Die spezifischen Gruppen kreativer Medien in der Supervision

III. Die spezifischen Gruppen kreativer Medien in der Supervision

Wie in einem der vorhergehenden Abschnitte erläutert, lassen sich kreative Medien in der Supervision nach zwei grundlegenden Gruppen sortieren: in
- Handlungsmedien und in
- Sachmedien.

1. Kreative Handlungsmedien in der Supervision

Für die Auswahl von Handlungsmedien nimmt die Integrative Supervision Anleihe bei der Methodik erlebnisaktivierender Psychotherapieverfahren. Hier stehen methodische Maßnahmen aus der Gestalttherapie und dem Psychodrama im Vordergrund.

Übungsaufgabe 6.: Können Sie sich erinnern, warum in der Integrativen Supervision gerade gestalttherapeutische und psychodramatische Methoden verwendet werden? Suchen Sie bitte die entsprechenden Passagen der "Einführung in die Integrative Supervision" und notieren Sie sich die entsprechenden Argumente.

Im folgenden sollen nun das Psychodrama und die Gestalttherapie in ihrer Verwendung für die Supervision beschrieben sein.

1.1. Die methodischen Maßnahmen des Psychodramas

Das Psychodrama wurde von Iacov MORENO Levy entwickelt. Es war neben der Verhaltenstherapie das erste psychotherapeutische Verfahren, das unabhängig von der Psychoanalyse entwickelt wurde. Im dem Ansatz sind sozialwissenschaftliche, existentialphilosophische und expressionistische Positionen verschmolzen.

Es handelt sich um ein komplexes therapeutisches System, das den Menschen als Leib-Subjekt in einen sozialen, ökologischen und sogar kosmischen Zusammenhang eingebettet sieht. Seine methodische Orientierung ist phänomenologisch. Dabei ist es gegenwarts-, zukunfts- und vergangenheitsorientiert.

Das Ziel des Verfahrens besteht darin, Menschen in ihrer gefühlshaften, leiblichen und intellektuellen Dimension zu erfassen. Es sollen Hemmungen im Handeln, Erleben und Wahrnehmen aufgelöst werden. Dies ist allerdings nicht ausschließlich auf die Aufhebung von Defiziten bezogen, sondern es geht auch um die Freisetzung noch nicht genutzter Potentiale von Menschen. Das Psychodrama beabsichtigt darüber hinaus, soziale Beziehungen und soziale Systeme von Defiziten zu befreien und ihre Entfaltung zu fördern.

In seiner klassischen Form handelt es sich beim Psychodrama um ein typisches Gruppenverfahren, ja um den historisch ersten Gruppenansatz überhaupt. Daneben wird es als "Monodrama" auch im Einzelsetting praktiziert. Es findet bei unterschiedlichen Altersgruppen und bei unterschiedlicher Klientel Verwendung. Gleichlaufend mit seiner Entwicklung als klinischem Verfahren wurde das Psychodrama schon von MORENO selbst als nicht-klinischer Ansatz zur Veränderung von Menschen, etwa zu pädagogischen Zwecken, verwendet. Es wird heute als generelles agogisches Handlungsmodell bezeichnet (LEUTZ 1974, PETZOLD 1984, BUER 1989 a).

Die Methodik des Psychodramas steht in Beziehung zu einer komplexen Anthropologie (BUER 1989 b), d.h. alle methodischen Maßnahmen erhalten ihren Sinn aus dem Gesamtmodell MORENOs. Im Vordergrund steht die Intention, daß Rollenhandeln als Rollenspiel schon durch sich selbst heilsam ist. Die einzelnen Methoden sind immer in einen Prozeß eingebettet. Zu Beginn sucht der Spielleiter die Gruppe für Rollenspiele "anzuwärmen", dann findet in einer "Aktionsphase" das eigentliche Rollenspiel statt. Zum Abschluß setzen sich in einer "Integrationsphase" alle Teilnehmer mit dem im Rollenspiel Erlebten auseinander.

Das Psychodrama ist also ein aktions-orientierter Ansatz. Deshalb liegt es nahe, die einzelnen Arbeitsformen des Psychodramas danach zu sortieren, wie umfassend sie das Handeln von Menschen herausfordern. Hier lassen sich nennen:

- Imaginationsübungen,
- Zukunftsexplorationen,
- Spiegeln,
- Rollentausch,
- Rollenwechsel und
- Doppelgänger.

