Coaching für das Management virtueller Teams

 Coaching für das Management virtueller Teams

Heute finden wir immer häufiger virtuelle Arbeitsgruppen, und deren Steuerung stellt ganz besondere Anforderungen an Führungskräfte. Diese wurden bislang eher bruchstückhaft thematisiert (Krämer & Deeg 2008). Dementsprechend finden sich in der Literatur auch noch kaum Anregungen, wie Führungskräfte virtueller Teams durch Coaching unterstützt werden könnten.
   Im nachfolgenden Beitrag möchte ich Coaches eine innere Landkarte bieten für die Beratung von Führungskräften, die virtuelle Teams zu leiten haben. Dabei werde ich
-    zunächst zeigen, was unter „virtuellen Teams“ zu verstehen ist, sodann
-    welche Vor- und welche Nachteile in solchen Konstellationen zu beobachten sind.
-    Daran anschließend möchte ich ein „Grundmodell“ für das Management dieser Teams präsentieren.
-    Zum Abschluss gebe ich einige Empfehlungen für das Coaching dieser Führungskonstellationen.    

1. Was sind virtuelle Teams, ihre Vorteile und ihre Probleme?

   Bei virtuellen Teams handelt es sich um kooperierende Arbeitsgruppen, deren Mitglieder bei der Zusammenarbeit Informations- und Kommunikationstechnologien in unterschiedlichem Ausmaß nutzen müssen. In der aktuellen Wirtschaftswelt spielen sie zunehmend eine bedeutende Rolle
-    wegen der Globalisierung mit ihrer Internationalisierung,
-    wegen vielfältiger internationaler Fusionen bzw. Zukäufen von Firmen in unterschiedlichen Ländern,
-    wegen des immer komplexeren Expertenwissens, das oft weit über die Grenzen eines Landes reicht, usw.
   Die Technologie (PC, Internet, Intranet, Fax, E-Mail, Voice-Mail, Funk- und Bildtelefon, Video-Konferenzen, Web-Cam usw.) hat dann die mangelnde Face-to-face-Interaktion zu kompensieren, da die Mitglieder an unterschiedlichen Orten, bzw. an unterschiedlichen Arbeitsplätzen zusammen arbeiten. Diese Zusammenarbeit ist vielfach noch durch unterschiedliche Arbeitszeiten, unterschiedliche Sprachen und manchmal sogar durch unterschiedliche Zeitzonen charakterisiert. Es wird immer wieder betont (Reichwald & Möslein 2003), dass die Mitglieder idealerweise über eine hohe Medienkompetenz verfügen, d.h. die Fähigkeit,  Kommunikationsmedien flüssig zu nutzen, die Medien zielführend auszuwählen und einzusetzen sowie sich medienangemessen zu verhalten. Sie sollten außerdem sensibilisiert sein für die Eigendynamik und Eigenlogik der jeweiligen Medien.
   Virtuelle Teams sind eine Sonderform klassischer Kleingruppen, die sich auf einem Kontinuum von hochkohäsiven Gruppen bis hin zu lockeren  sozialen Netzwerken bewegen (Grunwald 2001). Nach Krämer & Deeg (2008: 170) lassen sich unterschiedliche Grade von Virtualität anhand von vier Bestimmungsmerkmalen in diesen Arbeitsgruppen differenzieren:

(1) Nach der Art der  Technologienutzung: So variieren die Kommunikationstechnologien im Hinblick auf die verringerten sozialen Reize im Vergleich zur Face-to-face-Kommunikation ganz erheblich. Schon ein einfaches Telefonat etwa weist einen geringeren Grad an Virtualität auf als eine E-Mail, denn beim Telefonieren ist durch die Stimme, ihre Modulation, die Möglichkeit sofortiger Beantwortung usw. noch ein erhebliches Maß an lebendiger Interaktion möglich. Diese ist etwa durch Videokonferenzen noch weitergehend anzureichern, bei denen sich die Teilnehmer zusätzlich sehen können.

(2) Nach den räumlichen Barrieren: Die räumliche Trennung kann innerhalb einer Nation bestehen, sie kann sich aber auch auf eine breite international übergreifende räumliche Verteilung beziehen. Die Virtualität steigt dann mit der internationalen Verteilung. Das bedeutet, die Möglichkeit, dass sich das Team gelegentlich face-to-face treffen kann, ist dadurch erheblich eingeschränkt, bzw. Treffen werden materiell und zeitlich sehr aufwändig. Je größer die räumlichen Barrieren sind, desto umfassender muss dann auf mediale Kommunikationsformen zurückgegriffen werden.

(3) Nach den zeitlichen Barrieren: Hierbei ist relevant, ob es sich um eine projektmäßige Zusammenarbeit handelt, die nur über einen kurzen Zeitraum läuft, oder ob es um eine langfristige Zusammenarbeit geht. Je länger nämlich ein Team zusammenarbeitet, desto eher nähert es sich den normalerweise üblichen Gruppenprozessen an. Bei einem Projekt aber, das nur einige Monate dauert, haben die Mitglieder kaum Zeit (selten auch die Bereitschaft), sich auf die anderen Kooperationspartner sozio-emotional stärker einzulassen. Dementsprechend bleibt die Kommunikation extrem virtuell.

