Einführung in das Modell "Integrative Supervision"

Einführung in das Modell "Integrative Supervision"

Supervision stellt heute neben  Psychotherapie und psychosozialer Beratung eine eigene Form von Beratungsarbeit dar. Im Gegensatz zu anderen Beratungsformen ist sie thematisch auf berufliche Praxis der zu Beratenden zentriert. Sie stellt dann, analog zur Psychotherapie, eine Form angewandter Sozialwissenschaften dar. Und als solche muß sie sich auf ein möglichst klar formuliertes Handlungsmodell gründen.

Die Kreation eines solchen supervisorischen Handlungsmodells bedarf aber nun einer Reihe von modelltheoretischen Vorüberlegungen; denn im Idealfall weisen ja derartige Modelle einen inneren Begründungszusammenhang auf.

So sind, bevor das eigentliche Modell, die Integrative Supervision, in ihren relevantesten Punkten dargestellt wird, folgende Fragestellungen zu klären:

I. Modelltheoretische Vorbemerkungen

- welchen Gegenstandsbereich deckt Supervision ab und auf welchen Gegenstand soll sich eine Modellkonstruktion von Supervision beziehen.

- Im Anschluß an solche Überlegungen ist zu fragen, welche Theorien und Methoden der Ansatz unterlegen soll.

- Als Beratungsform ist Supervision immer ein zwischenmenschliches Ereignis und als Beratung für professionelle Praxis verhandelt sie auch wieder zwischenmenschliche Ereignisse. Dementsprechend ist zu klären, auf welche anthropologischen Prämissen, d.h. dann genauer, auf welche ethischen Positionen, sich ein Supervisionsmodell stützen soll. 


1. Der Gegenstand von Supervision

Supervision hat sich im Verlauf der letzten 40 Jahre zu ihrer heute diskutierten Form entfaltet. Wenn es um die Präzisierung ihres Gegenstandes geht, muß diese historische Entwicklung, zumindest in wesentlichen Zügen, beleuchtet werden.

So geht unserer Systematisierung des Gegenstandes von Supervision eine knappe historische Analyse voraus (vgl. BELARDI 1992).

Übungsaufgabe 1.: Halten Sie bitte kurz inne, nehmen Sie sich ein Blatt Papier und beschreiben Sie in drei Statements, was Sie bisher unter Supervision verstanden haben. Am Ende dieses ersten Abschnittes vergleichen Sie dann Ihre Sicht mit der hier beschriebenen.

1.1. Die Gegenstandsgeschichte

Supervision entstammt ursprünglich dem administrativen und ökonomischen Bereich. Als eigenständige Beratungsform hat sie sich erst in der Sozialarbeit und in der Psychotherapie entwickelt. In den letzten Jahrzehnten dehnte sie sich immer weiter auf unterschiedliche Settings und Anwendungsfelder aus.

1.1.1. Der Begriff "Supervision"

Der Begriff "Supervision" kommt vom lateinischen "supervidere" = übersehen, Überwachen". Er bezeichnete und bezeichnet im administrativen und ökonomischen Bereich eine Vorgesetztenfunktion.

Beispiel 1.: Bei McDonalds stellt der Supervisor eine Aufsichtsperson dar, die alle Aufgabenerfüllungen der unterstellten Mitarbeiter (das Zubereiten und Verkaufen der Endprodukte) anzuleiten und zu kontrollieren hat. Supervisoren haben hier eine besondere Bedeutung, weil sie die einzigen festangestellten Personen in einer Filiale darstellen. Alle anderen Mitarbeiter sind Honorarkräfte. Meistens steht dem Supervisor noch ein Stellvertreter zur Seite. Diese beiden Supervisoren müssen zu Beginn ihrer Tätigkeit ausführliche Trainingsprogramme durchlaufen, damit sie die relativ strikten Standards für die Herstellung und den Verkauf der Produkte maximal internalisieren. In gewissen Abständen kommen "Chefsupervisoren" in die Filialen, um zu untersuchen, wie gut die Supervisoren ihre Führungsfunktion wahrnehmen. Von deren Beurteilung sind weitere Karriereschritte der Supervisoren abhängig.

