Supervision und Coaching im Feld der klinischen Neuropsychologie

Diskurs: Supervision und Coaching im Feld der klinischen Neuropsychologie

Implementierungsfragen im Zusammenhang mit Supervision und Coaching sind nicht nur für eine je spezifische Organisation oder einen je spezifischen Organisationstyp relevant, sie betreffen auch ganze Arbeitsfelder. Es lässt sich behaupten, dass Beratungsformen über große Strecken nur dort größere Verbreitung finden, wo sie entstanden sind. Ihre konzeptionellen Implikationen mit den dazu gehörigen Deutungs- und Handlungsmustern sind dann nämlich auf einen bestimmten Bedarf in einem bestimmten Kontext abgestimmt.

Supervision ist bekanntlich im Bereich von Sozialarbeit und Psychotherapie entstanden (Belardi 1992). Als „Clinical Supervision“ sind ihre Konzepte und Arbeitsstrategien aus genau diesen Kontexten entwickelt. Sie diente ursprünglich dazu, Professionelle für die Arbeit mit psychosozial bedürftigen Klienten vorzubereiten. Das interaktive Geschehen mit Klienten, die psychische Unterstützung benötigen, stand jedenfalls thematisch im Mittelpunkt. Dementsprechend entwickelten sich Supervisionsmodelle auch weitgehend in Korrespondenz zu psychotherapeutischen oder sozialarbeiterischen Modellen. Supervision für Tätigkeiten außerhalb dieses Rahmens blieben lange ein Novum. So entwickelte sich erst in den 80er Jahren Supervision in Schulen oder in somatischen Kliniken. Und wahrscheinlich erhielt sie erst durch breiter angelegte Konzeptdiskussionen einen Stellenwert als „generelles Beratungsverfahren“, (Schreyögg 2004), das dann auch für Berufstätige anderer Arbeitsfelder Verwendung fand.

Bei Coaching handelt es sich dagegen um eine Maßnahme der Personalentwicklung, die in Wirtschaftsunternehmen entstand (Böning 2002). Führungskräfte auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen sollten bei der Realisierung ihrer Managementfunktionen unterstützt werden. Entsprechend seinem Ursprung aus der Wirtschaft blieb Coaching lange Zeit auf dieses Feld begrenzt. Durch die fortschreitende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, durch die auch  Organisationen der öffentlichen Verwaltung und zunehmend sogar Dienstleistungssysteme gezwungen sind maximal wirtschaftlich zu handeln, setzte sich die Überzeugung durch, dass Führungskräfte dieser Milieus ebenfalls Managementqualifikationen erwerben sollten. Zur Unterstützung werden nun auch in diesen Feldern Maßnahmen der Personalentwicklung für Führungskräfte angeboten - darunter eben auch Coaching. So finden wir heute in der öffentlichen Verwaltung (Seiler 1999, Welling 1999 u.a.), in Schulen (Langhainzel 2000, Schlamp 2000 u.a.) wie im Gesundheitswesen (Anders 2000 u.a.) zunehmend Coachingaktivitäten.

In psychiatrischen Kliniken (Eck 1998) sowie in psychosomatischen Krankenhäusern (z.B. Hedlund 2003) konnte sich Supervision schon seit einiger Zeit etablieren. In den letzten Jahren fragen jedenfalls immer wieder Führungskräfte aus der pflegerischen oder medizinischen Hierarchie um Coaching an. Im Gegensatz dazu ist im Bereich der Neuropsychologie die Debatte um Supervision und Coaching noch vergleichsweise jung (vgl. König 2003). Dementsprechend werden hier auch erst neuerdings entsprechende Fortbildungsmaßnahmen angeboten (vgl. GNP-Akademie in Würzburg).
 
2. Supervision und Coaching in neuropsychologischen Kontexten

Derzeit ist für Angehörige dieses Feldes allerdings oft noch unklar, für welche Belange diese beiden Beratungsformen in der Neuropsychologie zu empfehlen sind. Aus meiner Sicht sind hier zwei übergeordnete Bereiche zu nennen:

- Die Qualitätsdebatte in Kliniken und
- die berufliche Beratung von Patienten.