(4) Nach den beziehungsmäßigen Barrieren: Hierbei geht es um Fragen, ob das Team interkulturell, interorganisational und interdisziplinär zusammengesetzt ist, und/oder ob es auch noch unterschiedliche Funktionen aufweist. Je unterschiedlicher die jeweiligen National- und Organisationskulturen, das jeweilige Fach und die jeweiligen Funktionen sind, je unterschiedlicher dadurch die jeweilige normative Basis der Beteiligten ist, desto höher ist dann auch die Virtualität einzustufen.

2. Die Vor- und Nachteile virtueller Teams

   Die Vorteile von virtuellen Teams liegen fraglos in ihrer örtlichen, zeitlichen oder organisatorischen Unabhängigkeit. So lassen sich z.B. hochqualifizierte Teams aus unterschiedlichen Teilen des Globus zusammenstellen. Es werden auch zeitliche und finanzielle Ressourcen gespart, die sonst durch aufwändige Reisen entstünden. Im Sinne von Wissensmanagement sind durch eine erhöhte Virtualität auch lokale Expertisen bzw. Kernkompetenzen von Mitarbeitern in dezentralisierten Organisationen oder in organisatorischen Netzwerken zu nutzen. Außerdem scheint die exzessive Nutzung elektronischer Medien die gegenseitige Erreichbarkeit generell zu erhöhen. Das wiederum zieht ein hohes Maß an potentieller Partizipation an allen Entscheidungsprozessen nach sich. Im Übrigen zieht die Nutzung von E-Mails, Chatrooms, Groupware usw. eine geradezu selbstverständliche Verschriftlichung und Dokumentation aller Arbeitsprozesse nach sich (Martins et al 2004), was wiederum eine hohe Transparenz zur Folge hat. Das kann allerdings bei einem gestörten Gruppenklima auch eine Verschärfung der Gegensätze nach sich ziehen.

   Mit der Virtualität gehen aber etliche Probleme in der Koordination und Kooperation einher (Krämer & Deeg 2008 u.a.):

   Die Koordination von virtuellen Teams ist besonders bei der Nutzung von Medien mit einseitiger Kommunikation (z.B. Emails) erschwert, denn hierbei ergeben sich oft unabgestimmte und zeitlich verzögerte Reaktionen der Teammitglieder. Auch  Unterschiedlichkeit in der Medienkompetenz von Teammitgliedern führt natürlich zu dissonanten Erwartungen aneinander. Durch die Techniknutzung, die immer schwerfälliger ist als die Face-to-face-Kommunikation werden auch viele Informationen nicht weitergegeben. Außerdem ist vielfach unklar, welche Wertigkeit eine jeweilige Information für den Interaktionspartner hat. Darüber hinaus ist die Reaktionsgeschwindigkeit der Teammitglieder oft sehr unterschiedlich.

   Bei der Kooperation  weisen etliche Autoren darauf hin (z.B. Hofmann & Regnet 2003), dass virtuelle Interaktionsformen durch eine geringe gegenseitige Unterstützung charakterisiert sind. So begünstigen virtuelle Teamstrukturen oft Fehlverhalten wie die Überschreitung von Fristen, ungenügende Erledigung übernommener Aufgaben, Übergehen von Absprachen und die Geringschätzung von Teambelangen. Alle normativen Prozesse wie die Entwicklung von kollektiven Mustern im Sinne einer Teamkultur gestalten sich hier viel zeitaufwändiger als bei nicht-virtuellen Teams. Dementsprechend fehlen zu Beginn der gemeinsamen Arbeit meistens kollektive Vorstellungen von der gemeinsam zu bewältigenden Aufgabe. Und besonders die Frage, auf welche Weise das Team gesteuert werden soll, ist für die Führungskräfte und die Teammitglieder anfangs oft noch unklar.

    Ein Grundproblem virtueller Teams besteht aber fraglos darin, dass sich durch die mangelnde Face-to-face-Interaktion immer sozio-emotionale  Defizite ergeben. Dementsprechend besteht aus sozialpsychologischer Perspektive regelmäßig ein „sozio-emotionales Führungsvakuum, das die Gruppenidentität und die Effizienz virtueller Arbeitsgruppen grundsätzlich gefährdet“ (Grunwald 2001: 30).  So ist auch alles das, was als „informelle“ bzw. „emergente“ Muster in traditionellen organisatorischen Zusammenhängen zu beobachten ist, hier nur bruchstückhaft, „verdünnt“ oder schwer erschließbar vorzufinden. Krämer & Deeg (2008) konstatieren aus betriebswirtschaftlicher Perspektive für die Führung dieser Teams zweierlei Defizite, ein Steuerungs- und ein Optimierungsdefizit:

-    Steuerungsdefizit: Da es sich vielfach um anspruchsvolle Aufgaben handelt, die in virtuellen Teams von gut ausgebildeten Personen abgewickelt werden müssen, wurde häufig ein hohes Selbstorganisationspotential beschworen (Krystek et al. 1997). Dieses reicht aber in den meisten Fällen zu einer befriedigenden Steuerung nicht aus, weshalb sich dann Führungsvakua mit negativen Folgen für die gesamte Kooperation ergeben. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich mit den speziellen Führungsaufgaben in diesen Teams auseinanderzusetzen.
 
-    Optimierungsdefizit: Die Autoren betonen außerdem, dass es bislang unklar sei, wie sich virtuelle Teams optimieren lassen, d.h. durch welche Managementmaßnahmen Effizienz und Effektivität gefördert werden können.

