COACHING als innovatives Beratungskonzept
Der Begriff “Coaching” ist bis ins 19. Jahrhundert zurück zu verfolgen. Dort bemühte man ihn schon an angelsächsischen Hochschulen zur Betreuung von Studenten (Rauen 2002). Populär wurde er aber erst im Zusammenhang mit dem Sport. Dort erfreut er sich seit mindestens zwei Jahrzehnten großer Beliebtheit. Etymologisch entstammt das Wort Begriffen wie “Kutsche” oder “Kutscher”. Bei “Kutsche” assoziiert man einen “kuscheligen” Ort, an dem ein Mensch alle seine Gefühle, Fragen oder Sorgen ausbreiten kann und bei “Kutscher” einen Lenker und Betreuer von Pferden. Der Sport-Coach, als bekannteste Variante, erhält bei Spitzensportlern wie etwa Tennisstars, die durch ihre Lebensumstände oft stark vereinsamt sind und trotz vielfältiger mentaler Belastungen Höchstleistungen erbringen wollen, die Bedeutung eines intimen Solidarpartners für alle fachlichen und gefühlsbezogenen Fragen. Die Funktion von Coaching besteht in diesen Milieus in der emotionalen und fachlichen Vorbereitung des Sportlers auf Leistungssituationen.
1. Begriff
Seit Beginn der 80er Jahre taucht der Begriff in der modernen Managementliteratur auf. Was besagt er hier? Bei Durchsicht einschlägiger Publikationen fällt eher Diffusität und Uneinheitlichkeit in der Begriffsverwendung auf (Rauen 1999). Von manchen Autoren wird Coaching wie eine Wunderdroge angepriesen: Es kann angeblich Führungskräfte von Alkoholismus und Depression befreien. Andere scheinen den Begriff lediglich als modische Worthülse zu bemühen, indem sie alle Arten von hausin- und -externer Weiterbildung, Nachbeschulung und selbst konventionellste Seminaraktivitäten unter dem Begriff “Coaching” fassen (Hartz 1994). Von wieder anderen wird „die Führungskraft als Coach“ für unterstellte Mitarbeiter propagiert. Hier steht Coaching als Synonym für einen besonders sorgfältigen Führungsstil (Hausdorf & Polzer 2004). Diese Begriffsverwendung befördert eher die Konfusion; denn die Relation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern beinhaltet niemals vollständige Freiheit im Hinblick auf die Wahl des Beraters, die Wahl der Themen usw., durch die Beratung im eigentlichen Sinn definiert ist. Im Übrigen würde sich ein Vorgesetzter, der laufend seine unterstellten Mitarbeiter zu “coachen” versucht, wie eine Glucke benehmen, die ihre Jungen nicht aus ihrer Obhut entlassen kann. Coaching hätte hier geradezu kontraproduktive Effekte, nämlich die Verhinderung der Selbständigkeit von Mitarbeitern.
2. Funktionen
Welche Bedeutung des Wortes “Coaching” ist in der Managementliteratur wirklich neu und welche ist sinnvoll? Im Gegensatz zu allen sonstigen Begriffsverwendungen lässt sich von einer Innovation sprechen, wenn Coaching als professionelle Form der Managementberatung verstanden wird. Dabei verhandeln Führungskräfte unter “vier Augen” oder in einer Kleingruppe alle für sie aktuell relevanten Fragestellungen mit einem Coach.
(1) Coaching stellt seiner Funktion nach zunächst eine innovative Maßnahme der Personalentwicklung dar. Im Gegensatz zu bis dato üblichen Trainings- oder Seminaraktivitäten können nämlich Führungskräfte hier alle für sie aktuell relevanten Fragestellungen ganz gezielt verhandeln.
(2) Außerdem dient Coaching als Dialogform über Freud und Leid im Beruf. Hier erhalten alle beruflichen Krisenerscheinungen und Konflikterfahrungen, aber auch alle Bedürfnisse nach beruflicher Fortentwicklung den ihnen gebührenden Raum. So dient Coaching auf der einen Seite zur Bewältigung von Krisen und Konflikten. Andererseits dient es zur konstruktiven Fortentwicklung von Einzelnen und von Kollektiven.
