Der Coach als Dialogpartner

Der Coach als Dialogpartner von Führungskräften


Wenn Führungskräfte beraten werden, spricht man meistens nicht von „Supervision“, sondern von „Coaching“. Diese im Bereich der Personalwirtschaft entstandene  Beratungsform gilt dort als „Maßnahme der Personalentwicklung“. Und als solche dient sie im Verständnis dieser Milieus primär zur Förderung der Funktionsfähigkeit einer Führungskraft. Da sich die Aufgabenkomplexität und –fülle von Führungskräften in den letzten Jahren in allen Typen von Organisationen erheblich gesteigert haben, erhält Personalentwicklung – darunter auch Coaching – einen zunehmenden Stellenwert. Im Zuge dieser Prozesse zeigt sich allerdings, dass eine ausschließliche Förderung der Funktionsfähigkeit oft nicht ausreichend ist. Wie etwa Berglas (2003) anmahnt, erzeugen solche Coachings oft kontraproduktive Effekte. Durch rein funktionale Beratungen, wie sie etwa die meisten Sportcoaches durchführen,  werden Führungskräfte vielfach eher verunsichert, und gelegentlich nehmen sogar die Firmen Schaden. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, Coaching nicht nur als Maßnahme der Personalentwicklung zu verstehen. Es sollten vielmehr, wenn es der Kontrakt mit dem Klienten und/oder mit der Firma erlaubt, auch Elemente von „Personenentwicklung“ (Neuberger 1994) integriert werden. Wie mehrfach postuliert, folgt daraus, dass Coaching auch als „Dialogform für Freud und Leid im Beruf“ (Schreyögg 2002; 2003), psychotherapeutische Elemente, wie es für die meisten Supervisionsansätze typisch ist, beinhalten sollte. Durch solche „Einsprengsel“ erhält dann der Coach die Rolle eines relativ umfassenden Dialogpartners, der zwar schwerpunktmäßig fürs Funktionale, bei Bedarf aber auch fürs Personale zuständig ist. Das bedeutet, er benötigt breite „Landkarten“ für die Personalentwicklung und solche für die Bearbeitung personaler Phänomene.

Im nachfolgenden Beitrag möchte ich zeigen,
- welcher Unterschied zwischen Personen- und Personalentwicklung besteht, sodann
- dass heute in allen Organisationstypen Changeprozesse an der Tagesordnung sind. Diese
müssen vielfach auch gegen den Änderungswiderstand der Mitarbeiter von den Führungskräften durchgesetzt werden.

- Das stellt höhere Anforderungen an ihre Managementqualifikationen, weshalb sie heute
vermehrt Maßnahmen der Personalentwicklung - so auch Coaching - in Anspruch nehmen.
- Höhere Anforderungen in den organisatorischen Systemen aktualisieren aber bei vielen
Führungskräften auch Irritationen ihrer individuellen Befindlichkeit. So tauchen in den
Coachings immer häufiger Fragestellungen auf, die dem Bereich der „Personenentwicklung“ zuzurechnen sind. Diese lassen sich allerdings nur dann bearbeiten, wenn es der Kontrakt mit dem Klienten und/oder der Kontrakt mit der Firma erlaubt.


1. Zur Differenz zwischen Personen- und Personalentwicklung

Wie Neuberger (1994) aufmerksam macht, sollte zwischen Personen- und Personalentwicklung unterschieden werden. Bei „Personal“ handelt es sich um einen Aggregatbegriff aus der Managementdebatte. Dabei geht es ohne Ansehen des einzelnen Menschen um die Mitarbeiterschaft einer Organisation, die qua Arbeitsvertrag verpflichtet ist, die Ziele des organisatorischen Systems möglichst optimal zu realisieren. In diesem Verständnis handelt es sich bei „Personal“ vergleichbar den Maschinen eines Unternehmens um ein Produktionsmittel. Im Gegensatz aber zu Maschinen erweist sich das „Produktionsmittel Personal“, das ja aus unterschiedlichen Menschen besteht, als „sperrig“, denn es verfügt über „Eigensinn und Eigenwert“ (Neuberger 1994, 14). Aus diesem Grund muss es entsprechende Entwicklungsprozesse durchlaufen. Das bedeutet, es muss durch Maßnahmen der Personalentwicklung für seine jeweilige Aufgabenerfüllung sozialisiert werden. Erst auf diese Weise wandeln sich die Mitarbeiter zu optimalen Funktionsträgern. Bei Personalentwicklung handelt es sich genau genommen um einen Teilbereich des Personalmanagements. Personalmanagement ist wiederum eine Managementfunktion, die sich mit Personalbelangen befasst wie der Besetzung von Stellen in Organisationen, der zielgerechten Leistungserstellung, der Personalbeurteilung, der Bezahlung – und eben der Entwicklung des Personals bzw. der „Belegschaft“ einer Organisation (Schreyögg 2003).

Bei „Personenentwicklung“ handelt es sich demgegenüber um Anstöße zur Entwicklung individueller menschlicher Potentiale, wie es etwa besonders markant in Selbsterfahrungsgruppen geschieht. Oder es handelt sich um Unterstützung bei der Bewältigung individueller Komplikationen, wie es im Rahmen psychotherapeutischer Maßnahmen üblich ist. Zur Differenz von Personen- und Personalentwicklung lässt sich also als generelle Leitlinie formulieren: Personalentwicklung akzentuiert die Förderung menschlicher Funktionsträger, Personenentwicklung dagegen akzentuiert die Entwicklung der Personen selbst.

Trotz etlicher Überschneidungen lässt sich behaupten, dass durch die Traditionen von Supervision auf der einen Seite und von Coaching auf der anderen beide Beratungsformen auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aufweisen. Böning (2002) zeigt anhand der Geschichte von Coaching, dass es in unterschiedlichen Stadien seiner Entwicklung jeweils als personalwirtschaftliche Maßnahme in Unternehmen begriffen wurde. Es sollte prinzipiell zur Erhöhung der Funktionsfähigkeit von Führungskräften dienen. Das zeigt sich auch darin, dass Coaching häufig von firmeneigenen Beratern aus Personalentwicklungsabteilungen  durchgeführt wird oder dass es im Falle von organisationsexternem Coaching von Firmen eigens angefragt und dann auch finanziert wird.