Daneben kennt das Psychodrama "Experimente" und "Hausaufgaben", die wir noch im Zusammenhang mit dem Methodeninventarium der Gestalttherapie darstellen wollen.

Im folgenden sollen die einzelnen Arbeitsformen jeweils dargestellt, sodann ihre Einsatzmöglichkeiten in der Supervision mit ihren jeweiligen Effekten kurz beschreiben sein.

1.1.1. Imaginationsübungen

(1) Konzept

Imaginative Arbeitsweisen als am wenigsten handlungs-orientierte Methoden des Psychodramas werden einerseits unter normativen Gesichtspunkten zur "Anreicherung" des menschlichen Realitätsverständnisses verwendet, sie begleiten andererseits, unter funktionalen Gesichtspunkten, den gesamten psychodramatischen Prozeß.

Die normative Bedeutung von Imaginationen liegt aus der Sicht des Psychodramas darin, daß durch solche Arbeitsformen die aktuelle Realität immer in die "surplus reality" überschritten werden kann. Gerade in der Imaginationsfähigkeit des Menschen dokumentiert sich nach MORENO seine besondere Fähigkeit, bisherige Sichtweisen, also Deutungsmöglichkeiten, zu überschreiten (LEUTZ 1974).

Jede beliebige Phantasie, in jeder beliebigen Zeitdimension und in jedem beliebigen Raum kann von der menschlichen Vorstellung prinzipiell gegenwärtig gesetzt werden (LEUTZ 1974, PETZOLD 1979). Imaginationen kommt deshalb im Psychodrama eine besondere Bedeutung zu.

Imaginative Arbeitsformen, als erlebnishafte Aktualisierung von inneren Mustern, leiten den psychodramatischen Prozeß ein, begleiten ihn und runden ihn oft noch ab.

In der "Anwärmphase", wenn es darum geht, die Spielbereitschaft der Gruppenmitglieder zu fördern, der Gruppe zu mehr Kohäsion zu verhelfen und Themen für die anschließende "Aktions"- bzw. Handlungsphase zu evozieren, setzt der Psychodramaleiter immer imaginative Arbeitsweisen ein,

So läßt sich etwa über kollektive Imaginationen, wie "wir machen eine gemeinsame Reise", oder "wer von den Gruppenmitgliedern könnte welches Tier im Urwald sein", eine Atmosphäre herstellen, die Spiellust erzeugen soll. Auf diese Weise kann auch die Aufmerksamkeit der Mitglieder auf die jeweils anderen gezielt fokussiert werden. Wenn solche Imagination, zunächst sprachlich, bei fortgeschrittenem Prozeß spielerisch, ausgestaltet wird, ergeben sich automatisch vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten.

Zur gezielten Evokation problematischer Szenen läßt sich ein leerer Stuhl in den Teilnehmerkreis stellen mit der Anweisung, "wen siehst Du da, wer rührt Dich an?" Oder, im Sinne einer thematisch gezielteren Evokation, läßt sich bitten "setzt doch mal Euren Vater (Mutter usw.) auf diesen Stuhl."

Und am Ende der Anwärmphase, wenn aus den vorgebrachten Imaginationen eine Spielszene aufgebaut wird, erfolgt dies immer mit Hilfe imaginativer Arbeitsformen. Raum und Zeit, in der die Szene dann auf der Bühne "aufersteht", werden ohne alle Requisiten auch wieder nur über Imaginationen und ihre sprachliche Artikulation aufgebaut. Diese vom Protagonisten imaginativ ausgestaltete Welt bildet dann auch die Basis zur Einstimmung für die Mitspieler und den Therapeuten. Daraus ergibt sich im Idealfall fließend die Aktionsphase.

Im Verlauf der Handlungsphase befinden sich die Protagonisten und idealerweise auch die Mitspieler laufend in einem imaginativen Zustand, d.h. sie sind in der Szene bzw. der Realität, die der Protagonist vorher konstelliert hat.

Übungsaufgabe 7.: Stellen Sie sich bitte eine Situation vor, wo Sie mit Menschen, die Ihnen gut vertraut sind, über ein brisantes Thema diskutiert haben. Wo fand diese Szene statt? Sehen Sie den Raum mit Fenstern, Tür, den einzelnen Möbeln? Wer saß wo? Wer sagte was zu wem? Was erleben Sie selbst in dieser Szene? Was empfinden Sie gerade? Versuchen Sie bitte möglichst viele Einzelheiten der Szene vor Ihrem inneren Auge auftauchen zu lassen.