3. Die Zielgruppen
Coaching richtet sich an Menschen, die in Betrieben, Verwaltungssystemen oder sozialen Dienstleistungseinrichtungen mit Managementaufgaben betraut sind. Dabei dient es Führungskräften auf allen Hierarchiestufen, also Vorarbeitern ebenso wie Topmanagern.
In der betriebswirtschaftlichen Literatur werden Managementaufgaben von Sachaufgaben differenziert. Bei Sachaufgaben handelt es sich um Aktivitäten, die der üblichen Zielerreichung einer Organisation dienen. In Kliniken würde man etwa die Aktivitäten von Pflegekräften als Sachaufgaben definieren, Koordinationsaktivitäten von Stationsleiterinnen oder Stationsleitern dagegen als Managementaufgaben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass viele Menschen in Führungspositionen durchaus auch Sachaufgaben zu erledigen haben. Das Verhältnis von Sach- zu Managementaufgaben bestimmt sich im Allgemeinen nach der Hierarchiestufe, auf der eine Position angesiedelt ist. Dabei gilt als Faustregel: je höher der Status einer Managementposition in einer Organisation ist, desto weniger Sachaufgaben sind mit ihr verbunden, oder umgekehrt, dann beinhaltet sie um so mehr Managementaufgaben (Steinmann & Schreyögg, G. 2002). So hat etwa eine Stationsleiterin neben ihren Steuerungsfunktionen noch eine Vielzahl von “Sachaufgaben” an Patienten zu erledigen, was bei einer Pflegedirektorin kaum mehr vorstellbar ist. Deren Arbeitszeit ist ausschließlich mit Managementaufgaben angefüllt.
Im Allgemeinen werden fünf Managementfunktionen beschrieben: die Planung, die Organisation, die Personalfunktion, die Führung und die Kontrolle:
Bei der Planung handelt es sich um Reflexionen, was erreicht werden soll und wie es am sinnvollsten zu erreichen ist. Hier geht es um die Entwicklung von Zielvorstellungen, um ihre Selektion und die Festlegung von Zielen mit den entsprechenden Handlungsrichtlinien, Verfahrensweisen usw. Planung ist allerdings kein einmaliger Akt, sondern eine Aufgabe, die laufend zu leisten ist.
Während Planung in gedanklicher Arbeit besteht, wird mit der “Organisation” bzw. mit dem “Organisieren” die Umsetzung von Zielen angestrebt. Hierbei gilt es, eine angemessen arbeitsteilige und eventuell noch hierarchische Struktur zu entwickeln, die im Allgemeinen als “organisiertes System” bezeichnet wird. Sie ist idealerweise so gestaltet, dass sie die Planung zu realisieren vermag.
Die Personalfunktionen von Managern dienen dazu, die organisatorische Struktur, die ja immer aus realen Menschen besteht, angemessen auszugestalten. In diesen Bereich gehören Aktivitäten, die Führungskräfte ergreifen müssen, um einen qualifizierten und engagierten Personalbestand zu sichern. Hierher gehören nämlich die Gewinnung, der Aufbau und die Erhaltung des Personals.
Dieses “Personal” müssen Manager nun führen. Unter “Führung” versteht man je angemessene Formen der Beeinflussung, damit die unterstellten Mitarbeiter im Sinne des Organisationsziels handeln. Bei “Führen und Führen lassen” (Neuberger 2002) handelt es sich um komplexe Interaktionsprozesse, die durch eine Vielzahl von Variablen bestimmt sind.
Inwieweit durch Planung, Organisieren, Personaleinsatz und Führung die Organisationsziele wirklich erreicht wurden, oder ob vielleicht neue Planungen entwickelt werden sollten, anders geführt werden muss usw., ist vom Manager zu kontrollieren. Bei der Kontrolle geht es also um einen Vergleich von Ist- und Soll-Daten.
