Geplanter organisatorischer Wandel

V. Geplanter organisatorischer Wandel


Wie im letzten Abschnitt deutlich wurde, sind Organisationen laufend Wandlungsprozessen unterworfen. Sie ergeben sich durch externe und interne Bedingungen von selbst, d.h. ohne jede Planung. Um eine andere Kategorie von Wandlungsprozessen handelt es sich bei "geplantem organisatorischem Wandel."

1. Begriff und konzeptionelle Grundmuster

Auch hierzu wollen wir zunächst den Begriff und die heute relevantesten konzeptionellen Grundmuster, aber auch das Verhältnis zur Supervision umreißen.

1.1. Der Begriff "organisatorischer Wandel"

Von "geplantem organisatorischem Wandel" spricht man, wenn Organisationen bewußt und geplant verändert werden sollen. In diesem Zusammenhang geht es also um gezielte Maßnahmen, die im allgemeinen als "Organisationsberatung" oder "Organisationsentwicklung" bezeichnet werden.

1.2. Zum Verhältnis von Supervision und Organisationsberatung 

In unseren Zusammenhang ist zunächst zu fragen, in welchem Verhältnis Supervision und Organisationsberatung stehen.

Während Supervision in einem ursprünglichen Verständnis nur auf die Veränderung einzelner Berufstätiger abzielte, strebt Organisationsberatung den "Wandel von Organisationen" als Veränderung von gesamten Sozialsystemen an. In der Realität finden wir aber heute eine Vielzahl von Überschneidungen der beiden Beratungsformen. In der Supervision fallen nämlich oft Aufgaben von Organisationsberatung an und in der Organisationsberatung Aufgaben von Supervision.

So begegnet uns in der Teamsupervision ein Setting, bei dem die Organisationsentwicklung immer eine gewisse Rolle spielt.

Beispiel 29.: Das 15 Personen zählende Team einer stationären Einrichtung für Psychotherapie kommunizierte in der Supervision und auch sonst im allgemeinen sehr flüssig über die Klienten, über die internen Beziehungen und die Kooperationsformen. Als die Einrichtung aus Kostengründen die Zahl der Klienten verdoppeln mußte, womit auch eine Vergrößerung des Teams einherging, stockte die Kommunikation der Teammitglieder. Die Vergrößerung brachte es mit sich, daß eine Vielzahl neuer Kooperationsformen entwickelt werden mußten. Die Supervision des Teams zentrierte sich nun thematisch vorrangig um die Entwicklung neuer Muster für die Zusammenarbeit, was formale und nicht-formale Phänomene der gesamten Einrichtung berührte.

Umgekehrt soll bei manchen Formen von Organisationsberatung, die bei "Rollenberatung" (SIEVERS/AUER-HUNZINGER 1991) oder beim "Coaching" (LOOSS 1993 u.a.) starten, über die Förderung einzelner Personen die Entwicklung ganzer organisatorischer Systeme stattfinden.

Beispiel 30.: Die Managerin eines großen Fortbildungsinstitutes fragte um Coaching an, weil sie ihren unterstellten Mitarbeitern mehr Kompetenzen geben wollte. Sie merkte aber im Verlauf ihrer ersten Umstrukturierungsversuche, daß sie die Mitarbeiter leicht überforderte und dann streng und ungeduldig reagierte. Im Coaching-Prozeß verbesserte sie ihre sozialen Management-Kompetenzen, so daß es ihr zunehmend gelang, die "richtig" dosierten Anforderungen an die "richtigen" Mitarbeiter zu stellen.

Angesichts solcher Überschneidungen ist es für Supervisoren nicht unerheblich, die heute gängigsten Konzepte für die Organisationsberatung zu kennen, damit sie diese bei Bedarf in ihre supervisorische Arbeit integrieren können.

1.3. Konzeptionelle Grundmuster

Wie in der Supervision finden wir auch für den geplanten organisatorischen Wandel eine Reihe von konzeptionellen Grundmustern, nach denen Organisationsberater tätig sind. Die jeweiligen Handlungsstrategien von Beratern bestimmen sich vorrangig nach den Perspektiven, mit denen sie organisatorische Systeme diagnostizieren.