In auslaufenden Stadien des Prozesses, vor Beendigung einer Therapiesitzung oder vor Beendigung eines Seminars, sind neuerlich Imaginationen relevant. So kann als Vorbereitung auf häusliche oder berufliche Situationen wiederum eine Imagination eingesetzt werden, etwa: "wenn Du jetzt an Zuhause denkst, was taucht dann an Bildern in dir auf."

Imaginationen sind auch wieder in der "Transferphase" relevant. Dann geht es darum, daß der Protagonist das soeben Erarbeitete in der neuerlich evozierten Szene anders, in einer für ihn sinnvolleren Weise als bisher, handelnd realisiert.

(2) Einsatzmöglichkeiten in der Supervision

Imaginationsübungen dienen in der Supervision zur Vergegenwärtigung szenischer Elemente und szenischer Gestalten aus dem beruflichen Erfahrungshintergrund von Supervisanden. Sie stellen als "gezielte" Imaginationen eine basale Methodik dar, mit der von Supervisanden thematisierte Praxiskonstellationen rekonstruiert werden. Sie dienen besonders in Anfangsstadien von Supervision als "unspezifische" Imaginationen zur Fokussierung beruflicher Themen.

Übungsaufgabe 8.: Welche berufliche Situation der letzten Wochen oder Tage beschäftigt Sie noch, stellen Sie sich diese bitte in möglichst vielen Einzelheiten vor.

Praxisereignisse werden bei Supervisanden bewußtseinsmäßig fokussiert. Dies ist bedeutsam, um etwa in Anfangsstadien die Aufmerksamkeit auf supervisorische Themen zu lenken oder um bereits thematisierte Phänomene bei den Supervisanden noch umfassender oder noch prägnanter in den Vordergrund treten zu lassen.

Das imaginative Geschehen auf seiten des Supervisanden und dessen Artikulation bildet aber auch die Basis für die "Teilhabe" des Supervisors an den aktuellen Darstellungen.

(3) Effekte in der Supervision

Der Effekt imaginativer Arbeitsformen liegt grundsätzlich darin, daß Deutungsmuster präzisiert und dadurch bereits spontane Umstrukturierungen befördert werden (MEICHENBAUM 1986). Darüber hinaus reichern sich, besonders bei kollektiv applizierter Imaginationsarbeit, die Deutungsmuster aller Teilnehmer an.

Die Effekte gezielter Imaginationen liegen vorrangig darin, daß erlebte Praxis weit über jede sprachliche Darstellungsmöglichkeit hinaus im Erleben des Supervisanden an Plastitzität gewinnt. Auf dem Hintergrund von Imaginationen erhält dann die sprachliche Artikulation größere Fülle und Qualität. Das ergibt oft wichtige Hinweise zur Strukturierung von Problemen.

Durch diese Form der Vergegenwärtigung von Praxisphänomenen stellen sich meistens Präzisierungen nicht-planmäßiger Deutungen von Supervisanden ein. Manchmal ergeben sich auch spontane Umstrukturierungen von Mustern.

Beispiel 13.: Eine Supervisandin eröffnete die erste Stunde, die sie zur Supervision kam, mit einem oberflächlich wirkenden Redeschwall. Sie hatte einen Tag zuvor mit ihrem Stellvertreter eine für sie völlig überraschende Fehde anläßlich einer Teamssitzung erlebt. Als sie gebeten wurde, sich diese Sitzungssituation in allen Teilen vorzustellen, wurde sie ruhiger und konnte nun eine Reihe von Wahrnehmungen im Detail artikulieren, die sie vorher gar nicht beachtet hatte. Jetzt hellte sich ihr Gesicht auf und sie meinte: "Ja klar, den hat mein guter Kontakt zu dem neuen Mitarbeiter irritiert. Der ist besorgt, daß er an Einfluß verliert."

1.1.2. Zukunftsexplorationen

Bei "Zukunftsexplorationen" handelt es sich im Prinzip um eine Sonderform von Imaginationen, d.h. um solche, die in die Zukunft gerichtet sind (YABLONSKY 1954, PETZOLD 1979). Da sie in konkreten Arbeitszusammenhängen besondere Bedeutung erlangten, führen wir sie hier als gesonderte methodische Maßnahmen auf.

