Erschienen in „Gestalttherapie“ 2002
MYTHOS „TEAMSUPERVISION“ – EIN KRITISCHER ESSAY
Vor einigen Jahren stellte ich mich einem „Team“ von sieben Sozialarbeiterinnen eines Jugendamtes als mögliche „Teamsupervisorin“ vor. Sie erzählten, dass sie „seit vielen Jahren – eigentlich schon immer – fortlaufende Teamsupervision, einmal im Monat“ gehabt hätten. Nun seien sie aber auf der Suche nach einer neuen Supervisorin. Auf meine Frage, was denn ihre Themen im Verlauf der Supervision gewesen seien, antworteten sie : „Eigentlich alles, alles was so anstand, Fälle, unsere Beziehungen usw.“ Im Moment wäre Supervision besonders wichtig. Ihr Amt würde umstrukturiert und ihr neuer Vorgesetzter sei ja so unmöglich, ach, es sei überhaupt alles ziemlich schlimm. Und sie begannen weitschweifig über die aktuelle Situation zu lamentieren. Fast überschwemmt von all dem „Elend im Amt“ fragte ich: „Was möchten Sie denn mit der Supervision erreichen?“ Jetzt herrschte betretenes Schweigen, bis sich die Gewandteste von ihrer Überraschung erholt hatte und losprustete: „Das ist eine gute Frage, na so was, das ist eine gute Frage.“ Das fanden die anderen auch und schüttelten erstaunt ihre Köpfe. Es gelang mir nicht herauszufinden, was sie mit der Supervision bezwecken wollten. Das war allerdings auch nicht nötig, denn sie entschieden sich ohnedies nicht für mich.
An dieser kurzen Begegnung lassen sich einige typische Merkmale von traditionellen Teamsupervisionen deutlich machen:
• In der Supervision wird „alles“ verhandelt, was „ansteht“. Das bedeutet im Extrem, dass die Supervision keinerlei Prägnanz erhält. Sie ist weder Fall- noch Teamsupervision, weder Konzept- noch Methodenberatung, eben alles - und deshalb nichts wirklich Professionelles.
• Es wird immer jeweils das, was den Supervisanden spontan einfällt, besprochen. Dadurch ergibt sich keinerlei thematische Kontinuität. Dementsprechend kann weder von den Supervisanden noch vom Supervisor ein Thema inhaltlich oder methodisch vorbereitet werden. Ja, eine konsequente Vorbereitung gilt fast als Sakrileg, Spontaneität ist nämlich eine sine qua non dieses Settings.
• Mit der Supervision verbindet man auch keine spezifischen Ziele. Sie wird ja prozessual d.h. „endlos“ abgehalten. Man hat sie schon immer und wird sie immer haben. Allein aufgrund der Tatsache, dass man zusammen sitzt und redet - wozu man sonst vielleicht gar nicht kommt, entsteht der Eindruck, etwas Wichtiges zu tun. Eine zielorientierte Beratung würde die lockere Kommunikation vermutlich nur stören.
• „Der Vorgesetzte“ - sofern einer designiert ist – „nimmt an der Supervision natürlich nicht teil“, heißt es meistens. Im Gegenteil, über ihn wird überwiegend abfällig geredet oder gelacht. Seine Position wird verleugnet oder bagatellisiert. Vielfach wird der Supervisor als bessere Alternative zum Vorgesetzten ausstilisiert.
• Aufgrund der mangelnden Prägnanz und der mangelnden Zielorientierung wird die Supervision zur Quatschbude“ oder zum „Lamentierclub“ degradiert. Dabei geht es häufig um nicht-anwesende Personen, „die - aus welchen Gründen auch immer - gerade leider nicht dabei sein können“.
• Und wenn Konflikte zu bearbeiten sind, ist man besonders in „Psychoteams“ schnell bei der Hand, diese zu personalisieren. Dass Konflikte viel häufiger durch strukturelle Kränkungen oder durch Strukturen überhaupt verursacht sind, wird in diesem Kontext nur ausnahmsweise in Betracht gezogen. Man ergeht sich vielmehr in langen Ausführungen über einen „Frühgestörten“ oder einen Borderliner“, der einem das Leben schwer macht.
