellt die Konsolidierungsphase dar. Sie sollte auch für die einzelnen Rollen/Strategien unterschiedlich erfolgen.

(1)  Nach Moderations-Sequenzen bestehen in Systemen häufig Illusionen über das Erreichte. Die Organisationsmitglieder verhalten sich nämlich im Verlauf von Moderations-Sitzungen, vor allem in Konfrontation mit einer externen Beraterin bzw. einem externen Berater, im allgemeinen disziplinierter und konstruktiver als sonst. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, überprüfbare Eigenaktivitäten zu vereinbaren, bei denen die Moderatorin bzw. der Moderator lediglich eine Erinnerungs- und Gewissensfunktion erfüllt. In vielen Fällen ist es auch sinnvoll, nach einem Zeitraum von einem halben Jahr eine neuerliche, nun kürzere Moderations-Sequenz zu vereinbaren. Von solchen Vereinbarungen geht eine symbolische Stabilisierung des Erreichten aus, selbst wenn sich in der Zwischenzeit neue Konflikte einstellen oder die alten noch einmal "aufgewärmt" werden.

(2)  Konsolidierungen der Prozessbegleitung finden vielfach über Organisationsentwicklungs-Prozesse statt, in denen die Objektsphäre fortentwickelt wird.

(3)  Die sozio-therapeutische Prozessbegleitung wird idealerweise durch eine nachfolgende normale Prozessbegleitung mit Tendenzen zur Organisationsentwicklung weiter stabilisiert. Sinnvollerweise nehmen sich die Organisationsmitglieder die Zeit, einmal im Jahr ihre aktuelle Situation im Hinblick darauf zu inventarisieren, welche Konfliktherde sich immer noch zeigen und welche endgültig beigelegt sind.

(4)  Die Vermittlung stabilisiert sich am besten durch angemessen gute Erfahrungen mit einer tragfähigen Koexistenz. Hier sind Konsolidierungsversuche durch Prozessbegleitung oder gar durch sozio-therapeutische Prozessbegleitung meistens nicht indiziert, weil bei solchen Aktivitäten das alte Konfliktpotential oft nur wiederbelebt wird. Angebrachter sind meistens formale Korrekturen des Systems, bei denen "milde" Machteingriffe eine Rolle spielen.

(5)  Die Konsolidierung von Coaching, das einen Machteingriff begleitet hat, findet im allgemeinen in der Form statt, dass die Beraterin bzw. der Berater mit dem Betreffenden vereinbart, in Fällen, wo erneute Machteingriffe notwendig werden, oder in Fällen, in denen sich der Betreffende in seiner Funktion insgesamt unsicher fühlt, den Coach erneut zu konsultieren.

 

Abschließende Bemerkungen

Zum Abschluss möchte ich ein Originalzitat von Friedrich Glasl, dem Altmeister der deutsch-sprachigen Konfliktmanagement-Literatur, präsentieren (Glasl 1994, S. 433):
"Konflikte sind eine dreifache Herausforderung für jeden, der mit ihnen zu tun hat. Denn für diese Herausforderung ist es einerlei, ob wir als Betroffener oder als professioneller Berater und Begleiter damit zu tun haben:

1.  Wir werden bis zum Äußersten gefordert, um die Ereignisse in all ihrer verwirrenden Komplexität zu überblicken und zu durchschauen. Denn Konflikte sind vielschichtig, überall treten unzählige Faktoren in beinahe unübersehbaren Verflechtungen auf.

2.  Wir sind jederzeit der Gefahr ausgesetzt, durch die Geschehnisse mitgerissen zu werden und jeglichen Boden unter den Füßen zu verlieren, der uns Halt gibt. Denn in Konflikten wird unsere ganze Person angesprochen. Unser ganzes Denken, Fühlen und Wollen wird ständigen Korrumpierungen ausgesetzt und führt zu einem Handeln, das nicht mehr von unserem Ich getragen wird. Weil wir uns selbst verlieren, darum verlieren wir den Halt. Und statt selber zu handeln, werden wir gedrängt und geschoben.