(1) Konzept

Den Hintergrund für diese Arbeitsformen bildet der MORENOsche Zeitbegriff, bzw. auch wieder das Konzept der "surplus reality". Wie schon oben erläutert, propagierte MORENO, daß sich der Mensch über seine Phantasie ein "Mehr" an Realität erschließen kann. Dies gilt auch für zukünftige Ereignisse (MORENO 1972).

Bei Zukunftsexplorationen kann Zukünftiges entweder im Sinne einer "Zukunftsprobe" oder im Sinne von "Zukunftsprojektionen" thematisiert werden.

Bei der "Zukunftsprobe" geht es darum, daß ein zukünftiges, konkretes Ereignis als "Szenario" phantasiert oder sogar ausgespielt wird.

Übungsaufgabe 9.: Stellen Sie sich bitte möglichst detailreich vor, was Sie morgen, wenn Sie Ihren Arbeitsplatz betreten, erleben werden.
 
Bei "Zukunftsprojektionen" geht es allgemeiner um zukünftiges Leben, und ebentuell sogar um den Tod, der von den Klienten ebenfalls erlebnishaft thematisiert werden kann (PETZOLD 1979).

Diese Arbeitsform eignet sich besonders dazu, Ängste vor speziellen Ereignissen im Leben oder Tod (ebenda) zu konkretisieren und zu bearbeiten.

Beide Imaginationsformen werden auch häufig eingesetzt, um in der Transfer-Phase, zukünftige Handlungsformen angemessen auszumodellieren.

(2) Einsatzmöglichkeiten

Alle Themen von Supervisanden, die um Zukünftiges kreisen, lassen sich mit Hilfe dieser Maßnahmen bearbeiten. So sind manifeste Ereignisse als "Zukunftprobe", aber auch allgemeine Zukunftsvisionen oder -ängste über solche Arbeitsformen zu verhandeln. Das sind dann Fragestellungen wie: "Was tue ich idealerweise in einer kommenden Situation?", oder: "Welche beruflichen Aussichten habe ich in dieser Einrichtung?" oder: "Welche Entwicklung nimmt unsere Institution?"

In die Zukunft gerichtete Imaginationen sind eine unverzichtbare Methodik, wenn es um die "Karriereberatung" von einzelnen geht oder wenn Neuentwicklungen in Systemen zu verhandeln sind.

(3) Effekte

Die Effekte dieser Maßnahmen liegen darin, daß innere, auf die Zukunft gerichtete "Ahnungen", "Ängste", "Hoffnungen" usw., also prospektive Deutungsmuster präzisiert werden. Wie bei allen Imaginationen können dadurch Umstrukturierungen eingeleitet werden. Die Effekte liegen aber ganz besonders darin, daß sich durch diese Methodik oft gezielt Deutungs- und Handlungsmuster modifizieren lassen.

Beispiel 14.: In der Karriereberatung eines jungen Wissenschaftlers spielte die Frage, ob er einen längeren Auslandsauffenthalt in einem anderen europäischen Land machen wollte, eine zentrale Rolle. Er wurde gebeten, sich diesen Auffenthalt mit allen relevanten Parametern seines Lebens vorzustellen, also mit den Konsequenzen für seine Frau, seine Kinder, seine Eltern, Freunde, aber auch mit seinen realen Lebensvollzügen, den Unsicherheiten in einem neuen beruflichen Umfeld Fuß zu fassen usw. Nachdem er anfänglich noch sehr beklommen von der Veränderung sprach, begann er sich nun durch die Konkretisierung seiner Zukunftsvisionen immer mehr für das Neue zu erwärmen

1.1.3. Spiegeln

Beim "Spiegeln" kann der Klient sich selbst bzw. die von ihm thematisierte Rollenspielsequenz als Zuschauer beobachten.

(1) Konzept

Nach einer Phase, während derer ein Prota-gonist zunächst als Mitspieler in eine Szene eingebunden war, übernimmt nun ein anderer Teilnehmer seine Rolle. Der Protagonist beoabachtet jetzt aus einer exzentrischen Position das Spiel, bzw. sein eigenes Rollenhandeln.