Angesichts dieser kritischen Punkte (vgl. Epe & Epe 1995, Zöllner 1998, Schreyögg 1998 u.a.) fragt man sich, wie dem Setting „Teamsupervision“ sein Siegeszug gelingen konnte. Heute wird es nämlich auch von offizieller Seite oft unhinterfragt finanziert oder bezuschusst und vielfach sogar als Maßnahme der Qualitätssicherung deklariert. Außenstehende reiben sich verwundert die Augen, denn ein Beratungssetting ohne klar definierte Ziele und ohne präzise Zeitbegrenzung halten sie für ein Unding. Auf Insider wirkt dieses Phänomen weniger überraschend, denn wie alle Beratungsformen hat auch die Teamsupervion eine Entwicklungsgeschichte, die bis in die Gegenwart hinein ragt.
Im Folgenden versuche ich diese Entwicklungsgeschichte mit ihren normativen Implikationen zu beleuchten. Dabei soll es einerseits um die „Teamsupervision“ als Beratungsform gehen und andererseits um das, was da beraten wird: um das „Team“. Denn diese Beratungsform ist nur in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Teambegriff zu verstehen. Mein Fazit? Lesen Sie selbst!
1. „Team“ - was ist das?
In vielen Fällen erscheint uns das, wovon wir immer schon reden so selbstverständlich, dass wir es gar nicht mehr reflektieren. So erschließen sich auch erst bei einer genaueren Betrachtung des Phänomens „Team“ seine möglichen Komplikationen.
1.1. Begriff und Merkmale von „Team“
Im Verlauf der 60er und 70er Jahre entwickelte sich „Team“ zu einem Modewort (Forster 1978). Der ursprünglich englische Begriff im Sinne von „Gespann“ hat sich zunächst am deutlichsten im Sport und in der Wirtschaft durchgesetzt (Wiendieck 1992). Er weist Nähe auf zu dem älteren Begriff der Gruppenarbeit. Im Gegensatz aber zur „Gruppe“ impliziert „Team“ immer einen Bezug zu einem organisatorischen System, so dass es sich bei Teams um Arbeitsgruppen in Organisationen handelt. Der Teambegriff enthält aber genau genommen zwei konstitutive Bestandteile:
(1) Zunächst enthält er einen sachlichen, pragmatischen Aspekt: So umreißt etwa Bendixen (1980: 2227) Teams in einem organisationstheoretischen Verständnis schlicht als „kooperierende Arbeitsgruppen“. Die Koordination der individuellen Arbeitsleistung erfolge im Kollektiv und auch die Verantwortung für die Ergebnisse liege in der Hand eines Kollektivs (vgl. auch Trebesch 1980). Auf diese Weise werden Teams unter formalen Gesichtspunkten als heterarchische, d.h. als egalitäre, oder als nur schwach hierarchisierte Systeme charakterisiert.
(2) Damit ist sogleich der andere, der sozio-emotionale Aspekt des Teambegriffs verbunden: Die normative Verortung der Kollektivleistung. Je nach Milieu werden zwar Teams im Hinblick auf ihre formale Struktur etwas unterschiedlich ausgestaltet und dadurch auch etwas unterschiedlich interpretiert (Petzold 1999), in vielen Fällen wird aber der Teambegriff geradezu ideologisch überhöht. Am neutralsten wirkt er noch, wenn er als Modell für die Arbeitskooperation im Sinne einer Partizipation an Entscheidungsprozessen steht (Wiendieck 1992). Mit Begriffen wie „Teamgeist“ (Lukaczyk 1958), versucht man dann schon emotionalisierter die gemeinsame Orientierung der Mitarbeiter zu akzentuieren (Gaitanides 1955). Durch Schlagworte wie das „ Team ist die Einheit in der Vielfalt“ will man diesen Kollektivgeist dann geradezu beschwören (ebenda 1955). Bei solchen Autoren finden sich auch unterschiedlich überhöhte Vorstellungen über die Qualität und Intensität der Zusammenarbeit. Die Kollektiv- oder Kaderideologie wird jedenfalls hier mit keinem Wort problematisiert. Das fällt besonders im Bereich sozialer Dienstleistungen auf. So betonen etwa Lotmar & Tondeur (1983, 162) beinahe kämpferisch, dass eine echte Teamstruktur erst dann gegeben ist, wenn das Kollektiv entscheidet, wenn die Mitarbeiter selbst führen, wenn die Verantwortung auf viele Schultern verteilt getragen wird und wenn die Mitglieder laufend kooperative Beziehungen pflegen.
