Ein Integrationsmodell für die Supervision Konstruktion I 04.13.94
II. Ein Integrationsmodell für die Supervision
Nach den konzeptionellen Vorüberlegungen wenden wir uns nun der Darstellung des eigentlichen Ansatzes, d.h. dem "Integrativen Supervisionsmodell" zu. Es enthält vier Charakteristika, von denen wir
- drei allgemeine, im Sinne genereller Anforderungen an Supervisionsmodelle, bereits im Verlauf der modelltheoretischen Vorbemerkungen erläutert haben.
- Darüber hinaus enthält das Modell ein spezifisches Charakteristikum, das durch die Bezeichnung "Integrativ" deutlich wird und noch gesonderter Erläuterung bedarf.
a. Die allgemeinen Charakteristika des Modells
Anhand der vorhergehenden Abschnitte wurde deutlich, daß
(1) die Gegenstandsbreite eines Grundlagenmodells für die Supervision so beschaffen sein muß, daß es wesentliche, in der Supervision auftretende Phänomene abzudecken in der Lage ist,
(2) es über ein umfassendes Theorie- und Methodeninventarium verfügen muß, das es ermöglicht, alle inhaltlichen Anliegen von Supervisanden und in der Supervisionssituation auftretende Erscheinungen zu diagnostizieren und zu bearbeiten.
(3) Und wir hatten gefordert, daß dem Modell anthropologische Prämissen, also eine Ethik zu unterlegen ist, auf deren Hintergrund Theorien und Methoden nicht wahllos, sondern konzeptionell begründet verwendet werden müssen.
b. Das spezielle Charakteristikum des Modells
Ein zentrales Charakteristikum des Modells, das an seiner Bezeichnung deutlich wird, nämlich "integrativ" enthält eine Aussage über Struktur und Konstruktion des Modells.
Die Bezeichnung "integrativ" soll signalisieren, daß hier eine spezifische Modellkonstruktion unterlegt ist, so wie sie auch in der modernen Psychotherapie für theorie- und methodenplurale Modelle vorgeschlagen wurde. Auf dem Hintergrund einer in sich stimmigen "Wissensstruktur" findet dann Verschränkung verschiedener Theorien und verschiedener Methoden statt, so daß ein in sich geschlossenes Gesamtmodell entsteht.
Beispiel 9.: In der Psychotherapie zeigt sich immer wieder, daß ein jeweiliger Ansatz für alle Klienten oder für alle Klientenprobleme nicht ausreicht. Dann benutzen viele Psychotherapeuten im Wechsel mal den einen, mal den anderen Ansatz. So verwenden z.B. viele Therapeuten die Gestalttherapie als ausgespochen subjekt-bezogenen Ansatz, um dann bei "besonders hartnäckigen Problemen" mit kommunikationstherapeutischen Arbeitsformen, wo Klienten oft gezielter Konfusion ausgesetzt werden, weiterzuarbeiten.
Übungsaufgabe 7.: Versuchen Sie sich bitte vorzustellen, wie es Ihnen gehen würde, wenn Sie bei einem Therapeuten erst über viele Stunden ein maximales "Mitgehen" mit Ihren Themen erleben würden und genau dieser Therapeut Sie plötzlich provoziert und zu verwirren sucht. Versuchen Sie diesen Vorgang mit ethischen Kategorien des vorangegangenen Abschnittes zu bewerten und Ihre Bewertung zu begründen.
1. Zur Konstruktion integrativer Handlungsmodelle
Im folgenden soll deutlich werden, wie ein "integratives", d.h. ein in sich stimmiges Handlungsmodell zu entfalten ist. Da wir postuliert hatten, daß die Gegenstandsbreite von Supervision so groß ist, daß Theorie- und Methodenvielfalt unumgänglich ist, muß gefordert werden, daß die Theorien und auch die Methoden zueinander, sowie ihr Verhältnis untereinander geklärt werden muß.