Diese Strategien mit ihren jeweiligen Diagnostiken lassen sich nach drei übergeordneten Konzeptgruppen gliedern:

- Der überwiegende Teil von Organisationsberatern begreift Organisationen maschinen-ähnlich. Ihre Aufgabe sehen sie dementsprechend in einer "technischen" Korrektur von Systemen. 

- Eine andere Gruppe von Ansätzen, die in deutlicher Abgrenzung zur ersten entwickelt wurde, sieht Organisationen als "Organismen" oder als "Kultursysteme". "Organisationsentwicklung" erscheint hier als "psychotherapie-ähnlicher" Prozeß bzw. als "klinische Korrektur".

- Die jüngsten Ansätze zur Organisationsberatung dagegen definieren Organisationen als komplexe soziale Systeme mit einer je eigenen Dynamik. Organisatorischer Wandel wird hier als "Dialogprozeß" zwischen einem Berater und und einem organisatorischen System verstanden.

2. Organisatorischer Wandel als "technische Korrektur"

Die Mehrzahl aller Organisationsberater operiert bis heute auf dem Hintergrund traditioneller Organisationskonzepte. Sie folgen damit Ansätzen, die bis auf die Bürokratieforschung zurückreichen. Solche Beratungskonzepte betrachten Organisationen nur unter formalen Gesichtspunkten, so wie sie in einem der vorhergehenden Abschnitte als formale Variable beschrieben wurden.

Geplante organisatorische Veränderung besteht dann lediglich in einer technischen Korrektur von formalen Variablen. Anläßlich von Krisen sollen Berater nach eingehenden Analysen vom Schreibtisch aus, eine neue, "bessere" Struktur entwerfen. Sie geben dann noch einige technische Anweisungen zur Umstellung auf den neuen Organisationsplan und betrachten ihre Aufgabe damit als beendet.

Übungsaufgabe 23.: Erinnern Sie sich noch an die wichtigsten formalen Variablen und Determinanten? Schreiben Sie diese zu Ihrer Kontrolle auf.

2.1. Konzepte

In dieser Gruppe von Ansätzen finden wir allerdings entsprechend den generellen Entwicklungen der Organisationstheorie auch wieder eine Reihe unterschiedlicher Konzepte:

- Ein Teil von ihnen betrachtet die Organisation bis heute als in sich geschlossene Monade und will formale Variable dieser Monade korrigieren.

- Ein anderer Teil stellt vorrangig Relationen zwischen Organisation und Umwelt heraus. Die Korrektur besteht dann in der auf Umweltsegmente abgestimmten Neustrukturierung von Subsystemen. Neuere Konzepte, die technische Korrekturen befördern wollen, versuchen

- "schlanke" Organisationsstrukturen zu implementieren.
 
2.1.1. Die technische Korrektur einer Monade

Im Anschluß an die Bürokratieforschung wurde eine Organisation ursprünglich als hochspezialisierte Maschine betrachtet, die nur in sich stimmig "eingerichtet" werden muß, damit sie wieder gut funktioniert. Berater untersuchten dann, inwieweit ein System in seinem Innenraum über formale Strukturen verfügt, "die klare Kompetenz- sowie Verantwortungszuordnungen schaffen" und "die sachlogisch" begründet sind (STAEHLE 1991).

Nach eingehenden Analysen legen sie dann neue Organisationspläne vor. Diese enthalten präzise Anordnungen arbeitsteiliger Positionen und ihrer Vernetzung, enthalten exakte Bestimmungen des hierarchischen Gefüges, klare Standardisierungen für alle Arbeitsabläufe usw. (STAEHLE 1991).

2.1.2. Die technische Korrektur von umweltabhängigen Teilsystemen

Seit Ende der 60er Jahre flossen neue Ansätze in die Organisationsberatung ein. In ihnen wird auf dem Hintergrund vielfältiger empirischer Untersuchungen postuliert, daß organisatorische Systeme solche Strukturen entfalten müssen, die möglichst gut mit der Systemumwelt korrespondieren (LAWRENCE/ LORSCH 1969). Genauer gesagt, die jeweiligen Subsysteme einer Organisation, wie z.B. Betriebs- und Produktionsabteilung, sollten eine je eigene Struktur erhalten, damit sie den Anforderungen "ihrer" jeweiligen Subumwelten möglichst gut entsprechen können.