So handelt es sich bei Teams formal gesehen um organisatorische Einheiten, die aber ihrer Bestimmung nach relativ informell zu gestalten sind. Oder anders gesagt, formale und nicht-formale Aspekte sollen sich bei Teams durchdringen und durchmischen. Dementsprechend finden sich in der einschlägigen Literatur immer wieder relativ übereinstimmende Merkmale von Teams, wie sie ähnlich in der Kleingruppenpsychologie benannt werden (Trebesch 1980, Bendixen 1980, Forster 1981, Wiendieck 1992 u.a.):
• Die Größe: Die Anzahl der Teammitglieder sollte face-to-face- Kontakte ermöglichen.
• Die Dauer: Teams werden in Abgrenzung zu Ausschüssen oder zu Meetings bei Tagungen als relativ überdauernd beschrieben.
• Die Leistungsorientierung: Im Unterschied aber zu Freizeitgruppen haben sie eine Leistung zu erbringen, bzw. die Leistung sollte sogar bei allen Begegnungen im Vordergrund stehen. Die Befriedigung sozio-emotionaler Bedürfnisse muss als sekundär gelten.
• Der Arbeitsstil: Eventuell schwierige und wechselnde Aufgaben sollen nach dem Solidarprinzip bewältigt werden (Bendixen 1980).
• Die Kohäsion: Festinger (1950) versteht darunter die Resultante aller Kräfte, die ein Mitglied veranlasst, in einer Gruppe – hier in einem Team - zu bleiben. Als integrierende Kraft ist die Kohäsion in Teams Idealerweise sehr hoch. Sie darf andererseits aber nicht extrem hoch sein, weil sich dann „Groupthink“ im Sinne kollektiver Konfliktvermeidungsstrategien gegen Außenseitermeinungen einstellt (Janis 1972.
Auf dem Hintergrund einer Analyse des Teambegriffs anhand von zwanzig unterschiedlichen Definitionen gelangt Forster (1981) zu folgender Begriffsbestimmung: „Unter einem Team soll eine kleine, funktionsgegliederte Arbeitsgruppe mit gemeinsamer Zielsetzung, relativ intensiven wechselseitigen Beziehungen , einem ausgeprägten Gemeinschaftsgeist sowie einem relativ starken Gruppenzusammenhalt unter den Mitgliedern und damit einer spezifischen Arbeitsform verstanden werden (Forster 1981, 144).
1.2. Gründe für die Etablierung von Teams
Was sind die Gründe dafür, dass man seit einigen Jahrzehnten Teams in unterschiedlichen Milieus etabliert:
(1) Wir können heute in fast allen Organisationstypen eine zunehmende Aufgabenkomplexität und –fülle beobachten, die man mit traditionellen bürokratischen Strukturen nicht mehr zu bewältigen glaubt. Der bürokratischen Unbeweglichkeit dieser Strukturen setzt man kleine organisatorische Einheiten im Sinne von Teams entgegen.
(2) In den letzten zwei Jahrzehnten entstand – nicht nur im Zuge der Globalisierung – ein enormer Innovationsbedarf. Diesen kann man nur noch durch interdisziplinäre Teams bewältigen. Aus diesem Grund ruft man beispielsweise vielerorts Projektteams ins Leben, die gelegentlich sogar in „Projektorganisationen“ als ein Team unter vielen anderen Teams tätig sind.
(3) Die breitflächige Etablierung von Teams ist aber auch als Ausdruck von generellen Demokratisierungstendenzen zu sehen. Hierarchische Strukturen haben seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts zu großen Teilen ihre Legitimationsbasis eingebüßt. Dieser Aspekt ist besonders für den Siegeszug von Teams im sozialen Dienstleistungsbereich maßgeblich, denn hier haben sich auf breiter Front „antibürokratische“ Überzeugungen durchgesetzt.