Im Gegensatz dazu ist die Geschichte von Supervision durch eine deutliche Schwerpunktsetzung in Richtung Personenentwicklung charakterisiert.  Zwar startete Supervision zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA ebenfalls bei der Personalentwicklung (Belardi 1992), dass nämlich ehrenamtliche Helferinnen für ihre Funktion als Unterstützerinnen von Armen durch „Administrative Supervision“ vorbereitet wurden. Im weiteren Verlauf aber, als sich aus diesen Zusammenhängen die amerikanische Sozialarbeit entwickelte,  die zunehmend Anschluss an psychotherapeutische Konzepte fand, änderten sich auch die basalen Intentionen von Supervision.  In Analogie zur Ausbildung von Psychotherapeuten trat jetzt im Sinne von „Clinical Supervision“ die Persönlichkeit der Professionellen in den Vordergrund. Supervision diente seit den 1950er und 1960er Jahren immer häufiger zur „Personenentwicklung“. Unter Hinweis darauf, dass die Person des Professionellen in der Interaktion mit Klienten als entscheidendes Medium der Veränderung zu werten ist, zielte Supervision seit dieser Zeit auf die persönliche Entwicklung eben dieser Professionellen (Stoltenberg/Delworth 1987). Diese Tendenz dokumentiert sich auch im deutschsprachigen Raum darin, dass die Mehrzahl aller Supervisionskonzepte bis heute auf psychotherapeutische Modelle rekurriert (vgl. Pühl 1991, 1994, 2000, Gaertner 1999, Buer 1999, Rappe-Giesecke 2003 u.a.).      


2. Changeprozesse in unterschiedlichen Organisationstypen

Personalentwicklung erhält heute in den meisten Organisationen ein erhebliches Gewicht. Große Unternehmen leisten sich eigene Personalentwicklungsabteilungen, kleine beauftragen einschlägige Firmen mit der entsprechenden Funktion. In diesem Rahmen werden Trainings, Assessment Center, Seminare – und Coachings – angeboten. Ursache für die große Nachfrage sind fraglos die gestiegenen Anforderungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir finden heute in allen Organisationstypen, also in Unternehmen, Verwaltungssystemen und sozialen Dienstleistungseinrichtungen breit angelegte Changeprozesse. Und zur Begleitung dieser Prozesse benötigt auch der Coach entsprechende „Landkarten“ für seine Arbeit:

Seit Beginn der Industrialisierung beobachten wir bis heute einen geradezu atemberaubenden Wandlungsprozess von arbeitsweltlichen Systemen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts tauchte ein neuer Typ von Sozialsystemen auf. Im Gegensatz zu traditionellen Familienbetrieben, in denen der Patriarch nach Gutdünken Anweisungen gab, entwickelten sich jetzt große soziale Gebilde, in denen Willkürherrschaft durch viele personenunabhängige Regeln ersetzt wurde. Der Einzelne war nun vor den Launen seines Arbeitgebers geschützt und hatte eine Position inne, die durch spezifische Aufgaben, spezifische Weisungsbefugnisse und sogar durch spezifische Beschwerdewege charakterisiert war. Diese von Max Weber als „Bürokratie“ beschriebene Organisationsform (Weber 1921) setzte sich in der Folgezeit in sämtlichen Systemen von Wirtschaft und Verwaltung durch und  bildete sogar das übliche Muster für Dienstleistungssysteme wie Kliniken und Schulen. Die Bürokratie avancierte zum organisatorischen Prototyp ihrer Epoche in allen westlichen Industrienationen und fast noch ausgeprägter in sozialistischen Ländern. Denn sie ersetzte ja zumindest auf formaler Ebene die Willkürherrschaft von einzelnen durch strukturelle, rational bestimmte Macht (Bosetzky/Heinrich 1994).

Der „gesellschaftliche Fortschritt“, der dem Bürokratiemodell inne wohnte, musste aber nun „durch den potentiellen Freiheitsentzug des Einzelnen erkauft“ (Habermas 1981, 477) werden. Menschen sahen sich nämlich jetzt in ein Prokrustesbett gezwungen. Diese Perspektivität führte im Verlauf der 1970er Jahre zur „Human-Ressource-Bewegung“. Ihr Ziel bestand in der humanen Gestaltung von Organisationen. In den 1980er und deutlicher in den 1990er Jahren trat aber in den Vordergrund, dass bürokratische Strukturen vergleichsweise ineffizient sind. Jetzt setzte sich die Meinung durch, dass stark bürokratisierte Organisationen viel zu unbeweglich sind für die Anforderungen einer globalisierten Welt. Ihre Muster sind nämlich immer dauerhaft gedacht, so dass Wandlungsprozesse jeweils als problematische Ausnahmesituation betrachtet werden. 

Die neuen antibürokratischen Positionen, wonach Changeprozesse einen Dauerzustand darstellen, führten seit Ende der 1980er Jahre in den USA und ein Jahrzehnt später auch in Europa zu umfassenden Umbauten in Organisationen. Sie fanden zuerst in Wirtschaftsunternehmen statt, im weiteren Verlauf in der öffentlichen Verwaltung und in den letzten Jahren auch zunehmend im sozialen Dienstleistungsbereich.       


Changeprozesse  in Wirtschaftsunternehmen

Strukturelle Korrekturen führten in der Wirtschaft zur fortlaufenden Flexibilisierung von Organisationen. Die Soziologen Lash und Urry (1987) sprechen vom „flexiblen Kapitalismus“ als einer weltweiten Entwicklung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem „organisatorischen Kapitalismus“, befördere das aktuelle Wirtschaftswachstum nur noch schwach formalisierte Systeme. Nach Sennett (1998) sind diese durch drei Merkmale charakterisiert:
- durch Re-engeneering,
- durch Flexibilisierung aller Arbeitsprozesse und
- durch Dezentralisierung.

