Die Bedeutung von Theorie- und Methodenpluralität in der Supervision

Die Bedeutung von Theorie- und Methodenpluralität in der Supervision


Angesichts dieser Gegenstandsbreite, in der Supervision heute gefaßt werden muß, ergibt sich nun die Frage, mit welchen Theorien und welchen Methoden der Supervisor als professioneller Aktor die Supervision bestreiten soll.

Bislang wurde Supervision, theoretisch wie methodisch, meist nur durch einen einzigen Beratungsansatz, in der Regel aus dem Bereich der Psychotherapie, fundiert (LED-DICK/BERNHARD 1980). Dieser bestimmte dann sowohl Diagnosen und Methoden in der supervisorischen Beratungssituation, als auch die Perspektiven, mit denen die Supervisandenarbeit erfaßt und analysiert wurde. Wie STOLTENBERG/DELWORTH (1987) aber schon zeigen, ist das interaktive Geschehen zwischen Supervisor und Supervisand, sowie die jeweils relevanten supervisorischen Themen, nicht mit nur einem einzigen Verfahren und seinen theoretischen Implikationen angemessen zu bestreiten.

In jeder Supervision ist eine gewisse Theorie- und Methodenpluralität schon aus pragmatischen Gründen unumgänglich.

Wenn wir aber Supervision, wie Psychotherapie, Pädagogik usw. als angewandte Sozialwissenschaft begreifen, kann es nicht gleichgültig sein, welche Theorien und welche Methoden jeweils Verwendung finden; denn alle Theorien und alle Methoden enthalten sozialwissenschaftliche Implikationen im Sinne anthropologischer Prämissen. Auf diesem Wege fließt in jede Diagnose und Methodenwahl eine je spezifische normative Orientierung des Supervisors ein.

So läßt sich behaupten, daß Theorie- und Methodenvielfalt eine pragmatische und eine normative Bedeutung hat.

2.1. Die pragmatische Bedeutung

Aus pragmatischer Sicht muß sich die Wahl und Anwendung von Theorien und Methoden an den Ansprüchen realer supervisorischer Praxis orientieren. Theorie dient in der Supervision zur Diagnose

- thematischer Anliegen der Supervisanden und zur Diagnose
- der aktuellen supervisorischen Beziehungen in ihrem jeweiligen Kontext.

Übungsaufgabe 4.: Notieren Sie sich bitte, welche Theorie Sie zur Diagnose der inhaltlichen Anliegen Ihrer Supervisanden und welche sie zur Analyse Ihrer Beziehung zu den Supervisanden bevorzugt verwenden.

Theorie muß dann so ausgewählt sein, daß sie das, was es zu diagnostizieren gilt, auch angemessen erfaßt, d.h. sie muß ihren Verwender instandsetzen, je nach dem aktuellen Thema und den damit verbundenen Problemkonstellationen unterschiedliche Perspektiven freizulegen. Sie muß beziehungs- und kontextspezifische Phänomene in der Supervisionssituation, wie auch in der thematischen Auseinandersetzung zu erfassen vermögen. Für individuelle und interaktive Phänomene werden dann jeweils andere theoretische Muster relevant sein als etwa solche für organisatorische Zusammenhänge.

Und auch die Methodik sollte je nach den spezifischen Themen, Beziehungen und kontextuellen Bedingungen "passend" gewählt werden. Im anderen Fall wird über die Methodik bei den Supervisanden unproduktiver Widerstand erzeugt usw.

2.2. Die normative Bedeutung

Wie schon angesprochen, enthält jede Theorie, aber auch jede Methode eine je spezifische normative Position. Diese fließt dann als unbemerkte Setzung auch in die supervisorische Arbeit ein. Sie bestimmt dabei nicht nur die Perspektivität des Supervisors, sondern auch die der Supervisanden. Dabei wird sie der Vielfalt aktuell relevanter menschlicher Phänomene mehr oder weniger gerecht.

(1) Theorien, die in der sozialwissenschaftlichen Diskussion bereits umfassend auf ihre normativen Implikationen thematisiert werden, lassen sich nach folgenden Gesichtspunkten unterscheiden:

(1.1.) nach dem ihnen zugrundeliegenden sozialwissenschaftlichen Paradigma,
(1.2.) nach dem sogenannten Menschenmodell, das ihnen als implizite Sicht vom Menschen zugrundeliegt, und danach
(1.3.) ob sie das Phänomen Arbeit und arbeitsweltliche Phänomene miterfassen. Dies ist  gerade für Supervision, die thematisch immer auf Arbeit und arbeitsweltliche Zusammenhänge zentriert ist, von entscheidender Bedeutung.

ad (1.1.) Sozialwissenschaftliche Theorien lassen sich zunächst nach ihrer Paradigmatik unterscheiden, d.h. danach, ob sie individuelle, interaktionale oder systemische Phänomene von Menschsein zu erklären versuchen. So finden wir im Bereich der Psychologie eine Vielzahl von Individualkonzepten (z.B. PIAGET 1946), die den Menschen als "homo clausus", also von seinen aktuellen Sozialbeziehungen weitgehend unbeeinflußbar, erscheinen lassen.