1.1. Die Struktur eines integrativen Supervisionsmodells
Auf dem Hintergrund von Konstruktionsanregungen für die Kreation psychotherapeutischer Handlungsmodelle fordern Autoren (HAGEMÜLSMANN 1984, HERZOG 1984), daß ein theorie- und methodenplurales Handlungsmodell, das nicht eklektisch, sondern als in sich geschlossene Neukreation, über eine explizite Grundstruktur verfügt. Die Autoren fordern für ein integratives Therapiemodell, allerdings im Prinzip auch für jedweden nicht-integrativen Therapieansatz und sogar für jedes Anwendungsmodell, daß ihm eine explizite Grundstruktur unterlegt ist. Diese soll als "Wissensstruktur" für den Verwender maximale Transparenz enthalten und folgende strukturelle Ebenen umfassen:
- Auf einer Meta-Ebene muß der Ansatz grundsätzliche anthropologische und damit verbundene erkenntnistheoretische Positionen, so deutlich wie möglich ausformuliert, enthalten.
- Auf der nächsten Ebene ist ein Inventarium an Theorien anzugeben, mit deren Hilfe Ist- und Sollzustände therapierelevanter Phänomene zu strukturieren sind. Deren Auswahl hat sich bereits an den Prämissen des Meta-Modells zu orientieren, d.h. die Theorien müssen durch die ihnen unterlegten normativen Implikationen in das Meta-Modell integrierbar sein.
- Auf der nächsten, einer sogenannten therapie-theoretischen Ebene, sind handlungsrelevante Aspekte anzugeben, wie die Ziele, der Interaktionsstil, die Faktoren, mit denen therapeutische Wirkungen erzeugt werden und Anweisungen für die Handhabung unterschiedlicher therapeutischer Situationen. Die Implikationen der therapie-theoretischen Ebene haben sich zum einen am Meta-Modell, zum anderen an den vorher ausgewählten Theorien zu orientieren.
- Die methodischen Maßnahmen als Gesamt, d.h. die Praxeologie hat sich an den drei vorhergehenden modelltheoretischen Ebenen auszurichten. Dabei müssen die im einzelnen verwendeten Methoden in den ihnen, zumeist implizit unterlegten normativen Setzungen kompatibel sein mit den drei vorhergehenden modelltheoretischen Ebenen.
Meta-Modell
l
Theorie-Ebene
l
therapietheoretische Ebene
l
Praxeologie
l
konkretes therapeutisches Handeln
Graphik 1.: aus HERZOG (1982).
Die Bestimmung aller dieser Ebenen ist aber stets an den Ansprüchen des therapeutischen Gegenstandes zu orientieren. So ist etwa immer (HERZOG 1982) der interaktive Charakter, d.h. die gegenseitige Beeinflußbarkeit von Therapeut und Klient, sowie die Kontextabhängigkeit zu berücksichtigen.
Übungsaufgabe 8.: Nennen Sie bitte drei Beratungssituationen, wo Sie deutlich den Eindruck hatten, daß Sie sich als Berater auch verändert haben. Versuchen Sie zu ermitteln, warum Ihnen das gerade in diesen Situationen so deutlich aufgefallen war.
Wenn nun verschiedene Theorien- und Methodenansätze integriert werden sollen, besteht die Vorstellung, daß immer erst eine Prüfung auf Kompatibilität vorausgehen muß (HERZOG 1982). Wenn Theorien zu integrieren sind, besteht die Notwendigkeit ihre meta-modelltheoretischen Prämissen zu überprüfen. Bei kompletter Kompatibilität kommt der Ansatz in Frage, bei begrenzter Kompatibilität nur begrenzt, für bestimmte Anwendungsfälle, und bei starker Inkompatibilität scheidet der Ansatz aus.
Bei der Integration verschiedener Therapieansätze ist dann sogar eine noch umfassendere Kompatibilitätsprüfung vorgesehen, die sich im Prinzip auf alle vier modelltheoretischen Ebenen erstreckt (ebenda).