Auf diesem konzeptionellen Hintergrund haben Berater zu untersuchen, inwieweit die Strukturen von Subsystemen mit ihren jeweiligen Umwelten in Übereinstimmung stehen. Darauf haben sie Vorschläge zu unterbreiten, wie die Strukturen der jeweiligen Subsysteme auf die Umwelten abgestimmt werden müssen, bzw. wie sie im Sinne maximaler Korrespondenz beschaffen sein sollen.

2.1.3. Die technische "Abmagerungskur"

Bei den neuesten Organisationsberatungsmodellen, die sich auf die Lean Organization beziehen, geht man davon aus, daß strikte Arbeitsteiligkeit und Hierarchisierung in vielen Bereichen keineswegs effizient ist, sondern gegenläufige Konsequenzen hat.

Wie in einem vorhergehenden Abschnitt schon verhandelt, war dabei vor allem die Konfrontation mit äußerst erfolgreichen japanischen Unternehmen relevant. Deshalb propagieren Berater heute eine Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen und betonen, daß auf diese Weise eine viel größere Innovationsbereitschaft und Kreativität bei einzelnen Mitarbeitern mobilisiert wird - und damit auch Effizienz und Effektivität im Gesamtsystem (CORSTEN/WILL 1993). Berater, etwa in der Automobilbranche (SPRINGER 1993, THÖNNES 1993), fahnden nun nach "verkrusteten" Strukturmustern und vor allem einer nicht effizienten Verteilung von Entscheidungskompetenzen.

Sie schlagen dann auch meistens formale Korrekturen vor. Diese bestehen in der Verlagerung von Entscheidungsprozessen auf untere hierarchische Ebenen und den Abbau extremer Arbeitsteiligkeit. Am Ende von "Abmagerungskuren" sollen Organisationen einen geringeren Formalisierungsgrad aufweisen, d.h. weniger Hierarchie-Ebenen, ein geringeres Maß an Arbeitsteiligkeit und einen geringeren Standardisierungsgrad.

2.2. Bewertung

Wie STAEHLE (1991) anmerkt, folgen alle diese Ansätze einem "organisatorischen Konservativismus" und zeugen damit auf seiten von Beratern wie Auftraggebern von Ingnoranz gegenüber neueren Entwicklungen der Organisationsforschung. Sie lassen sich in pragmatischer und vor allem in anthropologischer Hinsicht kritisieren.

(1) Bewertung in pragmatischer Hinsicht

Unter pragmatischen Gesichtspunkten ist es fast unglaublich, daß auch renommierte Beraterfirmen bis heute derartig überholten Vorstellungen von organisatorischen Zusammenhängen folgen. Auf der Basis des Maschinenmodells "glauben" sie, daß ein soziales System beliebig manipulierbar ist. Die vielfältigen informellen Phänomene von Organisationen, die allgegenwärtig sind und vor allem bei Korrekturen formaler Variablen virulent werden, bleiben hier perspektivisch ausgeblendet.

In der Realität erweisen sich solche Beratungsaktivitäten für die Unternehmen oft als unsinnige Investition. Bei vielen Firmen liegen die neuen Organisationspläne nämlich nur in den Schubladen, weil sie sich im System als nicht durchsetzbar erweisen. Wenn die empfohlenen Korrekturen durch übergeordnete Instanzen erzwungen werden, widersetzen sich die Organisations-Mitglieder meistens offen oder indirekt. In manchen Fällen führt das bis zur Destruktion eines Systems.