1.3. Die Effekte von Teamarbeit
Trotz aller dieser positiven Plädoyers für die Teamarbeit mehren sich derzeit die kritischen Stimmen. Unter Berufung auf Hofstätter (1957) wurden zwar immer wieder positive Effekte von Teamarbeit beschworen, die allerdings je nach der Gruppenzusammensetzung variieren: Homogene Gruppen weisen angeblich geringere Reibungsverluste bei der Koordination auf, dafür aber auch eine geringere Ressourcenvielfalt. Die empirischen Befunde hierzu erwiesen sich aber als äußerst labil und damit als wenig aussagekräftig (Wiendieck 1992). So argumentiert auch Franke (1980), dass den Vorteilen wie Kräftezentrierung oder sich gegenseitig Ergänzen erhebliche Nachteile gegenüber stehen.
(1) Nachteile aus sozialpsychologischer Sicht
• Aus sozialpsychologischer Sicht wurde immer wieder das „Groupthink“ als besonderes Problem von Teams thematisiert. Dieses schon oben angesprochene Phänomen, das Janis (1972) in die Debatte einbrachte, besagt, dass eine kohäsive Arbeitsgruppe dazu neigt, voreilig Einmütigkeit herzustellen und der Mehrheit widersprechende Meinungen zu unterdrücken. Das Streben nach Einvernehmlichkeit lässt das autonome und kritische Denken einzelner verstummen und führt das Team unter Umständen zu gefährlichen Entscheidungen, wie Janis anhand der Außenpolitik von Kennedy gegenüber Cuba belegen konnte.
• Ein ähnliches Phänomen beschrieb Stoner (1961) als „Risikoschubphänomen“. Bei kollektiv getroffenen Entscheidungen zeigt sich immer wieder, dass sie gerade auf der Basis von emotionalem Einklang zu „forsch“ oder zu „mutig“ getroffen werden. Bedenken einzelner werden von der Mehrheit weggewischt oder tauchen gar nicht mehr auf.
• Als gravierendste Probleme von Teams erweisen sich aber „Führungsdilemmata“ (Neuberger 1985). In Organisationen, soweit sie auch nur minimal hierarchisch gegliedert sind, entsteht für die Führungskräfte aus den divergierenden Anforderungen der Teammitgliedern und der vorgesetzten Instanzen prinzipiell ein Konflikt. Die Teammitglieder wünschen sich nämlich von der Leitung eine maximal kooperative Haltung und die Vorgesetzten erwarten von ihm ein direktives Vorgehen, um die Zielerreichung für das System zu „erzwingen“. Wenn der Demokratisierungsprozess des Gesamtsystems voranschreitet, die Teammitglieder also zunehmend die Koordination des Systems übernehmen, verlagert sich der Konflikt in das Team hinein (Wächter 1979). Dann fällt meistens den Leitern eine integrierende und konfliktregulierende Funktion zu. Anders gesagt, die formale Leitung mutiert dann mehr oder weniger deutlich zur informellen Führung.
(2) Nachteile aus psychoanalytischer Sicht
Pages (1974), Mentzos (1996) u.a. hatten darauf aufmerksam gemacht, dass Institutionalisierungen, aus denen formale Regeln hervorgehen, zur Reduktion existentieller Ängste von Menschen dienen. Das bedeutet umgekehrt, dass schwach formalisierte organisatorische Situationen, wie wir sie in nicht- oder schwach-hierarchischen Teams vorfinden, bei den Organisationsmitgliedern einen hohen Angstpegel nach sich ziehen. Pühl (1988) postuliert auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Teamsupervisor, dass diese Angst psychodynamisch gesehen aus einer spezifischen Ambivalenz resultiert: Einerseits „aus dem Wunsch und Anspruch, die Arbeit selbstbestimmt zu gestalten und dem Mangel an regressivem Rückzug (z.B. unter der Führung eines Vorgesetzten) andererseits“ (Pühl ebenda, 57). Psychoanalytisch geschulte Berater geben sich im allgemeinen große Mühe, den Organisationsmitgliedern zu helfen, diese Angst zu bewältigen. De facto entstehen daraus gruppentherapeutische Situationen, die für die Leistungserstellung in einer Organisation nicht unbedingt von Vorteil sind, denn sie stellen temporär oder dauerhaft das Team unter das Primat des Sozio-emotionalen.