3.  Wir werden mit all unseren widersprüchlichen Licht- und Schattenseiten konfrontiert - als Konfliktpartei genau so wie als beratende Drittpartei - und wir müssen uns den ungeläuterten Seiten unserer Persönlichkeit, unserer Gruppe oder der Organisation stellen. Konflikte führen uns immer in Grenzsituationen, in denen alles davon abhängt, wie wir uns zu uns selber stellen - und in welchem Menschen- und Weltbild wir uns verankert wissen."

 


Literatur:


Berdel-Mantz, B./Mantz, M. (1996): Das Dreidimensionale Panorama in der Integrativen Supervision. In: Organisationsberatung, Supervision, Clinical Management. (2), 2/1996. S. 45-59.

Blake, R./Shepard, H./Mouton, S. (1964): Managing intergroup conflicts in industry. Ann Arbor/Huston.

Burton, J.W. (1969): Conflict and communication. London.

Dahrendorf, R. (1958): Zu einer Theorie des sozialen Konflikts. In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Tübingen.

Fisher, R. (1964) (ed.): International conflicts and behavioral science. New York.

Fromm, E. (1975): The anatomy of human destructiveness. Connecticut. dtsch.: Anatomie menschlicher Destruktivität.

Fürstenau, P. (1979): Zur Theorie psychoanalytischer Praxis. Stuttgart.

Galtung, J. (1975): Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek.

Glasl, F. (1994): Konfliktmanagement. 4. Aufl. Stuttgart.

Gordon, Th. (1977): Lehrer-Schüler-Konferenz. Hamburg.

Harrison, R. (1971): Role negotiation: A though minded approach to team development. In: Burke, W./Hornstein, H. (ed.): The social technology of organization development. Washington.

v. Hentig, H. (1965): Der Friedensschluss. München.
 
Kahn, H. (1965): On escalation, metaphors and scenarios. New York

Leymann, H. (1993): Mobbing am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. Reinbeck

Mack, R.W./Snyders, R.C. (1957): The analysis of social conflict - toward an overview and synthesis. In: Journal of Conflict Resolution. vol. 1. pp. 212-248

Mastenbroek, W.F.G. (1994): Organizational development. Newbury Park, London, New Delhi.

Mead, G.H. (1973): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt/M.

Miles, M.B. (1959): Learning to work with groups. New York.

Neuberger, O. (1994): Mikropolitik. Stuttgart

Petzold, H. (1993): Integrative Therapie. Paderborn.

Pondy, L.R. (1967): Organizational conflicts. In: Administration Science Quarterly. vo.12. pp. 296-320.

Rapoport, A. (1960): Fights, games and debates. Ann Arbor.

Richardson, L.F. (1960): Arms and insecurity. Pittsburgh.

Richter, H.E. (1967): Eltern, Kind, Neurose. Reinbeck.

Rogers, C. (1965): Dealing with psychological tensions. In: Journal of Applied Behavioral Science. vol 1. pp. 6-24.

Russett, B.M. (1963): The calculus of deterrence. In: Journal of Conflict Resolution. vol 7. pp. 97-109

Schley, W. (1995): Organisationsentwicklung und Schulkultur. Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Gestaltung und Entfaltung. In: Organisationsberatung, Supervision, Clinical Management, (2). 2/1995. S. 157-175.

Schreyögg, A. (1991): Supervision - ein integratives Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis. Paderborn

Schreyögg, A. (1995): Coaching. Eine Einführung für Praxis und Ausbildung. Frankfurt, New York.

Thelen, H. (1954): Dynamics of groups at work. Chicago.

Türk, K. (1981): Personalführung und soziale Kontrolle. Stuttgart.

Walton, R. E. (1969): Interpersonal peacemaking: confrontation an third party consultation. Mass.

Walter, H. (1993): Mobbing: Kleinkrieg am Arbeitsplatz. Konflikte erkennen und lösen. Frankfurt, New York

Watzlawik, P./Beavin, J.H., Jackson D.D. (1969): Menschliche Kommunikation. Bern, Stuttgart, Wien.

Weber, M. (1921): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss einer verstehenden Soziologie. 2. Halbb. Tübingen.