Schon in der frühen Managementliteratur läßt sich eine Differenzierung in Kontrollfunktionen einerseits und Beratungsfunktionen andererseits beobachten. So beschrieben auch etwa PARKER und KLEEMEIER (1951), daß die Beratung unterstellter Mitarbeiter seitens Vorgesetzter einer differenzierten mitmenschlichen Haltung bedürfe.

1.1.2. Supervision in der Sozialarbeit und in der Psychotherapie

In sozialen Arbeitsfelder, wo es regelmäßig um Mensch-Mensch-Interaktionen geht, die im administrativen und ökonomischen Bereich immer nur einen Teil der Arbeit darstellen, wurde diese beratende Supervisionsfunktion dann immer stärker fortentwickelt. Hier finden wir

a) in der Sozialarbeit und
b) in der Psychotherapie

unterschiedliche Entwicklungen.

ad a. Supervision in der Sozialarbeit

Die Gegenstandsentwicklung von Supervision in der Sozialarbeit differenzieren WIERINGA (1979), WEIGAND (1989) und BELARDI (1992) nach drei historischen Epochen, in denen Supervision konzeptionell unterschiedlich fundiert und in je unterschiedlichen Settings praktiziert wurde.

(1) Anfänglich interpretierte man Supervision auch in der Sozialarbeit als administrative Funktion. Ein vorgesetzter Sozialarbeiter beriet und kontrollierte einen ihm unterstellten Sozialarbeiter. Supervision bestand in diesem Stadium vorrangig darin, "Newcomer" mit den spezifischen diagnostischen Kategorien und Methoden von Sozialarbeit vertraut zu machen. Hier ging es also um sachliche Fachberatung.

Supervision war in dieser Epoche meistens als Dyade angelegt, d.h. ein vorgesetzter Sozialarbeiter supervidierte einen Supervisanden.

(2) Das zweite Stadium von Supervision in der Sozialarbeit ist ganz wesentlich durch die supervisorische Tradition in der Psychotherapie geprägt, d.h. durch deren lehr- und kontrollanalytische Tradition. Jetzt kam in der Sozialarbeit in den Blick, daß sozialarbeiterische Praxis nicht nur durch diagnostische und methodische Qualifikationen des jeweiligen Professionellen beeinflußt wird, sondern auch durch personale Faktoren, die sich oft einem rationalen Zugang entziehen. Neben die sachliche Fachberatung trat jetzt eine psychotherapie-ähnliche Beratung der Supervisanden. Bei dieser sollte seine personale Beteiligung am Praxisprozeß und dabei auch seine prärationalen Muster korrigiert werden. WEIGAND (1989) und BELARDI (1992) sprechen hier von der "Psychologisierung" der Supervision.

Das bevorzugte Setting dieser Epoche blieb die Einzelsupervision, d.h. ein therapie-ähnlicher, intimer Rahmen. Erst im Verlauf der 70-er Jahre, als sich auch gruppentherapeutische Arbeit in größerem Umfang etablierte, finden wir Formen von Gruppensupervision (z.B. KERSTING 1975, LEUSCHNER 1977).

Durch ihre Nähe zur Psychotherapie löste sich Supervision nun zunehmend aus dem administrativen Bereich und wurde ihres Kontrollcharakters zu entkleiden versucht. Darüber hinaus dehnte sie sich auf immer breitere Personengruppen, wie Ausbildungskandidaten der Sozialarbeit, fertige Sozialarbeiter und andere Berufsgruppen aus agogischen Feldern, aus.