(3) Nachteile aus organisationssoziologischer Sicht
Einen Generalangriff gegen den Teamgedanken startet Sennett (2000), wenn er schreibt: „Teamwork ist die Gruppenerfahrung der erniedrigenden Oberflächlichkeit“ (Sennett ebenda, 133). Die Ethik der Gruppe sei hier prinzipiell wichtiger als die mitgeteilten Fakten bzw. die faktische Aufgabenstellung einer Arbeitsgruppe. Groupthink nehme den Stellenwert eines Abwehrmechanismus gegen die Meinung einzelner ein. Das kommunistische Pendant waren die „Brigaden“ im Kommunismus, weshalb im Postsozialismus der Teamgedanke prinzipiell skeptisch beurteilt wird. Hier wie dort tut bzw. tat man so, als sei kein Chef da. Es handelt sich dann um Schauspielerei. Man spielt Teamarbeit, indem man „Masken der Kooperation“ (ebenda, 135) anlegt. Statt Druck von oben gibt es jetzt Druck von der Seite. Der Chef weicht allen Kontroversen mit den Mitarbeitern aus und spielt den Gütigen und Verständnisvollen. Jetzt lastet jede Konfliktregulation auf den Schultern der Mitarbeiter. Es besteht ein Führungsvakuum, das mit informeller Autorität gefüllt wird. Diese bleibt aber in Ermangelung der formalen Basis immer strittig, so dass im Prinzip alle der Verantwortung ausweichen. Und genau daraus resultiert Oberflächlichkeit (Sennett ebenda, 155).
2. Teamsupervision – die Supervision von Teams
Die „Teamsupervision“ stellt nun das zum „Team“ perfekt passende „Konservierungs“- (nicht Chance-) instrument dar.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die „Clinical Supervision“ als Qualitätssicherung für soziale Arbeit. Einige Jahrzehnte später tauchte sie unter dem Begriff „Kontrollanalyse“ in der Psychoanalyse auf und im Fortlauf auch in anderen Therapieverfahren. In den Anfängen erhielten in der amerikanischen Armenhilfe viele Ehrenamtliche von einigen professionellen Koordinatoren, nämlich den „Supervisoren“ als Mittelmanagern, Unterstützung bzw. Beratung für ihre karitativen Aktivitäten (Belardi 1992). Während diese Beratung anfangs auf faktische Vorgänge zentriert war, wie etwa ein Hausbesuch in einem Slumdistrikt sinnvoll auszugestalten sei, wandelte sie sich später immer mehr in Richtung auf therapeutische Analysen und therapeutische Arbeitsstrategien. Durch die Entwicklung psychotherapeutischer Ansätze und entsprechender Ausbildungsprogramme adaptierten nämlich auch Supervisoren außerhalb therapeutischer Ausbildungen, vor allem in der Sozialarbeit therapie-ähnliche Konzepte für ihre Beratung. Daraus resultierte ein genereller Perspektivenwechsel (Schreyögg 1994). Jetzt stand nämlich nicht mehr die Förderung fachlicher Qualifikationen der zu Beratenden im Vordergrund, sondern ihre innerpsychische Beteiligung. Je nach dem unterlegten therapeutischen Ansatz sollten nun entweder ihre persönlichen Defizite, die sich in der beruflichen Praxis offenbarten, aufgedeckt und beseitigt werden. Oder man beabsichtigte, ihre personalen Ressourcen auszubauen.
Da es sich hier um sehr persönliche Auseinandersetzungen handelt, hielt man lange am klassisch-psychotherapeutischen Setting, der Dyade, fest. Erst im Verlauf der 70er Jahre entwickelten sich im Zuge des Psychobooms, der zu großen Teilen als „Gruppenboom“ praktiziert wurde, auch in der Supervision Mehrpersonensettings. Zuerst bot man – besonders im Bereich von Sozialarbeiterausbildungen – Gruppensupervision an. Dabei wurden Berufstätige oder Praktikanten beraten, die in unterschiedlichen Organisationen tätig waren. Einige Zeit danach begann man kooperierende Arbeitsgruppen, also „Teams“, zu supervidieren.
Als „Teamsupervision“ wurden in der Folgezeit zwei nuanciert unterschiedliche Traditionen entwickelt:
• Eine therapie-orientierte Variante und
• eine, die sich mit Traditionen der Organisationsentwicklung (OE) traf bzw. trifft.