3. Ein Grundmodell für das Management virtueller Teams

    Wegen dieser potentiellen Defizite empfehlen Krämer und  Deeg (2008) Führungskräften ein von ihnen entwickeltes „Grundmodell des Managements virtueller Teams“. Dieses Modell entstand im Rahmen eines Projektes am Forschungszentrum Karlsruhe, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Die Autoren unterlegen dabei ein breites Verständnis von Steuerung bzw. von Management. Sie beziehen sich nämlich nicht nur auf explizite, also verbal vermittelte Absprachen oder schriftlich vereinbarte Regelungen. Sie haben darüber hinaus den Anspruch, auch implizite Phänomene wie die informelle Dynamik oder die Bildung organisationskultureller Muster zu steuern, soweit das bei emergenten Erscheinungen überhaupt möglich ist. Aus ihrer Sicht ist aber zumindest die Förderung solcher Phänomene planbar. Als Ziele formulieren die Autoren dann keineswegs nur eine hohe Teameffektivität im Sinne von Leistungsqualität und Leistungsquantität, sie sehen auch die Förderung von Humanität vor im Sinne von Zufriedenheit, Gesundheit usw.

   Wie nachfolgender Graphik zu entnehmen ist, differenzieren die Autoren bei der expliziten Steuerung strukturelle und interaktive Aspekte und bei der impliziten Steuerung Teamkognitionen und Teamaffekte. Explizite und implizite Steuerungsphänomene sollen sich dann in Teamprozessen niederschlagen, die durch Koordination, Kooperation und Kommunikation realisiert werden. Daraus ergibt sich idealerweise hohe Zufriedenheit und eine hohe Leistung der Teammitglieder.

   Unter „Koordination“ verstehen die Autoren das effektive Management von Interdependenzen eines Teams im Zeitablauf. Das betrifft die Ziele, die jeweiligen Aktivitäten und Aufgaben der Akteure, die Abhängigkeiten im Sinne von Ressourcenverteilung, die zeitliche Abstimmung usw.  Unter  „Kooperation“ verstehen sie die Mobilisierung persönlicher Anstrengungen bei der Bewältigung von gemeinsamen Teamaufgaben. Das ist die gegenseitige Unterstützung der Teammitglieder untereinander. Kommunikation schließlich unterstützt Koordination und Kooperation. Durch Kommunikation werden Informationen idealerweise möglichst klar und präzise zwischen zwei und/oder mehr Teammitgliedern ausgetauscht. 

 
 
 Explizite  Strukturelle Steuerung
                        Steuerung Interaktive Steuerung                   Teamprozesse                          Zufriedenheit
                                                                                                Kommunikation
                        Implizite    Teamkognitionen                         Koordination
                        Steuerung  Teamaffekte                                 Kooperation                            Leistung




(Graphik)

(aus Krämer, B., Deeg, J. (2008): Die Optimierung der virtuellen Teamarbeit. In: Schreyögg, G., Conrad, P. (Hg.): Gruppen und Teamorganisation. Managementforschung 18. Wiesbaden: Gabler, S. 174)

3.1. Explizite Steuerung

   Die Autoren betonen, dass umso mehr explizite Steuerung notwendig ist, je höher die Virtualität eines Teams ist. Sie unterteilen diese Steuerung in strukturelle und interaktive Formen. Unter struktureller Steuerung verstehen Krämer & Deeg (2008) anonymisierte Vorab-Konstruktionen, mit deren Hilfe die Arbeitsvollzüge definiert werden. Als interaktive Steuerung dagegen bezeichnen sie die personelle Steuerung durch die jeweilige Führungskraft. 

