Konfliktcoaching
Gliederung
Konfliktcoaching
- Coaching zur Konfliktprophylaxe
- Coaching zur Konflikteindämmung oder –bewältigung
o Vorfeldanalysen
o Analysen der konkreten Konfliktsituation
o Handlungsstrategien zur Konflikteindämmung oder -bewältigung
o Coaching zur Konfliktstimulation
o Leistungssteigerung durch Konflikte
o „Institutionalisierte Konfliktstimulation“
Konfliktcoaching
Konflikte stellen den häufigsten Anlass für Coaching dar. Führungskräfte berichten dann meistens erregt über soziale Konfliktsituationen. Nun können in allen sozialen Systemen, so auch in Organisationen, Konflikte entstehen. Es handelt sich dabei um allgegenwärtige Phänomene, ohne die soziales Leben nicht denkbar ist. Sie lassen sich als „Unvereinbarkeiten im Denken, Vorstellen, Fühlen, Wollen oder Handeln“ bezeichnen, die mindestens einer der Interaktionspartner erlebt (Glasl 1994, S. 14). Die Dringlichkeit, mit der Führungskräfte oftmals die Beilegung von Konflikten anstreben, ist verständlich. Denn qua Position haben sie dafür Sorge zu tragen, dass die Funktionsfähigkeit des von ihnen geleiteten Systems nicht beeinträchtigt wird. Sie müssen Konflikte deshalb möglichst konstruktiv wenden und zur Fortentwicklung des Systems nutzen. Zu diesem Zweck benötigen sie eine breite Palette von Kompetenzen, für deren Erwerb Coaching hilfreich ist. Es kann einen dreifachen Beitrag leisten:
- Als Maßnahme der Personalentwicklung bietet es Unterstützung bei einer angemessenen Konfliktprophylaxe. Dann erwirbt die Führungskraft Möglichkeiten, unproduktive Konflikte zu vermeiden.
- Außerdem kann Coaching in seiner Funktion als „Dialogform über Freud und Leid im Beruf“ (Schreyögg 1995) Führungskräfte befähigen, einen bedrohlichen Konflikt zu bewältigen oder zumindest einzudämmen.
- Und schließlich vermag Coaching Führungskräfte anzuregen, Konflikte zur konstruktiven Fortentwicklung einer Organisation zu nutzen, indem sie diese sogar „stimulieren“ (De Dreu/Van der Vliert 1997).
1. Coaching zur Konfliktprophylaxe
Bei der Konfliktprophylaxe fungiert der Coach als Dialogpartner, dem die Führungskraft alle aktuell relevanten organisatorischen Prozesse vorstellt. Diese werden auf dem Hintergrund der konzeptionellen und methodischen Kompetenzen des Coach besprochen. Aus diesem Dialogprozess entwickelt die Führungskraft zwar jeweils ihren eigenen Weg, gerade bei Konflikten ist es aber nützlich, wenn der Coach profunde fachliche Positionen einbringt.
Er wird versuchen, die Führungskraft für die Einsicht zu gewinnen, dass zwei, zunächst widersprüchlich erscheinende Haltungen besondere konfliktprophylaktische Wirkungen entfalten:
- Gelassenheit gegenüber Konflikten auf der einen Seite und
- Wachsamkeit gegenüber potentiellen Konfliktherden auf der anderen.
Als selbstverständliche Begleiterscheinungen jedes Sozialsystems führen Konflikte keineswegs immer zur Gefährdung einer Organisation. Manche Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitern stellen „Spiele“ dar. Sie dienen eher der Selbstvergewisserung der Beteiligten und verlaufen nach verdeckten Regeln. Einen gefährlichen Charakter erhalten sie erst dann, wenn eine der Parteien eine beidseitig lange respektierte Grenze überschreitet und daraufhin die andere zum Gegenschlag ausholt. Die Führungskraft sollte aber auch dann noch Ruhe bewahren, um keine weiteren Eskalationen zu befördern.
Trotzdem ist immer Wachsamkeit geraten. Wenn die Führungskraft in der Lage ist, Konflikte vor ihrem Entstehen zu antizipieren, kann sie ihnen durch entsprechende Maßnahmen begegnen. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, wenn der Coach eine „innere Landkarte“ für die Diagnose von Konflikten zur Verfügung stellt. Anhand kompetenter Konfliktdiagnosen wird meistens deutlich, dass die Basis von Konflikten entgegen der landläufigen Meinung viel seltener Besonderheiten einzelner Menschen bilden als organisatorische Faktoren. Die Personalisierung von Konflikten bietet der Führungskraft zwar den Vorteil einer raschen psychischen Entlastung. Sie birgt aber den Nachteil, dass die verursachenden Faktoren auf diese Weise meistens verschleppt werden. So sollten bei Rekonstruktionen im Coaching immer auch nicht-personale Faktoren interaktiver und systemischer Art als potentielle Konfliktherde in Betracht gezogen werden. Wenn die Führungskraft ungünstige Konfliktkonstellationen bemerkt, sollte sie möglichst rasch intervenieren.