(1)  Re-engeneering  beinhaltet den Totalumbau von Firmen. Zu diesem Zweck werden meistens Unternehmensberaterinnen und –berater von traditionellen Beratungsunternehmen wie McKinsey oder Boston Consulting engagiert. Sie verheißen dem Unternehmen eine neue, nun effizientere formale Struktur. Dafür werden alle Strategien im Hinblick auf verzichtbare Routinen durchforstet. Und es werden in der Regel auch eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „freigesetzt“. Im Verlauf eines solchen Prozesses wird in dem entsprechenden System immer viel Energie gebunden, denn die neue Struktur muss ja mit neuem Leben gefüllt werden. Die Entlassungswellen erzeugen bei den Verbleibenden Gefühle von Irritation und Frustration. Die qualifiziertesten unter ihnen verlassen das Unternehmen allerdings vielfach schon von sich aus, weil sie eine rigorose Umstrukturierung als  „strukturelle Kränkung“ erleben. Dadurch geht aber wertvolles Expertenwissen verloren, das durch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst langsam wieder aufgebaut werden muss.

(2) Die Flexibilisierung von Arbeitsprozessen als weiteres Charakteristikum des „neuen Kapitalismus“ hat ihre Vorläufer in der Automobilindustrie, wo alle überflüssigen Routinen abgeschafft wurden, man selbststeuernde Arbeitsgruppen bilden ließ und im Weiteren Arbeitsplätze schuf, die jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin zu maximaler Effektivität zwingen. Eine zusätzliche Flexibilisierungsmaßnahme ist die Auslagerung von Teilen an Zulieferbetriebe, die aufgrund ihrer geringen Größe meistens erheblich preiswerter – und flexibler fertigen können.

(3) Ein weiteres Merkmal betrieblicher Umstrukturierungen ist die Dezentralisierung durch Lean Management. Seit ausgeprägte Hierarchien als Effizienzblockaden identifiziert wurden, versuchte man sie zu reduzieren. In führenden Publikationen (z.B. Corsten/Will 1993) wurde seit den 1990er Jahren allen Führungskräften nahe gelegt, ihre Organisationen von unnötigen Hierarchie-Ebenen zu befreien und nun endlich auch unteren Rängen mehr Entscheidungsspielräume zu eröffnen.  Das Ergebnis derartiger Kampagnen ist allerdings, dass jetzt auch hochrangige Führungskräfte ihren Arbeitsplatz verlieren – und sich viele Organisationsmitglieder auf den unteren Rängen mit ihren neuen Aufgaben überfordert fühlen.


Changeprozesse in Organisationen der öffentlichen Verwaltung

Verwaltungssysteme wie Bundes- und Landesbehörden sowie kommunale Verwaltungen galten mit ihren ausgeprägt bürokratischen Mustern zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch als Modell für die Gestaltung von Unternehmen. Heute finden wir ein umgekehrtes Verhältnis. Derzeit liefern nämlich Entwicklungen in Firmen die Folie für die Umgestaltung von Verwaltungssystemen. Changeprozesse in der öffentlichen Verwaltung sind heute durch drei Aspekte charakterisiert: Durch
- die Reduktion der „bürokratischen Sozialisation“ der Organisationsmitglieder,
- das „New Public Management“ und
- neue Formen der Personalarbeit.

(1) In Verwaltungssystemen führten bürokratische Strukturen zu Organisationskulturen, die Deformationen der Organisationsmitglieder nach sich zogen. Bosetzky und Heinrich (1994, 113) sprechen von einer „bürokratischen Sozialisation“, die sich in „bürokratischen Persönlichkeiten“ und im Extremfall im „Büropathen“ manifestiert. Als typische Merkmale nennen die Autoren Rigidität, Ambiguitätsintoleranz, Dogmatismus, niedrige Kreativität usw. Schon Merton (1968) machte im Zusammenhang mit anomietheoretischen Positionen darauf aufmerksam, dass typische Tugenden von Bürokraten wie Disziplin und Regeltreue im Verlauf eines langen Berufslebens häufig zum Selbstzweck geraten.

In Behörden, in denen immer eine Vielzahl von entsprechend sozialisierten Personen tätig ist, finden wir dann kollektive Verdichtungen  dieser Tendenzen zu „bürokratischen Kulturen“. Diese sind traditionell, hierarchisch und unbeweglich (Brody 1993). Die MitarbeiterInnen folgen im Sinne gemeinschaftlich etablierter Muster möglichst umfassend vorgegebenen Regeln, vermeiden Risiken und halten Leitlinien für wichtiger als neue Ideen. Dadurch entsteht eine Starrheit, die jede Innovation verhindert. Wenn Verwaltungssysteme in den nächsten Jahrzehnten funktionsfähiger werden sollen, muss diese „bürokratische Sozialisation“ unbedingt durch gegenläufige Förderungen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reduziert werden.

(2) Weil sich bürokratische Strukturen in Verwaltungssystemen zunehmend als ineffizient erwiesen, bemüht man sich heute in fast allen diesen Systemen starre formale Strukturen abzubauen und sie in bürgernahe umzuwandeln. Diese „postmoderne Verwaltung“ ( König 1997) stellt unter dem Begriff „New Public Management“ (NPM) eine internationale Erscheinung dar (Schedler/Proeller 2000). Sie dient als Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze, die eine Antithese zu traditionellen bürokratischen Strukturen bilden sollen. Sie lassen sich unterschiedlichen Typen zuordnen (Budäus 1998):

Der erste Typ resultiert aus einer wachsenden Skepsis gegenüber den Kompetenzen des Staates für Problemlösungen. Er resultiert besonders aus Zweifeln, dass die bisherigen Strukturen und Verfahrensweisen finanzierbar sind. Der Staat soll zurück gedrängt werden zu Gunsten von privat finanzierten Lösungen. Daraus erwachsen neue Organisationsformen, die nun die Kooperation zwischen privaten und öffentlichen Trägern vorsehen. In diesen Typ von Modellen fallen Entwicklungen, bei denen staatliche Instanzen lediglich gewährleistenden Charakter haben. Jugendämter etwa fungieren hier nur noch als Instanzen für die Kostenabrechnung privater Träger. In solchen Modellen ist ein Rollenwechsel erforderlich: Die Ämter haben in erster Linie strategische Bedeutung. Sie konzipieren Zielsetzungen, die von privaten Organisationen möglichst kostengünstig realisiert werden sollen.

