Kurs: Psychoanalytische Ansätze in der Supervision
- Übertragungs-/Gegenübertragungsansätze und Widerstandskonzepte -
Autorin: Dr. phil. Astrid Schreyögg
Betreuer: Prof. Dr. Helmut Lück, Fernuniversität Hagen
Kurskonzept:
Gegenstand des vorliegenden Kurses ist es, die Bedeutung psychoanalytischer Ansätze für die Supervision aufzuzeigen und dabei besonders die Übertragungs-und Gegenübertragungs-ansätze sowie die Widerstandskonzepte zu akzentuieren.
Bei "Supervision" handelt es sich um eine Beratungsform, die berufliche Zusammenhänge thematisiert. Ihr Ziel besteht in der Erhöhung von Effizienz und in der Erhöhung von Humanität beruflicher Praxis. Sie wurde im Verlauf der letzten 40 Jahre zu ihrer heute diskutierten Form in den Feldern von Sozialarbeit und Psychotherapie ausdifferenziert. Ihre konzeptionelle Entwicklung und damit auch ihr diagnostisches Inventarium war unmittelbar an die Konzeptentwicklung in diesen Ursprungsfeldern gekopppelt.
Supervision entwickelte sich ursprünglich in der amerikanischen Sozialarbeit der Jahrhundertwende, wo viele ehrenamtlich Tätige von einigen hauptamtlich Angestellten beraten wurden. Diese "Administrative Supervision" bestand in einer vorgesetzten-ähnlichen Funktion (BELARDI 1992). Im Verlauf der 40er und 50er Jahre orientierte sich die zeitgenössische Sozialarbeit zunehmend an der Psychoanalyse und den dort üblichen Supervisionsformen. Im psychoanalytischen Milieu werden nämlich seit den 20er ebenfalls Formen von Supervision in der sogenannten Kontrollanalyse praktiziert. Dabei "kontrollieren" Ausbilder angehende Psychoanalytiker für ihre ersten Patientenarbeiten. Das diagnostische und methodische Inventarium von Kontrollanalytikern lehnt sich an das Grundverfahren, also die Psychoanalyse, an (WALLERSTEIN 1981). Dementsprechend steht inhaltlich die Auseinandersetzung mit den personalen Mustern junger Therapeuten im Vordergrund und die Art, wie sich ihre personalen Muster in der therapeutischen Beziehung niederschlagen. Als diese konzeptionelle Orientierung nun auch für die sozialarbeiterische Supervision bestimmend wurde, wandelte sie sich von der administrativ eingebundenen Fachberatung zu einer psychotherapie-ähnlichen Arbeitsform. Sie wurde nun als "Clinical Supervision" bezeichnet.
Selbst als sich Supervision von ihren Ursprungsfeldern "emanzipierte", also auf andere berufliche Bereiche ausgedehnt und dementsprechend auch neue Konzeptentwicklungen hervorgebracht wurden, blieben psychoanalytische Diagnose-kategorien für viele Supervisionskonzepte konstitutiv. Das nimmt auch nicht Wunder, denn gerade die Psychoanalyse verfügt ja über ein hochdifferenziertes Inventarium zur Diagnose zwischenmenschlicher Bezüge.
Für die Supervision lag solche Adaption schon deshalb nahe, weil sie in zweifacher Weise mit Beziehungsphänomenen befaßt ist: Thematisch kreist sie häufig um Beziehungen zwischen Professionellen und Klienten, Professionellen und Kollegen, Professionellen und Vorgesetzten usw. Und im Vollzug der thematischen Arbeit besteht Supervision selbst wieder in einer Beziehung, nämlich in einer zwischen Supervisor und Professionellem.
Zur Auseinandersetzung mit allen diesen Relationen boten sich besonders die Übertragungs-/Gegenübertragungsansätze und die Widerstandskonzepte an; denn gerade in ihnen verdichtet sich der psychoanalytische Wissensbestand von zwischenmenschlichen Beziehungen in besonderer Weise. Übertragungs-/Gegenübertragungsansätze erklären, wie Interaktionsmuster, die anläßlich früherer Erfahrungen gebildet wurden, in neuen Beziehungskonstellationen unbewußt wiederholt werden. Dabei bietet eine Person ihrem Gegenüber alte Interaktionsmuster an, was als "Übertragung" bezeichnet wird. Wenn die andere Person auf diese Muster im Sinne der erwarteten Haltung reagiert, bezeichnet man das als "Gegenübertra-gung." Demgegenüber beschäftigen sich Widerstandskonzepte mit der Frage, wie und warum Menschen konstruktive Verständigung im Sinne von Kommunikation und Kooperation in Beziehungen vollständig oder partiell blockieren, ohne diese Haltung bewußt zu beabsichtigen. Auch hierbei wird unterstellt, daß es sich um Muster handelt, die aus früheren Entwicklungsstadien resultieren. Im vorliegenden Kurs werden nun Konzeptbildungen zu genau diesen Phänomenen ausführlich verhandelt.