Die entscheidende Konfliktprävention von Führungskräften ist bewusstes Management. Konflikte blühen nämlich besonders dann auf, wenn an der Spitze ein Führungsvakuum besteht. Umgekehrt sind viele potentielle Konflikte in Organisationen durch qualifiziertes Management konstruktiv zu wenden. Eine derartige Wirkung lässt sich immer dann erwarten, wenn Führungskräfte möglichst viele Organisationsmitglieder ins Management einbinden und in reflektierter Weise an Entscheidungen beteiligen. Für die Steuerung eines Systems liegt zwar die formale Verantwortung bei der jeweiligen Führungskraft, sie sollte aber jeweils prüfen, ob und inwieweit sich andere Organisationsmitglieder einbeziehen lassen.
2. Coaching zur Konflikteindämmung oder -bewältigung
Trotz aller prophylaktischen Maßnahmen können in jeder Organisation unproduktive Konflikte auftreten. Sie erfordern spezifische Bewältigungsstrategien. Vorgesetzte müssen dann als Konfliktmanager fungieren. Dabei ist zu unterscheiden, ob eine langjährig tätige Führungskraft die Entstehung eines Konfliktes nicht bemerkt und/oder seine Eskalationsdynamik unterschätzt hat; oder ob eine neue Führungskraft im Sinne „konfliktärer Altlasten“ eine ganze Palette von Konflikten vorfindet. Für beide Varianten empfehlen sich im Coaching eingehende
• Vorfeldanalysen und
• Analysen der konkreten Konfliktsituation.
2.1. Vorfeldanalysen
Bei akuten Konflikten wirken Führungskräfte oft hektisch und atemlos. Trotzdem sollte der Coach auf sorgfältige Rekonstruktionen bestehen, denn sie bewahren vor unbedachtsamem Agieren. Dabei sind zunächst die spezifische Rolle des Vorgesetzten als Konfliktregulator und die besondere Art des Konfliktes zu untersuchen.
Viele Führungskräfte wollen von ihren Mitarbeitern in der Rolle des freundlichen Moderators oder großzügigen Förderers gesehen werden. Als restriktiv anordnende Instanz zu fungieren, fällt ihnen schwer. Bei Konflikten lässt sich aber eine entsprechende Rollenausgestaltung nicht immer umgehen. Aufgrund ihrer formalen Rolle hat jede Führungskraft verantwortlich dafür zu sorgen, dass systemgefährdende Konflikte beseitigt werden. Anders als ein Berater, der die Verantwortung für ein System in den Händen seiner Auftraggeber belässt und sie lediglich für die Erfüllung ihrer konfliktregulierenden Aufgaben unterstützt, hat eine Führungskraft aktiv und gelegentlich sogar restriktiv in konfliktäre Prozesse einzugreifen. Schon die Initiative zur Regulation systemgefährdender Konflikte muss von ihr ausgehen. Auch die Lösung des Konflikts liegt in ihrer Verantwortung. So kann ein Vorgesetzter die Regulation nicht dem Belieben seiner Mitarbeiter überlassen. Er muss in vielen Fällen geradezu auf Lösungen drängen. Dementsprechend können sich unterstellte Mitarbeiter auch nicht frei entscheiden, ob sie über einen systemgefährdenden Konflikt mit dem Vorgesetzten konferieren oder nicht. Er muss solche Gespräche qua Position einfordern. So kann er auch nie wirklich unparteiisch sein, denn er hat ja immer für das Wohl des Gesamtsystems Partei zu ergreifen. Aus der formalen Relation, in der er als Vorgesetzter zu seinen unterstellten Mitarbeitern steht, ergeben sich für ihn aber auch Begrenzungen von eventuell einzufordernden Gesprächsinhalten. So kann er nicht die Behandlung von Themen anmahnen, die einen jeweiligen Mitarbeiter als Privatmenschen betreffen. Wenn es einem Mitarbeiter beliebt, kann er sich in der Kommunikation zu seinem Vorgesetzten auf berufliche Belange beschränken. Gespräche über private Konflikte zwischen Mitarbeitern, selbst wenn sie zu empfindlichen Störungen der Aufgabenerfüllung führen, können vom Vorgesetzten nicht eingefordert werden. Das ist zum Beispiel bei Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz relevant, wenn sie nach einiger Zeit in gegenseitige Stigmatisierungen kippen und dadurch die Kooperation empfindlich beeinträchtigen. Beschränkungen, die aus der formalen Rolle eines Vorgesetzten resultieren, müssen bei Bedarf im Coaching angesprochen werden. Viele Führungskräfte beschleicht allerdings schon bei der Vorstellung, sie müssten restriktive Maßnahmen zur Konfliktregelung ergreifen, ein schwer erträgliches Einsamkeitsgefühle. Hier ist es die Aufgabe des Coach, solche Gefühlsphänomene angemessen zu begleiten und zu Gunsten realistischer Haltungen verarbeiten zu helfen.