Nun ist der Arbeitsalltag von Managern keineswegs so klar geplant, wie sich frühe Managementtheoretiker noch dachten. Ihr Alltag ist sogar ausgesprochen zerstückelt in viele kleine Kommunikationsakte und Handlungsmuster. 1975 legte Mintzberg erstmalig eine Studie vor, in der er anhand von Tagebüchern, die Manager selbst geschrieben hatten und anhand von Aufzeichnungen teilnehmender Beobachter zeigen konnte, dass Manageraktivitäten sich wahrscheinlich besser durch “Managementrollen” fassen lassen. Dabei unterscheidet er drei Rollenbündel mit ihren jeweiligen Rollen:
Interpersonale Rollen wie Repräsentant, Vorgesetzter, Vernetzer
Informationale Rollen wie Radarschirm, Sender, Sprecher
Entscheidungsrollen wie Innovator, Störungsregler, Ressourcenzuteiler, Verhandler.
Zur Realisierung aller genannten Managementfunktionen und – rollen benötigen Führungskräfte spezifische Kompetenzen. Als “Schlüsselkompetenzen des Managements” (vgl. Steinmann, Schreyögg, G. 2002) bestehen sie zum einen in technischen Qualifikationen, d.h. in faktischem Wissen und in faktischen Fertigkeiten wie z.B. eine Personalbedarfsplanung zu erstellen ist. Sie bestehen zum anderen in konzeptionellen Kompetenzen, die es der Führungskraft erlauben, in größeren Zusammenhängen zu denken, einzelne Phänomene und einzelne Entscheidungen auf der Folie des organisatorischen Gesamtsystems und seiner relevanten Umwelt zu begreifen. Und jeder Mensch mit Steuerungsfunktionen benötigt soziale Kompetenzen, damit er mit anderen effektiv und konstruktiv zusammen arbeiten kann.
Die beschriebenen Funktionen, Rollen und Kompetenzen gelten in der Literatur als feldübergreifend, d.h. sie sind für Führungskräfte in Unternehmen, Verwaltungssystemen und sozialen Dienstleistungseinrichtungen relevant.
Neben der Zielgruppe “Führungskräfte” nehmen heute auch viele freiberuflich tätige Menschen wie Rechtsanwälte oder Unternehmensberater Coaching in Anspruch. Sie haben nämlich in ihrer Situation auch Managementfunktionen, -rollen und –kompetenzen zu realisieren. Es lässt sich sogar behaupten, dass diese Gruppierung ein besonders hohes Maß an “Selbstmanagement” mobilisieren muss, um beruflich zu “überleben”.
4. Die Themen
Da es sich beim Coaching schwerpunktmäßig um Prozessbegleitung und nicht um Expertenberatung handelt, werden die Themen von den Klienten selbst bestimmt. Sie sind auf sämtliche Steuerungsfunktionen von Führungskräften und Freiberuflern mit den entsprechenden Kompetenzen gerichtet. Coaching unterstützt also bei der Planung, bei der Entwicklung angemessener Organisationsstrukturen usw. Schwerpunkte bilden allerdings meistens die Personal- und die Führungsfunktionen, sowie die dafür besonders relevanten Rollen und sozialen Kompetenzen.
Die von den Klienten faktisch vorgetragenen Anliegen bewegen sich auf allen Ebenen sozialwissenschaftlicher Paradigmatik, d.h. sie zentrieren sich teils auf individuelle Themen, teils auf Themen mit interaktivem Gehalt und oft auch auf Fragestellungen, die ein gesamtes organisatorisches System und seine Umwelt betreffen.
Je nach dem Milieu, aus dem sich die Coaching-Klienten rekrutieren, lassen sich unterschiedliche thematische Akzente feststellen. Führungskräfte aus Betrieben, in denen technische oder betriebswirtschaftliche Grundberufe dominieren, thematisieren oft Fragestellungen mit einem individuellen oder interaktiven Gehalt. Bei Sozialmanagerinnen und Sozialamanagern, also bei Personen, die soziale Dienstleistungssysteme leiten, stehen im Coaching vielfach Themen im Vordergrund, die den organisatorischen Kontext und dessen Umfeld betreffen. Im Prinzip lässt sich postulieren, dass eine jeweilige Gruppierung genau das zu verhandeln sucht, was in ihrem Grundberuf zunächst nicht thematisiert wurde.
