Supervision und Coaching für die Schulentwicklung

Supervision und Coaching für die Schulentwicklung

ISBN-10: 3-9831589-37-4
ISBN-13: 978-3-931589-37-0
Verlag:  Deutscher Psychologen Verlag

Einführung

Dieses Buch entstand auf der Basis von Fortbildungsprogrammen für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Seit 1996 wurden als Kooperationsprojekt zwischen der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Bayern (Dillingen/Donau) sowie dem bayerischen Kultusministerium auf der einen Seite und der Deutschen Psychologen Akademie des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) auf der anderen ca. 60 Schulpsychologen ausgebildet. Inhaltlich handelt es sich um Supervisionsausbildungprogramme für Psychologinnen und -psychologen, in die auch Themenbereiche verwandter Beratungsformen wie Organisationsentwicklung und Coaching integriert wurden. Damit ist Bayern das erste Bundesland, das eine so große Anzahl von Schulpsychologen planmäßig zu Supervisoren ausbilden ließ.

Die meisten Beiträge des vorliegenden Bandes stellen Abschlußarbeiten von Teilnehmern des ersten Kurses dar. Die Themen ihrer Arbeiten haben sie selbst bestimmt. Sie wurden von der Kursleitung lediglich gebeten, bei der Themenauswahl ihren Vorlieben, die sie im Verlauf der Fortbildung entwickelt haben, ihren besonderen Interessen, - und natürlich der Bedarfslage in ihrem beruflichen Umfeld – Rechnung zu tragen. So erhält bereits die Art der Themen Aussagen über das, was heute an beruflichen Beratungsformen in schulischen Milieus potentiell angeboten und hier auch nachgefragt wird. Dabei zeigt sich, daß die im Verlauf des Kurses entwickelten Kompetenzen der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie die Anfragen ihrer „Kunden“ die Grenzen der bisherigen Supervisionsdebatte an Schulen erheblich überschreiten. Die aktuelle Situation ist vielmehr so, daß sich traditionelle Formen der Supervision mit Maßnahmen der Personalentwicklung im Sinne von Fortbildung und Coaching verschränken, damit aus diesen Prozessen „die neue, die lernfähige Schule“ entstehen kann. So plädieren die Autoren dieses Bandes schon aufgrund ihrer Themenauswahl dafür, daß Supervision und Coaching zur generellen Entwicklung von Schulen dienen soll. Es sei aber schon an dieser Stelle bemerkt, daß die Autoren Beratung in Schulen unterschiedlichen Typs beschreiben, also in Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien, aber auch in Tagesheim- und Förderschulen.  

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel.

(I) Im ersten wird Grundlegendes verhandelt. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels stelle ich Supervision und Coaching als Beratungsformen begrifflich und mit ihren jeweiligen Wurzeln kurz vor, um sie sodann in einen Rahmen von anderen Veränderungsstrategien an Schulen zu stellen. Im zweiten Abschnitt wird von Friedhelm Wilker und mir das gelehrte Supervisions-Curriculum präsentiert. Es handelt sich dabei um einen „integrativen“ Ansatz, d.h. um ein Handlungsmodell, in dem eine Vielzahl von Theorien und Methoden angewandt werden. Im dritten Abschnitt erläutern Arthur Engelbrecht und Bernhard Meißner, Vertreter des Landesverbandes Bayerischer Schulpsychologen, zuerst die besondere Situation bayerischer Schulpsychologen, die sich in etlichen Punkten von der in anderen Bundesländern unterscheidet. Danach berichten die Autoren über Entwicklungen, die zur Etablierung der aktuellen Supervisionsausbildungprogramme geführt haben.

(II) Ab dem zweiten Kapitel kommen nun die Praktiker zu Wort. Dabei geht es zunächst um Fragen, wie Supervision in der schulischen Hierarchie implementiert werden kann – bzw. schon implementiert werden konnte. Im ersten Abschnitt stellt Katharina Schlamp exemplarisch dar, wie sie anläßlich von Fortbildungen für neu ernannte Schulleiterinnen und Schulleiter Supervision und Coaching theoretisch und praktisch präsentiert. Die Autorin postuliert, daß diese Veränderungsstrategien in den nächsten Jahren voraussichtlich ein immer stärkeres Gewicht erhalten werden und es deshalb von zentraler Bedeutung ist, Schulleitungen mit diesen Maßnahmen möglichst gut vertraut zu machen. Nur dann werden sie nämlich bereit sein, diese zu bejahen und dann auch zu fördern. Herrmann Meidinger steigt noch eine Stufe höher in der schulischen Hierarchie, indem er sich „in die Höhle des Löwen“ begibt. Er berichtet von Supervision und Coaching bei Schulaufsichtsbeamten. Anläßlich von Seminaren über „Gesprächsführung“ gelang es dem Autor auch diese Gruppierung für die beiden Beratungsformen zu interessieren. Die Beamten ließen sich sequenzenweise coachen  und fanden die präsentierten Arbeitsformen insgesamt sehr nützlich. Entsprechende Effekte belegt der Beitrag von Detlev Weich und Hans-Joachim Röthlein. Diese Autoren berichten zwei Beispiele,  in denen Schulaufsichtsbeamte sie baten, zwei Lehrkräfte im Sinne von Personalentwicklung supervisorisch zu begleiten. Die Autoren zeigen sehr eindrucksvoll, daß Amtshilfe dieser Art in manchen Fällen durchaus hilfreich sein kann, in anderen nicht. Das Fazit lautet, wenn sich die Fehlhaltungen bei den betreffenden Lehrern aus ideologischen oder persönlichen Gründen zu stark verfestigt haben,  kann Supervision nichts ausrichten. Die Autoren machen aber auch klar, daß diese Art der Amtshilfe ethisch nur dann vertretbar ist, wenn dem Schulpsychologen als Supervisor maximale Autonomie seitens der Schulaufsicht zugesichert wird. Er fungiert dann im Status eines organisationsinternen Personalentwicklers aus einer Stabsabteilung.