Selbstverständlich bestimmt sich der Erfolg von Interventionen bei Konflikten in hohem Maße danach, wie die Führungskraft ihre Vorgesetztenrolle bislang ausgestaltet hat. Hier ist relevant, wie sie von den Mitarbeitern als „Chef“ oder „Chefin“ erlebt wird, in welcher Beziehung sie zu den jeweiligen Konfliktparteien in der Vergangenheit stand und aktuell steht, ob sie selbst eine der Konfliktparteien repräsentiert und welche Relation sie zu ihren Kontrahenten hat. Die besten Chancen haben Interventionen von Führungskräften, die von ihren Mitarbeitern bislang in menschlicher wie fachlicher Hinsicht gut akzeptiert wurden, die ihre Rolle als Vorgesetzte wie selbstverständlich ausfüllen, die zu keiner der Konfliktparteien bislang sehr intensive oder gar intime Kontakte unterhalten haben und die in den aktuellen Konflikt nicht verstrickt sind.
Wenn Führungskräfte bei Neueintritt in ein System konfliktäre Altlasten vorfinden, stellen sich die Dinge weitaus komplizierter dar. Ihre Chance zur Konfliktregulation ist ungleich schlechter. Ihre Rolle ist für die Mitarbeiter wie für sie selbst noch vage, sie hatten bislang auch keine Gelegenheit, sich in den Augen ihrer neuen Mitarbeiter zu bewähren. Dementsprechend verfügen sie noch über keine sozio-emotionale Hausmacht. Falls sie aktuell ihre erste Führungsposition antreten, konnten sie diese Rolle bislang nicht mit der Selbstverständlichkeit einüben, die fürs Konfliktmanagement wünschenswert ist. So verfügen sie aller Voraussicht nach auch nicht über entsprechende Maßnahmen psychischer Selbstregulation, die man gerade in solchen Fällen dringend benötigt. Viele von ihnen treten ihre neue Position mit Enthusiasmus an, der angesichts konfliktärer Konstellationen und den Schwierigkeiten ihrer Eindämmung schnell in Entmutigung umschlägt. Selbst wenn sie zunächst von einem Teil der Mitarbeiter als Hoffnungsträger begrüßt werden, wirken konfliktregulierende Maßnahmen in Newcomer-Situationen für den Mitarbeiterstab bedrohlich. In diesem Stadium besteht nämlich noch keine Vertrauensbasis zum neuen Leiter, so dass die jeweilige Aktion für die Mitarbeiter in ihrer Bedeutung schwer einschätzbar ist. Entschiedenheit wird dann schnell als aggressive Schärfe interpretiert.
Wenn man sich allerdings deutlich macht, dass gerade an neue Führungskräfte seitens übergeordneter Instanzen und seitens unterstellter Mitarbeiter oft hohe Erwartungen im Sinne innovativer Entwicklungen bestehen, dann erscheint es geradezu notwendig, dass eine neue Führungskraft bei gravierenden Konflikten sofort interveniert. Im anderen Fall verspielt sie schon bei Antritt der neuen Position ihre Autorität. Außerdem läuft sie Gefahr, einen indiskutablen Status quo zu zementieren. Wenn sie dagegen entschieden eingreift, stellen sich die beschriebenen Probleme ein. Aus diesem Grund melden neue Führungskräfte besonders oft Coaching-Bedarf an. Dann gilt es, die neue Situation in möglichst vielen Details zu rekonstruieren und die Führungskraft in ihrer anfangs automatisch bestehenden Verhaltensunsicherheit zu stützen (Schreyögg 2002).
