Was ist Scharlatanerie im Coaching- und was hat das mit zwei Rucksäcken zu tun?
Oft empfehlen sich Coachingausbildungen in Hochglanzbroschüren mit einem imponierenden Methoden-Feuerwerk. Da wimmelt es nur so von modischen Stichwörtern wie „Aufstellungen“, „NLP-Techniken“, „Lösungsorientiertes“ oder „Videogestütztes“ Arbeiten. Schon Anfang der Achtziger Jahre gaben Brammer & Shostrom (1982) zu bedenken, dass ein Scharlatan ist, wer sich nur auf Methoden, womöglich auf immer die gleichen fixiert, diese dann unabhängig von seiner jeweiligen Klientel - und auch noch unabhängig von deren Fragestellung appliziert.
Beratung, dementsprechend auch Coaching, erfordert aber ein breites und tiefes Verständnis vom Zusammenspiel zwischen Thema und Methode (Schreyögg 2003). Im Verlauf eines Beratungsprozesses muss diese Relation sogar laufend überprüft und variiert werden. Deshalb benötigt der Coach breite und tiefe diagnostische wie methodische Kompetenzen, mit deren Hilfe er den Coachee auf den „richtigen“ Weg geleiten kann. Als Metapher bemühe ich dafür gerne das Bild von zwei Rucksäcken, die lose miteinander verbunden sind. Der eine enthält eine Vielzahl von Theorien, damit ich unterschiedlichste Fragestellungen in ihrem jeweiligen Kontext rekonstruieren kann. Der andere ist ein Methodenrucksack, mit dem sich möglichst viele Themen weiterführend bearbeiten lassen.
Methodisch startet jedes Coaching mit einem eher unspektakulären, aber möglichst aufmerksamen Zuhören. Dieses ist zunächst passiv. Im weiteren Verlauf fördert es aber im Sinne aktivierender Zusammenfassungen die weitere Präzisierung des Themas. Dabei versuche ich den Coachee so umfassend wie möglich zu verstehen, die vorgetragene Thematik so gut es geht zu erfassen und mich in den Coachee und seine aktuell relevanten Antagonisten einzufühlen Dabei beachte ich nicht nur die verbalen wie die nonverbalen Äußerungen.
Zentral ist unser Dialog. Hier versuche ich in einem ersten Schritt eine gemeinsame Problemformulierung zu entwickeln. Jetzt benötige ich meinen Theorierucksack. Während sich der Coachee immer flüssiger artikuliert, krame ich die dazu passenden theoretischen Muster aus diesem Gepäckstück hervor. Das geschieht nicht etwa so, dass ich jetzt große theoretische Abhandlungen von mir gäbe. Die Kunst eines erfahrenen Coachs besteht vielmehr darin, trotz eines breiten Theoriewissens dem Coachee so flüssig wie möglich und so fundiert wie nötig Unterstützung zu geben bei der Präzisierung seines Themas. Wenn der Coachee organisatorische Besonderheiten anspricht, sollte der Coach in seinem Theorierucksack schon mal vorsichtshalber in das Fach „Organisationstheorien“ greifen, weil die Fragestellung vielleicht strukturelle oder kulturelle Aspekte der Organisation betrifft. Thematisiert der Coachee Beziehungsphänomene seiner Arbeit, holt der Coach Sinnvollerweise das eine oder andere Interaktionskonzept hervor, auf dessen Hintergrund sich die Fragestellung zutreffender als bisher strukturieren lässt. Jedes theoretische Muster ist allerdings immer nur ein Angebot an den Coachee, das er annehmen oder ablehnen kann. Dieser Theoriegeleitete Rekonstruktionsprozess ist abgeschlossen, wenn der Coachee meint: Ja, genau, so ist das.
Im Verlauf dieses Prozesses greift der Coach allerdings auch immer wieder in seinen Methodenrucksack. Wenn nämlich Organisationsstrukturen formaler oder nicht formaler Art in Frage stehen, lassen sich diese besser mit gemalten Organigrammen oder als „flexible Organigramme“ mit bunten Bausteinen oder Magnetplättchen anschaulich machen. Geht es um problematische Beziehungen mit Mitarbeitern oder Vorgesetzten, bitte ich diese über Imaginationen „auferstehen“ zu lassen. Auf diese Weise gelangt man zu einer dichteren Rekonstruktion der Beziehungsdynamik als nur über das Sprachliche.
Wenn die Fragestellung im Dialog präzisiert ist – was übrigens bei vielen Coachings schon einer Lösung gleich kommt – ist wieder der Methodenrucksack relevant. In manchen Fällen möchte der Coachee sein Thema noch weiter ausleuchten, dann brauchen wir wieder den Theorierucksack, in anderen möchte er sich lieber übend auf eine neue Situation vorbereiten, dann steht allerdings der Methodenrucksack bereit.
Der Coach wird den Coachee natürlich laufend zur Selbstreflexion anregen, zur Deutung und Interpretation seiner Thematik und damit zum Neu- und Umlernen von Deutungs- und Handlungsmustern. Dabei muss der Coach pendeln zwischen der Identifikation mit seinem Coachee und einer distanzierten Haltung, die ihm auch einen exzentrischen Blick auf den gesamten Kontext seines Coachees erlaubt. Soll die Beratung gelingen, ist es allerdings auch nötig, dass sich der Coach selbst in der Interaktion mit seinem Coachee aus der Distanz betrachtet und diese entsprechend der professionellen Erfordernisse korrigiert.
Literatur:
Brammer, L.M., Shostrom, E.L. (1982): Therapeutic Psychology: Fundamentals of counseling and psychotherapy. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
Schreyögg, A. (2003): Coaching. Eine Einführung (6. Aufl.), Frankfurt/M., New York: Campus.