(III) Im nächsten, dem dritten Kapitel finden wir Beiträge zur Praxeologie von Supervision und Coaching, d.h. es wird von methodischen Innovationen berichtet. Rita Langhainzl präsentiert neue Arbeitsformen beim Coaching von Schulleitern. Sie wendet nicht nur unterschiedliche Varianten des Rollenspiels an, sie läßt auch malen, mit Bauklötzen hantieren usw. Sie postuliert, daß Methoden, mit denen das Sprachliche überschritten wird, in bestimmten Phasen der Beratung besonders hilfreich sind. So läßt sich z.B. das Anfangsstadium, wo es um die Erstdiagnostik geht, besonders gut durch Panoramaarbeit unterstützen. Dabei geht es um die bildliche Darstellung bisher erlebter Lebens- oder Berufsprozesse, die dann gemeinsam mit dem Klienten auszudeuten sind. Im nächsten Abschnitt erläutert Wolfgang Pfeiffer, daß Supervision mit Hilfe des Mediums Musik erheblich bereichert werden kann. Zunächst zeigt der Autor, wie musiktherapeutische Ansätze für die Supervision adaptiert werden können, daran anschließend entwickelt er musikalische Arbeitsformen, die an erlebnis- und handlungsorientierte Verfahren der Psychotherapie anschließen. In diesem Zusammenhang erfahren wir von einem „Rollenorchester“ oder von musikalischen Arbeitsweisen, mit denen das Rollenrepertoire von Supervisanden erweitert werden kann.

(IV) Das vierte Kapitel beschäftigt uns mit der Supervision von schulinternen „Vertrauensleuten“. Im ersten Abschnitt gibt uns Beate Sitek Einblick in ihre Fortbildungsarbeit mit „Verbindungslehrern“, früher „Vertrauenslehrer“ genannt. Sie zeigt, wie sie die seitens des Ministeriums sehr knapp bemessene Zeit von nur einem Tag Vorbereitung maximal zu nutzen weiß. Die Aufgabenstellung dieser Funktionsträger, die überwiegend im Konfliktmanagement besteht, rollt die Autorin nicht nur theoretisch auf, sondern sie versucht in die Fortbildung auch jeweils kleine Sequenzen exemplarischer Supervision zu integrieren. Mit Hiltrud Schramm tauchen wir noch tiefer in den schulischen Alltag ein. Sie berichtet über die Ausbildung von Peer-Mediatoren und über die Unterstützung des Projektes an einer Schule. Dabei handelt es sich um Schülerinnen und Schüler, die für die Regelung von Konflikten auf der Schülerebene ausgebildet werden. Die Autorin zeigt, wie sie die Mediatoren durch Supervision sowohl bei ihrer Rollenklärung, als auch bei der Implementierung ihrer Funktion im schulischen Kontext durch Supervision unterstützt.