(3) Das nächste, bzw. zeitgenössische Stadium von Supervision in der Sozialarbeit wird von WEIGAND durch zunehmende "Soziologisierung" charakterisiert. Da sozialarbeiterische Praxis meistens in organisatorische Systeme eingebunden ist, lag es nahe, diesen Kontext auch in der Supervision zu berücksichtigen. So finden wir seit Anfang der 80-er Jahre eine Vielzahl von Publikationen, die den Kontext zu thematisieren sucht. Dabei bleibt allerdings meistens unklar, auf welchem konzeptionellen Hintergrund, theoretischer wie methodischer Art, das organisatorische System in die Supervision einbezogen werden soll. Bei den meisten Autoren finden wir auch hier wieder "Psychologisierungen", da die Wirkungen der Institution bzw. Organisation am häufigsten mit psychoanalytischen Mustern erklärt werden (z.B. GAERTNER/WITTENBERGER 1979).

Neben die Einzel- und Gruppensupervision tritt jetzt die "Teamsupervision", d.h. die Supervision organisatorischer Einheiten. Dabei wird dann gelegentlich der Anspruch erhoben, daß Supervision in solchem Setting Nähe zur Organisationsberatung aufweist, oder sich zumindest mit ihr überschneidet (vgl. WEIGAND 1982, GOTTHARD-LORENZ 1989, BELARDI 1992).

ad b. Supervision in der Psychotherapie

Konzeptionelle Entwicklungen von Supervision sind im psychotherapeutischen Bereich ganz zentral an einen jeweiligen psychotherapeutischen Ansatz gekoppelt. Supervision diente hier ursprünglich in erster Linie als didaktische Maßnahme von Psychotherapeutenausbildungen. Erst im weiteren Verlauf wurden auch berufstätige Psychotherapeuten und andere Berufsgruppen mit psychotherapie-orientierten Supervisionsansätzen beraten.

(1) Formen sachlicher Fachberatung

finden wir auch in diesem Bereich. Besonders in der Verhaltenstherapie geht es in der Supervision um die Auseinandersetzung

mit den planmäßigen Deutungs- und Handlungsmustern des Psychotherapeuten (LAZARUS 1971).

(2) Psychotherapie-ähnliche Beratung in der Psychoanalyse

hatte für die gesamte Supervisionsliteratur wegweisenden Charakter. Unter Rückgriff auf die sogenannte Kontrollanalyse der psychoanalytischen Ausbildung wurden hier Beratungsformen entwickelt, wo es anhand der Fallarbeit eines Ausbildungskandidaten besonders um die Aufdeckung seiner historisch entstandenen Defizite gehen sollte.

(3) psychotherapie-ähnliche Beratung in humanistisch-psychologischen Verfahren

begegnet uns in der klienten-zentrierten Psychotherapie oder der Gestalttherapie. Im Gegensatz zur psychoanalytisch orientierten Supervision sollten neben personalen Defiziten auch Persönlichkeitserweiterungen durch Supervision stattfinden (vgl. TRUAX/ CARKHUFF 1967, FLEMING/BENEDEK 1966).

Das bevorzugte Setting in psychotherapeutisch orientierter Supervision war in der Regel die Dyade.

1.1.3. Die Ausdehnung von Supervision

Supervision dehnte sich in der Folgezeit nicht nur auf

a. unterschiedliche soziale Konstellationen,
b. unterschiedliche Settings, sondern auch
c. unterschiedliche Arbeitsfelder aus.

ad a. Die Ausdehnung auf unterschiedliche Rollenkonstellationen

Von ihren Ursprungskonstellationen, der Vorgesetzten-Untergebenen-Relation in der Sozialarbeit und der Ausbilder-Ausbildungskandidaten-Relation in der Psychotherapie dehnte sich Supervision, die zunehmend als eigenständige Beratungsform entwickelt wurde, immer weiter auf unterschiedliche soziale Konstellationen aus. Wir finden heute folgende strukturelle Anordnungen:

- Supervision eines unterstellten Mitarbeiters durch seinen Vorgesetzten

- Supervision eines Aus-/Fortbildungskandidaten durch einen Aus-/Fortbildner

- Supervision von "Kollegen" durch organisationsinterne Supervisoren

- Supervision von einzelnen Supervisanden oder von Teams durch organisationsexterne Supervisoren.