3.1.1. Strukturelle Steuerung

   Die strukturelle Steuerung sollte mit der Etablierung eines Referenzprozesses starten. Dieser hat den Teammitgliedern zwar Orientierung zu bieten, er lässt aber idealerweise doch noch angemessene Grade von Autonomie zu. Dadurch soll sich eine gute Balance zwischen Aufgabendifferenzierung und Aufgabenintegration ergeben. Der erste Schritt besteht hier in einer detaillierten Analyse der Aufgaben, die zur Realisierung der geplanten Ziele notwendig sind.  Danach werden diese Aufgaben zu Einheiten gruppiert, um die Prozesse zu optimieren. In der Praxis erfolgt dies im Fortlauf meistens so, dass die erste Planung, die vom Reißbrett aus erfolgt, einige Zeit beobachtet wird, um sodann nach möglichst praktikablen Formen der Aufgabengruppierung zu suchen. Wesentlich ist dabei, dass eine zu starke Zergliederung von Arbeitsschritten, bei der zu viele Schnittstellen entstehen, vermieden wird.
   Wenn die ersten Prozessschritte bewältigt sind, geht es in die weitere Prozesssteuerung. Als Schritte eines Prozesszyklus (Steinmann, Schreyögg, G. 2006) werden nun vier Stadien durchlaufen:
(1) Die Festlegung der Zielsetzungen durch die Bestimmung von Aufgaben der verantwortlichen Personen und der jeweiligen Termine,
(2) die Dokumentation von Arbeitsaufgaben, die eine Bewertung ermöglicht,
(3) Rückmeldungen zur Dokumentation und
(4) die abschließende Bewertung der vorab besprochenen Aufgabenerledigung sowie eine Bewertung der Zielerreichung.
   In diesem Prozess ist gerade bei virtuellen Teams das Informations- und Kommunikationsmanagement von zentraler Bedeutung. Zunächst ist die Informationsverarbeitung wichtig. Krämer und Deeg berufen sich hierbei auf Hertel und Scholl (2006). Diese Autoren schlagen zur Systematisierung der Informationsverarbeitung ein sukzessives Vorgehen in sechs Schritten vor:
(1)Zuerst erfolgt die Informationsproduktion als Generierung von Ideen und Informationen, die durch den Referenzprozess strukturiert wird. Dadurch ist festzulegen, welche Informationen wann im Prozess eingeholt werden müssen.
(2) Sodann erfolgt die Beschaffung von Informationen mit der entsprechenden Transparenz der vorhandenen Informationen im Prozess und mit den entsprechenden Trägern.
(3) Der Austausch relevanter Informationen muss nun über die vereinbarten Kommunikationsmedien erfolgen und  zeitlich sowie inhaltlich  auf die Anforderungen des Referenzprozesses abgestimmt sein.
(4) Das gilt auch für die Speicherung von Informationen.
(5) Danach spielt die Bewertung der Informationen für die weitere Zusammenarbeit, die Kombination von Informationen und Überwachung einer vollständigen Informationsübermittlung eine entscheidende Rolle.
(6) Und schließlich wird die Anwendung verfügbarer Informationen unterstützt  durch die Bereitstellung von Informationen, die für einen jeweiligen Prozessschritt zeitlich und qualitativ passend sind
   Diese sechs Schritte sind ohne technische Unterstützung gar nicht realisierbar.  Zu diesem Zweck bieten sich vielfältige Werkzeuge zur strukturellen Steuerung des Teams an wie etwa
- Collaboration Tools. Das sind komplexe Systeme, die das Management einer virtuellen Organisation ermöglichen bzw. erleichtern. In diesen Bereich gehören elektronische Gruppenkalender, die alle Termine enthalten, allen zugänglich sind, aber zentral verwaltet werden.
- Projektmanagement-Tools: Das ist die gemeinsame Nutzung von Projektplanungs und –steuerungssystemen.
- Workflow-Werkzeuge: Das sind arbeitsprozessorientierte Dokumente von Aufgaben, die bei wissensbasierten Prozessen für alle verfügbar sind.
- Knowledge-Management-Systeme: Das ist die Sammlung des Wissens, das in der Organisation vorrangig relevant ist. Dadurch besteht dann für alle Teammitglieder Zugriff auf unterschiedliche Formen und Inhalte von Wissen.
- Extranet-Systeme: Das ist die Schaffung einer gemeinsamen Kommunikationsplattform für virtuelle Organisationen. Sie wird im Stil eines Intranets angelegt.
   Neben diesen technischen Maßnahmen bedarf der gesamte Prozess einer Reihe von Normen und Regeln für die Kooperation. Wie die einschlägige empirische Forschung zeigt (Caporael et al 1989), zieht die Entwicklung von Regeln der Kooperation auch kooperatives Verhalten nach sich. Die Kooperationsregeln entwickeln sich nämlich einerseits durch Diskussionen im Team, andererseits durch sukzessive Anpassung aller Teammitglieder aneinander. So ist beispielsweise festzulegen, wann bzw. bei welchen Belangen mit der Zentrale zu kommunizieren ist. In vielen Fällen werden diese Regeln zunehmend institutionalisiert und schließlich sogar schriftlich fixiert. Krämer & Deeg (2008) postulieren, dass jedes Team, so auch virtuelle Teams, einen solchen Prozess der Normen- und Regelentwicklung durchlaufen muss. Die Autoren betonen mehrfach dass die Entwicklung expliziter Gruppenregeln die Gruppenprozesse wie auch die Gruppenergebnisse ganz erheblich verbessern können. Da aber trotz aller Vorbeugung immer wieder Störungen entstehen können, ist es empfehlenswert, dass Medien für die Metakommunikation wie Chats oder Bulletinboards zur Verfügung stehen.