Beispiel 31 a.: Der "Arbeiterfrauenverein" in Wien besteht seit 45 Jahren. Er resultierte aus Initiativen sozialistischer Frauen, die sich ursprünglich in der Haus- und Altenpflege ehrenamtlich engagierten. Die Mitarbeiterinnen waren jedenfalls traditionell "Nur-Hausfrauen", die im weiteren Verlauf der Entwicklung des Systems auch eine finanzielle Vergütung erhielten. Seit Beginn der 90er Jahre bildeten sich in Wien und Umgebung zunehmend weitere Systeme für die Haus- und Altenpflege, die entsprechend neueren Standards, jeweils über eine gewisse Anzahl von ausgebildeten Krankenpflegerinnen oder Sozialarbeiterinnen verfügten. Die Leitung des Arbeiterfrauenverein befürchtete nun, daß das eigene System auf Dauer nicht mehr konkurrenzfähig sei. Aus diesem Grund beauftragten sie eine schweizerische Unternehmensberatungsgesellschaft. Diese gab nun Empfehlungen zur "Professionalisierung" des Arbeiterfrauenvereins. Die Zimmer wurden modern eingerichtet, zu großen Teilen combuterisiert, in jeder Abteilung Professionelle zur Leitung angestellt usw. Die "Nur-Hausfrauen" fühlten sich zunächst geehrt über die hohe Aufmerksamkeit, die sie nun erfuhren. Nach einigen Monaten entwickelte aber eine Vielzahl von ihnen psychosomatische Symptome. Sie beobachteten die neuen Professionellen äußerst skeptisch, einige wurden sogar Opfer von Mobbing-Prozessen. In der darauffolgenden Zeit zeigte sich im gesamten System eine außergewöhnlich hohe Rate von Fehlzeiten.

(2) Bewertung in anthropologischer Hinsicht

Unter anthropologischen Gesichtspunkten müssen solche technischen Korrekturen vielfach als hochgradig inhuman bezeichnet werden, denn Organisationsmitgliedern als Subjekten wird hier nicht Rechnung getragen. Ja, viele derartige Beratungen sind durch eklatante Respektlosigkeit gegenüber Menschen und menschlichen Systemen charakterisiert. Der Berater als "allwissender Magier" und "Krisenmanager" "verordnet" über die Köpfe der betroffenen Menschen eine neue Binnenstruktur, die idealiter von übergeordneten Instanzen durchgesetzt werden soll.

Beispiel 31 b.: Die ursprünglichen Mitarbeiterinnen des Arbeiterfrauenvereins hatten ein hausfrauen-spezifisches Symbolsystem entwickelt. Sie trugen immer spezielle Kittelschürzen, versorgten bei der kleinsten Gelegenheit zum Feiern ihre Kolleginnen mit großen Ladungen mitgebrachter Kuchen und beschmierten Brötchen, brachten immer wieder stolz kleine Pflänzchen in die Arbeit, die sie aus Ablegern gezogen hatten usw. Für die neuen Professionellen wirkten diese kulturellen Muster zu großen Teilen nicht nur befremdlich, sondern auch ärgerlich; denn sie hatten ja einen Beruf erlernt, um solchen "Hausfrauenspäßchen zu entgehen." Im weiteren Verlauf büßten aber auch die "Nur-Hausfrauen" ihre Sicherheit ein. Rechte Freude kam bei den altbewährten Ritualen nicht mehr auf. Zuletzt machte sich bei ihnen eine generelle Verunsicherung breit.

3. Organisatorischer Wandel als "klinische Korrektur"

Besonders die Probleme pragmatischer und anthropologischer Art, die mit technischen Korrekturen einhergehen, waren ausschlaggebend für die Entwicklung alternativer Organisationsberatungskonzepte. Seit den 70er Jahren setzte sich bei vielen Organisationsberatern die Einsicht durch, daß Organisationen, dementsprechend auch geplanter organisatorischer Wandel, keineswegs nur mit formalen organisatorische Muster zu erfassen sind. Von nun an interessierten sich viele Berater für das "Informelle" in Organisationen. Wir haben diese Gruppe organisationstheoretischer Ansätze schon im Zusammenhang mit nicht-planmäßigen Mustern von Organisationen verhandelt.

Übungsaufgabe 24.: Erinnern Sie sich an Ansätze, die nicht-planmäßige Muster von Organisationen erklären? Notieren Sie diese bitte mit ihren argumentativen Grundmustern auf ein Blatt Papier.

Das Handeln von Beratern erschöpft sich jetzt nicht mehr in technischen Korrekturen, sondern nun gilt es, ein System bei Krisen wie einen Patienten in der Psychotherapie zu verändern. Dies soll in einem systemkonformen Tempo und unter ausdrücklicher Mitbeteiligung aller betroffenen Organisationsmitglieder geschehen.