Solche Überlegungen gelten, wie schon angesprochen, nicht nur für die Entwicklung integrativer Anwendungsmodelle in der Psychotherapie, sondern, wie HERZOG (1984) zeigt, auch für solche in der Pädagogik. Und wir können, da es sich bei Anwendungsmodellen jeweils um angewandte Sozialwissenschaft handelt, die für solche Modellkonstruktionen vorgeschlagene Struktur auch auf supervisorische Modelle übertragen.
1.2. Die Wissensstruktur eines integrativen Supervisionsmodells
Im Anschluß an unsere Vorbemerkungen, aber besonders die soeben darstellten Konstruktionsregeln für Integrationsmodelle, müssen wir für die Struktur eines theorie- und methodenpluralen Supervisionsansatzes folgendes fordern:
In Analogie zu einem integrativen Therapiemodell enthält ein entsprechendes Supervisionsmodell auch eine Wissensstruktur, die auf vier Ebenen zu füllen ist:
(1) auf einfachster Ebene muß sie Aussagen enthalten, welche Methodik zur Veränderung führt, also welche einzelnen methodischen Maßnahmen, sowie prozessualen Regelungen vom Supervisor verwendet werden sollen. Das ist die praxeologische Ebene des Supervisionsmodells.
(2) Methodische Maßnahmen werden aber auch in der Supervision nie zweckfrei angewandt. Ihr Einsatz setzt Wissen darüber voraus, welche Veränderungen von einem gegebenen Ist-Zustand des Supervisanden und seiner Praxis in einen Soll-Zustand angestrebt werden und worin sie genau bestehen. Das sind die Ziele des Supervisionsmodells, die Rekonstruktionsformen, d.h. wie Praxis des Supervisanden in der supervisorischen Situation untersucht bzw. rekonstruiert werden soll und die Wirkungsfaktoren, über die Veränderungen von Supervisanden zu erreichen sind. Darüber hinaus ist auf dieser Ebene die Art der supervisorischen Beziehungen und die Handhabung aktueller Supervisionssituationen zu klären. Solche konzeptionellen Setzungen repräsentieren die supervisionstheoretische Ebene des Modells.
(3) Ist- und Sollzustände des Supervisanden, seiner Praxis und die der supervisorischen Interaktion müssen aber vom Supervisor gedeutet und strukturiert werden. Dazu bedarf es immer auch theoretischer Konstruktionen. Die Wissensstruktur eines integrativen Supervisionsmodells muß also auch Angaben darüber enthalten, welche Theorien bzw. Theorietypen vom Supervisor wie verwendet werden sollen. Das ist dann die Theorie-Ebene des Modells.
(4) Und schließlich muß ein integratives Modell, als zentralen Bestandteil, anthropologische Setzungen enthalten, die Aussagen darüber zulassen, wie den Supervisanden und ihrer Praxis bzw. ihren Praxisdarstellungen auf zwischenmenschlicher Ebene zu begegnen ist, wie Praxis idealerweise beschaffen sein sollte, ja wie menschliches Dasein insgesamt zu begreifen ist. Mit anthropologischen Positionen geht auch eine jeweilige Erkenntnishaltung einher. Gerade in der supervisorischen Praxis kann es nicht gleichgültig sein, welche Vorstellungen Supervisoren über das eigene Erkennen und das ihrer Supervisanden transportieren, denn mit ihrer jeweiligen Erkenntnisposition geht auch wieder eine mitmenschliche Haltung einher (APEL 1985). Anthropologische und erkenntnistheoretische Bestimmungen bilden die meta-modelltheoretische Ebene des Supervisionsansatzes.
Diese vier Modell-Ebenen sind nun konzeptionell verbunden: Setzungen auf der Meta-Ebene definieren den erkenntnistheoretischen und anthropologischen Rahmen. Aus ihnen ergibt sich, welche Theorien bzw. welcher Theorietyp wie Verwendung finden soll. Die supervisionstheoretische Orientierung ergibt sich aus der Meta-Ebene und den verwendeten Theorien. Die supervisorische Praxeologie ist dann auf die Supervisionstheorie abzustimmen. Und alles dies ist immer wieder am Gegenstandsbereich von Supervision zu orientieren.