Übungsaufgabe 2.: Überlegen Sie bitte anhand der beschriebenen Rollenkonstellationen, welche Sie als Supervisand und welche Sie als Supervisor bevorzugen würden. Notieren Sie sich bitte kurz eine jeweilige Begründung.

ad b. Die Ausdehnung auf unterschiedliche Settings

Das Ursprungssetting von Supervision war, wie das traditionelle Setting von Psychotherapie, als Dyade strukturiert. Im weiteren Verlauf, vorrangig durch die Entwicklung gruppentherapeutischer Ansätze, wurde auch Supervision zunehmend zum "Mehrpersonensetting". Dabei finden wir hier zwei unterschiedliche Konstellationen, die "Gruppen"- und die "Teamsupervision". Bei der Gruppensupervision handelt es sich um ein Setting, bei der Personen aus unterschiedlichen Arbeitsplätzen zu einer gemeinsamen Sitzung  mit einem Supervisor zusammentreffen.

Bei der Teamsupervision dagegen handelt es sich um eine Konstellation, bei der eine ständig kooperierende Arbeitsgruppe durch einen Supervisor beraten wird. Hier finden wir in der Sozialarbeit und in der Psychotherapie unterschiedliche konzeptionelle Orientierungen (KERSTING 1975, LEUSCHNER 1977, BALINT 1957, COHN 1975 usw.).

Die aktuelle Entwicklung in der Auseinandersetzung mit diesen Mehrpersonen-Settings besteht im wesentlichen darin, daß gruppentherapeutische Ansätze auch auf organisatorische Zusammenhänge angewandt werden (vgl. SCHREYÖGG 1989).

ad c. Die Ausdehnung auf unterschiedliche Arbeitsfelder

Im Verlauf der Professionalisierung von Supervision bzw. der Etablierung von Supervision als eigenständiger Beratungsform dehnte sie sich weit über ihre Ursprungsfelder, die Sozialarbeit und die Psychotherapie aus. Heute finden wir Supervision in fast allen beruflichen Zusammenhängen, wie der Beratung von Managern, Pädagogen, Theologen usw. Wie schon bei PARKER und KLEEMEIER (1951) gefordert, soll durch Supervision generell die zwischenmenschliche Relation zwischen Berufstätigen und ihren Untergebenen, Vorgesetzten, Kunden, Klienten usw. in der Supervision gefördert werden.

1.2. Präzisierung des Gegenstandes von Supervision

Wenn wir die historische Entwicklung von Supervision zusammenfassend charakterisieren, ergeben sich vier grundlegende Bestimmungsmerkmale:

- Inhaltlich ist sie auf die Auseinandersetzungen mit sozialen Handlungsvollzügen von Praktikern zentriert. Sie sucht diese günstig zu beeinflussen. Dabei sind drei potentielle Beratungsaufgaben relevant, kognitiv orientierte Fachberatung, psychotherapie-ähnliche Beratung und Organisationsberatung.

- Diese thematischen Auseinandersetzungen mit ihren potentiellen Beratungsaufgaben stehen in einem jeweiligen kontextuellen Rahmen. Dieser kann prinzipiell danach variieren, wie viele Supervisanden an der Supervision teilnehmen und wie stark der Kontext institutionalisiert ist, d.h. in welcher Weise er an ein organisatorisches System angebunden ist. Entsprechend dieses Kontextes ergeben sich dann unterschiedliche formale Rollenkonstellationen in der Supervision.

- Diese thematischen Auseinandersetzungen mit ihren jeweiligen Beratungsaufgaben, die in einem jeweiligen Kontext stehen, realisieren sich nun in konkreten supervisorischen Beziehungen.