Es läßt sich nämlich nicht von "dem" Übertragungsansatz oder "dem" Widerstandskonzept sprechen. Seit FREUD wurde zu beiden Konzeptgruppen eine Vielzahl von weiteren Positionen hervorgebracht. In Teilen ergänzen sie die klassischen Grundmuster, in anderen Teilen stellen sie kontrastierende Konzeptbildungen dar und in wieder anderen Teilen bieten sie Erweiterungen auf Gruppen oder Organisationen. Viele dieser Fortentwicklungen wurden auch von Supervisionsansätzen aufgenommen bzw. sie finden in ihnen eine mehr oder weniger sinnfällige Anwendung.
Der vorliegende Kurs präsentiert die heute in der psychotherapeutischen Literatur am meisten diskutierten Konzeptbildungen in ihrer Anwendung auf die Supervision. Dabei stelle ich jeweils die theoretischen Grundmuster vor, unterziehe sie einer Konzeptkritik und diskutiere sie sodann im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in der Supervision. Bei Darstellung der jeweiligen Ansätze wird der Tatsache Rechnung getragen, daß es sich einerseits um diagnostische Kategorien handelt, mit denen aber andererseits je spezifische Methodenverständnisse einhergehen. Es darf nämlich nicht außer Acht bleiben, daß das gesamte Diagnose-Inventarium der Psychoanalyse in unmittelbarer Verbindung zu ihrer Methodenentwicklung ausdifferenziert wurde. So erfolgt die kritische Würdigung der jeweiligen Ansätze auch immer gesondert im Hinblick auf ihre diagnostische Bedeutung und im Hinblick auf ihre methodischen Implikationen.
Den Maßstab für die kritischen Analysen bildet das Konzept der Integrativen Supervision (siehe "Kurs: Einführung in die Integrative Supervision"). Hierbei handelt es sich um einen theorie- und methodenpluralen Supervisionsansatz. Seine konzeptionelle Klammer besteht in einem Meta-Modell mit erkenntnistheoretischen und vor allem anthropologischen Prämissen (SCHREYÖGG 1992). An diesen hat sich jede im Ansatz verwendete Theorie und Methode zu bewähren. Im Fortlauf des Kurses erfolgt dann zunächst immer eine kritische Würdigung der Ansätze als therapeutische Konzepte unter pragmatischen und anthropologischen Gesichtspunkten. Erst im Anschluß daran wird beleuchtet, inwieweit sie jeweils für die Supervision anwendbar sind. Zur Frage der Anwendbarkeit differenziere ich wieder zwischen der Anwendung als Diagnose- und als Methodenkonzept.
Der Kurs gliedert sich in zwei große Teile. Im ersten werden die Übertragungs-/Gegenübertragungsansätze verhandelt, im zweiten die Widerstandskonzepte.
Obwohl erst die Komplementärpositionen, Übertragung und Gegenübertragung, die eigentliche Denkfigur darstellen, differenziere ich aus didaktischen Gründen die beiden Elemente. So erfolgt zunächst eine ausführliche Darstellung des klassischen Grundmusters "Übertragung" mit seiner Verankerung in der psychoanalytischen Theorie. Die kritische Analyse des klassischen Grundmusters als Diagnosekonzept zeigt, daß der Ansatz in seiner ursprünglichen Fassung anthropologische Reduktionen aufweist. Er ist zu stark an das Triebschicksal des Menschen gekoppelt und er suggeriert, daß die Entwicklung von Menschen primär durch die ersten fünf Lebensjahre bestimmt ist. Auch als methodische Basis von Psychotherapie wird er kritisch beurteilt; denn er intendiert Objektivierungen von Klienten. Vor allem wegen seiner reduktionistischen Anthropologie wird seine Anwendbarkeit für die Supervision kritisch beurteilt.