2.2. Analysen der konkreten Konfliktsituation
Zur Analyse konkreter Konfliktsituationen empfiehlt es sich im Coaching, eine „Landkarte“ zur Ermittlung konfliktärer Ist-Zustände und Prozesse zu verwenden. Wegen ihrer oft hohen Komplexität sucht man Konflikte zunächst über äußere Merkmale zu erfassen. Hier ermittelt man in einem ersten Schritt, inwieweit sich die „Kampfspielarena“ schon ausgeweitet hat: Ob sie sich auf einen „mikrosozialen“ Rahmen, d.h. auf ein Zwei-Personen-Stück beschränkt, oder ob sie als Konflikt im „Meso-Rahmen“ bereits größere Gruppen von Personen umfasst. Bei einem Konflikt im „makrosozialen“ Rahmen werden die konfliktären Vorgänge sogar weit über ihr Ursprungsfeld hinaus getragen (Glasl 1994). Das finden wir etwa bei Konflikten zwischen zwei Abteilungen einer Organisation, mit denen dann die Personalabteilung, die Geschäftsleitung, später Gerichte und sogar die Presse beschäftigt werden. Ein weiteres äußeres Merkmal von Konflikten ist ihre inhaltliche Reichweite. Konflikte mit geringer inhaltlicher Reichweite stellen „Reibungen“ dar, die sich vielleicht nur in immer wieder kehrenden Meinungsverschiedenheiten äußern. Eine andere inhaltliche Reichweite haben „Positionskämpfe“, bei denen Akteure um eine Verbesserung ihres formalen oder informellen Status kämpfen. Die inhaltlich größte Breite begegnet uns bei „Systemveränderungskonflikten“, in deren Verlauf sich Menschen um mehr oder weniger relevante Parameter eines Systems streiten. Ein anderes äußeres Merkmal betrifft die Frage, ob Konflikte „formgebunden“, d.h. in einer Weise ausgetragen werden, die in dem jeweiligen Kontext üblich ist, oder ob sie „formlos“, d.h. in einer bis dato unüblichen Weise ausagiert werden. Wesentlich ist außerdem die Frage, ob Konflikte „heiß“ oder „kalt“ sind. Handelt es sich bei heißen Konflikten um emotional turbulente Interaktionen, weisen kalte Konflikte eine indirekte Schärfe auf, bei der sich die Parteien nicht mehr offen auseinandersetzen, sondern nur noch zynische Statements abgeben.
Im Anschluss an äußere Merkmale untersucht man inhaltliche, um die konfliktäre Ist-Situation auch in ihren Tiefendimensionen besser zu verstehen. Dabei versucht man die Konfliktparteien mit ihren Streitpunkten zu ermitteln, ihre Beziehung zueinander und ihre jeweilige Einstellung zum Konflikt. Solche Untersuchungen sind aufschlussreich, weil im Verlauf des Konfliktgeschehens die Streitpunkte erheblich zunehmen und variieren können, die Konfliktparteien in ihrer Größe oft schwanken und sich ihr Verhältnis zueinander von Situation zu Situation ändert.
In einem dritten Schritt sollte der Eskalationsgrad des Konfliktes mit seinem bisherigen Prozess ermittelt werden. Einschlägige Autoren (Glasl 1994, Neuberger 1994 u.a.) sprechen von „Eskalationsstufen“, weil sie die Progression von Konflikten stufenweise, durch „Wendepunkte“, markiert sehen. Bei einem Wendepunkt handelt es sich jeweils um eine Aktion, bei der von einer der Parteien neue, bislang noch nicht eingesetzte Kampfmittel auf der Basis neuer Normen und Standards angewandt werden. Ein Wendepunkt stellt jeweils einen „point of no return“ dar, denn er macht die Beilegung eines Konfliktes unwahrscheinlicher als vor dem Wendepunkt noch antizipiert wurde. Neuberger (1994) beschreibt drei Eskalations-Hauptphasen:
• Die 1. Hauptphase startet mit harmlosen Reibereien und inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten. Sie kristallisieren sich um unterschiedliche Standorte und führen zur Aufspaltung in verschiedene Lager. Zunehmend dogmatisch vorgetragene Positionen ziehen eine Polarisierung der Beteiligten nach sich und münden in Debatten, bei denen sich die Kontrahenten nicht mehr dialogisch zu überzeugen suchen, sondern wo es um plakative Darstellungen der eigenen Positionen geht. Jetzt werden die ersten strategischen Mittel eingesetzt, um die Gegenseite, die zunehmend als konkurrierend erlebt wird, zu überrumpeln. Wenn eine der Parteien das Debattieren leid ist, beginnt sie im Sinne eines Wendepunktes mit demonstrativ zur Schau getragener Selbstsicherheit ihre Intentionen in die Tat umzusetzen. Dadurch erhöht sie im allgemeinen die gruppale Kohäsion im eigenen Lager, was mit der Entwicklung eines Feindbildes von der Gegenseite einher geht. Durch die demonstrativen Aktionen einer der Parteien weitet sich im allgemeinen der Konfliktrahmen aus, weshalb jetzt auch Personen außerhalb des ursprünglichen Konfliktfeldes in dieses einbezogen werden.