2. 1. Supervision und Coaching zur Qualitätsentwicklung in Kliniken

Zur Förderung der Qualität klinischer Arbeit durch Supervision und Coaching bieten sich drei Zugänge an:

• Fallsupervision
• Teamsupervision und
• Coaching

(1) Fallsupervision

Bei der so genannten Fallsupervision steht der einzelne Patient im Zentrum aller Diskussionen. Dann handelt es sich um eine vertiefte Auseinandersetzung mit seiner Krankengeschichte auf dem Hintergrund sonstiger biographischer Daten. Hier sollte es immer um eine Verschränkung von somatischen, psychologischen und sozialen Faktoren gehen. Dabei sind aber auch relevant alle aktuellen Beziehungen zum professionellen Personal wie zu den Mitpatienten auf der Folie des spezifischen klinischen Kontextes. Besondere Bedeutung haben natürlich die Bezugspersonen des Patienten aus seinem häuslichen Umfeld, ihre aktuelle Relation zum Patienten sowie ihr Verhältnis zu seiner Erkrankung (Bodenburg 2001, 110). Alle diese Befunde auf individueller, interaktionaler und systemischer Ebene bilden dann die Basis einer gezielten Behandlungsplanung für diesen einen Patienten. Und sie bilden eventuell auch die Basis für Korrekturen bisheriger Handlungsstrategien.

Hier lassen sich allerdings unterschiedliche Rollen von Supervisoren beschreiben: Für Abteilungsleiter, die supervisorisch tätig werden, stellt die Fallsupervision ein ausgezeichnetes Führungsinstrument dar. Im Verlauf solcher Veranstaltungen gelingt es nämlich neue Mitarbeiter in ein bestimmtes Arbeitskonzept „hinein zu sozialisieren“. Falls im Gruppensetting supervidiert wird, kann auch eine konzeptionelle Homogenisierung aller Mitarbeiter eingeleitet werden, was sich bei multidisziplinären Teams, wie sie hier immer bestehen,  sehr günstig auf die Patientenarbeit auswirkt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass durch den Vorgesetzten keine Psychotherapie-orientierte Beratung im Sinne biographischer Defizitbearbeitung auf Seiten der Mitarbeiter stattfinden darf (genauer Schreyögg 2004). Hier sollte vielmehr eine „Abstinenz von vorgesetzten Supervisoren“ gegenüber den unbewussten Anteilen von Mitarbeitern eingehalten werden. Im anderen Fall überschreiten sie Grenzen, die ihrer formalen Rolle gesetzt sind. Vereinfacht gesagt: „Mitarbeiter verkaufen dem Vorgesetzten nur ihre Arbeitskraft, nicht ihre Seele.“ Ein Zwang zur Selbsteröffnung von Mitarbeitern gegenüber Vorgesetzten stellt jedenfalls ein Unding dar.

Die Fallarbeit sollte rotierend von jeweils einem Teammitglied, das eine professionelle Bezugsperson des Patienten ist,  vorbereitet werden. Die Führungskraft moderiert dann die Fallbearbeitung in einer Weise, dass alle Fachgruppen etwas beitragen können, also nicht nur die Ärzte und Psychologen, sondern auch die Ergo-, Logotherapeuten und besonders die Pfleger.

Eine heute übliche Rolle stellt der externe Fallsupervisor dar. Hier wird dann die fachliche Auseinandersetzung über Patienten innerhalb eines Teams an einen externen Berater delegiert. Das ist sinnvoll, wenn die Führungskraft über keine Kompetenzen für die Supervision verfügt. Wenn die Supervision in der Gruppe stattfindet, sollte auch hier ebenfalls auf biographische Vertiefungen verzichtet werden, denn auch in diesem Setting kommt es leicht zu unangemessenen Beschämungen in Konfrontation mit Kollegen und Vorgesetzten.

(2) Teamsupervision

Neuropsychologische Arbeit in Kliniken ist in der Regel multidisziplinär. So vorteilhaft die Arbeit seitens unterschiedlicher Fachvertreter für den einzelnen Patienten sein mag, birgt sie aber die Gefahr vielfältiger Missverständnisse und unproduktiver Kontroversen. Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten, Pfleger usw. haben durch ihre Ausbildung und ihre tagtägliche Arbeit je unterschiedliche Sichtweisen entwickelt. Dementsprechend setzen sie auch je unterschiedliche Schwerpunkte in der Patientenarbeit.