3.1.2. Interaktive Steuerung - Personalführung

   Unter „interaktiver Steuerung“ verstehen Krämer & Deeg „Personalsteuerung“, also Steuerung durch eine Führungskraft. Zwar ist bei virtuellen Teams immer ein hohes Maß an Selbststeuerung der Teammitglieder notwendig, die Steuerung durch eine Führungskraft gilt aber auch hier als wichtige Maßnahme der Integration und Koordination. Personalführung kann nämlich situative und individuelle Anpassungsprozesse viel umfassender unterstützen als es die Selbststeuerung vieler Einzelner zu garantieren vermag. Die Führungskraft hat außerdem als wichtige Integrationsfigur zu fungieren, wenn externe Personen die Teammitglieder bei ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen sollen.
   Wir haben es also hier im Sinne von Avolio et al. (2000) mit E-Leadership zu tun. Dabei wird der Einflussprozess ganz wesentlich durch Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt. Im Gegensatz zu traditionellen Führungsprozessen, bei denen die direkte Face-to-face-Kommunikation dominiert, bezieht sich virtuelle Führung auf „netzwerkartige Interaktionsformen größerer Führungsdistanz und -spanne“ (Krämer & Deeg 2008: 187). Die Führung virtueller Teams erfordert deshalb die umfassende Nutzung moderner Kommunikationstechnologien. Dabei muss die Führungskraft neben der Leistungsförderung immer auch die Entwicklung der Kohäsion der Arbeitsgruppe im Auge behalten. Hierzu bieten sich Videokonferenzen, elektronische Konferenzsysteme und Gruppenräume im Netz an. In der Praxis zeigt sich allerdings immer wieder, dass Führungskräfte gerade zur Realisierung sozio-emotionaler Ziele zumindest am Anfang und im Weiteren selektiv doch lieber auf Face-to-face- und Telefonkontakte zurückgreifen.
   Als zentrale Funktion von Führung in virtuellen Teams stellen Zaccaro & Bader (2003) drei Teilaufgaben heraus:
(1) Die Förderung der Kohäsion des Teams,
(2) die Förderung der Verbindung zwischen Teamaufgaben, den Ansprüchen der Organisation und der Umwelt sowie
(3) sinnstiftende Koordination der Teamaufgaben.
  Eine  besondere Anforderung an die jeweilige Führungskraft ist aber auch, das Matching von Personen zu Aufgaben zu organisieren (Lenk 2002). Das bedeutet, die Führungskraft sollte über ein gewisses Maß an personal-diagnostischen Kompetenzen verfügen, um zu entscheiden, welcher Mitarbeiter für welche Aufgabe besonders geeignet ist.  Die Führungskraft muss darüber hinaus auch zu erfassen suchen, welcher Mitarbeiter zu welchem anderen Mitarbeiter voraussichtlich passt, um mit diesem reibungslos kommunizieren zu können. Das bedeutet, dass die Führungskraft schon bei der Personalauswahl aktiv beteiligt sein sollte.
      
3.2. Implizite Steuerung

   Unter „impliziter Steuerung“ verstehen Krämer & Deeg (2008) die Steuerung von Teamkognitionen und Teamaffekten. Diese Phänomene sind selbstverständlich nicht direkt zu steuern. Es lassen sich aber Bedingungen schaffen, durch die sie sich auch in einem virtuellen Sozialsystem mehr oder weniger vielfältig und konstruktiv entfalten.

3.2.1. Teamkognitionen