Bei Freiberuflern lassen sich die Themenpräferenzen weniger leicht typisieren; denn diese Gruppierung weist ja je nach Grundberuf und Tätigkeitsfeld starke Variationen auf. Als Feld und Berufsgruppen übergreifende Themen lassen sich solche benennen, die mit der Dauer des Status als Freiberufler in Beziehung stehen.
In den ersten Jahren sind sie meistens mit der Organisation ihrer Arbeit beschäftigt,
im weiteren Verlauf mit ihrer sozialen Verankerung und
in späteren Stadien mit Fragen, wie sie ihre weitere berufliche Entwicklung planen.
5. Die Ziele
Das basale Ziel von Coaching besteht in der Förderung beruflicher Selbstgestaltungspotentiale, also des Selbstmanagements von Führungskräften und Freiberuflern. In diesem Punkt ähnelt das Management-Coaching dem im Sport. Hier wie dort spielen Höchstleistungen eine Rolle, auf die der Coach seine Klienten vorbereiten soll. Wie im Sport verfolgt das Coaching von Managern immer Ziele von Effizienzerhöhung. Das heißt, Führungskräfte sollen unterstützt werden, alle ihre Aufgaben möglichst zielgerecht und mit möglichst sparsamem Ressourcenaufwand wahrzunehmen. Dabei beabsichtigt Coaching eine Förderung aller Managementkompetenzen.
Außerdem zielt Coaching auf Humanisierungen. Führungskräfte sollen unterstützt werden, die von ihnen geleitete Organisation oder Abteilung möglichst Menschen gerecht auszugestalten. Auf diesem Weg leistet Coaching im Idealfall einen Beitrag zur konstruktiven Fortentwicklung von Organisationen.
6. Die Rolle des Coach und Settings im Coaching
Bei den Rollen des Coachs und bei den Settings finden wir heute eine gewisse Variationsbreite:
6.1. Die Rolle des Coach
Als Coaches kommen entweder freiberufliche Berater oder Mitarbeiter aus Personal- bzw. Personalentwicklungsabteilungen in Frage, die sich auf Coaching spezialisiert haben.
Die im deutschsprachigen Raum ursprünglich propagierte Rolle des freiberuflichen Coachs wird bis heute von hochrangigen Führungskräften bevorzugt, denn sie legen meistens gesteigerten Wert auf maximale Intimität in der Beratung. Außerdem käme es bei der Inanspruchnahme von organisationsinternen Coaches in solchen Dyaden zu Rolleninterferenzen. Hausinterne Personalentwickler nehmen ja als Inhaber von Stabsstellen niemals eine vergleichbar hohe Position in Unternehmen ein. Diese Gruppe von Coaches erfreut sich aber wachsender Beliebtheit bei Managern auf mittleren und unteren Führungsebenen, so dass sie in Industriebetrieben vielfach Meister bei der Etablierung neuer Organisations- und Führungskonzepte unterstützt oder Manager auf mittleren hierarchischen Ebenen bei der Übernahme neuer Funktionen oder etwa bei Fusionen.
Einen Vorteil des organisationsinternen Coaching stellt sicher die zumeist hohe Feldkompetenz der Berater dar. Sie sind nicht nur mit den jeweiligen Formalien eines Systems vertraut wie den Strukturen oder Funktionen, sie sind auch “Kulturkenner”, denn sie durchschauen das Symbolsystem einer Organisation sowie ihre Normen und Standards mit den entsprechenden Basisannahmen (Schein 1995). Ein Nachteil dieser Gruppierung besteht allerdings häufig in der automatisch erworbenen “Betriebsblindheit”. Das heißt, manche organisatorischen Phänomene können sie gar nicht mehr aus exzentrischer Position erfassen und damit kritisch reflektieren. Durch kritische Analysen geraten organisationsinterne Berater allerdings ohnedies leicht in Loyalitätskonflikte gegenüber ihrem Arbeitgebersystem, so dass in diesem Punkt eine gewisse Zurückhaltung zu raten ist.