• In der 2. Hauptphase zentriert sich das Konfliktgeschehen auf das äußere Ansehen der jeweiligen Parteien. Zunächst kreisen alle Strebungen um den Erhalt und die Verbesserung des eigenen Images. Das versucht man vor allem durch die Rekrutierung möglichst vieler Koalitionspartner zu realisieren. Der Kontrahent wird nun als „hässlicher“ Gegner definiert und abgewertet. Seine Beeinflussung soll vorrangig über die neu gewonnenen Mitstreiter und deren öffentliche Reputation erfolgen. Im weiteren Verlauf dieser Imagekämpfe liegt es nahe, den Gegner zu diffamieren. Als neuen Wendepunkt fügt man ihm entweder einen Gesichtsverlust zu oder man provoziert ihn geschickt, damit er sich selbst demaskiert. Jetzt verschärfen sich die gegenseitigen Negativprojektionen mit allen Merkmalen von Stigmatisierung. Das zieht eine regelrechte „Rehabilitationssucht“ nach sich, durch die wieder neue Bühnen zur positiven Selbstinszenierung eröffnet werden. Fortlaufende Stigmatisierungen der Gegner provozieren bei beiden Parteien Drohungen aller Art. Drohungen und Gegendrohungen entspringen verdeckten Ohnmachtgefühlen, die aus der Angst resultieren, der Kampf sei nicht mehr zu gewinnen. Jetzt erhöht sich bei den Gegnern der Stress, denn durch Drohspiele, die immer eines Publikums bedürfen, wird auch die soziale Kampfspielarena immer unübersichtlicher.
• Während am Ende der 2. Hauptphase Vernichtungsschläge nur angedroht, nicht aber realisiert werden, fallen in der 3. Hauptphase die Hemmschranken, dem Kontrahenten ernstlichen Schaden zuzufügen. Wenn die qua Drohung in Aussicht gestellten Schädigungen wirklich in die Tat umgesetzt werden, überschreitet eine Partei einen sehr entscheidenden Wendepunkt. Das macht einen Eskalationsstop fast unmöglich. Zuerst beschränken sich die Schädigungen des Gegners auf Sanktionspotentiale, die bei dessen Drohungen eine besondere Rolle spielten. Das Spezifikum solcher Aktionen besteht in ihrem Überraschungseffekt, was immer die Bereitschaft zu Vergeltungsschlägen erhöht. Die Gegner können sich allerdings auch mit solchen Strategien meistens nicht dauerhaft zum gegenseitigen Einlenken zwingen. Nach einer gewissen Erholungsphase greifen sie zu verschärften Mitteln, indem sie den Gegner an seiner empfindlichsten Stelle, nämlich an seinen Anhängern zu treffen suchen. Jetzt werden perfide Listen zur Zersplitterung des gegnerischen Lagers angewandt. Dabei spielen in der Regel breit angelegte Diffamierungskampagnen gegen den „harten Kern“ des Gegners eine Rolle. Eskalationen erreichen ihren Höhepunkt, wenn die Kontrahenten die Vernichtung des Gegners sogar um den Preis der Selbstvernichtung erzwingen wollen. Dann ist ein Stadium erreicht, in dem der Krieg aller gegen alle ausgebrochen ist. In derartige Untergangsszenarien sind vielfach mehrere Gruppierungen verstrickt, so dass die Freund-Feind-Linien äußerst unübersichtlich werden.
Viele Konflikte in organisatorischen Zusammenhängen bewegen sich allerdings lange auf dem Niveau der 1. Hauptstufe. Die Parteien achten dann sorgsam darauf, keine neuen Wendepunkt zu überschreiten. Konflikte haben hier vielfach den Charakter von „Spielen“ (Crozier/Friedberg 1979). Das sollte auch im Coaching immer in Betracht gezogen werden.
Bei der Rekonstruktion von Konflikten sollte der Coach zur methodischen Unterstützung die Führungskraft bitten, die aktuelle organisatorische Situation in ihrem jeweiligen Kontext mit Hilfe von Skizzen oder Bausteinen möglichst anschaulich darzustellen. Dafür lassen sich formale und informelle Positionsinhaber oder einzelne Interessengruppen durch verschiedene Farben kenntlich machen. Es ist außerdem sinnvoll, anschließend einen inneren Rollentausch mit den jeweiligen Protagonisten durchzuführen. Dabei sollte man sich deren Interessenlage, Ziele und Bedürfnisse einfühlend vergegenwärtigen (Schreyögg 1995).
2.3. Handlungsstrategien zur Konflikteindämmung oder -bewältigung
Nach diesen Vorüberlegungen muss der Coach die Führungskraft unterstützen, eine Strategie zur Konfliktbewältigung auszuwählen und ihre Anwendung vorzubereiten. Welche Strategie im jeweiligen Fall am sinnvollsten ist, bestimmt sich nach dem Eskalationsgrad - und nach Besonderheiten der Vorgesetztenrolle.
