Coaching - Ergänzung oder Alternative zur Organisationsberatung
1. Problemlage
Im vorliegenden Beitrag möchte ich die Relation zwischen Organisationsberatung und Coaching thematisieren. In Fällen, in denen Menschen ihre Organisation verändern wollen oder sogar müssen und dabei externe Beratung in Anspruch nehmen, stellt sich die Frage, in welchem sozialen Rahmen dies geschehen soll. Dann ist zu klären,
• ob die Beratung im Sinne von Organisationsberatung das gesamte soziale System umfassen oder
• ob die Beratung im Sinne von Coaching lediglich die Führungskräfte ansprechen soll, um sie zu befähigen, Veränderungen der Organisation selbst in die Hand zu nehmen.
• In vielen anderen Fällen scheint es ratsam, Organisationsberatung und Coaching als sich ergänzende Beratungsformen einzuplanen.
Meine zentrale These ist, daß die Entscheidung, ob Coaching und Organisationsberatung in einem ergänzenden oder konkurrierenden Verhältnis stehen sollen, im wesentlichen nach dem Zustand einer jeweiligen Organisation zu fällen ist. In Systemen, die man durch Organisationsberatung im Sinne von „Sanierungsmanagement“ vor ihrem Untergang retten will, dient Coaching oft als wichtige Ergänzung. In weniger gefährdeten Organisationen erweist sich Coaching dagegen vielfach als die „bessere“ Alternative zur Organisationsberatung .
2. Coaching als Ergänzung zur Organisationsberatung
Aufgrund der Globalisierung, aufgrund der Verknappung von Ressourcen, aufgrund der Erhöhung der Umweltkomplexität (Doppler & Lauterburg 1994), aufgrund des Transformationsprozesses sowie anderer Entwicklungen geraten heute viele Systeme unter existenzgefährdenden Druck. Die Insolvenzen bzw. Konkurse nehmen in einem erschreckenden Ausmaß zu. Lag ihre Zahl 1992 noch bei 14.000, belief sie sich 1996 schon auf das Doppelte (Stockert 1998). Es ist jedenfalls festzustellen, daß heute viele Firmen krisenhafte Erscheinungen aufweisen. Dabei lassen sich Krisen mit unterschiedlichem Gefährdungsgrad unterscheiden:
(1) Bei strategischen Krisen handelt es sich um Orientierungslosigkeit im System, wie die weitere Zukunft gestaltet oder gesichert werden soll.
(2) Ertragskrisen stellen dagegen Situationen dar, in denen die Firma keinen nennenswerten Output mehr erbringt oder in absehbarer Zeit erbringen wird.
(3) Und bei Liquiditätskrisen, dem gravierendsten Krisenzustand handelt es sich sogar um Situationen, in denen schon einige Zeit eine Ertragskrise besteht, die aber nun zu akuter Finanzknappheit führt. Diese kann soweit fortgeschritten sein, daß an jedem Tag, an dem das System aufrecht erhalten wird, nur noch vermehrte Kosten entstehen etwa durch laufende Mieten, Personalausgaben, Materialkosten usw.
Angesichts derartiger Bedrohungen engagieren Finanzgeber, Gesellschafter oder Kreditinstitute, Organisationsberater. Das Topmanagement wird in solchen Fällen nicht mehr konsultiert, denn man geht davon aus, daß es aufgrund seiner Haltung bzw. seiner Inkompetenz die aktuelle Misere verschuldet hat. Es wird in der Regel sofort abgelöst. Die Berater sollen dann gewissermaßen die organisationsinternen Managementdefizite vorübergehend kompensieren. Sie haben allerdings in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die Organisation überhaupt sanierungsfähig ist. Erst wenn sie auf der Basis ausführlicher Untersuchungen eine positive Prognose abgeben, werden sie von den Finanzgebern mit der Ausarbeitung eines Sanierungskonzeptes beauftragt.