Hier handelt es sich also um eine sehr intensive Feedback-Übung. Sie kann eingesetzt werden, um Handlungsmuster, die der Klient an sich noch nicht realistisch eingeschätzt hatte, für ihn deutlicher beobachtbar zu machen. Sie dient also ganz wesentlich der Rekonstruktion eigener Handlungsmuster (YABLONSKY 1976). Sie dient aber auch zur Förderung exzentrischer Haltungen bei Klienten, die zu bestimmten sozialen Konstellationen, in die sie selbst  eingebunden sind, noch keine Distanz gewinnen konnten.

Übungsaufgabe 10.: Könnten Sie eines ihrer Familienmitglieder bitten, sie beim gemeinsamen Essen zu spiegeln? Das wäre vielleicht amüsant und aufschlußreich. Besprechen Sie die kleine Sequenz gemeinsam.

Spiegeln ermöglicht, im Sinne von "Observations-Katharsis", (LEUTZ 1974) oft auch spontane Umstrukturierungen von Deutungsmustern bei Klienten im Hinblick auf die Wirkungen eigener Aktivitäten.

(2) Einsatzmöglichkeiten

Diese Arbeitsform ist bei Rekonstruktionen relevant, wo Supervisanden die Wirkung ihres Handelns auf ihre Interaktionspartner erkunden und modifizieren wollen. Sie ist ausschließlich im gruppalen Setting zu realisieren.

Beispiel 15.: In einer Supervisionsgruppe, die aus sechs Personen bestand, brachte ein Theologe, der in einer Klinik tätig war, folgendes Problem vor: Wenn er Vier-Bett-Zimmer in der Klinik betrat, um die Patienten zu begrüßen und mit seiner Präsenz in der Klinik vertraut zu machen, starteten ein oder zwei der Patienten meistens "Störmanöver". Deshalb stieß er selten zu einem sinnvollen Gespräch mit denjenigen vor, die sich für ihn interessierten. Der Theologe wurde gebeten, eine derartige, real erlebte Sequenz mit vier anwesenden Gruppenmitgliedern als Mitspielern zu spielen. Darauf übernahm ein weiteres Gruppenmitglied seine Rolle. Der Theologe war entsetzt, wie linkisch und unentschieden er sich in dieser Situation verhielt. Er schlug von sich aus vor, es "einmal anders zu probieren." Sein erneuter Versuch wirkte schon entschiedener. Darauf erarbeitete er im Rollenspiel eine Reihe alternativer Handlungsmöglichkeiten.

(3) Effekte

Durch Spiegeln gelingt es, wie durch kaum eine andere methodischen Maßnahme, die Supervisanden für eine exzentrische Position zu gewinnen, aus der sie ihr eigenes Rollenhandeln untersuchen können. Es gelingt aber auch, ihnen eine soziale Situation sehr fazettenreich sichtbar zu machen. Für Supervisanden können also auf diese Weise die Wirkungen ihres eigenen Handelns in bestimmten sozialen Situationen sehr transparent werden.

Sie präzisieren damit ihre eigenen Deutungsmsuster bezüglich bestimmter Interaktionsformen und vollziehen damit meistens schon eine Umstrukturierung.

Bei Verwendung dieser Arbeitsform ist allerdings zu beachten, daß es sich um eine sehr starke Feed-back-Übung handelt, d.h. um eine Übung mit einem hochkonfrontativen Charakter. Sie sollt nur in einem gruppalen Setting angewandt werden, das schon relativ vertrauensvoll ist.

1.1.4. Rollentausch

(1) Konzept

Beim "Rollentausch" handelt es sich um eine genuin handlungs-orientierte Arbeitsweise, die im Verlauf psychodramatischer Rollenspiele eingesetzt wird. Beim Rollentausch wechselt der Protagonist mit einem Mitspieler die Rolle. Wenn etwa in einer Spielszene die häusliche Situation des Protagonisten am Abendbrottisch gespielt wird, kann er gebeten werden, die Rolle des Vaters einzunehmen und in dieser Rolle weiterzuspielen usw.

Wie wir im kommenden Abschnitt noch sehen werden, findet Rollenspielarbeit in der Gestalttherapie immer ohne reale Spielpartner statt. Im Psychodrama dagegen werden antagonistische Rollen durch Hilfstherapeuten oder noch häufiger durch Gruppenmitglieder besetzt. Die imaginative, bzw. projektive Ausgestaltung einer Rolle, wie sie in der Gestalttherapie die Regel ist, stellt im Psychodrama eher die Ausnahme dar. Dementsprechend werden hier Übertragungen der Mitspieler kaum oder gar nicht als verzerrendes Moment antizipiert.