Wenn stärker eskalierte Konflikte bestehen, leidet die Arbeit einer gesamten Abteilung. Zum Zwecke der Konfliktprophylaxe sollte neben den sonst üblichen Teamsitzungen „Teamsupervision“ in den jeweiligen Abteilungen stattfinden. Sie könnte alle zwei bis drei Monate veranstaltet werden und an ihr sollten möglichst alle Mitarbeiter auf allen Hierarchiestufen mit ihren unterschiedlichen Funktionen teilnehmen. Als fachlich und hierarchisch  übergreifende Maßnahme, die der Qualitätssicherung klinischer Arbeit dienen soll, wird sie heute sogar von vielen Leistungsträgern bewilligt. Sie wird grundsätzlich von externen Supervisoren geleitet. Auf diese Weise kann der Supervisor als einzige systemfremde Person, die nicht in die aktuellen Arbeitsprozesse eingebunden ist, die Professionellen bei der Optimierung ihrer Kooperation unterstützen. Er wird das zum einen durch Anleitung zum vertieften Verstehen aktueller organisatorischer Phänomene versuchen, zum anderen wird er Unterstützung geben, dysfunktionale Handlungsmuster im Team zu korrigieren und neue, nun funktionalere einzuüben. In diesem Rahmen lassen sich auch strukturelle Phänomene diskutieren und im Bedarfsfall korrigieren.

Wenn allerdings Konflikte mit einem höheren Eskalationsniveau, d.h. mit gegenseitigen feindlichen Zuschreibungen entstanden sind, stellt die Teamsupervision nicht mehr das geeignete Instrument dar. Hier besteht nämlich die Gefahr, dass sie nur noch als „Kampf-Spiel-Arena“ für eine Verschärfung der Konflikte genutzt wird. In solchen Fällen ist Mediation im Sinne einer gezielten Konfliktbewältigung  angeraten (Pühl 2002).

(3) Coaching

In vielen anderen Fällen ist aber Coaching empfehlenswert. Wenn eine neue Führungskraft in einer Klinik tätig wird, ist es ohnedies sinnvoll, dass sie qua Coaching Unterstützung erhält, in ihre neue Aufgabenstellung möglichst nahtlos hineinzuwachsen. Im Verlauf ihrer Fachausbildung als Arzt oder Psychologe erwerben die Betreffenden ja keine Kompetenzen für die Leitung einer Klinik oder einer Abteilung. Bei Wahrnehmung solcher Funktionen handelt es sich um eine gänzlich andersgeartete Aufgabenstellung. Hier geht es nämlich nicht primär um fachliche Qualifikationen als Arzt oder Psychologe, sondern um die Realisierung von Managementfunktionen, von denen die Führungsaufgabe von besonderer Bedeutung ist. Und wie gut diese wahrgenommen wird, bestimmt ganz maßgeblich die Qualität einer Klinik oder einer ihrer Abteilungen.

Neben der Begleitung neu ernannter Führungskräfte besteht ein besonders häufiger Anlass Coaching in Anspruch zu nehmen in „hartnäckigen“ Konflikten. Die Regelung konfliktärer Prozesse stellt nämlich eine grundlegende Aufgabe von Führungskräften dar. Wenn sie selbst in die Prozesse verstrickt sind oder wenn sich das konfliktäre Geschehen unbemerkt hinter ihrem Rücken chronifiziert hat, ist es oft ausgesprochen sinnvoll, einen Coach zu bemühen. Dieser wird dann gemeinsam mit der Führungskraft zunächst die aktuelle Situation rekonstruieren und daran anschließend mit ihr erarbeiten, durch welche Handlungsstrategien sie positiv korrigierend eingreifen kann, d.h. den Konflikt mildern, stoppen oder dauerhaft beseitigen.