Die jetzt fälligen organisatorischen Veränderungen, die mit dem Begriff „Sanierungsmanagement“ umschrieben werden, bestehen zu einem großen Teil in „technischen Korrekturen“ der Organisation. Auf dem Hintergrund traditioneller Organisationskonzepte und einem damit einher gehenden organisatorischen Konservatismus (Staehle (1991) werden hier fast immer radikale Veränderungen vorgeschlagen. Sie betreffen alle relevanten Parameter des Systems wie die strategische Ausrichtung, die organisatorische Struktur mit ihren Abläufen und natürlich die Personalsituation. Das Ziel ist die Kosten zu senken, die Qualität zu verbessern und den Output zu erhöhen.
Nun besteht gerade beim Sanierungsmanagement, das aufgrund von Kostendruck immer sehr rasch erfolgen muß, erhöhte Gefahr, daß die Sanierung nur vom Reißbrett aus geplant ist und die Organisationsmitglieder lediglich als Funktionsträger behandelt werden. Von solchem Vorgehen ist aber seit den 60er Jahren bekannt, daß es „Resistance to Change“, d.h. organisatorischen Widerstand (Watson 1975) erzeugt. Aus diesem Grund planen heute immer mehr Firmen, die auf Sanierungen spezialisiert sind, Maßnahmen ein, die den Organisationsmitgliedern auch in menschlicher Hinsicht Rechnung tragen. Stockert (1998), selbst Organisationsberater in Sanierungsfällen, nennt in diesem Zusammenhang vier Maßnahmenbündel, die seiner Meinung nach den Beratungserfolg maßgeblich beeinflussen:
(1) In erster Linie muß für eine flüssige Kommunikation zwischen allen hierarchischen Ebenen und zwischen allen Abteilungen gesorgt werden. Die organisatorischen Neuentwicklungen sollten deshalb hierarchie- und abteilungsübergreifend erarbeitet werden.
(2) Es sollte auch auf allen hierarchischen Ebenen der gleiche Wissensstand bestehen. Erst dann
bildet sich nämlich Vertrauen zu den Beratern wie zu dem gesamten Veränderungsprozeß.
(3) Gerade beim Sanierungsmanagement sind möglichst früh die neuen Führungskräfte zu berufen. Sie sollten besonders sorgfältig angesprochen werden. Mit ihnen ist neben dem Alltagsgeschäft auch ihre berufliche Zukunft im Sinne von Karriereplanung zu verhandeln.
(4) Eine zentrale Aufgabe von Beratern besteht aber darin, alle Hierarchie-Ebenen in die Konzeptarbeit. einzubinden. Dadurch schafft man Transparenz und Vertrauen.
Solche Intentionen lassen sich nur durch ein Team von Beratern realisieren . Ein Teil von ihnen muß über betriebswirtschaftliche Kompetenzen verfügen, ein anderer über psychologische. Erfahrungsgemäß stellt sich erst in dieser Kombination der entsprechende wirtschaftliche Erfolg ein.
Dabei spielt die Unterstützung der Führungskräfte eine besondere Rolle:
• Wie oben angesprochen, wird im Sanierungsfall das bisherige Topmanagement möglichst schnell entmachtet und an seiner Stelle eine neue Führungscrew etabliert. Sie rekrutiert sich entweder aus der zweiten hierarchischen Ebene des Systems oder sie wird von außen engagiert. In beiden Fällen ist es hohen Belastungen ausgesetzt. Führungskräfte aus der zweiten Ebene sind mit veränderten Rollenanforderungen konfrontiert, denn sie müssen nun viel mehr Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen als bisher. Das ist im Sanierungsfall besonders anspruchsvoll, denn meistens werden jetzt neue organisatorische Muster im Sinne von Projekt- oder Matrixorganisationen etabliert.. Und im Vergleich zu traditionellen Strukturen erfordern diese neuartige Führungshaltungen. Aber auch für systemfremde Führungskräfte ergeben sich hohe Anforderungen. Sie müssen nämlich die Kultur des Systems mit seinem informellen Unterleben überhaupt erst kennen lernen. Nur dann können sie passende Beeinflussungsstrategien wählen und angemessen plazieren. Für beide Gruppen von Führungskräften resultiert auch ein Belastungsfaktor aus der Tatsache, daß im Sanierungsfall immer eine Reihe von Freisetzungen bzw. Kündigungen fällig werden. Managern, die dem System schon länger angehören, fällt es oft sehr schwer, alt gedienten Mitarbeitern, die sie vielleicht schon lange persönlich kennen, zu kündigen. Aber auch von neuen Führungskräften wird eine derartige Situation als Belastung erlebt. Als der oder die „Neue da oben“ wollen sie sich meistens nicht gleich als „Scharfmacher“ präsentieren, sondern lieber als „Hoffnungträger“, der eine neue Ära einläutet.