- Themen und Beziehungen, die in einem jeweiligen Kontext stehen, charakterisieren eine jeweilige supervisorische Situation. Diese muß vom Supervisor als professionellem Aktor entsprechend einem konzeptionellen Ansatz gehandhabt werden.

1.2.1. Die Inhalte von Supervision

Wenn Supervision auf die Auseinandersetzung mit professionellen Handlungsvollzügen gerichtet ist, ergeben sich ihre Inhalte aus den Elementen, durch die professionelle Praxis charakterisiert ist.

Der Supervisand benötigt als Fachperson für sein Handeln gegenüber dem Klienten zunächst Deutungs- und Handlungsmuster, die an irgendeinen konzeptionellen Ansatz gebunden sind. Als solche lassen sich spezifische Diagnosen und methodische Maßnahmen bezeichnen. Diese verwendet der Professionelle dann "planmäßig".

Als Mensch wird der Supervisand darüber hinaus oft auch nicht-planmäßig deuten und handeln, d.h. in jede Interaktion mit Klienten fließen auch nicht-planmäßige Muster ein. Sie resultieren aus den historischen Erfahrungen des Supervisanden, also aus seiner "Horizontstruktur" (GRAU-MANN/METRAUX 1977). Sie resultieren aber auch aus dem aktuellen interaktiven Geschehen mit dem Klienten. Das sind dann einerseits Übertragungs- und Gegenübertragungsmuster oder andere lebensweltlich erworbene Typisierungsschemata (BERGER/LUCKMANN 1966) und andererseits z.B. beidseitig entwickelte Rollendefinitionen (MEAD 1973).

Die Interaktionen des Supervisanden mit Klienten finden nun aber nicht in einem Vakuum statt, sondern als professionelle Interaktionen stehen sie immer in einem institutionalisierten Kontext. Dieser besteht heute meistens in einem organisatorischen System. Es definiert durch seine formalen Strukturmuster die Funktion und Position des Supervisanden gegenüber dem Klienten, aber auch gegenüber Kollegen, Vorgesetzten usw. (KIESER/KUBICEK 1983).

Solche organisatorischen Systeme weisen neben formalen Mustern immer informelle auf, wie "politische Prozesse"  (ALLISON 1976), bestimmte "Kulturen" (SCHEIN 1984) usw., von denen ein Supervisand als Organisationsmitglied automatisch erfaßt ist.

So wird das konkrete Deuten und Handeln von Supervisanden im gesamten Praxiszusammenhang hochgradig durch diesen institutionalisierten Kontext mitbestimmt (durch seine formalen und informellen Variablen). Über seine Person wirken die organisatorischen Muster auf die konkreten Praxisinteraktionen ein.

Als potentielle Themen von Supervision kommen nun alle diese Bestimmungsmerkmale von Praxis in Frage, so wie sie sich in der Person des Supervisanden manifestieren. Das sind dann die planmäßigen und nicht-planmäßigen Deutungs- und Handlungsmuster von Supervisanden gegenüber Klienten und gegenüber dem Kontext. Als "praxisrelevante" Muster des Supervisanden stellen sie die potentiellen Inhalte supervisorischer Veränderungsarbeit dar.

Bei der Bearbeitung dieser Themen ergeben sich nun in der Supervision unterschiedliche Beratungsaufgaben: Alle planmäßigen Muster von Supervisanden gegenüber Klienten, die einer rationalen Reflexion zugänglich sind, bedürfen zu ihrer Bearbeitung des rationalen Dialogs zwischen Supervisor und Supervisand. Es handelt sich dann um "kognitiv orientierte Fachberatung" im Hinblick auf die Klientenarbeit.

Die nicht-planmäßigen Muster gegenüber Klienten lassen sich aber nicht über solche rationalen Dialoge verändern. Als prärationale Muster sind sie sinnvollerweise mit psychotherapie-orientierten Arbeitsweisen anzugehen. In solchen Fällen ist Supervision "psychotherapie-ähnliche" Beratung im Hinblick auf die Klientenarbeit.