Übungsaufgabe 11.: Setzen Sie sich bitte in eine entspannte Position und versuchen Sie mal einen Rollentausch mit Ihrem Chef. Vergegenwärtigen Sie sich aus dieser Rolle, wie Sie alle Ihre Mitarbeiter erleben. Wer ist für Sie besonders "angenehm", wer geht Ihnen "auf die Nerven" usw.

Den konzeptionellen Hintergrund für den Rollentausch bilden vor allem rollentheoretische Überlegungen von MORENO. Hiernach gelten psycho- und soziodramatische Rollen bzw. Komplementärrollen als zirculäre Interaktionsphänomene in jeder sozialen Matrix. Dementsprechend können sie auch in einer solchen Matrix imaginativ reproduziert werden.

Durch diese Arbeitsformen kommt der Klient automatisch in die Lage, sich mit einer anderen Rolle, also etwa der des Vaters, zu identifizieren. Er gewinnt auf diese Weise nicht nur Rollendistanz zu seiner eigenen Rolle als Sohn, sondern er erfährt jetzt auch die interaktive Dynamik zwischen sich und dem Vater. Er kann darüber hinaus gebeten werden, eine wieder andere Rolle, etwa die der Schwester oder die der Mutter usw. einzunehmen. Auf diese Weise gelingt es, die Dynamik innerhalb eines sozialen Systems erlebbar zu machen.

(2) Einsatzmöglichkeiten

Rollentausch ist immer dann angezeigt, wenn es bei Rekonstruktionen und gezielter Veränderungsarbeit um das Erkunden der selbststeuernden Dynamik von Interaktionen oder sozialer Systeme geht. In anschließenden Sequenzen kann versucht werden, über den Supervisanden als aktiven Rollenpartner, die Soziodynamik zu modifizieren.

Beispiel 16.: Ein Hochschullehrer, der gerade in die Position eines Dekans gewählt worden war, erlebte in manchen der Sitzungen, die er nun zu leiten hatte, eine nur schwer verstehbare Dynamik. Zwei der Fakultätsmitglieder entwickelten im Verlauf der Sitzungen jeweils eine unterschwellige Koalition gegen ihn. Dies verwunderte ihn sehr, denn genau zu diesen beiden Kollegen hatte er im allgemeinen sehr freundliche Beziehungen. Als eine derartige Sitzung in einer Supervisionsgruppe nachgestellt wurde, erlebte der Hochschullehrer im Rollentausch mit den beiden, daß in diesem Zusammenhang eine dritte Person von Bedeutung war. Mit diesem dritten Kollegen hatte er in früheren Zeiten verschiedentlich heftige Kontroversen ausgetragen, die jetzt aber vordergründig beigelegt schienen. Im Rollentausch mit den beiden ersten Kollegen bemerkte er aber nun, daß diese für den dritten einen "Scheinkampf" gegen ihn führten. Als er die Sitzungsdynamik erfassen konnte, entschied er sich, mit dieser dritten Person einen nochmaligen Klärungsversuch zu starten.

(3) Effekte

Rollentausch dient also zur erlebnishaften Rekonstruktion psycho- und soziodramatischer Rollen sowie Komplementärrollen, dem Erkunden ihrer gegenseitigen Einsteuerung und Determinierung durch ein soziales System. Supervisanden können auf diese Weise, die eigenen Muster aus exzentrischer Position wahrnehmen. Durch diese Methodik werden Supervisanden ermutigt, autonome Handlungsmöglichkeiten zu mobilisieren und eingeschliffene Interaktionsdynamismen zu durchbrechen.

Rollentausch führt oft zu einer spontanen Umstrukturierung von Deutungs- und Handlungsmsutern, aber auch zu ihrer "Anreicherung."

Beim psychodramatischen Rollentausch besteht allerdings die Gefahr, daß Übertragungen von Mitspielern in die Interaktion hineingetragen werden. Wenn solche als störend wahrnehmbar sind, sollten die Mitspieler ausgetauscht werden.