2.1. Therapie-orientierte Teamsupervision
Bei der therapie-orientierten Variante von Teamsupervision handelt es sich um Beratung, die sich in therapeutischen Milieus entwickelte, insbesondere in der Therapie von Drogenabhängigen. Hier fanden sich schon in den 70er Jahren Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen, die als Pioniere der Drogentherapie oft nur über ein hohes Engagement, nicht aber über eine therapeutische Ausbildung verfügten. Sie beauftragten dann ausgebildete Therapeuten, sie anhand der Fallsupervision therapeutisch zu beschulen. Da es sich hier allerdings um Teams mit pionierhaft hierarchiefeindlichen Ansprüchen handelte, stellten sich schnell die entsprechenden Kontroversen unter den Mitarbeitern und besonders zwischen Mitarbeitern und Leitung ein. So entwickelte sich aus der Fallarbeit meistens eine Arbeit über die teaminternen Beziehungen. Den Therapeuten/Supervisoren kamen diese Inhalte gerade recht, weil sie anhand solcher Arbeitssequenzen meinten, Gruppentherapie lehren zu können. Die Supervision fand dann mit genau den therapeutischen Konzepten statt, die der jeweilige Therapeut/Supervisor in seiner Therapieausbildung erlernt hatte und die er nun exemplarisch an den Mitarbeitern der Teams demonstrierte. Dadurch mutierte das jeweilige Team zu einer therapeutischen Ausbildungsgruppe. Den Teammitgliedern kam diese Vorgehensweise zunächst meistens auch gelegen, weil sie nun eine vom Träger finanzierte Fortbildung und zugleich eine Supervision erhielten.
De facto ergaben sich durch genau diese Veranstaltungen schwerste Konflikte. Zum einen wurde der formale Charakter des Arbeitsplatzes von allen Beteiligten verleugnet, so dass die beruflichen Prozesse emotionalisiert und personalisiert wurden. Im Schutze des Supervisors, der hier immer als Führungskraft auf Zeit fungiert, wurden die Organisationsmitglieder zu massivsten Selbstentblößungen und emotionalen Eskalationen verleitet. Das erwies sich aber im Alltagsgeschehen, in Konfrontation mit einer nur schwach formalisierten Situation und einer hoch problematisierten Klientel als kaum mehr „verdaulich“.
Später, als sich die meisten dieser Organisationen fachlich und organisatorisch stärker konsolidiert hatten, und auch der Psychoboom an Schärfe einbüßte, wurden weniger konfrontative, eher supportative Formen der Teamsupervision in therapeutischen Einrichtungen üblich. Die konzeptionelle Basis blieb aber bis heute relativ eng an therapeutischen Ansätzen orientiert, die in der Regel jenseits aller formal-strukturellen Phänomene gedacht sind. Dadurch blieb diese Form der Teamsupervision oft eine relativ unprofessionelle Form der Burnoutprophylaxe.
2.2. OE- orientierte Teamsupervision
Jenseits therapeutischer Milieus entwickelten sich ebenfalls Formen der Teamsupervision, die an Konzepte der Organisationsentwicklung anschlossen. Aus der gruppendynamischen Bewegung, die schon durch Lewin angestoßen wurde, resultierten im Verlauf der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts neue Formen der Organisationsberatung (Rechtien 1992). Dabei wurden die Organisationsmitglieder Kleingruppenweise zur Entfaltung ihrer persönlichen Handlungsspielräume, ihrer Autonomie, ihrer Kommunikationsfähigkeit, ihrer Kreativität usw. animiert. Bis dato hatte man organisatorische Veränderung immer nur als Korrektur formal-struktureller Muster mit dem Ziel erhöhter betrieblicher Effizienz begriffen. Vor dem Hintergrund eines organisatorischen Maschinenmodells veränderte man dabei Funktionsbereiche, Hierarchie-Ebenen, Formen der Arbeitsteilung usw. Die Protagonisten der neuen Bewegung (Argyris 1975; Lickert 1975 u.a.), die jetzt unter dem Begriff „Organisationsentwicklung“ (OE) firmierte, hofften durch ihre Beratungspraxis nun auch einen neuen Organisationstyp zu erzeugen. In diesem sollten Menschen nicht mehr ausschließlich als gut funktionierende Wesen im Dienste des jeweiligen Organisationsziels begriffen werden, sondern als autonome Individuen, die in der Lage sind, organisatorische Situationen zunehmend menschengerecht und selbständig zu gestalten. So verschoben sich auch im Bereich der Organisationsberatung die Perspektiven von der beruflichen Funktionsfähigkeit hin zur Förderung eines gut entwickelten, kooperationsfähigen Menschen.