Bei der Etablierung und Fortentwicklung von organisationsinternen Coachingabteilungen müssen vor allem Imagekomponenten sorgsam bedacht werden. Im ungünstigsten Fall werden die Coaches als “Nachhilfelehrer” für diejenigen begriffen, “die noch nicht kapiert haben, wie man’s macht.” Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Coaching in der Einführungsphase als Angebot für regelmäßig auftretende organisatorische Geschehnisse anzubieten wie etwa die Einführung von neu ernannten Führungskräften. Erst im weiteren Verlauf sollte es als Unterstützung bei Krisen und Konflikten offeriert werden. So ist es auch wenig empfehlenswert, Coaching erstmalig bei Restrukturierungen eines Systems anzubieten. Der in solchen Situationen regelmäßig auftretende Änderungswiderstand im Sinne von “resistance to change”, der für die Organisationsmitglieder mit vielfältigen Krisen- und Konflikterfahrungen einhergeht, befördert eher aversive Assoziationen im Hinblick aufs Coaching.
6.2. Die Settings
In den letzten Jahren lässt sich eine zunehmende Variationsbreite bei den Settings von Coaching beobachten. Während in früheren Jahren das Einzelcoaching dominierte, finden derzeit viele Coachingaktivitäten im GruppenSetting statt. Bei diesem werden meistens hierarchie- und funktionsgleiche Führungskräfte von 5-7 Personen zusammengefasst (Rauen 2002, Böning 2002).
Die neueste Variante ist sicher das Teamcoaching, bei dem ein ganzer Führungskader Coaching erhält. Dieses Setting beobachten wir nicht nur in Betrieben, sondern zunehmend auch in Kliniken mit Pflegedirektorinnen und Pflegedienstleitern oder mit Pflegedienst- und Stationsleitungen. Hier wie in anderen Milieus erhält es oft einen zentralen Stellenwert bei der Neugestaltung von Organisationen. Bei hochrangigen Führungsteams hat es anfangs oft die Funktion von Strategieberatung, bei nachfolgenden gezielten Wandlungsprozessen wird es zur Begleitung des Veränderungsmanagements. Solche Funktionen hat es zum Beispiel auch beim Fusionsmanagement.
7. Anforderungen an den Coach und sein Konzept
Die Anforderungen lassen sich zwei Kategorien zuordnen: in
Anforderungen an die Person des Coach und in
Anforderungen an seine konzeptionelle Kompetenz.
7.1. Anforderungen an die Person des Coach
An Coaches werden im Allgemeinen hohe Anforderungen gestellt. Sie lassen sich nach personenspezifischen und fachlichen Qualifikationen unterscheiden.
(1) Als Persönlichkeit sollte ein Coach über breite Lebens- und Berufserfahrungen verfügen sowie über eine ansprechende persönliche Ausstrahlung. Und er sollte einen angemessenen Interaktionsstil praktizieren. Im Hinblick auf sein Geschlecht lässt sich postulieren, dass beispielsweise weibliche Führungskräfte in männlichen Milieus gerne einen weiblichen Solidarpartner als Coach bemühen, dass sie aber umgekehrt in solchen Situationen vielfach auch einen männlichen Coach bevorzugen. Von ihm erwarten sie nämlich eher, mit ihrer Rolle als weibliche Führungskraft unter Männern angemessen konfrontiert zu werden. Daran wird schon deutlich, dass menschliche Merkmale eines Coachs eher subjektiv und deshalb sehr unterschiedlich zu bewerten sind.