3.1. Konzepte

Entsprechend der Vielfalt von Ansätzen zur Analyse nicht-formaler Muster in Organisationen, finden wir hier auch wieder unterschiedliche konzeptionelle Zugänge. Ein Teil von Beratern zentriert sich auf die Auseinandersetzung mit

- Kleingruppenphänomenen. Dann steht eine "klinische Korrektur" von Gruppenphänomen im Vordergrund. Ein anderer Teil von Beratern zentriert sich auf die Auseinandersetzung mit

- innerorganisatorischen Interessengegensätzen. Organisationsberatung besteht dabei in der "klinischen Korrektur" von politischen Prozessen. Und wieder ein weiterer Teil

- beschäftigt sich mit "Organisationskulturphänomenen". Dann geht es um die "klinische Korrektur" organisationskultureller Muster.

3.1.1. Die klinische Korrektur gruppaler Phänomene

Ausgangspunkt dieser Gruppe von Beratungsansätzen war im Prinzip die Überzeugung, daß jede Umstrukturierung formaler organisatorischer Muster von der Einstellung der Organisationsmitglieder gegenüber der angestrebten Veränderung abhängig ist. Auf dem Hintergrund solcher Überlegungen widmete man sich ausführlich "Veränderungswiderständen" als gruppalen Phänomenen (WATSON 1975). Entsprechend den Forschungen LEWIN's (1958) zur Änderung von Einstellungen und einem von ihm entwickelten Prozeßmodell suchte eine ganze Generation von Organisationsberatern nun neuartige Verfahrensweisen für organisatorischen Wandel zu entwerfen.

Vertreter solcher Ansätze fahnden vorrangig nach informellen Strukturbildungen in einzelnen Arbeitsgruppen und übergreifenden Gremien.

LEWIN betrachtete Kleingruppen mit ihren ausgeprägten kommunikativen Möglichkeiten als entscheidendes Medium für Einstellungsänderungen bei Menschen. Dem Organisationsberater kam dabei die prozessual verstandene Aufgabe zu, Bereitschaft für Veränderung zu erzeugen (anfreezing), bei der Veränderung Unterstützung zu geben (change) und die Einstellungsänderung zu festigen (refreezing). Auf dem Hintergrund dieser Konzeption sollten die Organisationsmitglieder an allen Veränderungsprozessen umfassend beteiligt werden. Sie erhielten nicht nur vielfältige Informationen über die geplanten Veränderungen, sie nahmen schon an der Planung von Veränderungen selbst teil. Dabei wurde entsprechend LEWINscher Forschung die Kleingruppe, d.h. eine organisatorische Einheit, als das entscheidende Wandlungsmedium betrachtet.

Diese Beratungsansätze zielen damit nicht nur auf die Erhöhung organisatorischer Effizienz, sondern auch auf die Aufhebung von Entfremdungserscheinungen. Damit verfolgen sie auch Ziele von Humanisierung (BECKHARD 1972, TREBESCH 1980 u.a.).

Als Beratungsstrategien werden gruppendynamische oder gruppentherapeutische Maßnahmen aus dem Umfeld der Humanistischen Psychologie von eigens dafür ausgebildeten Experten verwendet (NEVIS 1988, MERRY/BROWN 1987 u.a.). Ausgehend von den "National Trainings Laboratories" entfaltete sich dabei eine Spezialdisziplin für Organisationsberatung (vgl. RECHTIEN 1992).

Besondere Bedeutung erlangten in diesem Rahmen Autoren der sogenannten Human-Resources-Bewegung. Sie suchten, wie etwa LIKERT (1961, 1967), über intensive Veränderung in einzelnen organisatorischen Kleingruppen und in kleingruppen-übergreifenden Gruppierungen in der gesamten Organisation ein dialogorientiertes Klima zu erzeugen (KIESER et al. 1979, SIEVERS 1975, BARTÖLKE 1980 u.a.).

Diese Beratungskonzepte werden heute selten noch in ihrer reinen Form verwendet. Sie fließen aber im Sinne unterstützender Maßnahmen oft bei der Implementierung von Lean Management ein (REIß 1993). Gruppale Arbeitsformen, wie die sogenannten selbststeuernden Gruppen, enthalten in schlanken Organisationen eine grundlegende Bedeutung. Nun wurde nämlich die "Ressource Mensch" als zentraler, effizienswirksamer Faktor entdeckt (THÖNNES 1993).