Ein zweiter Typ von Modellen des New Public Management beinhaltet Konzepte, die den öffentlichen Sektor im Sinne grundlegender volkswirtschaftlicher  Konzepte reformieren sollen. Sie beziehen sich auf Strukturreformen, die an amerikanische Vorbilder angelehnt, breite Wahlmöglichkeiten für die Nutzer vorsehen, aber auch deren stärkere finanzielle Beteiligung. Das sind Deregulierungskonzepte, die etwa bei der Alters- und Krankenvorsorge eine hohe Eigenbeteiligung vorsehen.

Der dritte, in Deutschland häufigste Typ, zielt auf  Binnenreformen, für die man sich betriebswirtschaftliches Wissen zu Nutze macht. Unter dem Begriff „Neues Steuerungsmodell“ werden solche Reformelemente angestrebt wie Dezentralisierung, globale Budgetierung, Controlling,  Bürger- bzw. Kundenorientierung sowie Kosten- und Leistungsorientierung. Dabei werden „harte“ Reformelemente wie die Einführung von Kostenrechnung von „weichen“ wie die Entwicklung von kundenorientierten Leitbildern unterschieden.

(3) Außerdem werden in der öffentlichen Verwaltung erstmalig neue Formen der Personalarbeit entwickelt. Das bisherige Verständnis entsprach den kulturellen Mustern der bürokratischen Ära. Oechsler und Vaanholt (1998, 154) beschreiben es als „technokratisch-administrativ“.  Trotz der vielerorts angelaufenen Reformbemühungen werde das Personal in den meisten Fällen lediglich verwaltet. Angesichts mancher Reformprojekte, die beispielsweise Anreizsysteme beinhalten, sei aber in den nächsten Jahren ein umfassender Reformstau zu erwarten. Die Autoren fordern, dass die gesamte Personalarbeit als „weicher“ Faktor gleichlaufend mit der Korrektur „harter“ organisatorischer Parameter eine umfassende Neuausrichtung erfährt. Das gelte für die Personalplanung,  Personalgewinnung, -beurteilung und  –entwicklung.

Bislang dominierte der bürokratische Grundsatz, dass die „Amtstreuepflicht“ dem Amtsinhaber mit „Gewährung einer gesicherten Existenz“, d.h. mit einer entsprechenden „Alimentierung“ vergolten wurde. Diese formal-juristische Bestimmung verliert aber heute an Bedeutung. Die aktuelle Reformdiskussion wird immer weniger von JuristInnen und VerwaltungswissenschaftlerInnen bestimmt als von ÖkonomInnen. Heute geht es um die Entwicklung zu mehr Kundenorientierung und zu mehr Effizienz, was durch entsprechende Konzepte für die Personalarbeit zu begleiten ist. Die Mitarbeiterschaft soll auch hier in Analogie zu Unternehmen als wichtiges Potential betrachtet werden, das es zu fördern gilt. In diesem Fall muss die Personalarbeit als integraler Bestandteil aller Reformstrategien gesehen werden.

Deshalb sollte die Personalplanung schon an den neu zu gestaltenden Stellenplänen ausgerichtet sein. Mit neuen organisatorischen Strukturen gehen nämlich auch neue Anforderungen an die Organisationsmitglieder einher. Eine besonders wichtige Forderung wäre, dass die Personalplanung nicht mehr wie bisher zentral erfolgt, sondern auf Führungskräfte verlagert wird, die eine unmittelbare Verantwortung für die Personalplanung tragen. Diese Planung, die bislang nur nach starren Laufbahngesichtspunkten erfolgte, sollte in Zukunft flexibel geregelt sein. Die Stellenbesetzung erfolgte bis dato fast ausschließlich intern und war kaum zu revidieren. Das entsprach natürlich dem Prinzip der Alimentierung von BeamtInnen. Bei den Angestellten konnte man schon flexibler verfahren. Eine neue, nun strategische Personalauswahl sollte aber unbedingt nach einschlägigen Fachkompetenzen vorgenommen werden.

Die Personalbeurteilung im Sinne von Leistungsbeurteilung und Potentialeinschätzung kommt nach Meinung von Oechsler und Vaanholt (1998) heute ebenfalls noch zu kurz. Sie erfolgte nur bei Angestellten. BeamtInnen  wurden immer noch entsprechend den Verwaltungsvorschriften beurteilt. Das heißt, die Beurteilungen dienen bislang lediglich dem Vergleich untereinander und für die Bestenauslese. Wenn zukünftig das Einkommen oder bestimmte Zulagen nach Leistungsstufen vergeben werden sollen, müssen völlig neue Beurteilungssysteme entwickelt werden.

Ein entscheidender Punkt ist auch hier die Personalentwicklung. Sie soll einerseits zur Aktualisierung und Erweiterung fachspezifischer Kenntnisse führen, sie soll andererseits dem Erwerb genereller Fähigkeiten wie z.B. der Lern-, Team-, Konflikt-, Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit dienen.


Changeprozesse  in sozialen Dienstleistungssystemen

Bei sozialen Dienstleistungssystemen handelt es sich um Organisationen, deren Ziel darin besteht, Menschen zu verändern, d.h. zu fördern, zu heilen usw. (Hasenfeld 1992). Die Veränderungsziele lassen sich differenzieren nach
- dem Merkmal, das verändert werden soll,
- der Zielgruppe und
- dem Veränderungsprozess im Sinne von kurz- oder langfristig und im Sinne von ambulant, oder stationär.

Die Veränderung somatischer Merkmale erfolgt beispielsweise in Kliniken, die kognitiver Merkmale in Schulen und Universitäten, die Veränderung emotionaler Merkmale in psycho-sozialen Beratungsstellen oder psychosomatischen Kliniken. Jede Organisation ist auf eine bestimmte Zielgruppe gerichtet. Altenheime richten sich beispielsweise auf alte Menschen, Kinderheime auf Kinder usw. Außerdem kann die Veränderung lang- oder kurzfristig sowie stationär oder ambulant angelegt sein (Schreyögg 2004).

Historisch entwickelten sich diese Organisationen als karitative Einrichtungen der Kirchen. Im fortschreitenden Säkularisierungsprozess wurde eine Vielzahl durch staatliche Instanzen übernommen, um heute zu großen Teilen erneut in die Hand von Kirchen zu gelangen oder in anderer Weise privatisiert zu werden. Ob sie sich aber nun in staatlicher, halbstaatlicher oder in privater Hand befinden, sie sind heute ebenfalls zum Wandel gezwungen. Dieser ist vorrangig durch drei Aspekte charakterisiert: Durch
- eine generelle „Ökonomisierung des Sozialen“,
- neue Formen des Qualitätsmanagements und
- das „Sozialmanagement“ als neue Aufgabe der Führungskräfte dieses Systemtyps.