(V) Das fünfte Kapitel thematisiert Ängste von Lehrern vor der Supervision aber auch ihre positiven Effekte. Im ersten Abschnitt berichten Monika Horn und Brigitte Namer von der Supervision des Teams einer gesamten Schule. In den ersten Sitzungen verhielten sich die Lehrkräfte sehr bedeckt. Erst als der Rektor und dann die Konrektorin als Fallgeber fungierten, war das Eis gebrochen und die Teamsupervision verlief flüssiger. Das Fazit der Autorinnen ist, daß gerade im Teamsetting ein hohes Angstpotential zu beobachten ist, dem Supervisoren vor allem zu Beginn der Arbeit mit eher kognitiv geleiteten Sequenzen Rechnung tragen sollten. Anderen Berufsgruppen vergleichbar, besteht allerdings auch bei Lehrern eine erhöhte Bereitschaft zur Supervision, wenn sie mit Konflikten konfrontiert sind. Wie aber Sabine Hitzler-Leikauf und Gertrud Noppeney berichten, mobilisieren sie auch dann noch ein erhebliches Maß an Abwehr. Dieser sollte dann mit äußerst sensiblen Arbeitsformen begegnet werden. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels geht Pauline Schäferling der Frage nach, ob angesichts aller dieser Komplikationen Supervision bei Lehrern überhaupt lohnend ist. Vor allem aus der Sicht des Finanzgebers, hier des Kultusministeriums, kann es nicht gleichgültig sein, ob die Supervision nur der „Seelenmassage“ von Lehrern dient oder eher der Erhöhung ihrer Funktionsfähigkeit. Auf dem Hintergrund einer qualitativen Analyse hat die Autorin untersucht, ob Lehrkräfte, die sich supervidieren ließen, tatsächlich Funktionsverbesserungen berichten können. Sie befragte insgesamt sechs Personen in verschiedenen Stadien eines Supervisionsprozesses. Ihr Fazit ist, daß zu Beginn des Prozesses der persönliche Gewinn im Vordergrund steht, im weiteren Verlauf stellt sich aber aus der Sicht der Befragten tatsächlich eine verbesserte Funktionsfähigkeit im schulischen Kontext ein.

(VI) Autoren des sechsten Kapitels zeigen, daß Teamsupervision bzw. Teamentwicklung in Schulen immer als Beitrag zur Schulentwicklung zu werten ist. Bruno-Ludwig Hemmert berichtet von einem Projekt, bei dem in einer Schule zunächst ein Gesprächskreis etabliert wurde, aus dem sich die Supervision eines Teilteams der Schule entwickelte. Diese Aktion hatte für die übrigen Kollegen einen so anregenden Charakter, daß sich nun 2/3 des Kollegiums ein Wochenende lang trafen, um die Entwicklung der gesamten Schule voran zu bringen. Von einem Schulentwicklungsprojekt in einer Tagesheimschule berichtet Silvia Matitschka. Auch hier war der Ausgangspunkt eine Teamsupervision. Aus diesen Zusammenkünften entwickelten sich im weiteren Verlauf allerlei Innovationen in der Schule. Es wurde eine Steuergruppe eingerichtet, eine Mediatorenausbildung für Schüler etabliert usw. Im Beitrag von Andrea Klement erfahren wir von einem breit angelegten Schulentwicklungsprojekt. Die Autorin hatte verteilt über drei Jahre in sechs Gymnasien Teilteams supervidiert. Die Veranstaltungen, die mit ausdrücklicher Genehmigung der jeweiligen Schulleitung stattfanden, wurden von der Autorin empirisch evaluiert. Dabei konnte sie die Hypothese belegen, daß selbst die Beratung von Teilteams positive Entwicklungen in den jeweiligen Schulen zur „lernenden Organisation“ befördern kann. Hans Rammrath und Hans Römer führen uns mitten in das brodelnde Konfliktfeld einer Grundschule. Anhand der Arbeit mit diesem System können die Autoren überzeugend belegen, daß Fälle, in denen die Interaktionen zwischen der Schulleitung und dem Kollegium bereits höhere Grade feindlicher Eskalation aufweisen, am besten durch „Tandemsupervision“ zu bewältigen sind. Dann arbeitet ein Berater als Teamsupervisor mit dem Kollegium und der andere fungiert als Coach für die Schulleitung. Sie bleiben aber laufend in fachlich engem Kontakt, um die Parteien so langsam wieder zu einem konstruktiven Dialog zu führen. Dieses und noch manches andere ist in diesem Beispiel gelungen, so daß auch hier von einem Schulentwicklungsprojekt, das einen positiven Prozeß befördert hat, gesprochen werden kann.

Anhand dieser kurzen Einführung konnte ich vielleicht schon deutlich machen, daß es sich hier um ein vielgestaltiges und spannendes Buch handelt, das uns mit unterschiedlichsten Beratungskonstellationen in Schultypen aller Art in verschiedenen Gegenden von Bayern konfrontiert.       

An dieser Stelle möchte ich noch allen Menschen danken, die am Zustandekommen dieses Buchprojektes in direkter oder indirekter Weise beteiligt waren. Da ist zunächst Herr Ludwig Häring zu nennen, Leiter der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen, der sich sehr umfassend für das Supervisionsausbildungsprojekt unter anderem beim bayerischen Kultusministerium engagiert hat. Außerdem sei Frau Ingrid Frisch gedankt, ehedem leitende Psychologin in der Akademie in Dillingen. Sie hat bei den ersten Programmteilen die Koordination übernommen.  Dank gebührt auch den Vertretern des Verbandes bayerischer Schulpsychologen, außerdem der Deutschen Psychologen Akademie, die das Ausbildungsprogramm mit den jeweiligen Dozenten koordiniert hat. Und natürlich möchte ich auch allen Autoren danken, die für dieses Buch einen Beitrag geliefert haben.

Astrid Schreyögg              April 2000