In der Literatur zum Konfliktmanagement (Glasl 1994, Beck/Schwarz 1995 u.a.) finden sich eine Reihe potentieller Maßnahmen zur Konfliktbehandlung. Ihr Einsatz wird vor allem entsprechend einer jeweiligen Eskalationsstufe empfohlen. Für die ersten Stadien dienen nach Meinung der Autoren die Moderation, für mittlere Stadien die Prozessbegleitung mit unterschiedlich tiefgreifenden psychologischen Intentionen. Und für die schärfsten Eskalationen werden Vermittlungsaktivitäten und Machteingriffe als passend beschrieben.
Für den Erfolg dieser Maßnahmen ist aber die formale Rolle des Konfliktmanagers von zentraler Bedeutung. Die gängige Literatur bezieht sich meistens auf externe Berater als Konfliktmanager. Führungskräfte als Konfliktregulatoren werden dagegen selten behandelt. Sie sind aufgrund ihrer formalen Vorgesetztenposition aber viel unmittelbarer als ein externer Berater verpflichtet, systembedrohende Konflikte zu regulieren. Gleichzeitig folgt aus ihrer Rolle, dass sie nur solche konfliktregulierenden Maßnahmen ergreifen können, bei denen sie ihren Mitarbeitern persönlich nicht zu nahe treten. Deshalb lassen sich Führungskräften als Strategien zur Konfliktbewältigung lediglich die Moderation und Machteingriffe empfehlen.
• Moderation
Durch Moderation sollen in frühen Stadien, in denen das gesamte Konfliktgeschehen noch nicht so stark emotionalisiert ist, Streitthemen mit ihren jeweiligen Facetten gesichtet und geklärt werden. Dadurch will man die Parteien zu eigenständigen und konstruktiven Lösungen animieren. Diese Handlungsstrategie verträgt sich gut mit der Rolle eines „großzügigen Vorgesetzten“, denn Moderation setzt eine etwas permissive, aber emotional leicht distanzierte Haltung voraus. Von manchen Autoren wird Vorgesetzten heute ohnedies empfohlen, sich eher als Moderator denn als Chef zu verhalten. Gerade in Systemen, deren Mitglieder über ein hohes Expertenwissen verfügen, sei eine Ausgestaltung der Führungsrolle durch Moderation angebracht.
Moderation ist als Konfliktbewältigungsstrategie sinnvoll, wenn etwa die Mitarbeiterschaft in zwei Flügel zerfällt, die immer wieder zähe Debatten um bestimmte Positionen führen. Wenn die Führungskraft allerdings selbst zu einem der Flügel gehört, kommt sie als Moderator nicht in Betracht. Die Moderatorenrolle setzt nämlich thematische Unparteilichkeit voraus. In solchen Fällen sollte sie ein Mitglied des Mitarbeiterstabes, das der Debatte neutral gegenübersteht, bitten, die Moderation zu übernehmen. Das gilt selbstverständlich auch für Fälle, in denen Positionen der Führungskraft ins Zentrum eines Konfliktes geraten sind.
Wenn die Moderation durch die Führungskraft selbst erfolgt, sollte sie im Coaching in der Weise vorbereitet werden, dass sie alle voraussichtlich Anwesenden samt ihrer Standorte imaginiert. Auf diese Weise stimmt sie sich auf die Personen und Themen ein. Außerdem sollte sie der Coach mit Grundkenntnissen der Gesprächsführung vertraut machen und mit einigen prozessualen Regeln der Moderation, dass etwa die Themen zu Beginn einer Sitzung gemeinsam mit den Teilnehmern festgelegt werden, dass es am Ende empfehlenswert ist, mit allen Beteiligten überprüfbare Vereinbarungen zu treffen, wie in Zukunft bei neuerlichen konfliktären Situationen zu verfahren ist, und dass auch Maßnahmen für den Fall von Überschreitungen dieser Vereinbarungen beschlossen werden sollten. Weitergehende methodische Vorbereitungen, etwa die Verwendung von Medien, sind nach der jeweiligen Thematik zu treffen. So eignen sich etwa für organisationsinterne Meetings Moderationskarten nicht nur zum Notieren bestimmter Statements, sondern auch zur Veranschaulichung von organisatorischen Strukturen, Interessenkollisionen usw. Außerdem bewährt sich auch hier ein Wechsel zwischen Groß- und Kleingruppenarbeit. Dann lassen sich z.B. in kleinen Gruppen die jeweiligen Streitpunkte und ihre Geschichte analysieren oder man kann emotional weniger involvierte Untergruppen bitten, den Diskussionsprozess zu beobachten und darüber zu berichten (Schreyögg 2002).
Moderation durch Vorgesetzte zielt schwerpunktmäßig auf die Klärung von Deutungs- und Handlungsmustern, Auseinandersetzungen mit stärker emotionalisierten Phänomenen sollten die Ausnahme darstellen und keinesfalls provoziert werden. Bei der Moderation bleibt die Initiative für den Fortgang der Kommunikationsprozesse aber weitgehend in der Hand der Mitarbeiter.