(2) Über die fachlichen Qualifikationen lässt sich dagegen leichter Konsens herstellen: Da die Fragestellungen von Führungskräften oft eine hohe Komplexität aufweisen, sollte der Coach über intellektuelle Flexibilität und über ein breites sozialwissenschaftliches Wissen verfügen. Außerdem braucht er ideologische Offenheit und eine dem Klienten entsprechende Feldkompetenz. Es ist allerdings nicht unbedingt notwendig, oft auch gar nicht möglich, dass Berater über Intimkenntnisse von der jeweiligen Arbeitssituation ihrer Klienten verfügen. Sie sollten sich aber im Verlauf der gemeinsamen Arbeit zumindest einen vertieften Eindruck von deren Arbeitsfeld erwerben. Eine grundlegende Anforderung wäre allerdings, dass sich der Coach für die Arbeitssituation seines Klienten interessiert. Dieses Interesse kann übrigens in Fällen, in denen der Coach maximal feldkompetent ist, also vielleicht schon ähnliche Funktionen wie sein Klient bekleidet hat, eher gering entwickelt sein. Vielleicht fühlt sich der Berater dann sogar schon verschlissen von diesem Milieu, das ihm nun in Person des Coaching-Klienten erneut begegnet.
7.2. Anforderungen an das Konzept des Coach
Von zentraler Bedeutung ist das Konzept des Coachs. Wenn Coaching nicht im aktuellen Dunst von modischen Worthülsen versacken soll, bedarf es fachlich kompetenter Berater, die ihre Arbeit auf ein ausformuliertes Coachingkonzept gründen. Dieses dient ihnen dann als “mind map” für alle diagnostischen und methodischen Fragen (Schreyögg 2003).
Bei der Kreation eines solchen Konzeptes ist zu berücksichtigen, dass die Fragestellungen von Führungskräften in diagnostischer wie methodischer Hinsicht fast unübersehbar vielgestaltig sind, und dass ein Coachingkonzept deshalb eine große Theorie- wie Methodenbreite aufweisen muss. Für die spezifische Konzeptentwicklung lässt sich Anleihe nehmen bei Anwendungsmodellen, die für andere Bereiche angewandter Sozialwissenschaft mit ähnlich breiter Thematik kreiert wurden. Wir finden sie in der Psychotherapie, in der Pädagogik und in der Supervision Schreyögg 2004).
Als basale Prämisse entsprechender Modellkonstruktionen gilt, dass Anwendungsfälle als Gesamt eine unendliche Vielfalt aufweisen, die nur mit theorie- und methodenpluralen Modellkonstruktionen abzudecken ist. Psychotherapie, Pädagogik oder Beratung, die sich dann aber wahllos jeder verfügbaren Theorie und jeder verfügbaren Methode bedienen, münden leicht in unreflektierten Eklektizismus. Es entstehen kontraproduktive Effekte, und bei den Klienten wird Konfusion erzeugt. Zur Vermeidung solcher Phänomene empfehlen einschlägige Autoren die Kreation von Handlungsmodellen, bei denen Theorien und Methoden auf begründete Weise in eine so genannte Wissensstruktur integriert werden.
(1) Die Basis solcher Wissensstruktur bildet regelmäßig ein Metamodell, das einen Satz von erkenntnistheoretischen und anthropologischen Prämissen enthält. Es dient als Maßstab für alle diagnostischen und methodischen Elemente des Ansatzes. Das heißt dann, die jeweils verwendeten Theorien zur Strukturierung von Praxisereignissen und die Methoden zu ihrer Bearbeitung werden nicht nach rein pragmatischen Gesichtspunkten ausgewählt, sondern sie müssen jeweils auch Anschluss an die Prämissen des Metamodells aufweisen.
In diesem Sinne schlage ich fürs Coaching eine Modellkonstruktion vor, die bei erkenntnistheoretischen und anthropologischen Setzungen ihren Ausgang nimmt. Wie sich der einschlägigen Literatur entnehmen lässt, bieten phänomenologische Ansätze derzeit die umfassendsten und "Menschen gerechtesten" Prämissen. So gründet sich auch das hier unterlegte Beratungskonzept, das ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt habe (vgl. Schreyögg 2003), auf entsprechende Positionen.
(2) Eine dem Metamodell nachgeordnete Ebene stellt einen Satz von Theorien dar, die fürs Coaching besonders bedeutsame diagnostische Positionen enthalten. Das sind neben interaktionistischen Konzepten vor allem solche aus der Managementlehre und aus der Organisationstheorie. Hier sind allerdings jeweils die Ansätze zu präferieren, die den Prämissen des Metamodells möglichst nahtlos entsprechen.