   Im Prinzip gilt es seit Lewin (1947) als Binsenweisheit, dass Personen, die in einer Gruppe laufend interagieren, gemeinsam geteilte Deutungsmuster entwickeln. Auf deren Basis nehmen sie dann Ereignisse in ihrem jeweiligen Aktionsradius und in ihrer Umwelt wahr und deuten sie entsprechend aus. Diese Muster dienen ihnen auch als gemeinsame normative Plattform für alle ihre Aktionen. Solche mentalen Modelle sind für die Kooperation in einem Team zentral wichtig. In Face-to-face-Teams bilden sie sich im Verlauf gemeinsamer Arbeit wie selbstverständlich aus, in virtuellen Teams erfolgt ihre Entwicklung aber je nach dem Grad der Virtualität mehr oder weniger schleppend oder nur unter erheblichen Anstrengungen (Grunwald 2001). Aus diesem Grund bedürfen sie zunächst der expliziten Steuerung durch vereinbarte Regeln - und durch die Führungskraft. Diese sollte dann entsprechende Trainingsmaßnahmen veranlassen. Dabei handelt es sich in der Regel um Aktionen, die in einem ersten Schritt face-to-face erfolgen müssen, in einem zweiten aber  auf verschiedene Grade der Virtualität vorbereiten. Dadurch kann eine Kommunikationskultur als entscheidender Schritt etabliert werden, aus der dann auch entsprechendes Handeln resultiert.
   In diesen Bereich gehören nicht nur organisationskulturelle Muster, sondern im Sinne von Wissensmanagement auch gemeinsames Wissen und gemeinsame Vorstellungen über die jeweilige Aufgabe. Solche Kognitionen führen auch zu gemeinsam geteilten Vorstellungen über die Umwelt. Im Idealfall führt das dazu, dass die Teammitglieder zu vielen Fragestellungen gar nicht mehr explizit kommunizieren müssen, sondern dass sie sogar unausgesprochen gemeinsame Aktionen planen und durchführen können.

3.2.2. Teamaffekte
 
   Die Entwicklung von Teamaffekten gestaltet sich in virtuellen Teams noch schwieriger als die von Teamkognitionen. Wenn wir uns deutlich machen, dass als Teamaffekte solche Phänomene wie die  Kohäsion, gemeinsam geteilte Stimmungen, Gruppenemotionen, Teambindung und vor allem Vertrauen gelten, wird noch einmal deutlich, dass aufgrund der Virtualität prinzipiell die Gefahr droht, dass ein entsprechendes Defizit in virtuellen Teams besteht (Grunwald 2001). Dieses bestimmt aber die Arbeitszufriedenheit versus Arbeitsunzufriedenheit der Gruppe hochgradig mit. „Gerade Vertrauen wird als entscheidende affektive Variable im Kontext virtueller Teams angesehen, da besonders hier die gegenseitige Überprüfung des Einhaltens von Absprachen viel schwerer möglich ist“ als in traditionellen Arbeitsgruppen (Krämer & Deeg: 191). Lipnack & Stamps (2000) entwickelt ein virtuelles Team eine innere Autorität, in der Macht aus drei Aspekten resultiert: aus Sachkenntnis, Information und Wissen. Dementsprechend differenzieren sie auch Vertrauen in dreifacher Weise:  Vertrauen in die Kompetenzen der anderen, Vertrauen in die Zusammenarbeit und Vertrauen in die Bindung der Teammitglieder untereinander. Die Entwicklung von Vertrauen ist bei virtuellen Teams besonders schwierig, denn die technisch vermittelte Kommunikation ergibt im Verlauf der gemeinsamen Arbeit meistens zuwenige Möglichkeiten, Vertrauen versus Misstrauen am Gegenüber zu validieren. Dieses potentielle Vertrauensdefizit ist natürlich je nach der zeitlichen Ausdehnung der Prozesse, in denen das virtuelle Team zusammenarbeitet, mehr oder weniger gut zu minimieren. Wie sich der einschlägigen Literatur entnehmen lässt, sind aber gerade affektive Team-Phänomene von besonderer Bedeutung für das Ge- und Misslingen der gemeinsamen Arbeit. Vertrauen muss voraussichtlich noch stärker als in konventionellen Teams gleich zu Beginn der gemeinsamen Arbeit gestärkt werden. So bedarf auch die Entwicklung von Teamaffekten einer gewissen Steuerung struktureller Art. Und sie bedarf ganz besonders der Steuerung durch die jeweilige Führungskraft.