• Machteingriffe
Für Konflikte auf höheren Eskalationsstufen muss die Führungskraft Machteingriffe vornehmen. Diese sind nur von Vorgesetzten realisierbar; denn dabei mobilisiert die Führungskraft formale Einflusspotentiale, die aller Voraussicht nach einen Eskalationsstop herbeiführen. Für Berater kommt diese Interventionsform nicht in Betracht, denn sie setzt eine eindeutige institutionell verankerte Position innerhalb eines Systems mit formalen Strukturen voraus. Berater wie eben ein Coach können Vorgesetzte aber bei der Platzierung dieser Interventionsart unterstützen.
Machteingriffe zielen darauf ab, einen Konflikt unter Kontrolle zu bringen, ihn zwangsweise auf die Sachebene zu reduzieren und die potentiellen Folgen des Konflikts zu begrenzen. Machteingriffe erfordern von der Führungskraft eine betont distanzierte Haltung. Sie ist dabei im Prinzip gezwungen, sich über die Gefühle und Vorstellungen der Konfliktparteien hinwegzusetzen, d.h. sie muss rigoros handeln. Dadurch ist sie auch gezwungen, sich über ihre eigenen Emotionen hinwegzusetzen.
Machteingriffe stellen ein Extrem asymmetrischer Interaktionen dar. Deshalb erzeugen sie jeweils Vertrauenskrisen. Sie bewirken vor allem eine Schwächung der Interaktionsbasis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Aus diesem Grund sind sie sehr sorgsam zu planen. Ihr Wirkungsgrad bestimmt sich nach dem Ausmaß, in dem sie - thematisch und personell - präzise platziert werden. Hier ist also vorab genau zu überlegen, welches Verhalten von wem unterbunden werden soll. So sind etwa angesichts einer völlig missglückten Präsentation einer Firma am Tag der offenen Tür, was sich aufgrund von Abteilungsquerelen ergab und dann viele Beschwerden seitens übergeordneter Instanzen nach sich zog, nur die unmittelbaren Vorgesetzten zur Rechenschaft zu ziehen. Ihnen ist dann anzukündigen, dass sie bei ähnlichen Ereignissen in der Zukunft das Geplante schon im Vorfeld genauestens zu berichten haben. Eine gegenläufige Wirkung haben „Rundumschläge“ von Vorgesetzten auf der Basis heftiger emotionaler Aufwallungen. Von ihnen fühlt sich jeder - und letztlich niemand angesprochen.
Vor Machteingriffen sollte der Coach die Führungskraft bitten zu untersuchen, über welche Machtpotentiale sie im Hinblick auf den aktuellen Fall überhaupt verfügt. In diese Analyse müssen auch Fragen nach der bisherigen Beziehung zu den Hauptakteuren einfließen. Außerdem ist die Führungskraft darauf vorzubereiten, dass sich ihre Mitarbeiterbeziehungen durch den Machteingriff voraussichtlich ändern werden. Sie sollte auch wissen, dass mit dieser Intervention persönliche Verunsicherungen für sie selbst als Machtinstanz einher gehen können. Sie ist auf jeden Fall darin zu stärken, dass ihr derartige Interventionen vor allem eine klare Haltung im Umgang mit Macht abverlangen. Über diese wird sie um so eher verfügen, je mehr menschliche Unterstützung sie vom Coach, aber natürlich auch von ihrem privaten Umfeld erhält. Besonders eine neue Führungskraft sollte bei gravierenden Machteingriffen einen Coach bemühen. Dieser kann ihr bei allen vorausgehenden Reflexionen Unterstützung geben, sie durch Rollentrainings auf den konkreten Machteingriff vorbereiten und ihr anschließend helfen, ihre innere Stabilität zu wahren.
3. Coaching zur Konfliktstimulation
In der Beratungsliteratur wurden Konflikte bislang meistens als störend betrachtet, so dass man sie möglichst schnell reduzieren wollte. Dabei handelt es sich aber um eine verengte Sicht. Wie nämlich neuerdings eine Reihe von Autoren (vgl. De Dreu/Van de Vliert 1997) zeigt, ergeben sich viele positive Effekte in Organisationen überhaupt erst durch die Anwesenheit von Konflikten.
3.1. Leistungssteigerung durch Konflikte
So zeigen etwa Amason & Schweiger (1997), dass sich Konflikte ausgesprochen leistungssteigernd auswirken können, wenn zwei Abteilungen einer Firma laufend um das jeweils beste Produktionsergebnis konkurrieren. Umgekehrt zeigen Turner & Pratkanis (1997), dass Organisationen, in denen die Mitglieder immer einer Meinung sind, meistens an ihrer Harmonie zugrunde gehen. Ein Mangel an Kontroversen führt nämlich zur Erstarrung eines Systems. Führungskräften muss es vielmehr daran gelegen sein, eine konstruktive Streitkultur zu entwickeln. Hier kann der Coach eine Reihe von Maßnahmen empfehlen und begleiten:
• Konfliktstimulation beginnt schon bei der Personalauswahl, dass nämlich eine „bunte Truppe“ verschiedenen Alters mit unterschiedlichen Berufen und unterschiedlichem Erfahrungshintergrund rekrutiert wird.