3.1.2. Die klinische Korrektur politischer Prozesse

Seit Ende der 70er Jahre wurden aber zunehmend andere Organisationsansätze als Grundlage für die Organisationsberatung präferiert. Hier spielt z.B. der Ansatz "politische Prozesse", den wir in einem der vor-hergehenden Abschnitte verhandelt haben, eine Rolle.

Anläßlich von Krisen fahndeten nun Berater nach innerorganisatorischen Kampfspielen, nach den jeweiligen Interessenparteien und Gegenparteien, nach den jeweils verwendeten Methoden der Auseinandersetzung und vor allem nach Möglichkeiten, unfruchtbare Auseinandersetzungen zur De-eskalation zu bringen (EHRENSPERGER 1985).

Beispiel 32.: Die Mitarbeiter eines sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitutes erschöpften sich in allerlei schwer durchschaubaren Querelen. Im Verlauf einer Beratung sollte nun nach den Hauptquellen der Kampfspiele gefahndet und versucht werden, die Konflikte zu mildern. Nach einer eingehenden Analyse stellte es sich heraus, daß der Krisenherd vorrangig von zwei Kerntrups ausging: von diesen orientierte sich einer an einem interaktiven Forschungsparadigma, der andere an einem systemischen. Dabei hatte der erste laufend Angst, vom zweiten, dem "moderneren", um seine Ressourcen betrogen zu werden. Im weiteren Verlauf der Beratung konnte nicht nur die Ressourcen-Verteilung neu und nun transparenter geregelt werden, es gelang auch zunehmend eine Verständigung über konzeptionelle Fragen. Jetzt wurde mit der Leitung als Moderator erarbeitet, daß bei manchen Projekten das interaktive und bei manchen anderen das systemische Paradigma besonders gut geeignet ist.

3.1.3. Die klinische Korrektur organisationskultureller Muster

Für geplanten organisatorischen Wandel gelangte besonders der Organisationskulturansatz zu großer Bedeutung. Ja, er wurde sogar von Organisationsberatern wie PETERS/WATERMAN (1982), DEAL/KENNEDY (1982) u.a. zu diesem Zweck entwickelt. Er erfreut sich heute wahrscheinlich der größten Beliebtheit unter allen Ansätzen, die informelle Phänomene in Organisationen als Grundlage für Beratungsstrategien verwenden.

Berater suchen über diesen Ansatz zu ermitteln, ob die kulturellen Muster einer Organisation noch ausreichend funktional sind, ob sie sich etwa bei Fusionen mit der Kultur von Töchtern verbinden lassen usw. Dieser Ansatz ergibt aber auch Hinweise, wie Berater selbst mit einer Kultur interagieren müssen. Berater, die diesem Ansatz folgen (SCHEIN 1985, PHEYSEY 1993 u.a.), suchen das organisatorische Weltbild mit seinen zugehörigen Normen und Standards aus den Ritualen sowie aus der Gründungsgeschichte eines Systems von den aktuellen Kulturprotagonisten zu ermitteln.

Übungsaufgabe 25.: Wie analysiert man eine Kultur? Schreiben Sie sich bitte die stufenweise Vorgehensweise auf und diskutieren Sie eine solche Analyse anhand eines Systems, das Sie gut kennen.

Wir finden hier allerdings auch wieder unterschiedliche Beratungsstrategien. Ein Teil von Autoren meint, Organisationskulturen wie Werbekampagnen verändern zu können (ALLEN/KRAFT 1982). Solche Beratungsstrategien erhalten dann allerdings eine hochgradig technische Komponente.

Wenn man eine Organisation unter systemtheoretischen Gesichtspunkten betrachtet, ist es geradezu naiv anzunehmen, daß sich die Kultur eines organisatorischen Systems beliebig verändern ließe. Im Prinzip ist hier  allenfalls eine "Kurskorrektur" (SCHREYÖGG, G. 1987) bestehender organisatorischer Muster einzuleiten.

Deshalb verwendet ein anderer Teil, wie etwa SCHEIN (1985), den Ansatz in einem deutlich  klinischen Sinn. Dabei werden die Organisationsmitglieder, insbesondere die Kulturprotagonisten eines Systems, sehr ausführlich interviewt und im Gespräch jeweils mit den eigenen kulturellen Mustern beschäftigt. Die Berater hoffen dann, daß sich das System durch die Selbstreflexivität der Organisationsmitglieder automatisch verändert.