(3) Die dritte Ebene eines ausformulierten Coachingkonzeptes besteht in grundlegenden methodischen Anweisungen. Sie beinhalten Aussagen, welche Ziele mit dem Modell verfolgt, welche spezifischen Wirkungen ihm zugeschrieben und wie Praxisereignisse rekonstruiert werden. Darüber hinaus sind Anweisungen enthalten, welchen Interaktionsstil der Coach praktizieren sollte und schließlich, wie unterschiedliche Settings in welcher Weise vom Coach zu handhaben sind. Auch diese Ebene des Coachingkonzeptes muss an den Prämissen des Metamodells orientiert sein.
(4) Die basalste Ebene des Konzeptes stellt die Praxeologie dar, die auch wieder Bezüge zum Metamodell aufweisen muss. Wie bei allen Beratungsformen gründet sich auch die Coachingpraxeologie auf Formen professioneller Gesprächsführung. Wenn es allerdings um Fragestellungen mit prärationalen Gehalten geht, empfiehlt sich eine Integration erlebnisorientierter, psychotherapie-naher Methodik etwa aus der Gestalttherapie. Und in Fällen, die vorbereitendes Üben erfordern, lässt sich auf handlungsorientierte Arbeitsformen zurückgreifen, wie es psychodramatische Methodik ermöglicht. In vielen anderen Coachingsituationen ist es unumgänglich, zur Veranschaulichung von komplexen Ist-Situationen oder von komplexen Prozessen mit Medien zu arbeiten. Dann werden entsprechende Phänomene gemalt oder durch bunte Magnetplättchen veranschaulicht.
8. Anlässe von Coaching
Wer nimmt nun wann Coaching in Anspruch? In den letzten Jahren lässt sich eine zunehmende Breite von Anlässen wie etwa die Karriere- oder die Rollenberatung beobachten. Noch häufiger wird Coaching in beruflichen Krisen angefragt. Hier ist eine große Palette zu nennen. Ein typischer Anlass für Coaching ist der Eintritt in eine neue Organisation oder die erstmalige Übernahme einer Führungsposition. Bei diesen regelmäßig als krisenhaft erlebten Schritten kann Coaching Unterstützung bieten, die anfänglich bestehende Isolation zu überwinden, neue Beziehungen anbahnen zu helfen oder die spezifischen kulturellen Muster des noch fremden Systems besser zu erfassen. Fast ebenso häufig werden “schleichende Krisen” wie Jobstress, Burnout oder berufliche Deformationen thematisiert. Sie entwickeln sich zwar langfristig, werden aber vom Einzelnen meistens erst dann als Krise wahrgenommen, wenn noch ein zusätzliches, aktuell krisenhaftes Ereignis “das Faß zum Überlaufen” bringt.
Neben individuellen Krisen werden allerdings auch kollektive thematisiert. Sie können durch Fusionen, durch Marktveränderungen, durch Modifikationen von Finanzierungsstrategien seitens der Finanzgeber bzw. Leistungsträger oder sogar durch politische Entwicklungen wie den Transformationsprozess von der Plan- zur Marktwirtschaft verursacht sein. Durch kollektive Krisen sind dann ganze Abteilungen, ganze Firmen oder ganze Verwaltungssysteme in Mitleidenschaft gezogen. Die Organisationsmitglieder – und natürlich auch die Führungskräfte - erleben im Verlauf solcher Krisen manifeste soziale Konflikte. Und soziale Konflikte in allen ihren Variationen stellen sicher den häufigsten Anlass dar, Coaching im Sinne von Konfliktcoaching in Anspruch zu nehmen Schreyögg 2002). Je nach ihrer Funktion, ihrer Schwere, ihrer sozialen Reichweite oder der Dauer ihres Bestehens werden Konflikte von den Betreffenden vielfach als gravierende Belastung erlebt, die selbst in das private Umfeld hinein ragen kann. Führungskräfte berichten dann im Coaching meistens mit erheblicher emotionaler Erregung über entsprechende Ereignisse, denn ihre zentrale Aufgabe besteht ja darin, für die reibungslose Funktionsfähigkeit eines Systems zu sorgen. Aus diesem Grund suchen sie Konflikte möglichst schnell einzudämmen oder gar zu beseitigen.