(1) In allen westlichen Industrienationen zeichnet sich heute ein Trend zur „Ökonomisierung des Sozialen“ ab. Sei es im Gesundheitswesen oder im Bereich der Bildung, heute steht deutlicher als früher die Effizienz sozialer Dienstleistungen auf dem Prüfstand. Genauer gesagt, auch hier wird derzeit jede Maßnahme und jede Aktivität daraufhin befragt, ob sie „ihr Geld wert“ ist. Auch hier entlarvt man neuerdings bürokratische Verkrustungen etwa in Schulen oder in Kliniken als Effizienzblockaden. Und auch hier fahndet man nach „Zeit fressenden“ Ritualen, die für KlientInnen oder PatientInnen keinerlei Effekte erbringen.

Im Zuge der Globalisierung und einer damit einher gehenden Konkurrenz zwischen Industrienationen müssen die nationalen Ressourcen sorgfältiger als bisher kalkuliert werden. So versucht man etwa die Kosten der Gesundheitssysteme in einem Rahmen zu halten, der für ArbeitnehmerInnen und -geberInnen im internationalen Vergleich noch tragbar ist. Das heißt, die in einer Nation anfallenden Sozialabgaben müssen dem internationalen Vergleich standhalten.

So selbstverständlich solche Anforderungen auf Außenstehende wirken mögen, für die Mitglieder dieser Systeme bilden sie einen Herd massiver Beunruhigung. Wenn wir uns deutlich machen, dass ein wesentlicher Teil dieser Einrichtungen wie etwa die Alten- oder Krankenpflege sozial-orientierte Kulturen aufweist (Brody 1993), die teilweise bis ins Mittelalter zurück reichen, wird schnell deutlich, dass sie die modernen ökonomischen Anforderungen nur mühsam integrieren können. Viele Schulen und Kliniken weisen dagegen bislang bürokratische Kulturmuster auf, die mit Effizienz orientierten Handlungsweisen ebenfalls nicht kompatibel sind.

(2) Die Ökonomisierung sozialer Arbeitsfelder zog auch Anforderungen in Richtung Qualitätsmanagement nach sich. Seit Mitte der 1990er Jahre finden wir, angestoßen durch Reformbestrebungen in der öffentlichen Verwaltung, auch im Bereich sozialer Dienstleistungen eine breit angelegte Qualitätsdebatte. Während es bis dato lediglich um die Erfüllung von Aufgaben ging, was oft eher einem „Durchwursteln“ glich, wird heute zielbewusste Arbeit gefordert. Sie soll bestimmten Qualitätsstandards genügen, die zu bestimmen, offen zu legen und - wenn möglich - zu operationalisieren sind. Idealerweise findet eine Kontrolle im Sinne regelmäßiger Evaluationen statt. Die Organisationsmitglieder sollen kostenbewusst arbeiten und ihre Leistungen kostenmäßig erfassen. In manchen Bereichen wie der Altenarbeit oder der Kinder- und Jugendhilfe ist die Qualitätssicherung heute sogar schon gesetzlich vorgeschrieben.

Welche Modelle zur Qualitätskontrolle herangezogen werden, steht allerdings im Belieben der jeweiligen Träger. Sie entwickeln im Allgemeinen eigene Systeme der Qualitätssicherung, orientieren sich aber meistens an traditionellen Mustern wie dem TQM oder dem EFQM. Ein sehr bekannter Leitfaden stammt beispielsweise von Marianne Meinhold (2000, 21). Sie beschreibt fünf Phasen der Qualitätsarbeit:
- Zuerst wird eine Zielbestimmung der Dienstleistung vorgenommen, dann
- erfolgt eine Verständigung auf zentrale Dimensionen der Leistungsqualität,
- danach muss die Formulierung zugehöriger Kriterien, Merkmalsbereiche und Standards stattfinden.
- Daran anschließend soll eine Konkretisierung von Qualitätsindikatoren vorgenommen werden und schließlich folgen
- Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung.

(3) Aus dem Bisherigen ergibt es sich fast von selbst, dass die Steuerung dieser Systeme heute ganz neue Anforderungen im Sinne von „Sozialmanagement“ stellt. Während sich SchulleiterInnen früher darauf berufen konnten, dass sie ihre Position wegen ihrer Verdienste als „besonders gute“ LehrerInnen erhielten, und sich ChefärztInnen noch in ihrem Ruf als „besonders gute ÄrztInen“ sonnen konnten, reicht das für eine Führungsposition heute nicht mehr aus. Neben der fachlichen Expertenqualifikation müssen Führungskräfte im sozialen Dienstleistungsbereich heute über ein zusätzliches Expertentum als „SozialmanagerIn“ verfügen. Dazu gehört die Wahrnehmung von Managementfunktionen wie etwa die Planung, die Führung oder die gezielte Kontrolle des Geplanten. Dabei stellt besonders die Führung einen neuralgischen Punkt dar. Wenn LehrerInnen oder PsychologInnen eine Führungsposition übernehmen, neigen sie im Allgemeinen dazu, diese so wahrzunehmen, wie sie früher mit SchülerInnen oder KlientInnen interagierten. Das aber führt nicht selten zur Verärgerung der Unterstellten, weil sie sich dann in inadäquater Weise angesprochen fühlen. Außerdem müssen Führungskräfte des sozialen Dienstleistungsbereichs heute in reflektierter Weise Managementrollen wie etwa die des „Ressourcenzuteilers“ oder des „Verhandlers“ (Mintzberg 1975, 49) realisieren. Neben technischen Managementkompetenzen wie etwa Qualifikationen für die Budgetverwaltung benötigen sie heute neue soziale Kompetenzen, die sie zur Entwicklung innovativer und stärker unternehmerisch geprägter Kulturmuster befähigen.