4. Empfehlungen für das Coaching von Führungskräften virtueller Teams

   Da für Führungskräfte virtueller Teams in den Anfangsstadien immer die spezifische Aufgabenbewältigung perspektivisch im Vordergrund steht, wird die Entwicklung von  Teamkognitionen und Teamaffekte oft sträflich vernachlässigt. Das wirkt sich im Weiteren aber meistens als entscheidendes Hemmnis für eine konstruktive Zusammenarbeit aus. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, wenn Führungskräfte von virtuellen Teams zumindest anfangs einige Sitzungen Coaching in Anspruch nehmen, um eine gute Balance zwischen fachlichen Themen und dem, was wir oben als „implizite Steuerung“ beschrieben haben, zu erreichen. So besteht hier noch deutlicher als bei normaler Teamführung das Ziel eines Coachings darin, Führungskräfte zu unterstützen, dass sie eine optimale Leistung des Teams veranlassen und gleichlaufend damit das sozial-kognitive und sozio-emotionale Vakuum der virtuellen Situation soweit als möglich kompensieren. Beim Coaching spielen dann, strukturelle, inhaltliche und methodische Aspekte eine Rolle.

4.1. Strukturelle Empfehlungen
  
   Führungskräften virtueller Teams ist zu raten, dass sie sich schon im Vorfeld mit den oben beschriebenen Managementstrategien gut vertraut machen. Sie sollten vor allem je nach dem Ausmaß der Virtualität des Teams trotz ihres Zutrauens in die Selbstorganisation der Teammitglieder angemessen viele und angemessen umfassende strukturelle Steuerungsmaßnahmen vorsehen.
    Zu Beginn der Zusammenarbeit ist unbedingt ein Kick-Off-Meeting von mindestens einer Woche zu planen, damit sich alle Beteiligten durch Face-to-face-Kontakte miteinander bekannt machen können. Selbst bei hochvirtuellen Teams im Sinne von Krämer & Deeg (2008) zahlt sich ein hoher zeitlicher und finanzieller Aufwand aus, denn diese ersten Begegnungen bilden im weiteren Verlauf eine imaginative Folie, auf deren Hintergrund die Teammitglieder leichter miteinander kooperieren können. Dieser Erstkontakt sollte allerdings sehr gezielt genutzt werden. Es lohnt sich, das Treffen mit dem Coach gut vorzubereiten, denn jetzt gilt es ja, sich nicht nur gegenseitig kennen zu lernen, sondern auch zu planen, wer welche Aufgaben übernehmen soll,  wer wem in Zukunft was zu berichten hat, welches Wissen bei wem abzurufen ist usw.
   Die Führungskraft sollte den Teammitgliedern außerdem in Aussicht stellen, dass immer wieder, etwa in Intervallen von zwei Monaten, zweitägige Treffen geplant sind. Solche Ansprüche sollte sie übrigens auch schon vorab bei einer übergeordneten Geschäftsleitung anmelden, damit sich auch diese mit der Budgetplanung usw. entsprechend einstellen kann.
    Die Führungskraft sollte außerdem ankündigen, zu welchen Anlässen weitere Face-to-face-Meetings stattfinden werden. So sind sie besonders sinnvoll,
•    wenn neue Mitarbeiter in das Team integriert werden sollen,
•    wenn brisante, konfliktlastige oder sehr persönliche Themen anstehen,
•    wenn sehr komplexe Themen, die noch neu sind, vom Team zu bearbeiten sind oder
•    wenn die Arbeitsatmosphäre und das gegenseitige Vertrauen generell verbessert werden sollen.
  Neben Präsensveranstaltungen empfiehlt es sich vor allem bei Konflikten – auch bei solchen mit niedrigen Eskalationsgraden - immer wieder Medien mit geringer Virtualität zu nutzten, also nicht nur zu mailen, sondern hier und da lieber zu telefonieren oder sich gar zu treffen. Insgesamt sollte der Coach mit der Führungskraft erarbeiten, welche Medien sich bei welcher Gelegenheit am ehesten bewähren. Dabei orientiert sich die Auswahl der Medien grundsätzlich an zwei Aspekten, nämlich an der sozialen Präsenz und an dem potentiellen Informationsgehalt des Mediums.
  Der Coach sollte der Führungskraft außerdem deutlich machen, dass sie gerade bei der Führung virtueller Teams als Modell für Kommunikation fungiert. So versteht es sich fast von selbst, dass sie sich regelmäßig eines freundlichen, höflichen und wertschätzenden Umgangstons befleißigt auch bei einseitiger Kommunikation durch Emails oder Faxnachrichten. Es ist auch wichtig, dass sie sich bei allen kommunikativen Akten Zeit nimmt, und selbst im Alltagsstress ihr Gegenüber bewusst imaginiert, wenn sie eine Botschaft sendet. Empfehlenswert ist es übrigens, schon beim ersten Zusammentreffen, einen „medialen Anstandskodex“ zu beschließen, dass etwa auch bei schnell geschriebenen Emails Unhöflichkeit inakzeptabel ist oder dass kritische Anmerkungen, die einem Kollegen gelten, nicht wahllos als Rundmail an alle übrigen Teammitglieder verschickt werden. Denn auch im virtuellen Rahmen gilt es eine angemessene Diskretion zu wahren, wenn etwa ein Mitarbeiter vom Vorgesetzten eine Rüge erhält. 
   Unter medientheoretischen Gesichtspunkten ist es insgesamt sinnvoll, die Führungskraft bei einer möglichst kompetenten Nutzung von Medien zu unterstützen. So ist es wichtig abzuschätzen, wann welches Medium besonders geeignet ist. So ist beispielsweise die Abstufung der Medien im Hinblick auf die soziale Nähe gut zu justieren. Alle Medien haben nämlich eine unterschiedliche Nähe/Distanz-Qualität. Wenn etwa größere Grade von persönlicher Dichte notwendig sind, sollten (abgesehen von Face-to-Face-Kontakten) unbedingt Video- oder Telefonkonferenzen genutzt werden. Telefonkonferenzen sind vor allem dann sinnvoll, wenn rasch gehandelt bzw. rasch entschieden werden muss, wo die Fakten klar sind und wo keine oder wenig Emotionen im Spiel sind. Dieses Medium ist im internationalen Rahmen allerdings noch sehr teuer, und es zieht im Gegensatz zu individuellen Telefongesprächen schnell Probleme von Unpersönlichkeit und Missverständnissen nach sich. Nationenübergreifend ergeben sich hier auch oft Sprachprobleme. Demgegenüber ermöglichen Videokonferenzen das Beobachten von Mimik und Gestik, dementsprechend sind sie Face-to-face-Begegnungen ähnlicher. Ihr Nachteil ist aber, dass bei großen Entfernungen oft mit technischen Störungen zu rechnen ist.
   Jede Führungskraft, die mit virtuellen Teams arbeitet, sollte aber vom Coach darauf vorbereitet werden, dass hier immer die Gefahr besteht, dass Missverständnisse aufgrund von Problemen der Datenübertragung sowie aufgrund von Sprache und Kultur auftreten können. Außerdem wird der Alltag oft durch technische Probleme bestimmt, die die Arbeit erschweren. Ein geradezu chronisches Problem besteht aber darin, dass durch Emails ständig ein eklatanter Datenüberfluss entsteht, der es allen Beteiligten schwer macht, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Führungskräfte virtueller Teams sind aber grundsätzlich darauf vorzubereiten, dass der informelle Austausch immer mangelhaft bleibt, weil die gegenseitigen Wahrnehmungsmöglichkeiten eingeschränkt sind.