Bei späteren Konzeptbildungen, den "Modifikationen und Erweiterungen des klassischen Übertragungsmusters", ergibt sich ein positiveres Bild. Hier werden zunächst Positionen moderner psychoanalytischer Autoren verhandelt, die das Konzept insgesamt relativieren. Ihr Fazit ist, Psychoanalytiker, die an das klassische Konzept "glauben", erzeugen auch stärkere Übertragungen bei ihren Klienten. Als besonders gut anwendbar in Therapie und Supervision werden rollentheoretische Ausdeutungen des Übertragungsansatzes identifiziert. Sie enthalten keine anthropologischen Reduktionen, da sie sich nicht auf ein ominöses Triebschicksal beziehen, sondern den sozialisationstheoretischen Gehalt von Übertragungen akzentuieren. Dementsprechend werden rollen-theoretische Übertragungskonzepte auch als für die Integrative Supervision gut adaptierbar charakterisiert. Eine heute besonders häufig diskutierte Modifikation des klassischen Übertragungsansatzes stellen Konzepte zur "narzißtischen Übertragung" oder zur "narzißtischen Projektion" dar. Hierbei handelt es sich um nuanziert neue Denkfiguren. Sie unterstellen die Projektion eigener Persönlichkeitsanteile auf andere Menschen. Unter diesen Denkfiguren werden wieder diejenigen für die Supervision präferiert, die das umfassendere Menschenmodell unterlegen.
Die Analyse des klassischen Gegenübertragungskonzeptes ergibt ein vergleichbar kritisches Ergebnis wie die des Übertragungskonzeptes. Hierbei wird vor allem deutlich, daß die klassische Interpretation zu einer reduktionistischen Methodenhaltung, nämlich dem "abstinenten" Interaktionsstil der Psychoanalyse führte. Im Gegensatz dazu eröffnen die beiden nachfolgend präsentierten Modifikationen des klassischen Grundmusters "Gegenübertragung" neue Horizonte vor allem in diagnostischer Hinsicht. Sie betrachten nämlich die innere Gegenübertragungsbereitschaft eines Therapeuten oder eines Supervisors als sein wichtigstes diagnostisches Hilfsmittel zum Verstehen seines Gegenübers.
Die beiden nun folgenden Abschnitte befassen sich mit der Ausdehnung des Übertragungs-/Gegenübertragungsansatzes auf Gruppen und Organisationen. Hier werden zunächst die vier gängigsten Gruppen-Übertragungskonzepte dargestellt. Ihre Analyse ergibt, daß nur die für Supervision adaptierbar sind, die eine breite Anthropologie unterlegen, die also nicht auf das Triebschicksal von Menschen rekurieren und die lebenslange Entwicklung postulieren. Unter den Ansätzen, die auf Organisationen ausgedehnt wurden, lassen sich solche unterscheiden, die die Organisation als Resultat kollektiver Übertragungen betrachten, und solchen, die die Organisation als Ort verstehen, der Übertragungen erzeugt. Bei der ersten Gruppe muß kritisch angemerkt werden, daß sie über ein eingeschränktes Verständnis des Organisation/Umwelt-Bezuges verfügt und deshalb in der Supervision kaum anwendbar ist. Die zweite Gruppe von Ansätzen erweist sich aber schon aufgrund der phänomenalen Erfahrung in Organisationen als sinnfällig, so daß ihre Anwendung für die Supervision empfohlen wird.
Der zweite große Abschnitt des Kurses ist nun der Auseinandersetzung mit Widerstandskonzepten gewidmet. Auch hier werden zunächst die klassischen Grundmuster präsentiert. Ihre Analyse ergibt, daß sie in mehrfacher Hinsicht problematisch sind. Sie betrachten das Sich-Wehren von Menschen grundsätzlich als individuelles pathogenes Phänomen und unterlegen gleichlaufend mit dem klassischen Übertragungs-/Gegenübertragungsansatz ein reduktionistisches Menschenmodell. Aus diesen Gründen kann auch ihre Anwendung in der Supervision nicht empfohlen werden.
In drei nachfolgenden Abschnitten bietet der Kurs alternative Positionen zum klassischen Widerstandskonzept an, die z.T. anderen Therapieschulen entstammen; denn kaum ein Konzept der Psychoanalyse diente so umfassend wie das klassische Widerstandskonzept als Ausgangspunkt für eine generelle Therapiekritik und für die Präzisierung alternativer Standorte.