3. Personalentwicklung für Führungskräfte

Derzeit haben sich also alle Führungskräfte neu zu orientieren und die entsprechenden Changeprozesse in ihren jeweiligen Organisationen durchzusetzen. Dazu benötigen sie Managementfunktionen, -rollen, und –kompetenzen. Da sie in ihren Grundberufen als Juristin oder Ingenieur aller Voraussicht nach keine Kenntnisse im Bereich Management erworben haben, ist es sinnvoll, dass sie durch Maßnahmen der Personalentwicklung solche erwerben. Führungskräfte - besonders hochrangige - wurden bis weit in die 1980er Jahre hinein selten von Programmen der Personalentwicklung erfasst. Lediglich in Großunternehmen wie etwa bei Procter & Gamble hatte bereits in den 1970er Jahren der neu rekrutierte Führungskräftenachwuchs Trainee-Programme zu absolvieren. Zu dieser Zeit besuchten auch etliche Führungskräfte gruppendynamische Veranstaltungen oder Selbsterfahrungsseminare. Dies geschah in der Regel auf eigene Faust und sollte der Entwicklung sozialer Kompetenzen dienen.

Heute, im Zeitalter erhöhter Managementanforderungen, finden wir vielfältige Angebote für Führungskräfte. In den meisten Fällen handelt es sich um Seminarserien mit Managementthemen, die eigens für Fachleute aus den Ingenieurwissenschaften, aus der Medizin usw., also für Personengruppen ohne Managementvorbildung, angeboten werden. Sie erfreuen sich auch bei den Firmen großer Beliebtheit. So fordert etwa die Firma BMW, dass sich jede Nachwuchskraft im Bereich des Managements beschulen lässt. Bei solchen Programmen handelt es sich in aller Regel um rein kognitivorientierte Seminarserien, in denen Führungskräfte grundlegende technische Managementkompetenzen erwerben. Auch zur Fortentwicklung ihrer konzeptionellen Managementkompetenzen (Katz 1974), d.h. ihrer Fähigkeit, alle Systembedingungen aus einer Metaperspektive betrachten zu können und bei Bedarf neu zu konzipieren, sind diese Seminare gut geeignet.

Zur Entwicklung sozialer Kompetenzen und ihrer konkreten Umsetzung reichen aber Seminare und Trainings vielfach nicht aus. Dazu bedarf es Maßnahmen „near the Job“ (Conradi 1983) wie es Mentoring und Coaching sind. Während beim Mentoring eine erfahrene Führungskraft aus dem jeweiligen System einem Newcomer für einige Zeit zur Seite steht, handelt es sich bei Coaching um professionelle Beratung für Führungskräfte. Die Coachingfunktion kann dabei von organisationsexternen BeraterInnen wahrgenommen werden oder von organisationsinternen aus der Personalentwicklungsabteilung einer jeweiligen Firma.

Coaching ist für alle Führungskräfte empfehlenswert, die durchschlagende Changeprozesse zu exekutieren haben. Derartige Prozesse lassen sich nämlich selten völlig reibungslos realisieren. Meistens sind sie durch einen mehr oder weniger starken Änderungswiderstand der Organisationsmitglieder begleitet. Führungskräfte sollten dann über ein gutes Konfliktmanagement verfügen. Konflikte treten hier entweder als Ausdruck von Resistance to Change auf, oder im Falle „vergreister“ Organisationen müssen sie von der Führungskraft sogar eigens „stimuliert“ werden (De Dreu/van de Vliert 1997). Denn um nachhaltige Veränderungen einzuleiten, haben Führungskräfte prinzipiell das Bestehende in Frage zu stellen. Das wiederum erzeugt bei den Geführten mindestens Irritation. Und in solchen Fällen haben die Führungskräfte dafür zu sorgen, dass die Konflikte nicht unnötig eskalieren und zu unproduktiven Komplikationen innerhalb der Organisation führen. Aus diesem Grund wird bei Changeprozessen häufig Konfliktcoaching (Schreyögg 2002) angefragt. Die Führungskraft wird dabei unterstützt, die Organisation durch „turbulente Gewässer“ zu leiten.


4. „Personenentwicklung“ für Führungskräfte

In Anbetracht der beschriebenen Anforderungen an Führungskräfte versteht es sich fast von selbst, dass im Coaching auch immer wieder Themen anfallen, die traditionelle Ziele der Personalentwicklung überschreiten, die sich vielmehr auf eine individuelle personelle Förderung richten. Dabei sind allerdings immer formale und/oder implizite Kontrakte zu beachten:

- Bei „Einfach-Kontrakten“ (Schreyögg 2003), wenn sich ein Coaching-Klient oder eine
Klientin den Coach selbst aussucht und vor allem selbst bezahlt, lässt sich je nach dem Bedürfnis von Klient oder Klientin und je nach den Kompetenzen des Coach die gesamte Breite von Themen zwischen Personal- und Personenentwicklung ausschöpfen. Im Sinne eines impliziten Kontraktes erwarten die KlientInnen zwar - zumindest auf rationaler Ebene  - meistens Personalentwicklung, die in Tipps, sachlicher Belehrung  und eventuell noch in Übungs-Zentrierter Arbeit besteht. Erst wenn sie mehr Vertrauen zum Coach gefasst haben, bringen sie auch personen-nahe Themen mit oft intimen Gehalten zur Sprache. Wenn es sich um sehr persönliche Themen handelt, sollte der Coach mit Klient oder Klientin eine Änderung des Kontraktes vereinbaren, etwa in der Weise: „Mir scheint, dass Sie jetzt eher persönliche Fragestellungen verhandeln wollen, die mit Ihrem Beruf nur indirekt in Beziehung stehen. Sind Sie damit einverstanden?“ Dann fungiert Coaching als kuscheliger Ort, der ein hohes Maß an Intimität aufweist. Dabei geht es vielfach um das „persönliche Aufrüsten“ hinter dem Rücken von Vorgesetzten und Unterstellten. In diesem Rahmen bringen KlientInnen oft  „Geheimnisse“ wie Ängste oder Kompetenzdefizite zur Sprache, die sie sonst niemandem anvertrauen.
 