Bei interaktionistischen Konzepten, wie sie aus der Sozialpsychologie oder Kommunikationstherapie stammen, werden dyadische oder triadische Sozialbeziehungen erklärt.

Wenn gruppale oder organisatorische Zusammenhänge thematisiert werden sollen, müssen zu ihrer Strukturierung Theorien mit systemischen Paradigmen verwendet werden.

In der Supervision müssen dann jeweils solche Theorien angewandt werden, die durch ihre paradigmatischen Positionen geeignet sind, den aktuell zu strukturierenden Phänomenbereich zu erfassen.

ad (1.2.) Über diese grobe paradigmatische Klassifikation hinaus läßt sich aber auch zeigen, daß Theorien, die demselben Paradigma zuzuordnen sind, unterschiedliche anthropologische Positionen, d.h. "Menschenmodelle" (HERZOG 1984), enthalten. So folgen etwa eine Vielzahl entwicklungspsychologischer Modelle einem organismischen Modell, d.h. menschliche Entwicklung wird als primär biologisches Ereignis begriffen (HERZOG 1984). Klassische Lerntheorien, die ebenfalls einer individuellen Paradigmatik folgen, unterlegen dagegen ein mechanistisches Modell vom Menschen. Im Sinne einer Maschinenmetapher wird er als schematisch reagierend begriffen. Phänomene individueller Willensbildung lassen sich auf diese Weise nicht erfassen.

Für die Verwendung von Theorie in der Supervision bedeutet das dann, daß je nach dem aktuell relevanten Phänomen theoretische Ansätze herangezogen werden müssen, die mal das eine und mal das andere Menschenmodell unterlegen.

ad (1.3.) Supervision, die vorrangig auf Arbeit und arbeitsweltliche Kontexte zentriert ist, bedarf auch theoretischer Konstruktionen, die diesen Phänomenbereich erfassen. Psychologische Theorien, die für die Supervision vorrangig herangezogen werden, lassen aber die Strukturierung solcher Erscheinungen im allgemeinen nicht zu. Supervision muß deshalb in vielen Fällen auf soziologische oder gesellschaftstheoretische Konzepte zurückgreifen.

Beispiel 4.: Die Leiterin eines Tagungshauses litt unter massiven Querelen mit der Hauswirtschaftsleiterin, so daß sie sogar eine Vielzahl von psychosomatischen Symptomen entwickelte. Sie suchte für einige Stunden einen Supervisor auf, der die Probleme der Leiterin als "Übertragung" diagnostizierte und nun an der Mutter- und Schwesterbeziehung der Supervisandin arbeitete. Als sich die Symptome der Leiterin nicht merklich besserten, suchte sie einen anderen Supervisor auf. Dieser untersuchte den Gesamtzusammenhang des Tagungshauses und diagnostizierte einen Mangel an Kompetenzabgrenzung zwischen den Frauen, ein Mangel an Delegationsfähigkeit der Leiterin usw. Im weiteren Verlauf konnte die Leiterin gewonnen werden, die Struktur des Hauses und ihren Führungsstil zu verändern. Nun stellte sich auch Besserung der Symptome ein.

(2) Normative Positionen sind nicht nur Theorien, sondern auch Methoden unterlegt. So finden wir in der bisherigen Supervisionsliteratur weithin psychotherapeutische Methodik. Sie akzentuiert im allgemeinen nur individuelle oder interaktionale Phänomene. Erst familientherapeutische Ansätze, soweit sie sich auf Systeme beziehen, erbringen methodische Maßnahme, die Systeme erfassen. Oder auch das Psychodrama mit seiner spezifischen Anthropologie vermag soziale Systeme methodisch abzudecken.

Dabei muß allerdings angemerkt werden, daß in psychotherapeutischen Modellen, vermittelt durch die Methodik, grundsätzlich die Gefahr besteht, daß arbeitsweltliche Phänomene unangemessen emotionalisiert werden. Aus diesem Grund ist es häufig wichtig, daß unabhängig von psychotherapeutischen Arbeitsformen, rationale Auseinandersetzungen in der Supervision stattfinden.

 

Literaturhinweise

Theorie- und methodenplurale Modelle in den USA

Stoltenberg, C.D. & Delworth, I.J., Supervising councelors and therapists, Jossey Bass Publishers, San Francisco 1987

Theorie- und methodenplurale Modelle im deutschsprachigen Raum

Rappe-Giesecke, K., Theorie und Praxis der Gruppen- und Teamsupervision, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg usw. 1990

Schreyögg, A., Supervision - ein integratives Modell, Lehrbuch zu Theorie und Praxis, Junfermann, Paderborn 1992 (2. Aufl.)