• Geplante organisatorische Wandlungsprozesse, die der Sanierung dienen, müssen auch immer Veränderungen der gesamten Organisationskultur einschließen. Dann geht es z.B. um ein generell höheres Qualitätsbewußtsein oder eine generell bessere Kundenorientierung. Und solche Veränderungen lassen sich nur realisieren, wenn sie das gesamte Management bis zur Spitze mit trägt. Kulturelle Wandlungsprozesse vollziehen sich natürlich nicht nahtlos. Als in einer jeweiligen Arbeitswelt historisch gewachsene „Glaubenssysteme“ weisen sie in der Regel erhebliche Beharrungstendenzen auf (Bourdieu 1998). Es bedarf seitens des Managements schon einer guten Strahlkraft im Sinne transformationaler Führung (Steyrer 1995), um die Mitarbeiter für den Verzicht auf alte Rituale sowie alte Normen und Standards zu gewinnen und sie für neue, effizienz-orientierte Sinnsysteme zu erwärmen. Gerade in Krisenzeiten tauchen in Organisationen auch dynamische informelle Führer auf. Sie können als „Retter in der Not“ für die Etablierung einer neuen Kultur durchaus hilfreich wirken. Als „Kulturbewahrer“ können sie aber auch konservierende Ambitionen entfalten und dann offen oder verdeckt alle Innovationen blockieren.
Mit allen diesen Erscheinungen müssen sich Führungskräfte im Sanierungsfall nicht nur auseinandersetzen, sie müssen sie im Sinne des Unternehmensziels auch möglichst konstruktiv handhaben. Das stellt eine hohe Anforderung dar, denn wie alle Beteiligten unterliegen auch sie einem erheblichen Erfolgsdruck. In solchen Situationen bietet Coaching die geeignete Unterstützung. Es fungiert dabei einerseits als Maßnahme der Personalentwicklung, bei der die Führungskräfte alle für sie aktuell relevanten organisatorischen Vorgänge mit ihren jeweiligen Implikationen verhandeln können. Es bietet andererseits Unterstützung bei „Freud und Leid im Beruf“ (Schreyögg 1995), denn hier kann die Führungskraft auch alle für sie emotional relevanten Phänomene ausbreiten und bearbeiten. Das betrifft dann irgendeinen Ärger mit der Buchhaltung ebenso wie die Freude über eine soeben gelungene Akquisition.
Der soziale Rahmen, in dem Coaching im jeweiligen Sanierungsfall stattfinden soll, ist mit den Führungskräften gesondert zu besprechen. Manche, besonders die Topleute, wünschen sich vielfach einen intimen Rahmen, so daß nur Einzelcoaching in Frage kommt. Andere bevorzugen aber Teamcoaching, innerhalb dessen sie schon zu Beginn der Sanierungskampagne als Führungskader auf mindestens zwei Hierarchieebenen alle organisatorischen Parameter planen bzw. beschließen. Für derartige Arrangements bietet sich „Tandemberatung“ durch zwei Coaches an, bei der einer über betriebswirtschaftliche Kompetenzen und der andere über psychologische verfügt.