-  Komplizierter stellt sich die Lage bei „Dreieckskontakten“ (ebd.). In dieser Situation ist der Coach von der Firma der Klientin oder des Klienten beauftragt und wird von dieser Firma auch honoriert. Der Coach fungiert dann im Auftrag der Organisation als Personalentwickler, der die Funktionsfähigkeit der zu beratenden Führungskraft stärken oder verbessern soll. Wenn sich Coach und Klient thematisch sehr weit von beruflichen Fragestellungen entfernen, dass sie etwa vielfältige biographische Themen durcharbeiten, lässt sich das mit dem basalen Kontrakt im Sinne von Personalentwicklung kaum vereinbaren. Denn eine Firma wird kaum daran interessiert sein, ihren Organisationsmitgliedern breit angelegte Selbsterfahrung oder Psychotherapie zu finanzieren. Da aber in einer qualifizierten Personalentwicklung manchmal auch personen-nahe Fragestellungen thematisiert werden müssen, ist es für externe Berater empfehlenswert, sich vor Beginn ihrer Arbeit bei den zuständigen Instanzen ein Plazet einzuholen, das sie im Bedarfsfall zu einer vertieften Arbeit berechtigt. Im anderen Fall fühlen sich Berater zu sehr eingeschränkt.

- In den letzten Jahren finden wir immer häufiger „Viereckskontrakte“. Dabei handelt es sich um Kontrakte zwischen zwei Firmen, von denen die eine potentielle KlientInnen, die andere potentielle Coaches angestellt hat. Im Zuge von breit angelegten Changeprozessen engagieren heute viele Unternehmen Personalberatungsfirmen, die dann das Coaching der Führungskräfte organisieren und durchführen. Die so geschlossenen Kontrakte beziehen sich ausschließlich auf die Personalentwicklung. Themen mit sehr persönlichen Gehalten aktueller oder biographischer Art sind in diesen Rahmen kaum integrierbar. Die Klienten und Klientinnen bringen sie hier auch selten vor und von den Coaches werden sie auch meistens nicht evoziert. Entsprechend dem sehr formalen Charakter solcher Kontrakte bleibt die Beziehung zwischen Coach und Klient eher geschäftsmäßig. Der Coach wird deutlicher als bei den anderen Kontraktformen als Agent der eigenen Firma attribuiert.

So treten also Themen, die traditionelle Fragestellungen der Personalentwicklung  überschreiten, am ehesten bei Einfachkontrakten, manchmal bei Dreiecks- und selten bei Viereckskontrakten auf. Diese Themen lassen sich nach dem Ausmaß der persönlichen Intimität sortieren. Sie betreffen
- die Selbstpräsentation bzw. das Selbstmarketing,
- die so genannte Work-Life-Balance,
- berufliche Krisen und Konflikte mit einem hohen persönlichen Anteil,
- ethische Fragestellungen sowie
- biographisch relevante Themen mit psychologischen und/oder soziologischen Gehalten.

(1) Selbstpräsentation bzw. Selbstmarketing

Heute melden immer häufiger Führungskräfte Coachingbedarf an, weil sie durch Feedback von anderen oder von sich aus den Eindruck haben, dass ihre Selbstdarstellung mit ihrer Position nicht kongruent ist oder dass sie aus anderen Gründen nicht passt. Sie beklagen beispielsweise, dass sie zu wenig aus sich herausgehen können, dass sie in Gestik, Mimik oder Stimme inadäquate Muster reproduzieren usw. Hier ist zunächst immer zu ermitteln, ob sich Klient oder Klientin im Sinne übertriebener Selbstanforderungen grundsätzlich nicht genügt, oder ob die Selbstpräsentation tatsächlich korrekturbedürftig ist. So wird es in vielen Fällen um eine Stärkung der Selbstakzeptanz gehen, in vielen anderen aber um reale Korrekturen. So lässt sich beispielsweise eine zu hohe Piepsstimme bei Frauen, die immer zur Bagatellisierung der Betreffenden führt, bis zu einem gewissen Grad durch Atem- und Entspannungsübungen, durch eine veränderte Sitzhaltung usw. korrigieren (Ammon 2002).

Derartige Fragestellungen sind von großer Bedeutung, denn die Selbstpräsentation stellt heute einen wesentlichen Karrierefaktor dar. Das gilt nicht nur für die Auswahl von Führungskräften oder für Vortragssituationen von WissenschaftlerInnen. Es gilt im Sinne „transformationaler Führung“ (House 1987) ganz generell für jede Führungssituation. Vorgesetzte sollen nämlich ihre unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „mitreißen“. Das aber gelingt ihnen nur, wenn sie die Ziele des organisatorischen Systems in überzeugender Weise kommunizieren. Und dabei ist relevant, inwieweit ihr gesamter Habitus dies zu unterstreichen vermag.

(2) Work-Life-Balance

Ein anderes wichtiges Thema der Personenentwicklung im Coaching ist die so genannte Work-Life-Balance. Wie einschlägige Autorinnen und Autoren (Cassens 2003, Fritz 2003 u.a.) anmerken, ist Stress keineswegs nur unangenehm oder schädlich. Für viele wirkt er als „Eustress“ geradezu vitalisierend. Oft weist die Arbeit von Führungskräften geradezu suchtartige Züge auf. Wie Kasper et al. (2002) zeigen, ist Arbeit bei vielen von ihnen geradezu „erotisiert“. Und Arlie Hochschild (2002) berichtet auf der Grundlage umfassender Interviews, dass es für viele Führungskräfte keineswegs eine attraktive Vorstellung ist, zu Hause mit ihrer Familie besonders viel Zeit zu verbringen. Die Zeit zu Hause ist nämlich voller Unwägbarkeiten und voll von mehr oder weniger unangenehmen Überraschungen, wenn etwa die kleinen Kinder trotzen oder die Partnerin bzw. der Partner unvorhergesehene Anforderungen stellt. Zeit im Beruf ist dagegen immer gut strukturierte, übersichtliche Zeit. So wird die Firma „zum Zuhause“, weil „zuhause nur Arbeit wartet“ (Hochschild 2002).  