Diese antibürokratische und zu großen Teilen humanistische Bewegung wurde von Supervisoren aufgegriffen und für die Teamsupervision adaptiert. Im Gegensatz zu traditionellen Formen des geplanten organisatorischen Wandels, der immer von der hierarchischen Spitze eines Systems ausging, wollte man nun Veränderungen von unten durch Aktivierung der Gruppendynamik initiieren. Das Methodeninventarium dieser Supervisoren war und ist stärker an der Gruppendynamik und an der analytischen Gruppentherapie als an individualtherapeutischen Verfahren orientiert (Pühl 2000). In Abgrenzung zu traditionellen Formen der Organisationsberatung greift man auch in diesen Milieus selten auf organisationstheoretische Konzepte zurück. Man pflegt eher Beratungsarbeit auf einem „systemischen“ Hintergrund, der meistens mehr schlagwortartig als theoretisch fundiert das „Ganzheitliche“ von Teams und der menschlichen Entwicklung von Teammitgliedern betonen soll. Solch strukturfeindliches Instrumentarium steht dann auch in perfekter ideologischer Übereinstimmung mit strukturlosen oder strukturschwachen Teams. Das korrespondiert mit den eingangs beschriebenen professionellen Schwächen dieser Beratungsform.
3. Fazit:
Jeder, der sich mit Teamsupervision befasst oder sie praktiziert, sollte sich und seinen Supervisanden folgende Fragen stellen:
(1) Was wird in der jeweiligen Arbeitsgruppe, die sich als „Team“ bezeichnet, darunter verstanden? Erfassen die Organisationsmitglieder die jeweiligen Probleme, Paradoxien, Dilemmata und ideologischen Aspekte?
(2) Wie ausgeprägt ist bei dem jeweiligen Team das Führungsvakuum? Welche Erwartungen bestehen an den Supervisor im Hinblick auf eine Kompensation dieses Vakuums? Erfassen die Teammitglieder den kompensatorischen Charakter der Teamsupervision?
(3) Ist den Teammitgliedern einer nicht-hierarchischen Organisation klar, dass sie durch die Teamsupervision ihr strukturelles Vakuum zu kompensieren suchen?
(4) Handelt es sich aber bei dem „Team“ um eine klar hierarchisch gegliederte Arbeitsgruppe, sollte man sich fragen, ob nicht eher Coaching zu empfehlen ist. Als Beratungsform für Führungskräfte unterstützt es diese bei eindeutigen Führungshaltungen und bei der Offenlegung der realen Machtverhältnisse.
Ich selbst habe, nachdem ich viele Jahre in unterschiedlichsten Milieus als Teamsupervisorin fungiert habe, eine Entscheidung zu Gunsten des Coachings getroffen. Heute unterstütze ich Führungskräfte, ihre Funktion und Position im Sinne klarer hierarchischer Muster konstruktiv auszugestalten. Das scheint mir besonders wichtig bei stärker eskalierten Konflikten, denn in solchen Situation erweist sich ein „echtes Team“, das immer ein Führungsvakuum aufweist, als schweres Hemmnis. Dann fühlt sich nämlich niemand in der Lage, einen Machteingriff im Sinne eines Eskalationsstops vorzunehmen (Schreyögg 2002). Und in solchen Fällen reicht auch die Autorität eines Supervisors niemals aus, selbst wenn er sich vorher als besserer Führer aufgebaut hatte.
Literatur:
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Zusammenfassung:
Im vorliegenden Text zeigt die Autorin, dass die Teamsupervision vielfach ideologisch hoch aufgeladen ist. Das belegt sie einerseits anhand von Begriff und Bedeutung des Teambegriffs und andererseits anhand der Traditionen der Teamsupervision selbst. Ihre Empfehlung ist, dass sich alle Beteiligten die substantielle Bedeutung und Funktion von „Team“ und Teamsupervision“ vergegenwärtigen.