1.1.5. Rollenwechsel

(1) Konzept

Beim "Rollenwechsel" wird der Protagonist in einem Rollenspiel gebeten, eine andere Rolle aus seinem Rollenrepertoire als bisher zu verkörpern. Wenn er sich also im Spiel gerade als Familienvater darstellte, spielt er nun seine Rolle als berufstätiger Mann aus usw.

Übungsaufgabe 12.: Nehmen Sie bitte ein Blatt Papier und notieren Sie sich alle Ihre derzeitigen Berufs- und Privatrollen auf.

Solche Rollen können auch von anderen Mitspielern verkörpert werden. Sie treten dann in einen Dialog ein, so daß sich also die Rolle des Vaters und des berufstätigen Mannes auseinandersetzen. Da es hier um eigene Rollen geht, wird der Rollenwechsel, wie in der Gestalttherapie, manchmal auch imaginativ realisiert, d.h. der Klient nimmt mal den einen mal den anderen Rollenpart auf einem leeren Stuhl ein (PETZOLD 1979).

(2) Einsatzmöglichkeiten

Rollenwechsel kann immer dann eingesetzt werden, wenn sich Supervisanden mit unterschiedlichen Rollensegmenten auseinandersetzen wollen, wenn diese in Konflikt oder Kollusion geraten oder wenn externe/interne Rollenkonflikte auftreten. Auch das Phänomen der "Rollenüberlastung" (MAYNTZ 1963) läßt sich auf diese Weise platisch darstellen und bearbeiten. Ebenso sind Rollendivergenzen zu präzisieren und ihre Integration zu befördern oder verschiedene Rollensegmente werden vom Supervisanden neu, nun in reflektierter Form ausgestaltet.

Übungsaufgabe 13.: Wenn Sie alle die Rollen, die Sie soeben notiert haben, betrachten, überlegen Sie bitte, ob diese Rollen alle gut zueinander passen oder ob manche mit manchen anderen kollidieren. Diskutieren Sie dieses Thema bitte in Ihrer Lerngruppe

(3) Effekte

Durch diese methodische Maßnahme werden unterschiedliche Rollen aus dem Repertoire eines Menschen präzisiert und in Beziehung gesetzt. Im Verlauf der Methodenapplikation finden meistens auch wieder spontane Umstrukturierungen von Deutungs- und Handlungsmustern statt.

Beispiel 17.: Gemeindepfarrer befinden sich meistens in einem chronischen Zustand von Rollenüberlastung. Im Verlauf einer Gruppensupervision wurde eine derartige Problematik thematisiert. Der betreffende Protagonist/Pfarrer ordnete nun den anderen acht Gruppenmitgliedern eigene Rollen zu. Da die Mitglieder für die vielen Rollen nicht ausreichten, mußten für einige weitere Rollen leere Stühle aufgestellt werden. "Du meine Güte," meinte nun der Protagonist selbst entsetzt von seiner Rollenvielfalt. Bis zur nächsten Supervisionssitzung versah er alle diese Rollen mit einer "Rollenbeschreibung", wobei ihm allerdings auffiel, daß sich einige seiner Rollen überschnitten und vor allem, daß sie eine je unterschiedliche Gewichtung für die Gemeindemitglieder auf der einen Seite und für ihn selbst auf der anderen hatten. Es gelang ihm nun zunehmend, Präferenzen zu setzen, welche Rollen er besonders zeitintensiv ausgestaltete und welche nicht. Auf diese Weise gelangte er zu einer neuen Klarheit in seiner Position.

1.1.6. Doppelgänger

(1) Konzept

Die methodische Maßnahme des "Doppelgängers", oder "Hilfs-Ich" genannt, begegnet uns in verschiedenen Varianten. Die wichtigsten von ihnen sind das (ebenda)

- telische Doppel,
- einfühlende Doppel,
- suggestive oder pervasive Doppel,
- konfrontative Doppel,
- paradoxale Doppel und
- multible Doppel.

Diese Arbeitsweise resultiert in ihrer klassischen Form, als "telisches Doppel", aus dem Entwicklungsmodell von MORENO (MATHIAS 1982). Danach wird in der frühen Mutter-Kind-Beziehung das mütterliche Ich vom noch ich-schwachen Kind zu seiner Stabilisierung übernommen.

In der konkreten methodischen Umsetzung tritt ein Hilfs-Therapeut oder eventuell auch ein Gruppenmitglied hinter den Klienten und verbalisiert in maximaler psychischer "Verschmelzung" Gedanken und vor allem Gefühle, die der Klient noch nicht zum Ausdruck zu bringen vermochte.