Bei vielen Klientinnen und Klienten, die in ein Coaching eintreten, hat sich allerdings die Arbeit mit ihrem jeweiligen beruflichen Stress dann doch langsam zum „Disstress“ mit oft stark negativen Konsequenzen für das psychische und physische Wohlbefinden ausgewachsen. Im Sinne eines „mens sana in corpore sano“ wird nun der Coach Klient oder Klientin in einem ersten Schritt anregen, zu untersuchen, welche Lebensbereiche in ihrem oder in seinem tagtäglichen Handeln welchen zeitlichen Raum mit welchem subjektiven Stellenwert einnehmen. Zu diesem Zweck lässt sich das Konzept von den „Säulen der Identität“ (Petzold 1993) nutzen. Dabei werden KlientInnen gebeten graphisch darzustellen, welche der fünf Säulen ihres Daseins,
• Arbeit und Leistung,
• materielle Werte,
• das soziale Netz,
• die Leiblichkeit und
• übergeordnete Werte,
welchen subjektiven und welchen quantitativen Stellenwert in ihren Lebensvollzügen einnehmen. Daran anschließend finden Dialoge darüber statt, wie sie ihrem Leben mehr Ausgewogenheit verleihen können. Derartige Gespräche können sich über eine ganze Reihe von Sitzungen hinziehen, weil es oft erheblicher Anstrengungen bedarf, dass Klienten ihre Lebensschwerpunkte umschichten.

(3) Berufliche Krisen und Konflikte mit einem hohen persönlichen Anteil

Berufliche Situationen sind immer auch soziale Situationen. Dementsprechend können hier allerlei Krisen und Konflikte auftreten. Sie bilden den häufigsten Anlass für Coaching. In diesem Zusammenhang berichten KlientInnen beispielsweise häufig von Kränkungen, die sie als „strukturelle Kränkungen“ durch Fusionen oder Reorganisationen erfahren. Dann sind sie etwa gezwungen, ihre Entscheidungen im Sinne einer Doppelspitze laufend mit einer anderen Führungskraft abzustimmen. Oder sie müssen von einem neu installierten Vorgesetzten alle ihre Entscheidungen „absegnen“ lassen. In solchen Situationen evoziert die soziale Konfliktsituation meistens auch intrapsychische Konflikte. Externe und interne Konflikte bilden dann oft ein Konglomerat aus aktuell und biographisch erfahrenen Kränkungen, die mit Psychotherapie orientierten Methoden angegangen werden müssen. Zentrale Aufgabe des Coachs besteht hier darin KlientInnen zu unterstützen, dass sie die aktuell irritierende Situation immer umfassender verstehen, sie also nicht einfach personalisieren, sondern ihren multifaktoriellen Charakter in dem jeweiligen sozialen und ökologischen Kontext erkennen.

Viele dieser Situationen münden in Sinnkrisen von Führungskräften, die besonders in späteren Lebensstadien zu Erscheinungen von Burnout führen können. Dann geht es in der Beratung oft um Sinngespräche, die sogar den üblichen psychotherapeutischen Rahmen überschreiten. 

(4) Ethische Themen und Religiosität

Themen mit ethischen und/oder religiösen Gehalten fragen allerdings nicht nur Führungskräfte in beruflichen Krisen an. Manche von ihnen gelangen gerade angesichts eines sehr erfüllten Berufslebens zu solchen Auseinandersetzungen. Derartige Themen stellen sich auch, wenn eine berufliche Krise gerade erfolgreich bewältigt ist, daran anschließend aber vielleicht ein Schicksalsschlag im Privatleben die soeben zurück gewonnene Sicherheit erschüttert. Hier geht es seitens des Coachs immer um eine Stabilisierung des Klienten mit dem Ziel adäquater Sinnfindung. Die zentrale Aufgabe eines Coachs besteht hier meistens im passiven und aktiven Zuhören.   

(5) Biographische Themen mit psychologischen oder soziologischen Gehalten 

In der Rubrik „Personenentwicklung“ treten aber am häufigsten biographische Themen psychologischer oder soziologischer Art auf. Nun fällt vielen Führungskräften der Gang zum Coach leichter als der zum Psychotherapeuten, so dass bei manchen Coaching-KlientInnen eine Präzisierung der beiden Formate notwendig wird. Selbst wenn aber, wie im Coaching vorgesehen, der Fokus auf beruflichen Fragestellungen bleibt, müssen besonders bei der Bearbeitung problematischer Interaktionen mit Mitarbeiterinnen, Vorgesetzten oder Kollegen oft „biographische Exkurse“ stattfinden. Dann geht es vielfach um Übertragungen, also um die „Verwechslung“ (Richter 1969) aktueller Beziehungspartner mit biographisch relevanten Personen. Dann gilt es die beiden Beziehungserfahrungen aufzudecken, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede erlebbar zu machen, um eine möglichst umfassende „Entwechslung“ einzuleiten. Bei vielen anderen Klienten finden sich Leistungshemmungen, die aus Rollenzuschreibungen der Eltern im Sinne narzisstischer Projektionen (ebd. 1969) resultieren. Auch in solchen Fällen sind „biographische Exkurse“ notwendig. Durch Rekonstruktion der jeweiligen Beziehungsdynamik wird man auch hier versuchen, Klient oder Klientin von „Altlasten“ zu befreien. Methodisch sind dabei besonders dramatherapeutische Verfahren wie die Gestalttherapie und das Psychodrama geeignet.

Neben der Psychogenese kann es aber auch um die Soziogenese gehen. So begegnet uns bei Führungskräften, die Arbeitermilieus entstammen, gar nicht selten ein verdecktes sich Schämen für die eigene Herkunft. Wenn sie immer wieder ein Gefühl beschleicht von „ich gehöre eigentlich gar nicht hier her“, dann ist es notwendig, relevante Teile ihrer Berufsbiographie zu rekonstruieren, damit sie ein positionsadäquates Selbstverständnis erwerben. Hier reicht häufig schon das Erkennen und Verstehen der jeweiligen Zusammenhänge, um die passenden Handlungsmuster anzuregen.


5. Das Kompetenzprofil von Coaches

Aus dem Bisherigen ergibt es sich fast von selbst, dass der Coach, um als adäquater Dialogpartner fungieren zu können, über ein relativ breites Repertoire an Theorien und Methoden verfügen muss.  Er sollte zum einen über Fachwissen aus der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie aus der Klinischen Psychologie verfügen, zum anderen über Wissen aus der Managementlehre. Coaching besteht zwar in erster Linie in Prozessbegleitung, ein Coach benötigt aber auch eine breite Allgemeinbildung, damit er die inhaltlichen Themen von Führungskräften möglichst nahtlos „beantworten“ kann. Bei Bedarf sollte er sich sogar um eine vertiefte, zu seiner Klientel passende Feldkompetenz bemühen.

 

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