Wenn im Verlauf der Sanierung neuartige organisatorische Strukturmuster wie selbst steuernde Arbeitsgruppen usw. etabliert werden, empfiehlt es sich ergänzend Gruppencoaching einzurichten, Auf diese Weise erhalten auch Führungskräfte unterer Hierarchieebenen wie Meister und Vorarbeiter entsprechende Unterstützung. Und solche Interaktionen unter Funktionsgleichen befördern nicht nur gute fachliche sondern auch gute menschliche Entwicklungen.
Es sei aber angemerkt, daß die Coaching- wie alle anderen Beratungsaktivitäten immer zeitlich limiert sind. Sie dauern jeweils nur so lange bis das neue Management und alle anderen Organisationsmitglieder eine neue, nun hoffentlich effizientere organisatorische Situation eingespielt haben.
3. Coaching als Alternative zur Organisationsberatung
In Organisationen, die keine Sanierungsfälle darstellen bzw. die keine Existenz bedrohenden Krisen aufweisen, müssen die Dinge anders beurteilt werden. Wie Greiner schon 1967 empirisch ermittelte, variiert der Erfolg von Organisationsberatung mit dem Ausmaß der organisatorischen Krise. Er behauptet, je krisenhafter ein System ist, desto mehr Erfolg weist die Beratung auf. Bei strategischer Orientierungslosigkeit oder bei milden Ertragskrisen wird also die Veränderung durch Beratung vergleichsweise geringer sein als bei Liquiditätskrisen. In diesen Fällen verbleibt ja das Topmanagement in seiner bisherigen Funktion. Es engagiert sich lediglich externe Berater, damit die Organisation zu einem besseren Zustand als bisher findet. Hier besteht sogar die Gefahr, daß Organisationsberatung ungünstige Konsequenzen nach sich zieht.
• Die Führungskräfte geben sich vielfach der Illusion hin, daß nun endlich jemand für die Beseitigung sämtlicher Mißstände sorgt. Das heißt, sie fühlen sich von ihrer Verantwortung ganz wunderbar entlastet. Mit ihren eventuellen administrativen Schwächen im Sinne mangelhafter Planung, inkompetenter Führung usw. brauchen sie sich nun nicht mehr auseinanderzusetzen, denn jetzt fungieren ja die Berater als Kompensatoren. So verhindert Organisationsberatung vielfach eine adäquate Kompetenz- und Rollenentwicklung der Führungskräfte. Besonders diejenigen von ihnen, die in ihre Position gelangten, weil sie sich als besonders gute Spezialisten in ihrem Fach - etwa als guter Ingenieur oder als guter Arzt - bewährt haben, die aber über keinerlei Managementkenntnisse verfügen, meinen nun, sich beruhigt zurücklehnen zu können.
• Eine andere Gefahr besteht darin, daß sich die Führungskräfte in den Augen der Organisationsmitglieder depotenzieren. Durch das Engagement externer Berater signalisiert das Management, daß es sich den administrativen Anforderungen entweder nicht gewachsen fühlt oder daß es diese Anforderungen als bedeutungslos einstuft. Durch die Präsenz eines Organisationsberaters oder auch Teamsupervisors in einer Organisation beginnt die formale Hierarchie außerdem subjektiv zu schrumpfen. Für den Zeitraum der jeweiligen Meetings nimmt ja auch tatsächlich der Berater die Alpha-Position ein. Das wiederum leistet letztlich autoritätsängstlichen Haltungen von Vorgesetzten und autoritätsfeindlichen von Mitarbeitern Vorschub.
Nun läßt sich allerdings einwenden, daß das Engagement von Organisationsberatern auch für Systeme, die keine Sanierungsfälle darstellen, seit den 60er Jahren durchaus populär ist. Unter der Bezeichnung „Organisationsentwicklung“ (OE) wurden seit dieser Zeit eine ganze Reihe von Beratungskonzepten entwickelt. Sie weisen folgende Merkmale auf (vgl. Schreyögg, G. 1998):
(1) Durch sie sollen Organisationen jeweils gut durchdacht und gezielt verändert werden.