4.2. Inhaltliche Empfehlungen

   Die Fragestellungen, auf die Führungskräfte virtueller Teams fokussieren, decken sich auf den ersten Blick mit denen, die Leiter traditioneller Arbeitsgruppen beschäftigen (Kühl 2008):
-    Das sind Themen, die Führungskräfte anlässlich der Übernahme einer neuen Position aufwerfen. Und es sind Themen, die um
-    Konflikte unterschiedlicher Art kreisen.
   Beim Coaching für Newcomer, das möglichst fünf bis acht Doppelstunden umfassen sollte, kann der Coach mit dem Klienten vereinbaren, dass ergänzend zu aktuell auftretenden Fragestellungen einige feste Themenkreise bearbeitet werden. Dazu gehören (1) „Abschied nehmen von der alten Position“ und die Entwicklung eines „Lernprogramms für die neue“, dazu gehört auch die (2) Auseinandersetzung mit „optimalen Strategien für die neue Position“ mit der „Planung früher Erfolge“, dazu gehört außerdem (3) die eingehende Auseinandersetzung mit der „Organisationsarchitektur und dem eigenen Team“, und schließlich gehört dazu (4) der Aufbau eines passenden Netzwerkes und die Neujustierung von Work-Life-Balance (Schreyögg 2008). Im Gegensatz zum Coaching von Führungskräften traditioneller Arbeitsgruppen ist hier immer wieder die Passung der jeweiligen Medien zu den Themen und zu den Personen zu erörtern. Das heißt beispielsweise bei der Entwicklung eines Lernprogramms für die Führungskraft wird es immer wieder darum gehen, zu welchen Anlässen sie welches Medium mit welchem Grad an sozialer Nähe/Distanz wählt.
   Der andere häufig angesprochene Bereich sind Konflikte. Neben manifesten Problemen wie etwa Missverständnisse aufgrund von Sprachschwierigkeiten begegnen uns hier vielfältige Fragestellungen, in deren Zentrum „Vertrauen“ bzw. Misstrauen steht. „Kann ich mich darauf verlassen, dass meine Kooperationspartner in Taiwan die relevantesten Informationen eingeholt haben?“ „Hat meine Mitarbeiterin in Tschechien überhaupt den richtigen Ton gefunden mit unseren Geschäftspartnern dort?“ Viele dieser Fragestellungen berühren die „interkulturelle Kommunikation und Kooperation“, wie sie von Alexander Thomas und seinen Mitarbeitern eingehend bearbeitet wurden (Thomas et al. 2003). Da virtuelle Teams häufig international zusammengestellt werden, spielen beim Coaching von Führungskräften virtueller Teams derartige Themen immer wieder eine Rolle. So ist es häufig notwendig, dass sich Coach und Klient mit dem unterschiedlichen Umgang der Nationen mit Pünktlichkeit oder Autorität befassen. Auch das Verständnis von Konflikten erweist sich oft als äußerst unterschiedlich. Dadurch ist beispielsweise die Kooperation zwischen deutschen und russischen Mitarbeitern immer wieder überlagert (Bühler 2000).Viele Fragestellungen, die auf den ersten Blick mit mangelndem Vertrauen in Beziehung stehen, erweisen sich auf den zweiten als interkulturelle Unterschiedlichkeit der Akteure. Dann handelt es sich um „Meinungsverschiedenheiten“, die sich kaum reduzieren lassen. Ein zentrales Problem der interkulturellen Arbeit - auch in virtuellen Zusammenhängen - ist die oft nur unterschwellig wahrgenommene und vielfach wenig eingestandene Angst vor dem Fremden (Schmidt-Lellek 1969). Wenn derartige Phänomene im Coaching spürbar sind, sollte der Coach nicht zögern, interkulturelle Fragestellungen in einer etwas umfassenderen Weise zu thematisieren. Dann ist zumindest die Lektüre einschlägiger Bücher etwa von Hofstede (2000) oder Thomas (2003) zu empfehlen.     
   
4.3. Methodische Aspekte

   Methodisch sollte auch beim Coaching virtueller Teamführung die „Prozessberatung“ im Sinne von Schein (2003) dominieren. Das heißt, der Klient bestimmt das Thema der jeweiligen Sitzung und der Coach versucht zunächst durch professionelle Gesprächsführung gemeinsam mit dem Klienten eine jeweilige Problemformulierung zu präzisieren. Ist diese gefunden, wird der Coach weitere methodische Maßnahmen vorschlagen. Dabei bieten sich besonders imaginative Arbeitsformen aus dramatherapeutischen Verfahren an wie der Gestalttherapie und dem Psychodrama (Schreyögg 2003). Gerade bei der Beratung von virtuellen Interaktionskonstellationen sind Imaginationen in all ihren Variationen die Methode der Wahl. Den Mitarbeiter, den die Führungskraft vielleicht nur selten sieht, kann sie dann beispielsweise auf einem „leeren Stuhl“ auferstehen lassen, d.h. ihn imaginieren. Mit ihm kann die Führungskraft probeweise verhandeln, ihn kritisieren, zurechtweisen usw. und dann in einem inneren, d.h. imaginativen Rollentausch zu erkunden suchen, wie die jeweilige Botschaft vom anderen aufgenommen wird. Der Coach wird so lange mit der Führungskraft eine Interaktionssequenz probieren, bis die Führungskraft selbst den Eindruck hat: „Ja, so kann ich kommunizieren, so kommt das richtig rüber.“ Daran anschließend muss aber nun noch überlegt werden, mit welchem Medium die Führungskraft ihre Botschaft senden soll.
   Imaginationen sind im Sinne von Zukunftsprobe oder Zukunftsexploration (Petzold 1979) auch die Methode der Wahl, wenn sich die Führungskraft mit strategischer Planung, mit weiteren Karriereschritten oder mit den voraussichtlichen Konsequenzen einer Aktion beschäftigen möchte. Durch Anwendung dieser Methoden ergeben sich zweierlei Effekte: Die Führungskraft erhält Unterstützung zur Bewältigung einer aktuellen Situation, sie kann darüber hinaus ihre sozialen Kompetenzen verbessern. Denn die Einfühlung in andere Menschen, was mit den hier vorgeschlagenen Arbeitsformen in methodischer Weise eingeübt wird, ist eine prinzipielle Basis zur Entwicklung sozialer Kompetenz.
  Es sei aber angemerkt, dass auch beim Coaching virtueller Führungsarbeit immer wieder sorgfältig bedacht werden muss, auf welcher paradigmatischen Ebene sich ein Thema bewegt, ob es sich um eine Thematik mit einem individuellen Gehalt handelt, um eine Interaktion oder ob Systemphänomene zur Diskussion stehen. Wenn im Coaching ein System zu rekonstruieren ist, muss eben dieses imaginiert werden. Zu diesem Zweck bieten sich als Hilfsmittel Bausteine oder Magnetplättchen an, die dann im Sinne eines flexiblen Organigramms verwendet werden (Schreyögg 2007).     


Literatur:

Avolio, B.J., Kahai, S., Dodge, G.E. (2000): E-Leadership: Implications for theory, research and practice. In: Leadership Quarterly 11, S. 615-668.

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