So wenden sich manche Schulen vorrangig gegen die Pathologisierung von Widerstand. Sie propagieren demgegenüber entweder ein "Sicherungsrecht" von Menschen durch Widerstand oder sie betonen gar Widerstand als besonderes menschliches Potential. Die kritische Analyse ergibt hier, daß Ansätze, die dem Menschen ein grundsätzliches Recht auf Widerstand zugestehen, für eine Anwendung in der Supervision gut geeignet sind. Eine andere, besonders große Gruppe alternativer Widerstandskonzepte wendet sich gegen die ausschließlich individualisierende Sicht des klassischen Ansatzes. Hier lassen sich wieder zwei Gruppen unterscheiden, von denen die eine Widerstand als interaktionales, die andere sogar als kontextuelles Phänomen begreift. Die interaktionistische Sicht von Widerständen wird heute vor allem in der Hypno- und in der Kommunikationstherapie akzentuiert. Hier finden wir eine Vielzahl von Autoren, die Widerstand bei Klienten sogar als Minderqualifikation von Therapeuten definiert. Diese Sicht läßt sich umfassend auf die Supervision ausdehnen; denn auch hier müssen beim Auftreten von Widerstandsphänomenen immer fachliche und menschliche Qualifikationsprobleme von Professionellen in Betracht gezogen werden. Konzepte, die Widerstand als kontextuelles Phänomen begreifen, bilden ebenfalls eine wichtige diagnostische Basis für die Supervision. Hier werden vor allem die "asymmetrische Rollenstruktur" und der immer bestehende "Zwang zur Selbsteröffnung" in der Supervision als Ursachen für Widerstand identifiziert.
In zwei nachfolgenden Kapiteln werden auch hier Ausdehnungen des klassischen Grundmusters auf Gruppen und Organisationen verhandelt. Unter den Ansätzen, die Widerstand in Gruppen thematisieren, finden wir solche, die dem klassischen Grundmuster nahestehen und solche, die existentialphilosophische Interpretationsmuster einbeziehen. Der klassisch orientierte Ansatz wird wegen seiner anthropologischen Reduktion verworfen, der andere wird als Diagnosekonzept für die Supervision empfohlen, weil er gruppale Widerstandsphänomene sinnfällig und anthropologisch akzeptierbar beschreibt.
Für "Widerstand in und gegenüber Organisationen" existiert kein Konzept, das der Psychoanalyse oder anderen therapeutischen Ansätzen nahesteht. Hier bieten sich vielmehr Ansätze an, die der LEWIN- Schule und damit der Sozialpsychologie entstammen. Unter dem Begriff "Resistance to Change" finden wir hier zwei nuanziert unterschiedliche Denkfiguren, die aber durchaus kompatibel sind. Beide beschreiben Widerstand von Organisationsmitgliedern, wenn ein organisiertes System geplant verändert wird. Von diesen Konzepten verortet das eine kollektiven Widerstand in der Sorge von Organisationsmitgliedern vor formalen Korrekturen, die immer mit Korrekturen der Ressourcen- und Statusverteilung einhergehen. Die andere Gruppe von Ansätzen vermutet Ursachen für Resistance to Change eher in der Veränderung informeller Muster. Hier wird davon ausgegangen, daß jeder organisatorische Wandel eine Vielzahl von Verunsicherungen im Hinblick auf die Normen und Standards einer Organisation nach sich zieht. Das Fazit der kritischen Würdigung beider Ansätze lautet, daß sie als Diagnostikum für die Supervision gut anwendbar sind; denn in vielen Fällen ist ja Supervision insbesondere als "Teamsupervision" mit der Korrektur von formalen und informellen Mustern in Organisationen oder organisatorischen Einheiten befaßt. Für solche Zusammenhänge bieten die beiden Ansätze in Kombination eine sinnfällige und auch anthropologisch vertretbare Perspektive.
Literatur:
Belardi, N., Supervision - Von der Praxisberatung zur Organisationsentwicklung, Junfermann, Paderborn 1992
Schreyögg, A., Supervision - Ein integratives Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis, 2. Aufl., Junfermann, Paderborn 1992
Wallerstein, R.S. (Ed.), Becoming a Psychoanalyst. A Study of Psychoanalytic Supervision, International Universities Press, Inc., New York 1981