In vielen anderen Fällen kann es sich als notwendig und aussichtsreich erweisen, daß der Supervisand über eine Veränderung seiner Deutungs- und Handlungsmuster auch die Variablen des Kontextes korrigiert. Dann ergeben sich in der Supervision sogar Aufgaben von Organisationsberatung (SCHREYÖGG 1991).

Beispiel 2.: Ein alternativer Verlag bittet um Teamsupervision, weil sich "die Fronten zwischen zwei Teilgruppen der Firma verfestigt haben." Schon in der ersten Sitzung stellt sich heraus, daß die eine Gruppe von Organisationsmitgliedern, vor allem die "Gründungscrew" an ursprünglich entwickelten, sehr improvisatorischen Koopperationsformen festehalten will. Nachdem aber das System auf 10 Personen angewachsen war, argumentierten die neu eigetretenen Kolleginnen und Kollegen, daß alle Arbeitsabläufe stärker formalisiert werden müßten. Die ursprünglich als "personale Probleme" beschriebenen Komplikationen erwiesen sich schnell als unterschiedliche Vorstellungen über die Handhabung innerorganisatorischer Vollzüge. Im weiteren Verlauf der Teamsupervision ging es dann um eine Auseinandersetzung mit diesen, nun reflektierbaren Handlungsvollzügen.

1.2.2. Der kontextuelle Rahmen von Supervision

Supervision ist aber auch wieder institutionalisierte Praxis, d.h. auch sie steht in einem kontextuellen Rahmen. Dieser bestimmt seinerseits die Interaktion zwischen Supervisor und Supervisand planmäßig wie nicht-planmäßig.

Je nachdem, wie viele Supervisanden an der Supervision teilnehmen, und ob die supervisorische Situation in einem Ausbildungsinstitut, in einer Klinik usw. stattfindet, färben sich nicht nur die aktuell im Vordergrund stehenden Themen ein, sondern auch die Beziehungen zwischen Supervisor und Supervisand wie auch die unter den Supervisanden. Wir können hier folgende Konstellationen unterscheiden:

- Das Mehr- und das Einpersonen-Setting, d.h. die Gruppen- und Teamsupervision differiert als formale Anordnung von der Einzelsupervision.

- Und wir können den kontextuellen Rahmen von Supervision danach unterscheiden, wie stark er institutionalisiert ist.

Dabei ist es sinnvoll im Sinne einer heuristischen Kategorisierung drei Grade von Institutionalisierung zu differenzieren:

(1) Hochinstitutionalisierte supervisorische Situationen finden nicht nur in organisatorischen Kontexten statt, sondern sie implizieren auch eine formale Rollenkonstellation von Supervisor und Supervisand, bzw. Supervisanden. Das sind dann Supervisionen zwischen Vorgesetzten und unterstellten Mitarbeitern, aber auch solche, wo ein externer Supervisor kooperierende Arbeitsgruppen berät.

(2) Als Supervisionssituationen mit einem "mittleren Grad an Institutionalisierung" wollen wir die bezeichnen, wo zwar ein institutionalisiertes Sozialsystem den Hintergrund bildet, die Beziehungen der Supervisanden untereinander aber nicht formal vorgeregelt sind. Das sind dann Supervisionen im Rahmen von Aus- und Weiterbildungen.

(3) "Schwach institutionalisierte Supervisionssituationen sind all diejenigen, bei denen ein "freier Supervisor" "freie Supervisanden" berät. Das sind dann Rollenkonstellationen ohne organisatorischen Hintergrund und ohne formale Vorregelungen der Beziehungen.