Eine weniger "konfluente", also emotional distanziertere Form des Doppelns, stellt das "einfühlende Doppel" dar. Hierbei artikuliert der Doppelgänger weniger tiefgreifende Gefühle als beim telischen Doppel, sondern eher solche, die vorbewußt, für den Klienten leichter nachvollziehbar und damit schon zugänglich sind.

Beim "suggestiven Doppel" suggeriert der Doppelgänger bestimmte Gefühlsqualitäten. Beim "persuasiven Doppel" sucht er den Protagonisten sogar zu bestimmten Gefühlen bzw. Handlungen zu überreden. Beim "konfrontativen Doppel" artikuliert der Doppelgänger in provokativer Weise Emotionen des Klienten, die der in dieser Form noch gar nicht artikulieren wollte, und beim "paradoxalen Doppel" artikuliert er geradezu entgegengesetzte Gefühle, als die, die beim Klienten aktuell spürbar sind.

Beim "multiblen Doppel" können zwei oder drei Doppelgänger eingesetzt werden, die je unterschiedliche Gefühlsanteile des Klienten verkörpern. Im Verlauf des Spiels tritt der eine oder der andere Doppelgänger, je nach den aktuellen emotionalen Besonderheiten des Klienten, in den Vordergrund.

Übungsaufgabe 14.: Versuchen Sie doch mal ein "einfühlendes Doppel" in Ihrer Arbeitsgruppe. Stellen Sie sich bitte hinter ein Gruppenmitglied und artikulieren Sie einfühlend, was es den anderen Teilnehmern gegenüber erlebt. Diskutieren Sie anschließend diese Sequenz.

(2) Einsatzmöglichkeiten

Doppelgänger-Arbeit dient in der Supervision dazu, Deutungsmuster, die beim Supervisanden noch weitgehend prärational sind, prägnant zu machen. Das gilt für noch nicht artikulierte Wünsche oder Hemmungen, das gilt aber auch für Ambivalenzkonflikte und kollidierende Gefühle.

(3) Effekte

Ein wesentlicher Effekt des "Doppelns" besteht darin, innere Muster durch andere in sprachliche übersetzen zu lassen. Über diese Methodik wird der Klient geradezu gezwungen, sich mit diesen sprachlich ausgedrückten Mustern auseinanderzusetzen, sie anzunehmen oder abzulehnen. Auf diese Weise dienen sie der Präzisierung eigener Deutungsmuster und dadurch wieder zur Umstrukturierung. Durch diese dialogorientierten Maßnahmen werden aber auch die Deutungsmuster umfassend angereichert.

Beispiel 18.: Die Leiterin eines Altenheimes investierte große Mühe, alle Mitarbeiter und Bewohner des Hauses zufrieden zu stellen. Sie war auf diese Weise heftig überfordert. Anläßlich einer Rekonstruktion der Haussitzungen stellte sich heraus, daß mit dieser chronischen Selbstüberforderung ausgesprochen ambivalente Gefühle einhergingen. Nun wurden zwei Doppel gebeten, einen positiven und einen negativen Gefühlsanteil zu verkörpern. Die Protagonistin wehrte das negative, relativ agressive Doppel zunächst eher ab. Im weiteren Verlauf wurde sie diesem Anteil gegenüber immer aufmerksamer. Am Ende des Rollenspiels wirkte sie sehr nachdenklich, "ja, ich sollte mehr delegieren," meinte sie. "Daß ich mir ja auch Entlastung schaffen kann, ziehe ich immer gar nicht in Betracht."


Literaturhinweise

Literatur zum Psychodrama

Petzold, H., Psychodrama. Die ganze Welt ist eine Bühne, in: Petzold, H. (Hrsg.), Wege zum Menschen, Bd. 1., Paderborn 1984

Petzold, H., Psychodrama-Therapie, Beiheft zur Integrativen Therapie 3, Paderborn 1979

Literatur zum Psychodrama in der Supervision

Buer, F., Psychodramatische Konzepte und Methoden in der Supervision, in: Integrative Therapie 3-4/1989, S. 336-344

Schreyögg, A., Supervision - ein integratives Modell, Lehrbuch zu Theorie und Praxis, (2.Aufl.) Paderborn 1992