(2) Die Veränderung ist immer ganzheitlich gedacht, d.h. das gesamte System soll sich in einem langfristigen Prozeß verändern.
(3) Die Veränderungsstrategien stehen prinzipiell auf der Basis sozialwissenschaftlicher Konzepte .
(4) Die Veränderungsstrategien richten sich immer gleichermaßen auf die formalen Strukturen und auf das Verhalten der Organisationsmitglieder.
(5) Die Veränderungsstrategien werden jeweils von Spezialisten konzipiert und durchgeführt.
Es handelt sich also um Beratungsaktivitäten, die seitens der Change Agents sehr spezialisierte Kompetenzen erfordern. Wie oben angesprochen, erkannte schon in den 50er und 60er Jahren eine Reihe von Autoren, daß Veränderungvorhaben, die Organisationen lediglich als formale Systeme betrachten und dementsprechend auch nur formale Korrekturen einleiten, bei den Organisationsmitgliedern ein hohes Maß an Resistance to Change erzeugen. Dieser Widerstand besteht nicht nur in psychologisch zu interpretierenden Ängsten vor dem Neuen, sondern auch in durchaus realistischen Befürchtungen, Privilegien oder Einflußmöglichkeiten zu verlieren. Im Umfeld der Lewin-Schule wurden nun Veränderungsstrategien entworfen, bei denen der Tatsache Rechnung getragen wurde, daß es sich bei den Mitarbeitern nicht nur um Funktionsträger handelt, sondern auch um vernunftbegabte, handlungsfähige Menschen mit der Möglichkeit zur Mitentscheidung. Bei allen relevanten innerorganisatorischen Prozessen werden sie nun als Kollektiv mit beteiligt.
Entsprechend dem Lewin‘schen Prozeßmodell muß zu Beginn eines Veränderungsprozesses bei den Organisationsmitgliedern zunächst Bereitschaft zur Veränderung erzeugt werden (Unfreezing). Während dessen geben sie idealerweise einen erstarrten Gleichgewichtszustand mit alten Gewohnheiten auf und stellen sich auf die Auseinandersetzung mit neuen Ideen ein. Anstöße für einen Unfreezing-Prozeß können von innen (etwa durch neue Mitarbeiter) oder von außen (z.B. durch neue Marktentwicklungen) kommen. Daran anschließend wird die eigentliche Veränderung in Gang gesetzt (Move). Sie erfolgt durch allerlei kunstvoll gestaltete Interaktionssequenzen. Den Abschluß bildet ein Stadium, in dem die neue Veränderung eigens stabilisiert werden soll (Freezing) (Lewin 1958).
Der Tendenz nach standen und stehen die OE-Ansätze unter dem Einfluß der Humanistischen Psychologie. Danach werden Dialogprozesse in einem sozialen Verband als grundsätzlich förderlich für Menschen betrachtet. Methodisch spielt dementsprechend Gruppenarbeit eine besondere Rolle. So wie es seit den 70er Jahren üblich wurde, Psychotherapie unabhängig von individuellen Krisen zur persönlichen Förderung in Anspruch zu nehmen, tauchten jetzt auch Bestrebungen auf, Organisationsberater unabhängig von organisatorischen Einbrüchen zur Fortentwicklung des Systems zu engagieren. Ähnliche Positionen liegen vielen Supervisionsansätzen zugrunde. In diesem Feld wird im allgemeinen ebenfalls propagiert, daß Supervision unabhängig von einem höheren Krisen- oder Konfliktpotential konstruktive Effekte erbringt. Wenn es sich um die Supervision von Teams handelt, treffen sich dann deren Implikationen meistens mit denen der OE (Schreyögg 1998).