• Führungskräfte können durch die Etablierung von Qualitätszirkeln einen leistungssteigernden Wettstreit zwischen Abteilungen fördern.
• Sie können außerdem „Streitrituale“ einführen, bei denen in zwei oder drei Untergruppen von Mitarbeitern jeweils unterschiedliche Positionen herausgearbeitet und anschließend in einem Plenum diskutiert werden.
Solche Maßnahmen sollten allerdings im Coaching gut vorbereitet werden. Denn ihr Erfolg ist abhängig davon, inwieweit es der Führungskraft gelingt, die Konflikte auf die erste Eskalationshauptstufe zu begrenzen. Das heißt allerdings nicht, dass alle Auseinandersetzungen emotionslos vonstatten gehen müssen, im Gegenteil. Sie dürfen nur keinen feindlichen Touch enthalten. Die Führungskraft fungiert hier im Prinzip auch als „Hüterin von Emotionen“.
3.2. „Institutionalisierte Konfliktstimulation“
Einen geradezu institutionalisierten Stellenwert hat Konfliktstimulation bei all den Positionen oder Abteilungen, die aufgrund ihrer Stellenbeschreibung einen innovativen Auftrag wahrzunehmen haben – und zwar in der Organisation, in der sie selbst tätig sind. Das gilt beispielsweise für alle Gleichstellungsbeauftragte, für alle Beauftragte zur Qualitätssicherung und für Umweltbeauftragte. Um ihre Funktion ernstlich auszufüllen, haben sie prinzipiell das Bestehende in Frage zu stellen. Deshalb sind sie im Vollzug ihrer Aufgabenerfüllung mit vielfältigen organisatorischen Widerständen konfrontiert, die sie aber jeweils im Sinne ihrer Zielsetzungen zu nutzen haben. Diese Positionen – und damit auch die Personen - sind in den Systemen prinzipiell umstritten, weshalb die Inhaberrinnen und Inhaber dieser Stellen vielfältige Copingstrategien benötigen.
Idealerweise suchen die Betreffenden schon vor Antritt ihrer Stelle einen Coach auf, mit dem sie die Bedingungen, unter denen sie ihre Stelle antreten, diskutieren können. Die Erfolgsaussichten ihrer Tätigkeit bestimmen sich nämlich hochgradig nach den formalen Voraussetzungen ihrer Position. Sie sollte möglichst weit oben in der Hierarchie angesiedelt sein. Das heißt, die Gleichstellungsbeauftragte einer Kommune etwa sollte nur noch dem Bürgermeister unterstehen. Wenn sie nämlich dem Personalchef unterstellt ist, wird es für sie fast unmöglich, Strategien der Personalauswahl oder der Beförderung zu kritisieren und Alternativen zum Bisherigen zu fordern.
Wenn solche Stelleninhaber und Stelleninhaberrinnen viele Innovationen anstoßen, kann Coaching fast eine Frage des psychischen Überlebens sein. Nachdem sie nämlich häufig ein „Einzelkämpferdasein“ fristen, also nicht in entsprechende Stabsabteilungen eingebettet sind, benötigen sie den Coach oft als einzigen wohlwollenden Dialogpartner.
Literatur:
Amason, A. C./ Schweiger, D.M.: The Effects of Conflict on Strategic Decision Making Effectiveness and Organizational Performance. In: De Dreu, C./Van de Vliert, E. (Ed.): Using Conflict in Organizations, London, Thousand Oaks, New Delhi 1997
Beck, R./Schwarz, G.: Konfliktmanagement. München 1995
De Dreu, C./van de Vliert, E. (ed.): Using Conflict in Organizations. London, Thousand Oaks, New Delhi
Crozier, M./Friedberg, E.: Macht und Organisation. Königstein 1979
Glasl, F.: Konfliktmanagement, 4. Aufl., Bern, Stuttgart 1994
Neuberger, O.: Mikropolitik. Stuttgart 1994
Schreyögg, A.: Coaching, Frankfurt/M., New York 1995
Schreyögg, A.: Konfliktcoaching, Frankfurt/M., New York 2002
Turner, M.E./Pratkanis, A.R.: Mitigating Groupthink by Stimulating Constructive Conflict. In: De Dreu, C./Van de Vliert, E.(ed.): Using Conflict in Organizations. London Thousand Oaks, New Delhi 1997