2.2. Supervision und Coaching mit Klienten

Ein anderes Anwendungsfeld für Supervision und Coaching sind aber die Patienten selbst. Viele von ihnen werden nach einer neuropsychologischen Behandlung wieder in ihren Beruf zurückkehren und manche von ihnen werden sogar wieder anspruchsvolle Positionen wie vor ihrem Klinikaufenthalt bekleiden. Je nach Dauer und Schweregrad ihrer Erkrankung gestaltet sich diese Rückkehr aber oft nicht gerade einfach. Dann stellt es für sie ein besonders günstiges Angebot dar, wenn sie im Sinne einer erweiterten Rehabilitationsmaßnahme für ihren Wiedereintritt in den Beruf Supervision oder Coaching erhalten. Die Kosten derartiger Maßnahmen werden übrigens neuerdings manchmal bei der Schadensregulierung von Versicherungsgesellschaften übernommen.

3. Abschließende Bemerkungen

Wie Herbert König (2003, 39) fordert, sollte Supervision in der Ausbildung von klinisch tätigen Neuropsychologen ein selbstverständlicher Bestandteil sein. Hier wäre es aber wünschenswert, dass sie auf einem profunden fachlichen Hintergrund stattfindet, der letztlich nur über Supervisionsausbildungsseminare zu erwerben ist. Gleichzeit wäre es auch sinnvoll, wenn erfahrene Neuropsychologen Kompetenzen im Coaching erwerben. Ihre Beratung wäre nämlich besonders wertvoll, weil sie dann über „Feldkompetenz“ verfügen.

Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag thematisiere ich Supervision und Coaching in der klinischen Neuropsychologie. Zunächst wird der Ursprung der beiden beruflichen Beratungsformen beleuchtet. Sodann zeige ich, dass sie in neuropsychologischen Kontexten zum einen für die Qualitätssicherung in Kliniken nützlich sind, zum anderen aber in der Beratung von Patienten vor und besonders während der Rückkehr ins Berufsleben.

Summary

In this article I try to show the special importance of supervision and coaching in clinical neuropsychology. First the origin is shown of both consultation forms, then I discuss supervision and coaching as methods of quality management in clinics. Finally I demonstrate the importance for the patients, before they return into their jobs.     

 

Literatur:

Anders, S. (2000): Coaching für die Chefärztin einer chirurgischen Abteilung. OSC 1/2000 (7), S. 49-61.

Belardi , N. (1992): Von der Praxisberatung zur Organisationsentwicklung. Paderborn: Junfermann.

Bodenburg, S. (2001): Einführung in die Klinische Neuropsychologie. Bern. Hans Huber.

Böning, U. (2002): Der Siegeszug eines Personalentwicklungsinstruments. Eine 10-Jahres-Bilanz. In: Rauen, C. (Hg.): a.a.O.

Eck, D. (1998): Supervision in der Psychiatrie. Bonn: Psychiatrie Verlag.

Hedlund, S. (2003): Zur Bedeutung der Supervision bei stationärer Psychotherapie. OSC 2/03 (10), S. 145-155.

König, H. (2003). Supervision in der Neuropsychologie – Der Beginn einer Diskussion. Zeitschrift für Neuropsychologie, 14 (1), 33-39.

Langhainzl, R. (2000): Kreative Medien im Coachingprozess. In: Schreyögg, A. (Hg.): Supervision und Coaching für die Schulentwicklung. Bonn: Deutscher Psychologen Verlag.

Pühl, H. (2002): Möglichkeiten institutioneller Konfliktbearbeitung. OSC 4/02 (9), S. 307-319.

Schlamp, K. (2000): Supervision in der zentralen Ausbildung für neu ernannte Schulleiter/innen. In:  Schreyögg, A. (Hg.) (2000): Supervision und Coaching für die Schulentwicklung. Bonn: Deutscher Psychologen Verlag. 

Schreyögg, A. (2004): Supervision – ein Integratives Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis (4. erw. Aufl.). Opladen: Leske & Budrich.

Seiler, D. (1999): Wachsam sein. Zur besonderen Situation der internen Supervision in einer Behörde. OSC 6 (4), 329-345.

Welling, A. (1999): Motive und Ängste in der Supervision. Warum sich Mitarbeiter von Verwaltungsbehörden für Supervision interessieren. OSC 6 (4), 305-319.