Ein wieder anderer Teil von Beratern versucht spezifische "ungeschriebene Regeln", also implizite organisatorische Normen und Standards, die sich in bestimmten Situationen als dysfunktional erwiesen haben, mit den Organisationsmitgliedern zu analysieren und dann langsam in funktionalere Muster umzuwandeln.

3.2. Bewertung

Auch diese Beratungsansätze lassen sich nach pragmatischen und anthropologischen Gesichtspunkten bewerten.

(1) Bewertung in pragmatischer Hinsicht

Hier ist bei den verschiedenen Ansätzen zu unterscheiden:

- Im Verlauf obiger Darstellung wurde schon deutlich, daß Ansätze, die sich auf die Korrektur gruppaler Muster beziehen, heute immer seltener verwendet werden. Durch die psychotherapie-orientierte Methodik fordern sie dem einzelnen Organisationsmitglied immer ein gewisses Maß an persönlicher Selbsteröffnung ab. Aus diesem Grund wurden Vorgesetzte oft nicht in die Beratung einbezogen. Das wiederum erzeugte bei vielen Firmenleitern, den Verdacht, daß der Berater hinter seinem Rücken mit den Mitarbeitern gegen ihn koaliert.

- Bei Beratungen, die sich auf das Konzept der politischen Prozesse stützen, werden Berater allzu oft in die Kampf-Spiel-Prozesse verstrickt. Nicht selten verdächtigt sie ein Teil der Organisationsmitglieder, mit der Geschäftsleitung "unter einer Decke zu stecken"; denn diese mit ihren eigenen "Machenschaften" zu konfrontieren, kann ja auch tatsächlich den Beratungsauftrag gefährden.

- Beratung, die sich auf den Organisationskulturansatz stützt, erweist sich in vielen Fällen als äußerst langwierige "Forschertätigkeit". Im übrigen sind ihre Konsequenzen keineswegs planbar, d.h. niemand weiß, in welchem Zustand sich ein System am Ende eines solchen "klinischen" Prozesses befindet und niemand kann garantieren, daß es dann wirklich besser funktioniert als vorher. Aussichtsreicher sind hier sicher enger umschriebene Auseinandersetzungen mit einigen, aktuell relevanten "unwritten roles".

(2) Bewertung in anthropologischer Hinsicht

Eine Bewertung unter anthropologischen Gesichtspunkten ergibt ein wieder anderes Bild:

- Fraglos ist ein großer Teil von Ansätzen, die bei der Veränderung gruppaler Phänomene startete, mit expliziten Humanisierungsidealen angetreten. Wie aber STAEHLE (1991) postuliert, wurden die entsprechenden Berater in der konkreten Arbeit meistens "eines besseren belehrt". Die Auftraggeber interessierten sich im allgemeinen mehr für Steigerungen der Effizienz als für solche der Humanität.

- Bei der Verwendung von Ansätzen, die sich auf das Konzept politischer Pozesse beziehen, kann fast ein umgekehrtes Verhältnis postuliert werden: Das Konzept selbst transportiert zwar eine anthropologisch fragwürdige Perspektivität von Menschen als "machtlüsterne Wesen", wenn aber Kampfspiele gemildert oder gestoppt werden können, zieht dies in der Regel humanisierende  Konsequenzen nach sich.

- Mit dem Organisationskulturansatz als Grundlage für geplanten organisatorischen Wandel transportieren Berater sicher ein sehr akzeptierendes Verständnis von organisatorischem Geschehen. So wie der Ansatz selbst eine sehr qualifizierte Anthropologie in sich birgt, gilt dies sicher auch für eine entsprechende Beratung, allerdings nur dann, wenn sie sich eines "klinischen Zuganges", wie ihn etwa SCHEIN (1985) vertritt, befleißigt.

4. Organisatorischer Wandel als dialogischer Prozeß

Organisationsentwicklungskonzepte, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, bezeichnet STAEHLE als Modelle der "Selbstorganisation". Hier wird davon ausgegangen, daß ein organisatorisches System sich nur selbst verändern kann, und der Berater dabei lediglich die Rolle eines Dialogpartners spielt.
 