Auf der anderen Seite lässt sich aber behaupten, dass manche Organisation wie beispielsweise viele Familienbetriebe geradezu unter einem Mangel an Konfliktbereitschaft leidet. Dann ist es sogar ausgesprochen sinnvoll, Konflikte im Sinne von kontroversen Diskussionen zu stimulieren, damit eine Streitkultur entsteht, in der wieder Innovationen gedeihen können. Auch für solche Anlässe bietet Coaching umfassende Unterstützung.
Literatur:
Böning, U. (2002): Der Siegeszug eines Personalentwicklungs-Instruments. Eine 10-Jahres-Bilanz. In: Rauen, C. (Hg.): Handbuch Coaching. Göttingen: Verlag f. Angewandte Psychol.
Hartz, P. (1994): Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht. Frankfurt a. M., New York. Campus.
Hausdorf, M., Polzer, E. (2004) Die Führungskraft als Coach: ManagerSeminare.
Loos, W. (1993): Coaching für Manager – Konfliktbewältigung unter vier Augen. 3. Aufl., Landsberg/Lech: Verlag für moderne Industrie.
Mintzberg, H. (1975): The Manager’s Job: Folklore and Fact. In Harvard Business Review 53, S 49 ff.
Neuberger, O. (2002): Führen und führen lassen. Stuttgart: Enke.
Rauen, C. (1999): Coaching. Innovative Konzepte im Vergleich, Göttingen: Verlag f. Angew. Psychol.
Rauen, C. (2002): Handbuch Coaching, Göttingen. Verl: f. Angewandte Psychol.
Schein, E. (1995): Organisationskultur. Frankfurt a. M., New York: Campus.
Schreyögg, A. (2002): Konfliktcoaching. Frankfurt a. M., New York: Campus.
Schreyögg, A. (2003, 6. Aufl.): Coaching. Eine Einführung für Praxis und Ausbildung. Frankfurt a. M., New York: Campus.
Schreyögg, A. ( 2004, 4. Aufl): Supervision, ein integratives Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis. Wiesbaden: VS Verlag f. Sozialwissenschaften.
Steinmann, H., Schreyögg, G. (2002, 5. Aufl.): Management. Wiesbaden: Gabler.
Kurzangaben zur Person:
Dr. phil. Astrid Schreyögg, Diplompsychologin; nach dem Studium der Psychologie, Pädagogik, Philosophie mehr als 10 Jahre in Führungspositionen in unterschiedlichen Organisationen. Seit 1985 freiberuflich tätig als psychologische Psychotherapeutin mit Approbation, als Supervisorin (DGSv, BDP) und als Coach (DBVC); Lehr- und Beratungsaufträge im In- und Ausland; Autorin vielfältiger Publikationen. Herausgeberin der Zeitschrift „Organisationsberatung, Supervision, Coaching“ (OSC) im VS Verlag f. Sozialwissenschaften.
Abstract:
Astrid Schreyögg entfaltet nach einer Begriffsklärung Coaching als Maßnahme der Personalentwicklung und als „Dialogform über Freud und Leid im Beruf.“ Als Zielgruppe nennt sie Führungskräfte und Freiberufler. Die Themen richten sich primär nach den Bedürfnissen der Klienten, als Anlässe dominieren Krisen und Konflikte. Ziele sind die Förderung der Effektivität, aber auch der Humanität der Gecoachten. Diese Beratungsform wird heute organisationsin- und –extern praktiziert, dabei mit Einzelnen, mit Gruppen- und Teams. In der Literatur werden häufig Anforderungen an den Coach, seltener an sein Konzept formuliert. Im Gegensatz dazu schlägt die Autorin auch für das Coaching eine in sich geschlossene Modellkonstruktion vor.