1.3. Die inhaltliche Bestimmung der Wissensstruktur bei einem Supervisionsansatz
(1) Die Inhalte des Meta-Modells
Wie schon anhand der Ethikdebatte deutlich wurde, besteht auf Meta-Ebene die Notwendigkeit, anthropologische und erkenntnistheoretische Setzungen zu formulieren. Sie müssen einerseits an den Ansprüchen supervisorischer Praxis, wie Praxis überhaupt, orientiert sein. Sie müssen andererseits alle relevanten Phänomene von Mensch-Sein und menschlichem Erkennen abdecken.
Übungsaufgabe 9.: Welche ethischen Richtlinien würden Sie für besonders wichtig halten. Nennen Sie bitte zwei und begründen Sie, welche Bedeutung Sie für Ihre Praxis haben.
Da erkenntnistheoretische Positionen immer implizite anthropologische unterlegen, müssen sie deutliche konzeptionelle Verbindungen zu diesen aufweisen (APEL 1985).
(2) Die Inhalte auf Theorie-Ebene
Durch den breiten Gegenstandsbereich muß, wie wir gesehen haben, ein Supervisionsmodell unter pragmatischen und normativen Gesichtspunkten eine Vielzahl von theoretischen Mustern, also ein Theorie-Universum verwenden. Die Auswahl der jeweiligen Theorien für das Theorie-Universum bestimmt sich wieder nach den Ansprüchen des supervisorischen Gegenstandes. Sie bestimmt sich aber andererseits ganz maßgeblich nach dem Meta-Modell. Instrumentell sinnvoll erscheinende Theorien müssen dann daraufhin überprüft werden, inwieweit sie mit den im Meta-Modell unterlegten Prämissen kompatibel, begrenzt kompatibel oder inkompatibel sind.
(3) Die Inhalte auf supervisionstheoretischer Ebene
Auch die Elemente auf supervisionstheoretischer Ebene sind zunächst anhand der Ansprüche supervisorischer Praxis zu bestimmen und sodann entsprechend den verwendeten Theorien, wie auch des Meta-Modells, auszugestalten.
(4) Die Inhalte auf der praxeologischen Ebene
Entsprechend der Gegenstandsbestimmung von Supervision muß auch diese Ebene mehrere Methodenansätze, also ein Methodeninventarium, enthalten. Die Auswahl für dies Methodeninventarium richtet sich dabei wieder nach den Ansprüchen von Supervision, aber auch nach allen anderen modelltheoretischen Ebenen des Supervisionsansatzes. Auf dieser Ebene sind - wie schon angesprochen - auch therapeutische Methoden zu integrieren. Dabei müssen die Ansätze, bzw. die ihnen entlehnten methodischen Maßnahmen, daraufhin überprüft werden, ob sie in das Meta-Modell integrierbar sind und ob sie auch untereinander in einem ergänzenden Verhältnis stehen.
Literaturhinweise
Literatur zur Integration von Therapieansätzen
Textor, M.R., Psychotherapie - Charakteristika und neue Entwicklungen, in: Integraive Therapie 4/1988, S. 269-280
Herzog, W., Die wissenschaftstheoretische Problematik der Integration psychotherapeutischer Methoden, in: Petzold, H. (Hrsg.), Methodenintegration in der Psychotherapie, Junfermann, Paderborn 1992
Hagehülsmann, H., Begriff und Funktion von Menschenbildern in Psychologie und Psychotherapie, in: Petzold, H. (Hrsg.), Wege zum Menschen, Bd. 1., Junfermann, Paderborn 1984
Literatur zur Entwicklung integrativer Handlungsmodelle
Herzog, W., Modell und Theorie in der Psychologie, Verlag f. Psyhol., Göttingen, Toronto, Zürich 1984