Im Verlauf der 80er Jahre tauchte nun zunehmend Kritik an der OE auf. Man warf ihr zunächst unreflektiertes Verharren an humanistisch psychologischen Standorten vor, was sich besonders in Naivität gegenüber Machtstrukturen dokumentiere (Kubicek et al. 1979 u.a.). OE erhalte dadurch den Status einer Zusatzaktivität bzw. einer etwas unverbindlichen Spielerei, die in Zeiten knapper werdender Ressourcen vermutlich nicht mehr angefordert werde.
Für unseren Zusammenhang erweist sich aber die Kritik an dem basalen Verständnis von organisatorischem Wandel, das den Konzepten zugrunde liegt, als besonders gravierend. Hier stechen vier Argumentationskomplexe hervor:
(1) Organisationen werden in diesen Ansätzen als Klienten definiert, die von spezialisiert ausgebildeten Therapeuten/Beratern eigens kuriert werden müssen. Organisatorische Veränderung wird also als Aufgabe begriffen, die vom Management nicht realisiert werden kann, sondern für die eigens ausgebildete Spezialisten engagiert werden müssen. Das würde bedeuten, das Management bleibt dauerhaft auf Berater angewiesen.
(2) OE-Modelle unterlegen Vorstellungen, daß sich organisatorische Veränderungen, auch die geplanten, kontinuierlich vollziehen. Organisationsprozeßmodelle (vgl. Türk 1989) belegen aber ausnahmslos das Gegenteil. Entwicklungen von Organisationen vollziehen sich diskontinuierlich, nicht selten sogar völlig überraschend. Deshalb erfordern organisatorische Prozesse prinzipiell die spontane Adaptionsfähigkeit des Managements. Außerdem postuliert die Mehrzahl aller einschlägigen Autoren (Greiner 1972, Lievegoed 1974, Beer & Walton 1987 u.a.), daß sich die Entwicklung von Organisationen krisenhaft vollzieht. Angesichts solcher Krisen müssen oft kurzfristig sehr relevante Parameter einer Organisation modifiziert werden. Das erfordert von den Führungskräften die Bereitschaft zu fortwährendem Transformationsmanagement.
(3) OE-Modelle sitzen auch vielfach der Prämisse auf, daß Probleme in Organisationen präzise zu umschreiben wären. Das ist aber ein Irrtum, denn konstruktivistisch betrachtet variieren die Problemformulierungen in einem System von Hierarchieebene zu Hierarchieebene, von Moment zu Moment, von Person zu Person usw. So erweisen sich auch organisatorische Komplikationen für Außenstehende vielfach als undurchschaubar. Systemsteuerung muß aber in einer fortlaufenden Folge von Problembeschreibungen und Problemlösungen bestehen, was nur durch das Management vor Ort geleistet werden kann.
(4) Das Hauptargument gegen OE-Modelle ist aber das dort unterlegte Homöostasemodell. Der von Lewin propagierte Veränderungsprozeß, wonach jede Veränderung sozialer Systeme einer nachfolgenden Stabilisierung (Freezing) auf einem neuen Niveau bedarf, muß für Organisationen heute als problematisch betrachtet werden Eigentlich handelt es sich dabei um eine geradezu naive Vorstellung von organisatorischer Stabilität. Die Erfahrung lehrt aber, daß sich moderne Firmen wie etwa Hewlett-Packard in einem permanenten Prozeß der Innovation und damit letztlich der Instabilität befinden. Das trifft sich auch mit Idealvorstellungen von organisatorischer Lernfähigkeit, wonach Organisationen in einem permanenten Entwicklungsfluß befindlich sind (Reinhardt 1993, Eberl 1996 u.a.).