Bei allen bisher angesprochenen Konzepten fungierten Berater als "Experten" für die Krisenbewältigung, d.h. anläßlich von Krisen sollten sie eine Organisation entweder als Techniker oder als Psychotherapeut mit mehr oder weniger raffinierten methodischen Maßnahmen zu mehr oder weniger sinnfälligen Endzuständen umgestalten.

Bei Modellen dagegen, die die Selbstorganisation befördern wollen, treten Berater bescheidender an. Sie definieren sich nun als externe Dialogpartner, die mit dem organisatorischen System interagieren.
 
4.1. Konzepte

In solchen Beratungskonzepten steht von Anbeginn die Perspektivität von Beratern im Vordergrund, die sie als ihre jeweilige diagnostische Position in Dialoge mit dem organisatorischen Ensemble einzubringen vermögen. Diese basiert idealerweise auf modernen organisationstheoretischen Positionen, wie wir sie in den letzten Abschnitten kennengelernt haben:

- Sie betrachten die jeweilige Ist-Situation eines Systems mit seinen formalen und informellen Mustern und sie versuchen

- unterschiedliche Prozeßphänomene zu ermitteln. Dabei interessieren sie sich für den organisationsinternen Prozeß ebenso wie für die Relation zur Umwelt.

- Und sie interessieren sich vor allem für den Grad an organisatorischer Lernfähigkeit (REINHARDT 1993).

Alle diese diagnostischen Muster bringen sie bei Bedarf in den Dialog mit den Systemmitgliedern ein. Sie hoffen auf diese Weise ein umfassendes Maß an Selbstreflexivität zu erzeugen, das dann angeblich schon automatisch zur Beseitigung von dysfunktionalen organisatorischen Mustern führt (WILLKE 1990).

4.2. Bewertung

(1) Bewertung in pragmatischer Hinsicht

Unter pragmatischer Perspektive sind solche Beratungsaktivitäten für die Auftraggeber nur schwer in ihren Konsequenzen zu kalkulieren, weshalb sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur Unternehmen mit einem "aufgeklärten" Führungsstab an derartige Beratungsformen "wagen". Der Verbreitungsgrad bleibt also vorläufig relativ gering.

(2) Bewertung in anthropologischer Hinsicht

Unter anthropologischen Gesichtspunkten handelt es sich hier vordergründig um einen ausgesprochen humanen Zugang, da doch das organisatorische System als fähig zur Selbstorganisation betrachtet wird.

Wie aber STAEHLE (1991) anmerkt, kann bei diesem Ansatz ein Berater letztlich nur das beantworten, was in die Selbstreferentialität eines Systems paßt. Wenn nämlich eine Organisation vorrangig konservative Muster transportiert, muß auch der Berater in diesem Sinne kommunizieren. Im anderen Fall wird er als "nicht-passend" aus dem System ausgesondert.

So läßt sich für alle Vorhaben, die geplanten organisatorischen Wandel befördern wollen, behaupten, daß sie unabhängig vom jeweils verwendeten Konzept des Beraters immer humane oder inhumane Konsequenzen nach sich ziehen können. Ein ganz entscheidender Faktor bleibt die Haltung der Führungsmannschaft in einer jeweiligen Organisation.

 

Literaturhinweise

Allgemeine Literatur zum organisatorischen Wandel

Steinmann, H., Schreyögg, G., Management, Gabler (3. Aufl.), Wiesbaden 1993

Sievers, B. (Hrsg.), Organisationsentwicklung als Problem, Klett, Stuttgart 1977

Literatur zur Organisationsberatung, die sich auf den Organisationskuslturansatz bezieht

Schein, E.H., Organizational Culture and leadership, Jossey-Bass-Publushers, San Francisco, Oxford (10. Aufl.) 1991 (Original 1985)

Schreyögg, G., Kann und darf man Unternehmenskulturen verändern? in: Dülfer, E. (Hrsg.), Organisationskultur, Poeschl, Stuttgart 1987

Literatur zum Verhältnis von Supervision und Organisationsberatung

Gotthardt-Lorenz, A., Organisationsberatung, Hilfe und Last für Sozialarbeit, Lambertus, Freiburg 1989

Schreyögg, A., Systemsupervision als moderne Form der Organisationsberatung, in: Wilker, K.-H. (Hrsg.), Supervision aus der Praxis für die Praxis, Psychologen-Verlag, Bonn 1994