1.2.3. Die supervisorischen Beziehungen

Je nach dem Setting und je nach dem Institutionalisierungsgrad, den eine supervisorische Situation aufweist, werden die Beziehungen der Supervisanden untereinander, aber auch die zum Supervisor sehr unterschiedlich sein. In hoch institutionalisierten Situationen, wie es die Supervision von organisatorischen Systemen oder Teilsystemen darstellt, werden die Beziehungen automatisch einen formaleren Charakter aufweisen, als die Beziehungen von Gruppensupervisanden, die unterschiedlichen, organisatorischen Systemen entstammen. Und bei der Einzelsupervision werden sich durch das therapie-ähnliche Setting im Verlauf der gemeinsamen Arbeit dichtere und intensivere Bezüge zwischen Supervisor und Supervisand ergeben, als in einem Mehrpersonensetting.

Beispiel 3.: Im Verlauf der Supervision eines Ingenieurs, der für eine internationale Firma Kraftwerke zu verkaufen hatte, kamen zunächst allerlei Probleme mit seinen Kunden zur Sprache, die der Supervisand vorrangig sachlich vortrug. In der 12. Supervisionsstunde druckste er auffallend herum, bis er zuerst langsam, dann immer deutlicher von seinem "Ehekrieg" erzählte. Die daraufhin ausgebreitete Interaktionsdynamik zu seiner Frau erhellte nun nachträglich eine Vielzahl von Kommunikationsproblemen, die er bisher mit seinen Kunden berichtet hatte.

Übungsaufgabe 3.: Können Sie sich vorstellen, daß solche Themen in der Supervision von berufsgleichen Gruppen auftreten? Notieren Sie sich kurz, unter welchen Voraussetzungen das möglich wäre oder warum es für Sie nicht denkbar ist.

1.2.4. Der Supervisor als professioneller Aktor

Um alle diese supervisorischen Situationen mit ihren je spezifischen Beziehungen und Themen in ihrem jeweiligen Kontext angemessen zu "beantworten", benötigt nun auch der Supervisor, als professioneller Aktor, planmäßige Deutungs- und Handlungsmuster, die auf dem Hintergrund eines konzeptionellen Ansatzes stehen. Er braucht also ein supervisorisches Modell mit einer entsprechenden "Wissensstruktur", an der er sein Handeln ausrichten kann.

 

Literaturhinweise

Zur Geschichte von Supervision

Belardi, N., Supervision - von der Praxisberatung zur Organisationsentwicklung, Junfermann, Paderborn 1992

Weigand, W., Sozialarbeit - das Ursprungsland der Supervision, in: Integrative Therapie, 3-4/1989, S. 248-259

Grundlagenliteratur/Übersichtswerke

Schreyögg, A., Supervision - ein integratives Modell, Lehrbuch zu Theorie und Praxis, Junfermann, Paderborn 1992 (2. Aufl.)

Pühl, H. (Hrsg.), Handbuch der Supervision, Edition Marhold, Berlin 1994

Wilker, K.-H.(Hrsg.), Supervision - aus der Praxis für die Praxis, Psychologen-Verlag, Köln 1994

Fatzer, G. & Eck, C.D.(Hrsg.), Supervision und Beratung - ein Handbuch, Edition Humanistische Psychologie, Köln 1990

Zur Supervision in anderen Feldern

(Theologie) Andriesen, H.C.J. & Miethner, R., Praxis der Supervision, Beispiel: Pastorale Supervision

(Pädagogik) Palasch, W., Supervision, neue Formen beruflicher Praxisbegleitung in pädagogischen Arbeitsfeldern, Weinheim, Juventa Verlag 1991

(Wirtschaft) Gregor-Rauschtenberger, B. & Hansel, J., Innovative Projektführung, erfolgreiches Führungsverhalten durch Supervision und Coaching, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York usw. 1993

(Wirtschaft) Looss, W., Coaching für Manager, Problembewältigung unter 4 Augen, Verlag moderne Industrie, Landsberg/Lech 1993 (3. Auflage

(Polizei) Ricken, H.-J., Supervision in der Polizei. Supervision im Spannungsfeld polizeilicher, supervisorischer und psychologischer Wertvorstellungen, in: Forum Supervision 3/1994, S. 127-137