Insgesamt läßt sich behaupten, daß Veränderungen in Organisationen allgegenwärtige Phänomene darstellen. Es ist eine Aufgabe des Managements diese Entwicklungen laufend sorgfältig zu beobachten, um dann bei Bedarf geplante organisatorische Wandlungsprozesse selbst in Gang zu setzen. Solche Aktivitäten sind also selbstverständlicher Bestandteil der Managementaufgaben. Das heißt nun allerdings nicht, daß Führungskräfte alle diese Aufgaben im Alleingang wahrnehmen müssen oder gar sollen . Es ist vielmehr ihr Job, möglichst viele Mitarbeiter und besonders die in leitenden Positionen dafür zu gewinnen, daß sie organisatorische Entwicklungen ebenfalls beobachten und sich auch für die weitere Gestaltung des Systems verantwortlich fühlen.
Selbstverständlich erweisen sich diese wie viele andere Managementaufgaben gelegentlich als schwierig, so daß sich die betreffende Führungskraft fachliche wie menschliche Unterstützung wünscht. Solche Bedürfnisse ergeben sich fast immer bei neuen Führungskräften. Sie sollten sich dann einen Coach suchen, der sie zumindest in den Anfangsstadien etwa das erste Jahr ihrer Amtszeit begleitet. Im Idealfall gewinnen sie auf diese Weise eine immer klarere Vorstellung von ihren Aufgaben als „interner Organisationsentwickler“ und von sich als Führungskraft, die möglichst viele Organisationsmitglieder zur Mitgestaltung der Organisation zu animieren weiß.
Allerdings ergeben sich auch für bereits langjährig amtierende Führungskräfte im Verlauf organisatorischer Prozesse immer wieder Fragestellungen, die sie mit einem externen Berater verhandeln wollen. Auch in solchen Fällen sind Beratungsstrategien vorzuziehen, bei denen sich die Führungskraft qua Coaching fachlich wie menschlich für ihre Aufgabenerfüllung stärken läßt.
Literatur:
Beer; M. & Walton, A.E. (1987): Organization change and development. In: Annual Review of Psychology 38, 339-367.
Bourdieu, P. (1998): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt/M..
Doppler, K., Lauterburg, Chr. (1994): Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt/M., New York.
Eberl, P.( 1996): Die Idee des organisatorischen Lernens. Bern et al.
Greiner, L.E. (1967): Patterns of organization change. In: Harward Business Review 45 (1967), Nr. 3, S. 119-130.
Greiner, L.E. (1972): Evolution and revolution as organizational grow. In: Harward Buasiness Review 50 (1972), Nr 4. S. 37-46.
Kubicek, H., Leuck, H.G., Wächter, H. (1979): Organisationsentwicklung. In: Gruppendynamik 10 (1979). S. 297-318.
Lewin, K. (1958): Group dezision and social change. In: Maccoby, E.E., Newcomb, T.H., Hartley, E.L. (Ed.): Readings in Social Psychology, 3. Aufl., New York.
Lievegoed, R. (1974): Organisationen im Wandel. Bern, Stuttgart.
Reinhardt, R. (1994): Das Modell organisationaler Lernfähigkeit und die Gestaltung lernfähiger Organisationen. Frankfurt/M.
Schreyögg, A. (1995): Coaching. Frankfurt/M., New York.
Schreyögg, A. (1998): Coaching in Kliniken - eine professionelle Alternative zur Supervision. In: Eck, D. (Hrsg.): Supervision in der Psychiatrie.
Schreyögg, G. (1998): Organisation. 2. Aufl., Wiesbaden.
Staehle, W. (1991): Organisatorischer Konservativismus in der Unternehmensberatung. In: Gruppendynamik 22 (1), S. 19-32.
Steyrer, J. (1995): Charisma in Organisationen. Frankfurt/M., New York.
Stockert, A. M. (1998): Organisatorische Restrukturierung und Sanierungsmanagement - betriebswirtschaftliche und psychologische Auswirkungen. In: Gross. W. (Hrsg.): Karriere 2000. Bonn.
Türk, K. (1989): Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung. Stuttgart.
Watson, G. Widerstand gegen Veränderungen. In:Bennis, W.G., Benne, K.D., Chin, P. (Hrsg.): Änderung des Sozialverhaltens, Stuttgart.